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Fünfundsechzigstes Kapitel

Es war, wie Dreher gesagt; die kranke Frau lag im Sterben. Sie streckte sehnsüchtig beide Hände ihm entgegen, da er eintrat. »Zürne mir nicht, daß die kalte Hand des Todes dich wegruft aus dem Arm der Liebe, guter Anton! Von ihr gesegnet, wirst du glücklicher in jenen zurückkehren.«

»Nie mehr«, erwiderte Anton.

Er wollte nichts weiter sagen, doch drang die Leidende in ihn, wörtlich zu erzählen, was vorgefallen sei. »Ich werde«, sprach sie, »den Tod so lange noch zurückdrängen; ich will so lange leben. Rede!«

Nachdem Anton den letzten Auftritt zwischen ihm und Hedwigs Vater in wenig Worten geschildert, richtete sich die Sterbende empor:

»Verzweifle dennoch nicht! Bleibe ihr treu und hoffe: Rat und Hilfe zeigt dir mein Testament. Und nun keinen Abschied, keine Schwäche mehr: ich will stark sein im Tode; sei du's im Leben! Wenn ich kalt bin, streife diesen Ring von meinem Finger und trage ihn, bis du dich mit Hedwig verbindest. Dann mag sie ihn tragen. Denn sie wird deine Gattin, Anton! obgleich du dich von diesem Ort entfernen mußt, sobald ich begraben bin, – ich, und jener da, der mir bald folgen wird. Siehst du, wie stumpf und verloren er vor sich hinbrütet? Gönne ihm für seine letzten Stunden mitleidige Fürsorge; um meinetwillen! Was ich für dich niedergeschrieben, ... liegt in einem hölzernen Koffer, ... noch andere Papiere dabei, die für dich von Wichtigkeit sind ... gib mir die Hand ... ich danke dir! Ich segne dich! Fluche nicht deiner ...«

Sie schwieg. Anton beugte sich zu ihrem Munde, um weiter zu hören. Sie redete nichts mehr. Immer fester umschloß sie mit ihren zuckenden Fingern seine Hand; – immer schwächer wurden ihre Atemzüge; ... noch ein tiefer, wehklagender Seufzer ...

Und er löste seine Finger aus denen des Leichnams, mit denen sie sich verschlungen hatten, trat von der Seite zu Füßen des Lagers, blickte das verfallene Angesicht teilnehmend an ... und wie ein Zauber schien ihm jetzt erst aus den Zügen, die der letzte Augenblick umgewandelt, die Erinnerung aufzudämmern, daß er diese Frau gekannt habe, früher schon, ehe er noch den Puppenspieler aufgesucht! Dieses Antlitz mahnte ihn an Paris! Nur daß die Krankheit mit ihren Qualen es bis zur Unkenntlichkeit entstellt, nur daß der Tod mit seiner Versöhnung es wieder kenntlich gemacht: ja, die Gesuchte, Erwartete, Verheißene lag vor ihm; es war die Carina!

Sogleich stürmte er, Hedwigs Vater, sogar Hedwig und die Trennung von ihr vergessend, mit Fragen in den armen Greis, der, von Gram und Trunk gebeugt, gleichgültig auf die Hülle der Gefährtin stierte. Dieser schüttelte nur das graue Haupt und brummte: »Sie ist hin; tot ist tot! kein Kasperle mehr!«

Weiter war nichts herauszubringen.

Erst wollte Anton zornig werden über die tierische Stumpfheit des alten Menschen. Bald jedoch dachte er wieder an der Dahingeschiedenen Bitte, für die letzten Stunden dem Hilflosen mitleidige Fürsorge zu gönnen; er bezwang seinen Widerwillen und brachte den Puppenspieler zu Bett.

Dann rief er Leute aus dem Hause herbei und traf Anstalten, wie sie in ein Totenzimmer gehören. Unterdessen war die Leiche kalt geworden. Er legte seine Hand auf ihre Stirn ... »Desdemona!« sprach er, jenes Abends gedenkend, wo Theodor grausam genug die Feindseligkeiten wider eine gemißhandelte Sängerin neu hervorgerufen. »Desdemona, jetzt können sie dir keine Schmach mehr zufügen; und er, dein Gegner, ist auch dieser Welt Feindschaft entrückt. Werden eure Seelen sich begegnen in der Welt des ewigen Friedens?«

Er blieb nachdenklich bei der Leiche stehen, – nun fiel ihm wieder ein, daß er ihren Ring an sich nehmen solle, »wenn sie kalt sei«, – mit leichter Mühe streifte er ihn vom abgemagerten Finger. Es war ein schwerer, doch einfacher goldener Reif, ohne jede Verzierung, außer einem Plättchen, das sich öffnen ließ. Inwendig waren Lettern eingegraben. Anton hielt ihn an das Licht. Er las: »Eva«.

Einige Minuten hindurch blieb Anton unter dem Gewicht dieses Namens in diesem Ringe gleichsam erdrückt, ohne zu denken; ohne denken zu können. Erst allmählich, eines um das andere, stiegen einzelne Bilder, Menschen, Erinnerungen, Worte in ihm auf, die sich aneinander reihten und ihn zurückführten auf den Abend, wo Großmutter Goksch ihm zum erstenmal die Geschichte seiner Mutter mitgeteilt. Der Ring, den der Kantor Hahn seiner geliebten Tochter geschenkt, zum Andenken, zum Lohn für ihren Gesang im Oratorium! »Eva« – hatte er hineingraben lassen!

»Und diese Carina, durch die mir Kunde versprochen ward von meiner Mutter? Diese kranke Frau, zu der ich von unerklärlicher Gewalt mich hingezogen fühlte; die mir immer sagte, nach ihrem Tode würde ich mein Glück preisen, sie gepflegt zu haben? Was zögere ich noch? Ihre Papiere! Ihr Testament!«

Mit zitternden Händen erbrach er den Koffer, ergriff die bezeichneten Papiere und las die Bestätigung dessen, was der Ring ihn ahnen ließ.


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