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Neunundvierzigstes Kapitel

Anton verfiel in einen tiefen, festen Schlaf, wie er desgleichen nicht genossen seit Bärbels Umgang und seit der dadurch herbeigeführten Verbindung mit Theodor und dessen Genossenschaft. Denn so lange dies Verhältnis bestanden, war unser Freund, zwischen Lust und Gram, zwischen Trotz und Reue, zwischen Begier und Abscheu hin und her geworfen, zu keiner eigentlichen Ruhe gelangt. Aus dem Tage Nacht machend und umgekehrt, je nachdem sein dissoluter Verkehr oder die vorsichtig geführte Intrige mit Bärbel dies verlangten, dabei in stets wacher Besorgnis, daß die Lügen und Schwindeleien, zu denen er sich hergeben mußte, verraten werden könnten, blieb er fortdauernd in naturwidriger Aufregung, die ihm jenen sonst besessenen Frieden stärkenden Schlafes raubte. Jetzt schien mit der Gewißheit aller über ihn hereingebrochenen Schmach und Schande die ängstlich harrende Befürchtung gewichen, und seine qualvolle, zerstörende Leidenschaft für Bärbel, die an ihm genagt, wie wenn sie sein Lebensmark aufzehren wolle, schien auf eine ihm selbst unerklärliche Weise erloschen. Erloschen und ausgebrannt, abgestorben von dem Augenblicke an, wo er, aus Theodors Hotel fliehend, seinen deutschen Namen wie von den Dächern herab hinter sich her tönend vernommen. Er vermochte nun schon an die braune Bärbel zu denken ohne jene nagende, lüsterne Marter zu empfinden, die ihn seither schmerzvoll und dennoch unwiderstehlich angetrieben, zu ihr zu eilen, um in ihren Armen Linderung zu suchen oder doch Betäubung. Mit solchem Troste schlief er wirklich ein und betrachtete denn auch, da der schönste Sommermorgen aus blauem Himmel strahlte, sein gestriges Flehen zu Gott schon halb erfüllt.

Aus dem finsteren Traume, den er so lange geträumt, der wie ein Alp auf ihm gelegen, fühlte er sich wahrlich erweckt. Nur matt, schwach trotz seines festen Schlafes abgelebt bis zum Tode. Die Nachwehen verschwelgter Monate machten sich schon geltend, da kaum der wilde Rausch verrauchte, der sie bis jetzt überboten. Was sonst noch kommen sollte als wohlverdiente Strafe und Buße für den Verrat, den ein irregeleiteter Jüngling an sich selbst, an seiner eigenen Ehre, an der Achtung für sein besseres Ich frevelnd verübt, – das in Demut über sich ergehen zu lassen, war Anton still bereit und fügte sich im voraus. Theodors niederschmetternde Worts dröhnten noch in seinem Gedächtnis nach, sie trieben ihn an, wenigstens gutzumachen, was etwa gutzumachen blieb für einen, der vom Pfade des Betruges auszubiegen den festen Willen hegte. Er sonderte demnach gewissenhaft Kleidungsstücke und Wäsche. Die älteren, abgetragenen Bestandteile seiner Garderobe, wie er sie aus der ersten bescheidenen Wohnung in Paris bei seiner Übersiedelung hierher mitgebracht, sammelte er in eine dürftige Kiste, fügte seine Bücher, hauptsächlich seine Papiere, unter denen das Tagebuch den größten Raum einnahm, dazu und seufzte: Das ist mein!

Alles übrige, womit Bärbels Verschwendung ihn überschüttet, womit sie ihn gezwungen, sich auszuputzen, Schmuck, Uhren, Ketten, Juwelen, unzähligen unnützen Kram mit eingeschlossen, legte er in einen großen, prachtvollen Koffer. Ebenso raffte er zusammen, was er an barem Golde oder Bankscheinen zur Verfügung besaß, schlug die Summe in ein Paket, welches er mit den Worten überschrieb: »Besser spät als gar nicht«, und schob das auch in den Koffer. Und diesen, fest verschlossen, die Schlüssel versiegelt, ließ er ohne Aufschub an den Kammerdiener des Herrn van der Helfft befördern, durch den er sich eine schriftliche Bescheinigung über richtigen Empfang erbat.

Eine solche wurde denn auch vom »Kommissionär« zurückgebracht, doch erst nach langem vergeblichen Harren, das Anton um so ungeduldiger machte, je heißer seine Sehnsucht entbrannte, die Räume, die er jetzt noch innehatte, meiden zu dürfen und der Straße d'Enfer für ewig den Rücken zu wenden. Jedes Geräusch machte ihn zittern, weil er die Gefürchtete erwartete.

Als nun endlich der Mensch wiederkam und von Anton angerufen wurde: »Um Gottes willen, wie lange zaudert Ihr?« Da entgegnete er:

»Ich habe die größte Mühe gehabt, den Kammerdiener überhaupt nur zu sprechen und ihn zur Abfassung dieser Schrift zu bewegen. Das ganze Hotel befindet sich in einer Art von Aufruhr, alles läuft durcheinander, kein Mensch hat den Kopf auf der rechten Stelle. Die junge, schöne Kreolin, die Begleiterin des reichen Herrn aus Deutschland, hat sich in jüngstvergangener Nacht vom obersten Dachboden in die Gasse gestürzt! man hat bei Tagesanbruch den zerschmetterten, fast unkenntlichen Leichnam auf dem Straßenpflaster gefunden.«

Diese Nachricht gab der vielbeschäftigte Mann wie eine gewöhnliche Neuigkeit, erkundigte sich, ob der Herr Baron sonst noch etwas zu befehlen habe und ging, durch ein »merci, non!« verabschiedet, fröhlich und guter Dinge davon. – – –

»Also deshalb konnte ich schlafen?« murmelte Anton düsteren Blickes vor sich hin. »Die Zauberin ist tot! Der Zauber ist gebrochen.

»Meine schöne Freundin ist tot!

»Tot! Bärbel tot! Die anmutsvolle, üppige Gestalt! die glatten Schlangenglieder, die mich tausendmal umwanden, der schlanke Hals; die zarte Brust ... zerbrochen, entstellt, blutig, mit Straßenschmutz befleckt ... das wilde, feurige Antlitz unkenntlich ... ihr Auge starr ... um meinetwillen! Ja meinetwillen!!

»Aber dennoch kommt ihr Blut nicht über mich!

»Unschuldig bin ich dennoch an ihrem Tode. Sie hat größere Schuld gegen mich! sie hat mich mir selbst geraubt! ich war ihre Beute. Nur ihr Tod konnte mich erlösen von der ewigen Angst, sie wiederzusehen, wieder zu unterliegen. Sie ist tot ... ich bin frei! – – – frei, bis sie kommen, mich ins Gefängnis abzuholen!«

Dann wieder überließ er sich traurigen Aussichten für sein Geschick im allgemeinen, versank in trostlose Träume, fand keinen Mut mehr, sich zu ermannen, bis der Abend einbrach.

Er hatte den ganzen Tag über keine Nahrung zu sich genommen, er fühlte das Bedürfnis dazu nicht.

In der Dämmerung sah er bleiche, blutige Schatten. Aus jener Ecke erhob sich Bärbels schlotternder Leib auf zerbrochenen Gebeinen; das Jammerbild winkte ihm zu, und glühende Augen, glühend wie in Stunden der feurigsten Vereinigung, erschreckten ihn.

Im anderen Winkel lag sterbend der schwarze Wolfgang, der ihm drohte, ihn schnöden Wortbruchs zieh.

»Nun fort aus dieser Höllenstraße«, schrie er angstvoll.

Seine schwere Kiste lud er mühsam auf die Schulter, und von ihrer Last niedergebeugt, verließ er die Behausung, die Madame Barbe gemietet hatte für den Baron de la Vannière.

Keuchend, zum Tode matt, traf er nach einer martervollen Stunde bei den ehrlichen, armen Leuten ein, die ihn früher schon beherbergt. Sein Kämmerchen stand leer, wie er es damals verlassen.

Sie empfingen ihn sehr freundlich.

Er sagte, daß er von einer weiten Reise zurückkehre.

»Und wie er krank aussieht!« meinte die alte Frau; »Gott, was muß er unterwegs gelitten haben!«

»Ja«, erwiderte Anton, »es war ein weiter Weg, und ich habe viel gelitten. Gönnt mir ein wenig Ruhe.«

Er legte sich nieder, nicht ohne schüchterne Hoffnung, daß diese Nacht vielleicht seine letzte werden solle! Doch abermals senkte sich der Schlaf über den entmutigten Jüngling, ihn stärkend und neu belebend, daß er zu stärkeren neuen Prüfungen erwache.

Die ehrliche Hausfrau fragte nicht, ob er unterdessen vielleicht gänzlich verarmt sei, wenngleich sein Zustand darauf hinwies. Sie brachte ihm Nahrung, so kräftig, wie ihre eigene Armut ihnen gestattete. Das gab ihm einige Lebensfähigkeit; er vermochte wieder zu denken.

Auch war es heute nicht mehr jenes rasende Wirbeldrehen der sich jagenden Gedanken, wie es ihn gestern dem Wahnsinn nahe gebracht.

Er wurde fähig, in richtiger Schluß- und Folgereihe der letztvergangenen Tage Ereignisse zu überschauen und bis auf die Begebenheit zurückzuschließen, die seinen entschiedenen Bruch mit Theodor und mit ... ihr, deren Namen er nicht mehr aussprach, herbeigeführt. Dadurch kam er natürlich auch auf die italienische Sängerin, deren trauriges Schicksal er sich so sehr zu Herzen genommen und in deren Verteidigung gegen ungerechte Feindseligkeit er Theodor geschlagen hatte.

Was war es denn zunächst, – diese Frage legte er sich selbst vor, – das mich so rücksichtslos verfahren ließ?

Gewiß nicht allein mein lange zurückgehaltener Groll gegen ihn!

Gewiß nicht allein der Überdruß an meiner Abhängigkeit von ihr!

Gewiß ebensowenig der Anteil für eine gemißhandelte Künstlerin im allgemeinen!

Nein, es gesellte sich etwas rein Persönliches dazu, nur von jener Frau und ihrer Erscheinung ausgehend. Und was konnte das sein?

Ihre Beziehung zu Carino? Unmöglich.

Ihre Kunstfertigkeit? Alle Achtung davor, doch das ist es auch nicht.

Ihre Schönheit? Mein Gott, die gehört vergangenen Zeiten an.

Was, um alles in der Welt, zieht mich denn zu ihr hin? Was empfand ich, da sie, mit dem Hute des Bettlers in den Händen, mir gegenüberstand? Eine unerklärliche Wehmut, einen innigen Drang, sie zu fragen, wer sie sei, weshalb sie mich so forschend betrachtete. Nur der Verstorbenen Zutritt, nur das Zeichen, welches diese mir gab, ihr zu folgen, lenkte meine Aufmerksamkeit von der Italienerin ab.

Doch genau die nämlichen Empfindungen walteten wieder in mir vor, da ich die Frau auf der Szene sah und erkannte. Diese Empfindungen auch waren es, die mich Theodors übermütige Roheit, welche ich bei jeder anderen Gelegenheit vielleicht mit einem harten Worte gerügt haben würde, hier so wütend rächen ließ. In diesen Dingen liegt mehr als Zufall. Es knüpft sich ja in unerforschlicher Verkettung und Lösung mein Geschick daran: Anfang und Ende des Verhältnisses zu – zu der Verstorbenen! –

Ich muß jene Frau aufsuchen; ich muß Carinos Wohnung erforschen; das kann nicht schwierig sein.

Der erste Ausgang, zu welchem Anton sich ermannte, galt diesen Nachfragen. Auch wurde es ihm leicht, Carinos Spur zu entdecken. Aber leider kam er zu spät.

Wo der Musiker und dessen Gefährtin gewohnt hatten, fand er beide nicht mehr. Man erzählte ihm, wie etwas Alltägliches, woran man bei solchen fremden Künstlern schon gewöhnt sei, es wären nach dem furchtbaren Fiasko, den die Signora in der Oper machte, zwischen ihr und Herrn Carino große Streitigkeiten entstanden; der Musikdirektor habe Madame mit Vorwürfen überhäuft, daß sie seinem in der Kunstwelt geachteten Namen, den sie obenein nur durch Vergünstigung trage, Schande bringe. Ein völliges Zerwürfnis sei die Folge dieser Streitigkeiten gewesen; Signora, mit Sack und Pack aufbrechend, hatte gestern abend bereits Paris verlassen. Herr Carino, dem für seine Person allein diese Wohnung zu teuer dünkte (der beste Bezahler war er ohnedies nicht, fügte man hinzu) – habe sich zur Zufriedenheit des Wirtes nach einer anderen umgetan, und in dieser ihn ausfindig zu machen dürfte Bedenklichkeiten haben, da der windige Musikant solche unfehlbar so ausgesucht hätte, daß sie seinen Gläubigern auf das längste unzugänglich bleiben könne.

»Nun wohlan«, sprach Anton, »ich treibe mich so lange in den Straßen umher, bis ich ihm doch einmal begegne.«

Das öfters erwähnte Tagebuch enthält aus dieser Periode sehr ausführliche Schilderungen. Eben weil diese des Schreibers innerliche Zustände aufs genaueste darstellen und von äußeren Begebenheiten wenig oder nichts zu melden haben, bieten sie dem Gange der Handlung keinen Stoff, dringen nur ins Seelenleben. Ihren ganzen Verfolg mitzuteilen, spinnen sie sich zu sehr in die Breite; einzelne Sätze, aus dem Zusammenhange gerissen, würden unklar bleiben. Bewunderungswürdig aber erscheint die geistige Kraft, mit fester Hand und sicherer Feder aufs Papier zu stellen, wie nach und nach jede Freude am Dasein, jede Hoffnung auf wiederkehrendes Glück im Herzen eines jungen Menschen erstirbt; wie Mangel, Entbehrung, ja Hunger an einem schwer gebeugten, wenn auch noch nicht zerstörten Körper nagen; wie von Tag zu Tag die Flamme dürftiger flackert, die vielleicht bald verlöschen wird.

»Ich betrachte mich selbst und meinen Zustand«, – schreibt er u. a. – »wie der Arzt einen Kranken betrachten mag, den zu beobachten seine Pflicht erheischt. Ich frage mich stündlich: wie lange wirst du noch imstande sein, die Feder zu halten? Und was wirst du empfinden, wenn du dich erst zu schwach fühlst, sie zu führen? mit ihr zu beschreiben, daß sie deinen Fingern entsank?«

Das irgend Entbehrliche war verkauft durch Vermittlung der alten Wirtin, die sich und ihre baren Auslagen dadurch bezahlt machen sollte. Dazu reichte der Ertrag nicht hin. Sie war so gutherzig, ihren eigenen Wandspiegel, das einzige unnütze Stück im ganzen Haushalt, zu veräußern, damit noch einige Tage der Galgenfrist errungen werden möchten. Dann sah sie sich genötigt, ihrem Mietsmanne zu eröffnen: »Heute werden Sie nichts zu essen haben, Herr Antoine; doch wenn es Sie trösten kann, mein Mann und ich wollen auch fasten, und aus guten Gründen.«

Anton drückte ihr die Hand und begann wieder seinen Irrlauf. »Das ist das sicherste Mittel«, sprach er, »den Hunger zu betrügen; der macht sich nur mausig, so lange man still sitzt.«

So lief er nach dem botanischen und zoologischen Garten, wo er die wilden Tiere füttern sah. Der Anblick des rohen Fleisches erregte ihm Übelkeiten, doch wußte er nicht, ob aus Ekel oder aus Heißhunger.

Gern hätte er sich dem Wärter der Bären als ehemaligen Standesgenossen vorgestellt und ihn um ein Stückchen von dem für jene bestimmten Brote gebeten, doch er schämte sich vor den Gaffern.

Nach der Stadt zurückkehrend, sah er weder Menschen, noch Bäume, noch Häuser, – nur Bären sah er vor sich, die Brot verschlangen. Sein ganzes Dichten und Trachten richtete sich darauf, in der Bärenhöhle zu sitzen und auch Brot zu verschlingen.

Er hatte seit gestern nichts genossen.

»Nun ist's geschehen«, sagte er mit heiterem Lächeln um sich hin, »jetzt werde ich wahnsinnig!«

»Es wird ein komischer Wahnsinn sein; ich werde mich für einen Bären halten. Ursus, Ursus, der Bär!«

Dennoch ging er immer weiter.

Es kam ihm der Einfall, bei diesem oder jenem Laden ein Brot zu stehlen. »Es liegt so vielerlei Gebäck aus! Vielleicht auch schenken sie mir's!«

Doch wagte er weder zu nehmen, noch zu betteln.

Er ging weiter.

Er durchwühlte die Taschen, ob er nicht noch irgendwo ein Geldstück fände!

Nein! Das letzte war vorgestern ausgegeben worden.

Nun fiel ihm ein, daß er ein schwarzseidenes Tuch um den Hals geschlungen trage, daß es ein heißer Tag sei, daß er kein Tuch brauche!

Er löste es ab und trat vor einen Trödelladen mit der Frage, was er dafür empfange? Die Trödlerin warf einen Seitenblick nach einem in der Nähe lauernden Aufseher. Dann sagte sie sehr laut: »Wir kaufen nichts von Unbekannten; es ist gefährlich.«

»Sie hält mich für einen Dieb«, sagte Anton, »ich verdien's nicht besser. Theodor hält mich auch dafür.«

Er ging weiter.

Er glaubte zu bemerken, daß jener Aufseher ihm folge.

Nun beschleunigte er seinen Schritt, soviel die abnehmenden Kräfte ihm gestatten wollten. Das seidene Tuch hielt er in den Händen und taumelte hin und her.

Vorübergehende hörte er ausrufen: »Pfui, ein Betrunkener!«

»Wollte Gott, ich wär's«, dachte Anton.

Er gelangte ohne Zweck und Ziel nach den Elysäischen Feldern. Da gab es Heiterkeit und Freude die Menge. Öffentliche Spiele, Musik, Tanz, Jubel aller Art rauschte ihm entgegen. »Ob ich bei Franconis eintrete? Vielleicht schenken sie mir das übliche Almosen für einen ins Elend geratenen Kollegen! Wohlan, so sei's. Ich habe nichts zu verlieren, die Ehre ist ohnedies verspielt!«

Als er eintreten wollte, entdeckte sein trübes, umflortes Auge, daß es nicht Franconis Sommerzirkus sei, vor dem er stehe, woraus die Musik ertönte. Die große Affiche mit ellenlangen Buchstaben verkündete einen anderen Namen. Diesen bemühte er sich herabzulesen: »Amelot« stand darauf gedruckt.–

»Den Namen sollte ich kennen? Vor vielen, vielen Jahren gab es eine Laura dieses Namens, und diese liebte einen munteren Jungen, einen gewissen Antoine ... ich besinne mich sehr gut. Was mag aus ihnen geworden sein?«

»Für welchen Platz?« fragte eine weibliche Stimme an der Kasse, als Anton, stier und sinnlos, die rechte Hand mit dem schwarzseidenen Tuche umwunden auf das Brett legte.

»Für den Platz in Ihrem Herzen, schöne Laura«, erwiderte er, »aber Sie müssen mein Halstuch statt Zahlung annehmen, denn ich besitze kein Silber, und das Gold habe ich nicht bei mir. Es ist ein schönes, schwerseidenes Tuch, das, sie hat es mir geschenkt, damals, – ehe er eintraf. Gilt es noch im Preise? Zerrissen mag es sein, doch ist's lang genug, mich daran aufzuknüpfen, an die Pappel vor ihrem Hause, wenn's beliebt!«

»Er hat den Verstand verloren, doch ist er's! Ja, er ist es!« rief die schöne Frau an der Kasse. »Jesus, mein Heiland, was beginne ich mit ihm? Wenn Herr Amelot ihn entdeckt, ist er verloren, und ich bin es auch. Er leidet Mangel, der arme Junge. Er sieht heruntergekommen aus, – vielleicht hungert er!«

»Die Bären haben Brot zur Genüge«, murmelte der Unglückliche, »zu denen will ich gehen: ich liebe die Bären, und die Bären lieben mich. Nur mit den Tigern lebe ich nicht in Freundschaft.«

Laura überzeugte sich erst durch einen Blick ins Innere des Amphitheaters, ob sie sicher sei! Da sie Herrn Amelot in voller Arbeit und die Augen der Türsteher jenem zugewendet sah, raffte sie eiligst einen Haufen großer Silberstücke zusammen, hüllte diese Summe in das schwarzseidene Tuch, reichte es Anton dar und beschwor ihn, es zu nehmen, sich augenblicklich zu entfernen.

Da war es, wie wenn er plötzlich wieder klar sähe: »Ich danke – ich darf nicht; nein, ich darf nicht. Kein Sündengeld mehr; keine neue Schande mehr! Die alte drückt schwer genug. Ich danke, Laura!«

Er schob das Geld wieder zurück und war entflohen.


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