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Kapitel 250

Peter Peter und Robert über das Wesen der Liebe. Das Beispiel vom Verliebten. Der Phönix aus der Asche. Gleichnis vom Weinkeltern

1 Der Offizier sieht dieser Szene zu und bewundert die ihm wohlbekannte Helena, daß diese eine so ganz gebildete Sprache spricht. Er wendet sich zum Robert und sagt: »Nun, du mußt unterdessen deiner Helena schön zugeheizt haben, daß du ihr ihre frühere allerhäßlichste Lerchenfelder Proletariatssprache ordentlich wie Wanzen aus einer alten Bettstätte hinausgebrannt hast; denn wahrlich, sie spricht nun ein ganz gutes und schönes Deutsch.« – Spricht Robert: »Freund! das hat sie früher auch schon gekonnt; sie spricht aber nur dann ihren Lerchenfelder Dialekt, so es ihr darum zu tun ist, jemanden um Gottes Willen so recht zu demütigen. Sie ist sonst das sanfteste, zarteste und vom Herrn Selbst bestgebildete und feinstgebildete Wesen, schön wie eine Morgenröte und herzlich und lieb wie eine Taube.«

2 Sagt der Offizier: »Ja, ja, das sieht ihr nun wohl alles gleich. Aber lieber Freund! Nun noch eine Frage: Ich liebe Jesus so mächtig nun wegen Seiner unbegreiflichen Liebe zu uns, Seinen Geschöpfen. Diese Liebe drängt mich sehr; was solle ich denn tun, um mein Herz zufriedenzustellen?« – Sagt Robert: »Tue das nicht, lasse dein Herz vor Liebe zerbesten, dann wird dadurch dein Geist frei werden, der nun noch in deinem Herzen eingeengt ist. Wird aber dein Geist frei, dann wirst auch du frei in allem deinem Wesen, was dir vor allem nottut, so du dich dem Herrn vollends nähern willst.

3 Das Herz vor der Zeit beruhigen und zufriedenstellen heißt seinen Geist wieder schlafen legen und ein schlafender Geist hat dann wenig Hand zum Freiwerden. Man hat schon auf der Erde ähnliche Miniaturbeispiele. So jemand zum Exempel in ein liebes, gutes Mädchen so recht sterbensverliebt ist, bekommt aber keine Gelegenheit, seine Liebe auf dem gewöhnlichen Sinnlichkeitswege zu befriedigen und ihre stark gespannten Saiten herabzustimmen, so wird dessen Liebe stets intensiver und er wird dann alle Mittel anwenden, um sein liebes Mädchen zum Weibe zu bekommen. Ist er aber früher zu einer Befriedigung gekommen, so wird dann sein matrimonielles Bestreben um sehr vieles kühler werden, wo nicht gar am Ende ganz erlöschen; und siehe, also ist es auch hier der Fall. Man muß hier im Gnadenreiche der Liebe die Liebe ganz frei walten lassen; was da aus ihrem Walten auch immer herauskomme, kann nicht anders als nur gut sein, weil die Liebe eine heilige Kraft ist aus Gott, und nur die besten Effekte des Lebens in's Werk stellen kann. Lasse dich daher nur drängen von der Liebe des Herrn! Sie wird dein ganzes Wesen ganz zurecht umgestalten. Hast du mich wohl verstanden?«

4 Spricht der Offizier: »Freund! Du hast nun freilich gut predigen und predigst auch in der größten und wahrsten Ordnung, weil du die Schule schon durchgemacht hast; aber unsereiner, der sich gerade im Glühofen der Liebe befindet, findet in einem solchen Geduldszustande ein ganz absonderlich unbehagliches Drängen und kann die Sache nicht so leicht ertragen, als ein freier Geist ihm vorpredigt. Du wirst es zwar auch so gut empfunden haben, als wie ich es nun empfinde, aber das mildert meine Sache nicht im geringsten. Mache lieber, daß ich Jesus umarmen kann, so hast du mir mehr geholfen, als mit der schönsten Lehrpredigt. Rede die herrlichsten Worte in ein brennendes Haus und du wirst damit das Feuer nicht löschen. So du aber statt der Worte einen Wassereimer nimmst und begießest damit fleißig die Glut, so wirst du dadurch einen offenbar besseren Zweck erreichen.«

5 Sagt Robert: »Lieber Freund! das ist es aber eben, daß ich dein Feuer nicht löschen, sondern nur vielmehr anfachen will; denn du mußt in diesem Feuer gleich einem Phönix zuvor völlig verzehrt werden und aus der Asche deiner Demut neu erstehen, ehe du ohne Schaden an deinem Wesen dich Gott in der Fülle nähern kannst.

6 Hast du denn auf der Erde nie dem Weinkeltern zugesehen? Sieh, die Traube kommt unter eine ganz entsetzlich schwer drückende Presse, durch die sie ganz zerquetscht wird und ihr der letzte Tropfen ihres edlen Saftes genommen wird. Daß die Traube eine Empfindung hat, daran haben wenigstens wir frei stehenden Geister keinen Zweifel, indem alles, was durch einen offenbaren Lebensprozeß in's Dasein gelangt und ein belebendes Prinzip in sich enthält, das zu einem anderen Leben sich gesellend dasselbe stärkt und erhöht, auch selbst ein Leben haben muß, das ohne eine bestimmte Empfindung kein Leben wäre und daher auch nichts beleben könnte. Mag nun unter der schweren Presse die schöne Traube einen noch so mächtigen Druck wie immer schmerzhaft empfinden, so ist dieser Druck aber dennoch für die rechte Erhaltung und Vermehrung ihres belebenden Geistes höchst nötig; denn würde diese drückende Operation an der Traube nicht verübt, so würde ihr Geist nimmer frei, und könnte nicht den ganzen Saft also durchsättigen, daß dann ein jeder, der den Saft zu sich nimmt, den belebenden Geist im selben gar bald in seinem ganzen Wesen verspürt und manchmal, so man zu viel des reinen Saftes zu sich nimmt, nur zu heftig (berauscht wird).

7 So du aber den Wein liebst und dessen entzückend belebende Kraft, kannst du dann ein Feind des Kelterns sein? Ich sage dir, ohne Druck geht es nicht; der belebende Saft verkümmert in der Hülse und gelangt nie zu einer selbsttätigen Kraft. Nur wenn durch den Druck auch der Geist genötiget wird, in den seelenartigen Saft überzugehen, dann wird erst die Seele selbst Leben im eigenen Besitze der Kraft und Macht. Verstehst du dies Bild?«

8 Sagt der Offizier: »Ja, nun verstehe ich dich und werde mich auch danach benehmen. Ich danke dir, lieber Bruder, für diese wahrlich sehr weise und praktische Belehrung.«

9 Darauf bescheide Ich die Helena und die Mathilde hin zu jenen Weibern, mit denen eher der Offizier Peter Peter seine Anstände gehabt hat, und von denen eine Mir mit einem Reliquienkreuze aus Silber ein Präsent machen will. Die beiden küssen zuvor Meine Brust klein ab und begeben sich dann sogleich an das ihnen anvertraute Liebeswerk, und machen auch die besten Effekte.


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