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Kapitel 220

Josefs gute Rede an Migatzi. Ein Gleichnis über die modernen Erfindung einer Stecknadel. Josef als Reformator, weist den Migatzi an den Herrn. Migatzi erklärt das Jenseits für einen Trug, den Josef für verrückt, und will ihn kurieren. Etwas über Josefs letzte Krankheit und seinen Tod

Am 18. Juli 1850

1 Kaiser Josef: »Schaue Freund, wie dumm und gänzlich gehaltlos deine Gründe sind, mit denen du deine Kirche – natürlich nur mir gegenüber beschönigen willst, erhellt aus dem allein schon zur Übergenüge, daß gottlob wir beide dem Leibe nach schon vor 60 Erdjahren gestorben sind, und nun nach diesem Leibestode hier ganz wohl erhalten frisch und gesund fortleben. Würde das Volk im wahren, lichten Glauben unterwiesen sein, so würde es sich auch leichter leiten lassen, und wäre mutiger in allen seinen Unternehmungen, und emsiger in allem Guten, Wahren und Schönen; da es aber statt zu wachen und zu schauen alle Dinge in ihrer Wirklichkeit, nur schläft, und sich von einem Traume in den anderen hineinschnarcht, so ist bei solch einem Volke an einen wahren geistigen Fortschritt gar nicht zu gedenken. Wie schnell erblühten in England die zweckmäßigsten Erfindungen aller Art, als der Geist dieses Volkes nur zu einiger Freiheit gelanget war; was aber haben wir in Österreich unter der Regierung meiner Mutter aufzuweisen? Nichts, und noch tausendmale nichts; Wir können nichts als schlechte Taschenveitel (Taschenmesser) fabrizieren. Mein erster Minister fragte mich einmal, als er zuvor eine zeitlang eine Stecknadel betrachtet hatte, ganz im Vertrauen, wie etwa doch diese beknöpften Stifte verfertigt werden. Und, so wahr ich da stehe, ich konnte ihm selbst keine Antwort geben, denn ich sogar als Kaiser hatte davon wirklich keinen Begriff, dachte aber bei mir: Mit der Aufklärung meines großen Staates muß es verdammt schlecht stehen, da sogar ich als Kaiser nicht weiß, wie eine wahrlich lausige Stecknadel geschaffen wird.

2 Zudem habe ich auch noch in die Erfahrung gebracht, wie ein Kapuziner gegen den Gebrauch der Stecknadeln mit höllischem Morde und Brande auf der Kanzel geeifert hatte, indem er sie als eine reine Zauberei ansah. Der hat doch sicher auch keinen Begriff gehabt, wie die Stecknadeln verfertigt werden. Er habe es selbst einmal versucht, und hätte eine ganze Woche sich die unsäglichste Mühe gegeben, eine solche Nadel zu verfertigen, wäre aber um alle Welt nicht imstande gewesen, auch nur eine zu Wege zu bringen; aber in seiner törichten Mühe sei der leibhaftige Gottstehunsbei zu ihm gekommen und habe gesagt: Verschreib mir deine Seel', und ich will dir die Kunst lehren, Stecknadeln tausendweise zu machen. Darüber habe er sich so gewaltig erschreckt, daß er vor Angst umgesunken sei, und wäre ihm nicht die allerseligste »Maria auf der Stiege«, die er stets am meisten verehrt habe, zu Hilfe gekommen, so wäre er offenbar verloren gewesen.

3 Wenn nun das arme Volk solchen ungeheuren Ochsen von Geistlichen überlassen ist, frage: welche Früchte lassen sich von solch' einem Volke erwarten? Und siehe, dieser und 10.000 ähnliche Anlässe sind mir zu Ohren gekommen, und bestimmten mich denn auch notwendig, solchem krassesten Unfuge für alle Zeiten ein Ende zu machen. Und gottlob, der Herr hat meine Mühe gesegnet, und sie mir zu keiner Sünde gerechnet. Der Papst bekommt nun eine Ohrfeige um die andere von der lieben Welt, und hat bei Millionen bereits gottlob alles Ansehen weidlichst verloren; ja ein Prinz Schnudi und Piripinker stehen in einem größeren Respekte als der Papst mit allem seinem Anhange, und dazu habe ich den ersten Hauptgrundstein gelegt, den freilich früher ein Luther, Calvin, Huß und Melanchthon schon behauen haben. Bin dafür von Rom aus freilich wohl etliche Millionen Male bis in die unterste Hölle verdammt geworden; aber gottlob, es brachte mir das keinen Schaden; denn da sieh' her, der hier fest neben mir stehet, ist Christus der Herr, Himmels und der Erde Selbst, und ich glaube: wer so, wie ich, bei Ihm ist, der wird ja etwa doch so ein bißchen selig sein.«

4 Sagt nun der Erzbischof ganz aufgeregt: »Du warst schon im Mutterleibe ein Ketzer, und wirst als solcher in der Hölle auch verbleiben in Ewigkeit. Du meinst, daß wir schon gestorben sind. O du Narr! für die Welt politisch genommen sind wir freilich gestorben, weil wir uns in den Ruhestand zurückgezogen haben; aber nicht so in der Wirklichkeit, da wir doch noch alle in dem sichtbaren Wien leben, und herumgehen und fahren, so wir eine Gelegenheit bekommen, bin ich doch erst unlängst in Hiezing gewest; und habe mir dort recht wohl geschehen lassen, und das wird doch nicht etwa in der Geisterwelt, – so du es mir erlaubst zu sagen – gewesen sein! Oder gibt es etwa auch in der Geisterwelt ein natürliches Wien, ein Hiezing, einen »Heurigen« und »bach'ne Händln« mit einem delikaten Häupelsalat? Geh', laß dich nicht auslachen! Ich als ein Erzbischof werde es doch besser wissen, was es mit der Geisterwelt für eine Bewandtnis haben müßte, so es eine gäbe; aber da es nach dem Tode kein Leben mehr gibt und geben kann, so fällt die ganze Geisterwelt ja von selbst ins rein blaue hinein, und mit der Gottheit Christi wird's etwa doch den allerallmächtigsten Faden haben. Wie weit aber mußt du es in deiner Narrheit gebracht haben, daß du einen echt polnischen Zinbeljuden für den Nazarener hältst, der am Kreuze lange gut gestorben ist, und in alle Ewigkeit nimmer lebendig wird. Es ist wirklich viel, daß du dich nicht selbst schon lange für Christus gehalten hast; denn ein Narr zur Genüge wärst du schon lange dazu gewest.

5 Weißt du denn nicht, und hat dein traurig leidender Zustand dir denn dein Erinnerungsvermögen so ganz und gar verstöret, daß du nun dich nimmer entsinnen kannst, daß du ein Narr geworden bist, und als solcher gekommen in die geheime kaiserlich-königliche Irrenanstalt! Sieh, dies Ereignis wird dir das Gefühl gemacht haben, als seiest du gestorben; aber dem ist nicht also; du bist nur irrsinnig geworden, was du noch mehr oder weniger bist, und das erzeugt in dir das Gefühl des schon Gestorbenseins. – So du aber wolltest, da könnte ich dich bald heilen, auf daß du dann wieder des Lebens goldene Freiheit genießen könntest; du weißt es ja, so dir noch irgend eine Erinnerung geblieben ist, daß ich nie ein sogenannter Zelote war, am wenigsten dir gegenüber. Geh, biedrer Freund, und laß dich kurieren!«

6 Spricht Josef: »Mein Freund! du behauptest Dinge hier, die einem Spinoza (lebte von 1632 bis 1677 und schuf ein System des philosophischem Monoismus, in der Gott oder die Natur die absolute Substanz ist) den doch die Kirche selbst, nachdem er schon mehrere Jahre begraben war, wieder ausgraben, öffentlich verdammen und dann verbrennen ließ, wahrlich keine Schande gemacht hätte. Ich ein Narr!? Nein, das ist alles, was man sagen kann! Das ist dir gelungen. Schau', ich habe doch schon so manches über mich lügen gehört; aber so was ist mir noch nicht vorgekommen; daß du an die Unsterblichkeit und an Christus nicht glaubst, und – salva venia – auch nie geglaubt hast, das geniert mich eigentlich gar nicht, und ich will mir da auch keine Mühe geben, dich in diesen Glauben einzuführen; aber daß du behauptest, ich sei auf der Welt irrsinnig geworden, das geniert mich, indem ich nur zu bestimmt weiß, wie und auf welche Weise ich so ganz eigentlich das Zeitliche mit dem Ewigen vertauscht habe.

7 Siehe, durch nur zu gewisse Sorge von eurer kirchlichen Seite habe ich höchst wahrscheinlich entweder durch das Beriechen eines seltenen Blumenbukettes oder einer Prise Spaniols ein Übel in meinem Kopfe wahrzunehmen angefangen, das sich wie ein starker Kopfkatarrh zu äußern begann; ich achtete dieser Sache nicht, und dachte, dieser Schnupfen wird so vergehen, als wie sonst bei mir noch jeder vergangen ist; aber dem war es nicht so. Als der Schnupfen mir zu lange andauerte, und statt besser nur von Tag zu Tag schlimmer ward, ließ ich natürlich meinen Hofarzt kommen, der aber auch nichts anderes sah als ich, nämlich einen recht hartnäckigen Kopfkatarrh; ich mußte ins Bett, mußte schwitzen und Tee saufen, und allerlei Dunst in die Nase ziehen; es ward mir darauf wohl etwas besser; aber einen gewissen Druck gerade wie auf's Gehirn im Oberhaupte verspürte ich von Tag zu Tag fühlbarer, auf den ich aber anfangs auch zu wenig achtete, bis sich nahe an derselben Stelle auch äußerlich ein Tuberkulum malum (bösartiges Geschwür), wie es meine Hofärzte nannten, zu entwickeln begann, und trotz aller ärztlichen Mühe und emsigster Behandlung von Tag zu Tag schlimmer ward.

8 Man tröstete mich, so gut man konnte, berief aber endlich doch ein Ärzte-Konzil zusammen; das Konzil erkannte an meinem Kopfabszeße nichts Gefährliches bis auf einen gewissen schlichten Arzt namens Quarin; dieser schüttelte hinter der Tür mit seinem Kopfe verneinend, wurde von mir im gegenüberhängenden Spiegel entdeckt und sogleich hervor gerufen und gefragt, ob das Übel zu heilen sei. Und Quarin sagte entschieden: Nein, wofür er von mir auch geadelt und bestens dotiert ward. Von da an ward es mit meinem Leibe von Stunde zu Stunde schlechter, und ich starb bald danach bei meinem vollsten Bewußtsein ohne die geringste Furcht vor dem sichersten Tode; als ich starb, da kam es mir vor, als ob ich ganz süß eingeschlafen wäre; erwachte aber bald darauf, nur gottlob, nicht mehr in der materiellen, sondern in der geistigen Welt, in der ich noch zu sein und ewig zu verbleiben die Ehre habe.

9 Ich meine, aus dem dürfte dir denn doch klar sein, daß mein Erinnerungsvermögen nicht so ganz und gar pfutsch ist, als wie du es soeben behauptest hast. He, was meinst du da? rede nun!«


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