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Kapitel 293

Die Lobrede Robert Uraniels und seiner Freunde an den himmlischen Vater und die Mahnrufe an die Kinder der Erde. Die Wichtigkeit der Urindividualität zur Gotteskindschaft

1 Sagt Robert und die anderen alle mit ihm: »O Du lieber, heiliger Vater, Du! Ach, es ist gar nicht auszusprechen, wie unendlich selig wir sind. Du Selbst, und gleichfort Du Selbst führest uns, und zeigest mit Deiner höchsteigenen Hand die endlosen Wunderwerke Deiner allmächtigen Liebe, und erklärst uns aus Deinem allerheiligsten Munde Deine heiligen Werke so natürlich und wohlverständlich, daß wir uns schon am Ende über uns selbst zu verwundern anfangen und sagen müssen, wie es denn doch möglich sein kann, solche Dinge zu begreifen, die für viele Millionen noch ganze Ewigkeiten ein unauflösbares Rätsel verbleiben werden.

2 O der unbegreiflichen Dummheit der Menschen auf Erden! Das Gold der Himmel, das Gold des Lebens achten sie nicht und treten es mit den Füßen; dafür aber führen sie Kriege um den Kot der Straßen, und des Unflates wegen zerfleischen sie sich. Hierher, hierher ihr armen Sünder und ihr stockblinden Teufel alle! Da lernet Demut und Herablassung von Dem, Dessen Mundes leisester Hauch euch in einem allerkürzesten Augenblicke samt eurer sündigen Unterlage, Erde genannt, auf ewig in's reinste Nichts und Nimmersein verwehen kann.

3 Aber ihr saget: Was sollen wir? So wir auch bitten und beten, da wird es mit uns dennoch nicht anders; wir sehen nichts und wir vernehmen nichts. Unser Flehen wird von der Luft verzehrt, und wir starren dann nachher so wie ehedem in die weite und tiefe Unendlichkeit fruchtlos hinein und staunen trostlos und weisheitslos die unerforschlichen Werke Gottes also an wie die Kälber ein neues Stalltor. Wir sorgen uns daher nur bloß nun darum, was unserem Leibe nottut, und das zunächst unserem höchsteigenen; um alles andere kümmere sich, wer da will. Der Mensch muß was zu essen und zu trinken haben, und einen Rock und eine Wohnung, das ist nötig; alles andere steht im tiefsten Hintergrunde und ist daher entbehrlich. –

4 Ja wohl entbehrlich für euch Erdwürmer, die ihr alle gleichet dem reichen Jünglinge im Evangelium. Dieser betete auch und bat den Herrn um die Erteilung des Gottesreiches; als aber der Herr zu ihm sprach: Trenne dich von deinen Erdengütern, überlasse sie den dürftigen Kindern der Welt, und du folge Mir! Da brach dem jungen Menschen das Herz, und er kehrte sofort zu seinen süßen Erdgütern zurück, und ließ Gott den Herren ziehen, und kümmerte sich nimmer um Ihn, sondern nur um seine Erdgüter, und ward hernach härter denn früher, was der Herr gar deutlich dadurch zu verstehen gab, daß Er nur zu deutlich bemerkte, wie schwierig es sei für einen Erdgüterliebhaber, in's Reich Gottes einzugehen.

5 Hierher, hierher also, ihr Geister der Erde! Hierher in eurem Herzen! Da werdet ihr Schätze und Reichtümer finden in solch endloser Fülle, daß sie keine Ewigkeit je verzehren wird. Hierher, hierher, ihr Ehrsüchtigen alle, in der rechten Demut eurer Herzen! Da ist eine rechte und ewig dauernde und stets zunehmende Ehre aller Ehren der Erde zu Hause. Was sind all' eure Kronen, Throne und Zepter gegen ein freundliches Wort Dessen, Der das Nichts zu einem unendlichen Raume ausgespannt und durch Seine Macht und Weisheit diesen Raum erfüllt hat mit Wunderwerken ohne Zahl und Maß.

6 O bedenket den unendlichen Unterschied zwischen unserem vollendeten ewigen Leben in der beständigen Gesellschaft des allmächtigen Vaters und Schöpfers aller Himmel und Welten und alles dessen, was sie tragen, und zwischen eurem vergänglichen, das vom Morgen bis gegen Abend dauert. Wie könnet ihr hängen an einem Leben, das da eher den Namen Tod als Leben verdient? Das irdische Leben ist ja nur ein fortwährendes Sterben schon von der Wiege an. Dies wahre Leben aber ist ein stetes Lebendigerwerden in Gott, dem heiligen Vater; und dies wahre Leben ist euch so nahe; ihr könntet es in jedem Augenblicke ergreifen für ewig; aber ihr seid blind; eure Erdgüterliebe verblendet die heilige Sehe eures Herzens, darum wähnet ihr das Reich des ewigen Lebens fern von euch, während es euch doch sozusagen auf der Nase sitzt. Wir sind euch gar so nahe, und ihr wähnet uns fern von euch. O wie blind seid ihr doch!

7 Des Herrn Knechte auf Erden kennen uns, sehen uns, und unterreden sich mit uns, wann sie wollen; und ihre Füße sind dem Erdboden eben so nahe als die eurigen, aber sie haben die Sehe und das Ohr ihres Herzens offen, weil sie nicht geblendet sind von der Last des reichen Jünglings im Evangelium. Ihr anderen aber seid reiche Erdjungen, und so euch der Herr beruft, da kommen euch Tränen in die Augen, mit denen ihr die öde Welt gar so gern beschauet. O diese Welt sehen auch wir und noch viel mehr Welten hinzu; der Herr schenkt uns tausend solche Welten, so wir sie nur annähmen; aber wer wird nach einem gemalten Stücke Goldes greifen, so er einen tausendmal größeren ganz gediegenen Goldklumpen vor sich zum ewigen Eigentume hat?

8 Steiget mit uns an der Hand des allmächtigen Vaters hinab in die heiligste Tiefe und schauet mit den Augen des Herzens den kühnsten Brückenbau von einer Welt zur anderen, von einem Himmel zum anderen, und von einem Herzen zum anderen. Und ihr werdet, obschon noch in sterbliches Fleisch eingehüllt, mit uns Wonne und Seligkeit fühlen und durch sie beleben eure Seele. O, Herr! warum müssen denn wir gar so selig sein, und Millionen Brüder sind blind und taub?«

9 Sage Ich: »Freund und Bruder! Jedes wahre Leben hat das in sich, daß es unmöglich anders als nur überaus selig sein kann und muß. Ein Leben aber, das noch der Tod wie ein Bräutigam seine Braut unter dem Arme führt, aber freilich nicht in's heimliche reizende Brautgemach, sondern wie ein Scherge einen armen Sünder zum Hochgerichte, kann nur als vollends geblendet noch irgend eine Lust empfinden. Würdest du es aber entblenden, so würde es zurückschaudern, so es ersähe, wohin es sein Begleiter führt. Darum ist es eines Teiles besser, daß die Menschen der Erde blind und taub sind, denn so mögen sie doch das spannenlange, von Tod zu Tod gleitende Leben mit einiger Scheinruhe genießen;

10 denn Ich sage euch allen: Für viele Millionen folget ihrem Scheinleben ewig kein weiteres Leben mehr; denn so gut es ein ewiges Leben gibt, ebenso gut gibt es auch einen ewigen Tod. Es gibt ja Bäume auf der Erde, auf denen gar süße und herrliche Früchte in kurzer Zeit reif werden, und keine Blüte auf den Zweigen hat vergeblich geblüht; aber es gibt auch Bäume, die zwar reichlich blühen und sehr viele Früchte ansetzen, aber da solche Bäume meistens saftarm sind und ihre unschmackhaften Früchte lange auf ihren Zweigen behalten müssen, bis diese die erwünschte Reife erhalten, so fallen erstens wegen Mangel an Nahrung und zweitens wegen der zu langen Reifwerdungsfrist sicher drei Vierteile eher vom Baume, bevor sie die Reife erlangen können; und Ich sage euch: Für die Wiederbelebung solcher unreif herabgefallenen Früchte ist sehr wenig heilsames Kraut gewachsen. Wenn ein Teil solcher Früchte etwa kurz vor der Vollreifezeit vom Baume fällt, so kann man sie sammeln, und abliegen (nachreifen), lassen, und sie werden dadurch wenigstens eine Notreife erlangen, die doch noch immer besser als gar keine ist. Aber Früchte, die bald nach der Blüte wegen Mangel an Nahrung von den Zweigen gefallen sind, für die gibt es kein Heilmittel mehr.

11 Ich sage euch hier aber nicht also, als könnten Kinder, die bald nach der leiblichen Geburt sterben dem Leibe nach, nicht das ewige Leben erlangen; denn mit der irdischen Geburt und Reife hat dies Mein Gleichnis nichts zu tun, sondern hier handelt es sich um solche Seelen, die auf der Erde in Meinem Gnadenlichte schon überaus schön geblüht haben und haben im Anfange gierig den Saft des Lebens aus Meiner Gnade eingesogen; als aber dann kam die notwendige Zeit der Probung, da verschlossen sie hart ihren Mund und ihre sonstigen Nährorgane und wollten nimmer einsaugen das freilich herbe schmeckende Salz des Lebens. Die Folge davon aber war hernach alsbald die volle Abtrennung von den sie nährenden Zweigen und der für jede Wiederbelebung unfähige Tod. Lassen wir daher solche Früchte taub und blind ihr kurzes Leben genießen, es ist noch immer lang genug dauernd für ihre volle Nichtigkeit.«

12 Sagt Robert: »Aber so wahr die Sache immer ist und sein wird, so kommt sie mir aber dennoch ungefähr also vor, wie ein Gesetz bei den Chinesen und Japanern, vermöge dessen kein Elternpaar mehr als 6, höchsten 7 Kinder aufziehen darf; alle über diese gesetzliche Zahl Geborenen müssen ersäuft oder auf eine sonstige Art um's Leben gebracht werden.«

13 Sage Ich: »Mein Freund, das verstehst du noch nicht! Siehe, so ein Töpfer einen Topf auf seiner Scheibe formt aus Lehm, der Topf aber mißrät ihm ob eines wie zufälligen Umstandes wegen; der Topf aber war schon über die Hälfte geformt; was tut da der Töpfer? Sieh', er schlägt den halbfertigen Topf zusammen, nimmt den Lehm von der Scheibe, vermengt ihn mit einem anderen frischen Lehme und gibt ihn dann wieder auf die Scheibe, und fängt daraus ein anderes minder heikles Gefäß zu formen an, das ihm auch wohl gelingt, und so geht zwar wohl der Stoff nicht und unmöglich je verloren, aber die eigentümliche Individualität des zuerst begonnenen Werkes ist für ewig vollkommen dahin und tot. Kurz, das erste Ich ist vollends dahin, und das ist im eigentlichen Sinne der ewige Tod, den keine Liebe und keine Erinnerung an's Ursein wiederbeleben kann; wo aber dies nimmer geschehen kann, da kann auch ewig an keine vollkommene endliche Vollendung mehr gedacht werden. An der Beibehaltung der Urindividualität aber liegt gar unaussprechlich viel, denn ohne sie kann die Kindschaft Gottes nie erreicht werden; denn eine Sekundogenitur wird ewig keine Primogenitur mehr. Verstehest du das?«


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