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Anhang

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Enthält:

1. Eine Nachschrift des Verfassers.
2. Ein Sendschreiben des Herrn A. Hahn.

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Nachschrift des Verfassers

Es mag im Winter 1841/42 gewesen sein, als zu Wien ein Herr Faber das Wunderbarste, was ich jemals gesehen oder gehört, öffentlich zur Schau stellte; eine Sprechmaschine, welche, durch Tasten, wie beim Klavier, in Bewegung gesetzt, einzelne Laute von sich gab, aus denen sich ganze, deutlich gesprochene Worte bildeten. Von allem, was des Menschen kunstfertige Hand hervorgebracht, schien mir diese Maschine, als Resultat unbegreiflicher Kombinationen, das Unbegreiflichste. Wer sein Leben damit zugebracht hat, sprechen zu lernen, den muß ein solcher Einblick in die geheimnisvolle Werkstatt des Göttlichsten, was der Mensch hat, wodurch er sich von sämtlichen Geschöpfen auszeichnet, mit ehrfurchtsvollen Schaudern durchdringen. Ich hatte früher schon ähnliche Versuche gesehen, die mehr oder minder höchst unvollkommen, mangelhaft oder gar auf Scharlanterie und Täuschung begründet waren. Hier zeigte sich nur ehrliche, redliche, bewunderungswürdige Künstlerschaft, die sich von jeder Ostentation fernhielt und vielleicht eben deshalb die Teilnahme der großen Menge nicht gewann. Herr Faber zählte so wenig Besucher seiner über alles Lob und über jede Beschreibung erhabenen Erfindung, daß er gerechte Ursache zur Klage hatte. Die große Stadt wußte eigentlich gar nichts von dem Wunder, das in ihren Mauern geschah. Ich selbst würde nichts davon erfahren haben, wäre ich nicht aufmerksam gemacht worden durch Grillparzer. Dieser große Dichter, der bisweilen wie ein Träumender durchs Leben geht und dem Geräusch des Marktes oftmals gänzlich entrückt scheint, bewahrt doch anderseits so viel reine Kindlichkeit in seiner edlen Brust, daß er sich über alles, was schön, groß, erhaben, bedeutend ist, zu freuen vermag wie ein Kind. Er war es, der mir befahl, zu Herrn Faber zu gehen; der mich dazu zwingen mußte, weil ich, Robertsons (des Luftschiffers, ich meine des Vaters) Sprechmaschine im Gedächtnis, kein Vertrauen dazu hatte. Und wie dankte ich meinem »Meister Franz«, daß er mich gezwungen.

Eines Tages stand ich wiederum vor dem kleinen, unscheinbaren Kasten, aus welchem wirkliche, gesprochene Worte hervorklangen, wie aus der Brust eines denkenden, redenden Wesens, Mensch geheißen, und versank in aufrichtige Betrübnis über die Undankbarkeit der Welt, die den Erfinder einer so merkwürdigen Sache Mangel leiden und verkümmern läßt, während sie für tausend Albernheiten Geld, Zeit und Lobsprüche zu erübrigen weiß, – da traten ein Herr und eine Dame ein, außer mir die einzigen Zuschauer. Ohne Zweifel waren es Mann und Frau. Er, ein wohlkonservierter Vierziger oder drüber; die Frau, obwohl sichtbar über die Dreißig hinaus, doch so jugendlich, mädchenhaft, schlank und zart, daß man sich kein anmutigeres Weib denken konnte. Auch sie wandten ihren lebhaftesten Anteil dem bewunderungswürdigen Werke des Herrn Faber zu. Als ich erst entdeckt hatte, wes Geistes Kind dies schmucke Ehepaar sei, ließ ich meinen Klagen über die Indolenz des Publikums freien Lauf. Wie ich sprach, sahen beide, die sich bisher wenig um mich bekümmert hatten, erst sich, dann mich fragend an, und nachdem sie flüsternd einige Worte gewechselt, sagte der Mann: »Gewiß, für Sie muß diese Sprechmaschine doppelten Wert haben.« Der Akzent, in dem er dies sagte, verriet meinen Landsmann. Ich fragte, ob ich die Ehre hätte, von ihm gekannt zu sein.

»Wir haben Sie vor zwei Jahren in Berlin lesen hören«, erwiderte er, »und darauf bezog sich meine Voraussetzung, daß alles, was ins Gebiet der Artikulation, der Sprach- und Sprechausbildung gehört, Sie besonders interessieren müsse, übrigens bin ich erstaunt, Sie hier zu finden! Es ist kaum einige Wochen her, daß ich von Ihrem Aufenthalte in einem Gebirgsdorfe las!«

»Mein Gott«, sagte ich, »solch ein alter Vagabund von meiner Gattung ist bald hier, bald dort.«

Die schöne Frau lachte und stieß ihren Mann mit dem Arme. Er lachte auch. Das Wort »Vagabund« schien sie zu amüsieren.

Dann wechselten wir noch einige verbindliche Redensarten hin und her und trennten uns.

*

Einige Jahre später fand ich diese Wiener Bekanntschaft in B. wieder. Es war im Zirkus der Kunstleitergesellschaft von Cuzent und Léjars, wo wir zusammentrafen. Der Enthusiasmus, in welchen ich durch den Anblick jener Reiterfamilie mich versetzt fühlte, war zu heftig, um in meiner Brust Raum zu finden; ich mußte mein Entzücken mitteilen und ergoß mich in lebhaftesten Ausdrücken gegen die Bekannten aus Wien, die ebenfalls einstimmten und über die Anmut der Madame Léjars wie über die Bravour der Demoiselle Pauline Cuzent nicht genug des Lobes finden konnten. Als der Bruder dieser Damen, Paul, sein wohldirigiertes Orchester verließ, den Taktstab des Kompositeurs mit der Peitsche des Stallmeisters zu vertauschen, und, seine fünf Schimmel bändigend, die Bahn durchtobte, fragte meine holde Nachbarin ihren Gatten: »Meinst du, daß Monsieur Antoine es so weit gebracht hätte?«

»Sprich mir nicht von dem armen Teufel, Hedwig, mit seinem langweiligen Violinsolo. Von dergleichen hatten wir zu meiner Zeit keine Ahnung. Da glaubte man, das Äußerste sei erreicht, wenn Furioso auf zwei Pferden seinen Ritt machte!«

Er sagte dies so laut, daß ich jedes Wort verstand. Mein Erstaunen wahrnehmend, fuhr er fort:

»Es muß Sie nicht wundernehmen, wenn ich mir das Ansehen eines Kenners gebe; das Recht dazu und meine Ansprüche auf Kennerschaft sind teuer genug erkauft. Ich habe auch einmal mitgemacht! – Ja, ja, starren Sie mich immer an, Herr von Holtei, ich war selbst Kunstreiter. Es ist hier nicht der Ort, romantische Selbstbekenntnisse zu liefern, auch kneift mein sanftes Weibchen mich unsanft in den Arm, damit ich schweigen soll. Aber noch einen Vorschlag in aller Eile, denn dort sehe ich schon den mächtigen Schecken der himmlischen Léjars – (kneife nicht, Hedwig!) –, Sie müssen mich in Liebenau besuchen; und das bald. Ich habe einige kürzlich erschienene Bände Ihrer Memoiren gelesen, deren Offenheit, natürliche Plauderei, wenn ich so sagen darf, mich auf den Gedanken gebracht hat, Ihnen eine literarische Arbeit anzutragen, wozu Sie das Material aus meinen Händen empfangen würden. Sie können, wenn Sie erst mit Ihrem Leben fertig sind, an die Schilderung des meinigen gehen, das nicht arm an allerlei Schicksalen ist. Doch darüber ist lange und viel zu plaudern. Also besuchen Sie mich in meinen Wäldern. Vielleicht erwacht noch einmal in Ihnen die Lust am Vogelsang! Wir sind ja ohnedies schon Brüder und Freunde in Shakespeare, dessen Glorie Sie von Stadt zu Stadt predigen. Verschmähen Sie, alter Dörfler, unser Dorf nicht, mein Weib ist nicht so böse, wie sie scheint, und wenn Sie mich auch jetzt furchtbar gezwickt hat, – Ihnen wird sie das freundlichste Gesicht machen, um in der Biographie gut wegzukommen. Dafür ist sie ein Frauenzimmer.«

Ich empfing die Adresse meines neuen Freundes und gelobte, auch von seiner Hedwig gütig aufgefordert, mich einzustellen, sobald es sich schicken wolle.

Erster Tag in Liebenau.

Es gibt Oktobertage, deren Schönheit einen ganzen naßkalten Sommer aufwiegt. An einem solchen erreichte ich Liebenau; nicht ohne Mühe, denn mein Lohnkutscher, nachdem wir einmal die Landstraße verlassen, fuhr wenigstens zehnmal irre. Mich erfüllten diese Irrfahrten mit Seligkeit. »Gott sei Dank«, dachte ich, »endlich einmal ein Ort, zu dem keine Chaussee, keine Eisenbahn führt. Ein Ort, den man suchen muß, der von Waldungen umgeben liegt, in denen wirkliche, natürliche Bäume stehen, und mit denen man reden kann wie mit Bäumen von Alter und Erfahrung.«

Da liegt das Dorf!

Ein Dorf, damals für mich ohne große Bedeutung: ein Dorf, von dem ich nichts wußte, als daß mein gütiger Herr Anton Hahn daselbst hause mit einer nicht mehr jungen, aber allerliebsten, liebenswürdigen Hedwig. Ich stieg am Schlosse aus; er kam mir entgegen.

»Mein Biograph!? O vortrefflich! Sie kommen mir wie gerufen. Ich bin ganz allein, was man Strohwitwer nennt. Meine Frau kehrt erst übermorgen mit den Kindern zurück. Sie ist im Lande umhergereist. Erst war sie bei unserer ältesten Tochter, die seit einigen Monaten an einen Gutsbesitzer in Sachsen verheiratet ist; dann ist sie zu meiner Pflegemutter nach Sophienthal, die sie uns hoffentlich mitbringt. Da werden Sie eine herrliche alte Frau kennen lernen. Heute und morgen leben wir als Junggesellen.«

Um ein Uhr wurde die Suppe aufgetragen. Nach einem ebenso schmackhaft bereiteten als ländlich einfachen Mahle forderte Anton mich auf, mit ihm eine Spazierfahrt zu machen.

Ein offener Jagdwagen fuhr vor die Wildeweinlaube. Der Kutscher, ein kleiner, dicker Kerl, der seine vier Braunen vom Bock aus tüchtig zusammenhielt, fragte: »Wohin fahren wir?«

»Wohin du willst, Peterl! Nur weit! Ich habe mit meinem Gaste zu reden!«

Was Anton mir während unserer Spazierfahrt erzählt, brauche ich dem Leser nicht wiederzuerzählen. Es war nur eine Einleitung zu seinem Tagebuche, und dessen Inhalt kennt jeder, dem es gefallen hat, dieses Buch bis hierher durchzublättern.

Wir langten mit dem ersten Tone des Abendgeläutes im Schlosse wieder an.

Anton zog sich in sein Arbeitszimmer zurück, notwendige Geschäfte zu besorgen, weil in den nächsten Abenden, wenn erst Weiber und Kinder eingetroffen wären, auf ungestörte Ruhe nicht zu rechnen sei.

Mir gab er seine Journalhefte und Notizen auf meine Gaststube mit.

Begierig durch seine während der Fahrt empfangenen Andeutungen ging ich eifrig über die bunten Blätter. Ich las die ganze Nacht hindurch.

Zweiter Tag.

Mit wie anderen Augen sah ich, als dieser angebrochen war, alles an, was mich umgab: Schloß, Garten, Laube, Hofraum, Kirchturm, alles!

Peterl stand vor dem sogenannten »Kutschenstalle« und schalt einen Pferdejungen aus.

Ich lief hinab zu ihm. »Peterl«, unterbrach ich ihn, »wo ist jetzt der Riese Schkramprl?«

»Dort, Herr!« sagte Peterl und zeigte nach dem Friedhof bei der Kirche. – Dann fuhr er fort, dem Jungen sein »Untuchten« vorzuhalten.

Es tat mir leid, daß ich Schkramprl nicht mehr am Leben fand.

Als ich zu Anton an den Frühstückstisch gerufen wurde, betrat ich zum erstenmal sein Arbeitszimmer, wo ein Blick auf Tafeln, Schränke, Stühle genügte, um den Bewohner als fleißigen Leser und zwar als einen mit der Literatur gleichen Schritt haltenden zu erkennen. Da er augenblicklich noch mit einem seiner Beamten beschäftigt war und mich für eine Minute um Geduld ersuchte, bis sein Gespräch beendet sei, so ergriff ich zwei Bücher, die auf der Chiffonniere bei seinem Sofa lagen: »Judith« und »Genoveva« von Fr. Hebbel. In beiden fand ich mehrere Stellen mit Strichen und Notabenes, offenbar durch Antons Bleistift versehen.

Wie nun der Beamte uns verlassen – ich glaube, es war Freund »Rubs« –, und der Herr des Hauses mich eingeladen hatte, den Kaffee mit ihm zu nehmen, ergriff er sogleich das Wort in Beziehung auf jene Bücher:

»Nicht allein, weil Hebbel mich als selbständiger, origineller Poet interessiert, finden Sie diese beiden Dramen in meiner nächsten Nähe; es ist auch der Stoff an und für sich, der mich hier fesselt. Sie haben vielleicht schon einen Blick in meine Tagebücher geworfen –«

»Von A bis Z habe ich durchlesen, was Sie mir gestern anvertrauten.«

»Gott soll beschützen! – Nun, dann werden Sie wissen, warum diese Stoffe gerade mir so wichtig sind. Genoveva steht in nächster Beziehung zu mir und meinem Schicksal; Judith aber ist eine jener Rollen, die ich von meiner unglücklichen Mutter sprechen hörte, da der Puppenspieler die Belagerung von Bethulia aufführte. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was in mir vorgeht, wenn ich Hebbels eigentümliche Dichtungen mit den albernen, treuherzigen Stücken vergleiche, die ich damals von der Truppe des großen Samuel und später von den Marionetten meiner Mutter aufführen sah. Bei der Judith muß ich dem Dichter unserer Tage unbedenklich den Sieg zuerkennen; aber bei seiner Genoveva, obschon der Golo, wie er ihn schuf, eine erhabene Produktion ist, fehlt mir etwas, worin der Zigeuner Samuel den Vorrang hatte; ich meine die Versöhnung. Und wenn ich jemals mit Hebbel zusammenträfe, wollte ich ihm nicht eher Ruhe gönnen, bis er mir verspräche, ein Nachspiel hinzuzufügen. – Nun aber, sprechen Sie offen, finden Sie sich durch mein Tagebuch angeregt, es zu verarbeiten?«

»Ich weiß«, erwiderte ich, »keine bessere Antwort auf diese Frage zu erteilen, als daß ich von sieben Uhr abends bis drei Uhr morgens ununterbrochen fortgelesen habe, und ich erkläre, nur an meiner schlechten Ausführung kann es liegen, wenn unsere künftigen Leser anderer Meinung darüber sind. Aber da Sie mir so viel Vertrauen gönnen, so gestatten Sie mir auch, mich hier auf dem Schauplatz Ihrer ersten Lebenszeit recht heimisch zu machen. Vor allen Dingen erlauben Sie mir die Frage: lebt ›Tieletunke‹ noch?«

»Ob sie lebt! Das will ich hoffen. Meine Kinder kratzen Ihnen die Augen aus, wenn sie in Ihnen einen Frevler ahnen, der am Dasein der geliebten ›Tante Tieletunke‹ zweifeln konnte. Ja, dem Himmel sei Dank, sie lebt; und was noch mehr ist, wir wollen gehen, sie zu besuchen. Ich habe ohnedies einige notwendige Gänge ins Feld zu machen, und wenn sie gut zu Fuße sind –«

»So lange und so viel Sie wollen; womöglich auch in den Fuchswinkel.«

»Auch das. Aber wir müssen eilen!«

Anton bestellte, daß erst um vier Uhr die Suppe aufgetragen werde, und wir begaben uns nach Ottilies Häuschen.

Sie machte mir ganz den Eindruck, den ich erwartet, scheinbar kalt, mehr zurückstoßend als anziehend. Und doch sprach aus der beinahe fünfzigjährigen alten Jungfrau ein ungewöhnlicher Zauber.

Anton entdeckte ihr, daß ich sein Journal gelesen und zu welchem Zweck. Er fügte bei: Fräulein Ottilie werde auch nicht geschont werden.

»Ich will wünschen«, äußerte sie, »daß der Herr das Buch recht gut schreibe, aber eins will ich ihm vorher sagen! mich trifft er nicht, wenn er mich schildern will.«

»Und dennoch glaube ich Sie schon zu erkennen, mein Fräulein«, versetzte ich schüchtern, »Sie und Ihr Herz.«

»Das kennt nur der liebe Gott«, sagte Tieletunke, »und sonst braucht es auch niemand zu kennen. Aber wenn Sie mir Hedwig nicht gebührend loben, so lassen Sie sich in Liebenau nicht mehr blicken. Hedwig und unsere Gräfin. Den da dürfen Sie schon ins Gebet nehmen. Hauptsächlich für die ersten Jahre seines Ehestandes. Nachher hat er sich gebessert.«

Ich ließ mir die ausgestopfte Turteltaube zeigen, den Platz, wo Mutter Goksch gestorben, das kleine Fenster, durch welches Bärbel mit Anton geredet, ich las des letzteren Abschiedsverslein, – und dann gingen wir nach dem Fuchswinkel.

Gegen vier Uhr zum Schlosse zurückkehrend, vernahmen wir den Jammerton eines fremdartigen Instrumentes, fast wie ein Dudelsack, begleitet vom dumpfen Schall der großen Trommel.

»Wie glücklich das für meinen Biographen sich trifft«, rief Anton, »das sind Bärenführer. Ich bin ihnen vorgestern drüben an der Landstraße begegnet. Cara memoria! Da, sehen Sie nur.«

Zwei Bären, drei Affen, eine reichgeputzte Ziege, ein galoppierendes Stachelschwein Es ist eine alte, unbegründete Sage, daß dieses Tier (Hystrix cristata), von feindlichen andern Tieren verfolgt, seine Stacheln als Waffen gegen jene schleudere! Wie gesagt, das ist ein Märchen. Wahrheit aber ist, daß ich mit einem Kästchen wundervoll geschnittener Federkiele einen solchen zum Griffel dienenden Stachel von meiner berühmten Freundin, Luise Neumann, als Geschenk empfangen und mit selbigem dies ganze Buch, folglich auch diese Zeilen geschrieben habe. und ein Esel, der die hölzerne, inwendig mit Eisenblech ausgefütterte Behausung des besagten »Eisenferkels« zu tragen verdammt war, versammelten Liebenaus schaulustige Einwohnerschaft in jubelndem Kreise um ihre unfreiwilligen Übungen. Als wir uns näherten, öffnete sich der Kreis; Anton, von alt und jung herzlich begrüßt, redete den alten Italiener an und fragte, von wannen er stamme.

»Aus Parma, Exzellenz!« antwortete der Mann.

Anton reichte ihm einen Taler, dann ergriff er hastig meinen Arm und zog mich fort.

»Was mag aus meinem armen Geronimo geworden sein?« murmelte er im Gehen.

Dritter Tag.

»Heute kommen die Meinigen, Freund Holtei. Sie sind mit meiner Vergangenheit ein wenig vertraut geworden; ich muß Ihnen jetzt auch ein Wort von der Gegenwart sagen. Wir haben vier Kinder. Die älteste Tochter, Ottilie, ist, obwohl kaum siebzehn Jahre alt, schon verheiratet. Meine Frau hatte viel gegen eine so frühe Trennung vom elterlichen Hause einzuwenden. Doch mein Schwiegersohn legte die Wünsche seiner Gönnerin, der Gräfin Julia, in die Wagschale, – und da war alles gesagt. Mein junger Hahn (Guido genannt) kräht gegenwärtig noch griechische und lateinische Vokabeln im Gymnasium und hat noch einige Jahre bis zur hohen Schule. Die jüngsten Kinder, unsere Nesthäkchen, Julie und Adele, sind bei der Mutter und sollen heute noch die Ehre haben, Ihnen vorgestellt zu werden. Sie staunen über den Namen Adele? Es ist Hedwig, die darauf bestand, daß meiner unvergeßlichen Freundin Angedenken in unserer Familie auf diese Weise geheiligt werde. Wenn Sie einen Blick in Hedwigs Schmollwinkelchen, in ihr kleines, traulich eingerichtetes Turm- und Erkerstübchen werfen wollen, so werden Sie neben mancherlei verschiedenen und wunderlich gemischten Abbildungen von Menschen und Örtern – es sind nur solche, die irgendwie in einer Beziehung zu mir und meinem Schicksale stehen – zwei Personen zu Pferde finden. Die erste dieser Personen heißt ›Antoine‹ und streicht ihre Violine bei mäßigem Galopp; die zweite, im wildesten Laufe, schwingt flatternde Fahnen, mit der Unterschrift: ›Adele Jartour‹. Hedwig hat während unseres Aufenthaltes in Berlin diese Blätter bei irgend einem Bilderhändler aus dem Staube der Vergessenheit gegraben und wie im Triumphe nach Hause gebracht. Ich bin überzeugt, wenn ein Porträt von Laura zu finden wäre, zu welchem Preise immer, sie würde ihre Sparkasse leeren und ihm einen Ehrenplatz im Museum Antoine anweisen. Sehen Sie, durch ihr großartiges Eingehen in mein unbegrenztes Vertrauen hat sich dieses Weib meiner ganzen Liebe und Anhänglichkeit so sehr bemächtigt, daß ich eigentlich nur noch in ihr lebe. Von der Stunde an, wo sie mir völlige, vollkommene Freiheit gab, wo sie mir mit dem Ausdruck innigster Wahrheit jedes Vorrecht eines ungebundenen, freien Menschen wieder einräumte, – von dieser Stunde an ist es mir nie mehr, aber auch im Traume nicht eingefallen, davon Gebrauch zu machen. Ich habe Liebenau nicht verlassen ohne Hedwig. Ich könnte es nicht. Und wenn (wie in den kürzlich vergangenen Wochen) unsere Verhältnisse erheischen, daß eins von beiden reisen, das andere aber das Haus hüten muß, so schicke ich sie fort, damit ich wenigstens, wenn ich denn einmal ihren Umgang und ihr Gespräch entbehren soll, in den Räumen weilen dürfe, die sie bewohnt.

Gräfin Julia sagt immer, es müßte auf einer großen Universität ein eigener Lehrstuhl für angehende Eheweiber und Hausfrauen eingerichtet werden, und die erste Professur müßte Hedwig haben, die dann weiter nichts vorzutragen hätte, als durch welche einfachen, natürlichen und doch so geistvollen Mittel sie einen rastlosen Vagabunden zum glücklichsten Philister umgeschaffen, der seine unumschränkte Freiheit nur dazu benützt, den Pantoffel zu küssen. Die Gräfin behauptet, aus Hedwigs Schule und durch deren Schülerinnen würde eine neue Zeit für den Ehestand hervorgehen. Was mich betrifft, will ich schon zufrieden sein, wenn Hedwigs guter Geist auf unsere Tochter Ottilie forterbt, und ich habe meiner Frau eingeschärft, dem Kinde jetzt ein ausgiebiges Privatissimum über unterschiedliche Stadien der Eifersucht zu lesen, die ich während des Brautstandes wahrgenommen. Vergessen sie nicht, lieber Holtei, diesen Punkt in unserem Romane gebührend hervorzuheben. Vielleicht nimmt sich's manche junge Frau zu Herzen!

Nun aber wollen wir speisen, – und dann gehen wir meinen Weibern entgegen.

Tieletunke wird im Vorübergehen abgeholt.«

Vierter Tag.

Heute hatte das Schloß ein anderes Ansehen. Die Gegenwart einer solchen Hausfrau bringt neues Leben und verleiht auch steinernen Mauern einen unsichtbaren, dennoch nicht abzuleugnenden Schmuck.

Ich fand Hedwig unverändert, wie ich sie in Wien und später im Zirkus bei Cuzent gesehen. Man hätte auch nicht geahnt, daß sie im Begriff stehe, Großmutter zu werden.

Gräfin Julia, eine Dame von fünf- bis sechsundsechzig Jahren, versetzte mich durch ihren Anblick in meine früheste Kinderzeit. Damals gab es noch häufig Erscheinungen in der vornehmen Welt, die Ehrfurcht und Liebe im Greisenalter einzuflößen vermochten, Frauen mit grauem Haar, die nur von Grazien begleitet erscheinen, bei deren Eintritt jede Roheit entwich, jede Keckheit verstummte, jede Gemeinheit beschämt errötete; alte, sehr alte Frauen, die Frohsinn und Fröhlichkeit mitbrachten, Lust und heitere Gespräche erweckten, feinen Scherz verstanden, Geist und Talent schätzten; hochadlige Damen, die stolz waren, ohne hochmütig, würdig, ohne mürrisch, fromm, ohne frömmelnd und unduldsam zu sein. Sie sind selten geworden. Gräfin Julia vereinte alle Eigenschaften, vor denen man sich gern bewundernd neigt, sie war noch schön.

Anton hatte mir vertraut, daß auch sie meine »Vierzig Jahre« gelesen.

Bei der heiligen Scheu, welche die stets in Trauergewand gehüllte, erhabene Frau mir erregte, schlug mich diese Nachricht fast danieder. Ich wagte kaum zu reden, wenn ihr Auge bisweilen auf mir ruhte.

Am Teetisch kam das Gespräch auf Antons Plan wegen des Romanes, den er mir aufgetragen. Tieletunke, nachdem sie Julie und Adele zu Bett gebracht, fing davon zu reden an.

»Das wird lustig sein«, rief Hedwig. »Aber Sie dürfen nichts unterschlagen.«

»Nicht allein lustig«, sagte die Gräfin, »es kann auch lehrreich werden.«

»Nur um alles in der Welt keine moralischen Predigten«, meinte Tieletunke; »nur leichte, fließende Erzählung. Die Moral mag sich jeder selbst herauszulesen suchen; denn wer dies nicht vermag, für den wäre sie ohnedies nicht vorhanden, und wenn man sie mit roten Lettern hineindruckte.«

»Und der Titel«, fragte Hedwig, »was für einen Titel wählen Sie? Ich stimme für die ›Vagabunden‹.«

»Durch Akklamation angenommen«, sagten alle.

»Gewiß«, fuhr Hedwig fort, »ich glaube, es gibt nichts in der Welt, was jemals für Geld zu sehen und auf Reisen war, womit Anton nicht in Berührung kam!«

»Außer denjenigen Vagabunden«, antwortete unser Held, »die ›zu meiner Zeit‹ eben noch nicht erschienen, denen wir aber allerdings später begegneten. Da sind zu nennen: Improvisatoren, das heißt Menschen, welche unvorbereitet die deutsche Sprache zwingen, ihnen in vortrefflichen Versen dienstbar zu sein; eine Kunst, die Goethe mit der Feder in der Hand für unerreicht hielt; – dafür war er freilich auch nur ein Goethe! – Ferner die Schnelläufer, die vor zehn Jahren das ganze Land überschwemmten und gewissermaßen die Improvisatoren überholten. Sodann indische Bajaderen, arabische Beduinen und, vergessen wir nicht, was uns so nahe liegt, Vorleser.«

»Richtig«, rief Hedwig laut auflachend, »Vorleser, die sich hinsetzen und drei Stunden lang aus ihrem kleinen Büchlein auf ihre geduldigen Zuhörer einreden. Ja, ja, Sie sind auch ein Vagabund, Herr Vorleser, wir haben Sie auf Ihren Streifzügen getroffen, wir haben Sie gehört.«

»Aber ich nicht«, sagte Tieletunke.

»Noch ich«, sagte die Gräfin. »Der Abend währt noch lang, wie wäre es?«

Ich bat die Gräfin, zu befehlen, was sie hören wolle. Sie wählte Goethes Iphigenie.

Nach der Vorlesung empfahl ich mich. Es war beschlossen, daß ich am nächsten Tage frühmorgens reisen würde.

Die Gräfin gab mir einen Wink, daß sie mich noch auf ihrem Zimmer zu sprechen wünsche.

Als ich Lebewohl gesagt und Anton gebeten, sich morgen früh meinetwegen nicht aus der Ruhe stören zu lassen, trennten wir uns wie alte Freunde.

Ich folgte der Gräfin.

Allein mit mir, nahm sie das Wort:

»Mein Pflegesohn hat nicht bedacht, daß die literarische Arbeit, wozu er Sie aufmuntert, und die nur dann des Lesers Teilnahme erwecken kann, wofern sie wahr ist, aber wahr bis ins tiefste Geheimnis der menschlichen Seele, außer ihm noch andere Persönlichkeiten berührt. Halten Sie mich nicht für eine engherzige Frau, die durch Standesrücksichten oder vorgerücktes Alter verhindert würde, die Dinge anzusehen, wie sie sind. Ich weiß mich von jedem Vorurteile frei. Aber ich wünsche nicht in einem Roman eine Rolle zu spielen, so lange ich noch lebe. Mögen Sie Namen und Orte verändern, wie Sie wollen, ... mein furchtbares Geschick können, dürfen Sie nicht verändern in Ihrer Erzählung.

Wenn ich tot bin, haben Sie freies Feld. Meines Gemahls Name stirbt mit mir. Das Geschlecht ist erloschen. Dann laßt drucken, was Ihr wollt. Und so geben Sie mir Ihre Hand mit dem Versprechen, mein Ende abzuwarten. Lange werden Sie nicht zu warten brauchen. Das weiß ich am besten.«

Fünfter Tag.

Der Morgen graute kaum, als ich das Schloß verließ.

Peterl hatte noch nicht eingespannt.

Ich bat einen Diener, der mir das Tor öffnete, mein Gepäck aufzuladen und den Wagen vor die Tür des Friedhofs zu schicken.

Dahin begab ich mich im dicksten Herbstnebel.

Ich suchte vor der Gruft und über den Gräbern die Inschriften auf, welche Pflicht, Dankbarkeit, kindliche Liebe ihren Verstorbenen gewidmet. Ich fand Onkel Nasus und Mutter Goksch, fand den Rittmeister und den guten Pastor Karich, ein sehr langer Grabhügel fiel mir auf; die Tafel, die ihn bezeichnet, enthält nur die Worte: Schkramprl, der Riese.

Im Winkel an der Mauer fand ich ein Kreuz, worauf ich die Worte las: Der schwarze Wolfgang. Auch dieses Grab war ein kleiner Blumengarten, – freilich jetzt ohne Blüten.

Peterl knallte draußen, zum Zeichen, daß er bereit sei! – Ich verließ Liebenau.

*

Sendschreiben des Herrn Anton Hahn auf Liebenau an Herrn Karl von Holtei irgendwo

 

Schloß Liebenau, 13. November 1850.

Mein lieber Freund Holtei!

Hedwig, Ottilie – ich meine die alte, – die Kinder und ich kehren soeben von Sophienthal heim, wo wir unsere Gräfin Julia begruben.

Ich vermag Ihnen weiter nichts über die letzten Tage dieser Heiligen zu berichten: sie starb, wie sie lebte.

Ihr Verlust ist durch nichts zu ersetzen, auch die Zeit wird ihn nicht lindern. So lange wir leben, wird sie uns fehlen. Wir jammern nicht, wir haben uns die Haare nicht gerauft, als sie verschied, – von dieser ungebärdigen Art ist unser Schmerz nicht, er hätte diese Sterbestunde nur entweiht. Wilde Klagen verstummen im Geräusch des neuen Lebens; milde Trauer endet erst mit dem Leben.

Wir sind alle gesund. Meine Tochter Ottilie hat einen Knaben, mein Sohn Guido studiert Arzneikunde, Julchen und Adele werden nach und nach Jungfrauen und warten auf Männer. Aber wo wachsen dergleichen für sie in unserer Zeit?

Ich habe viel zu tun. Die Gräfin hat mir die Ausführung ihres letzten Willens hinterlassen.

Dieses Briefchen gehört dazu.

Einige Tage vor ihrem Tode erinnerte sie mich, Ihnen zu schreiben. Ich soll Ihnen danken, daß Sie Wort gehalten, – und jetzt sind Sie Herr über jene Papiere, die ich Ihnen anvertraute. Gebrauchen Sie dieselben, wie Sie wollen.

Die Meinigen, Tieletunke eingerechnet, grüßen herzlich. Auch der dicke Leibkutscher Peterl will empfohlen sein.

Wenn Ihr Buch fertig ist, so bringen Sie's uns; wir rechnen sicher darauf.

Und zögern Sie nicht zu lange. Frisch daran! Seien Sie fleißig und schreiben Sie die Vagabunden, Sie alter Vagabund!

Ihr ergebener

Anton.

Finis

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