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Siebenundfünfzigstes Kapitel

Geronimo wußte schon, was er wollte, wenn er Anton abhielt, die Geige zu vernichten, auf deren Wirkung er gerechnet, um die Prosa der Kameltreiberei mit einigem Zucker musikalischer Poesie zu bestreuen. Wie sie sich erst wieder auf dem Marsch befanden, setzte er ihm seine Ansicht auseinander: »Sei wer du willst, stamme meinetwegen von hohen Eltern ... denn daß du nicht auf der Straße gefunden wurdest, merke ich wohl; eines ist sicher: Du bist ohne Geld, ohne Mittel, ohne Aussichten; ein Vagabund, wie man ihn nur verlangen kann. Dein Schicksal hat dich mit mir zusammengeführt. Das Schicksal tut nichts vergebens; bei allem, was geschieht, waltet eine höhere Absicht. Deshalb müssen wir die Dinge nehmen, wie sie sind, und Vorteil zu ziehen suchen aus jeder Schickung. Ich will meinen Vorteil durch dich suchen, das sage ich dir geradezu, ohne Hinterhalt. Hast du etwas anderes vor, weißt du eine bessere Auskunft für dich, dann sag's ebenso ehrlich, und wir trennen uns. Meinst du aber auch, daß unsere Vorteile sich vereinigen lassen, so mußt du alles tun, sie zu fördern. Was ich von dir verlange, ist folgendes: Wir lassen dir eine hübsche, kleidsame Tracht machen, die deine Person heraushebt; ein bißchen knapp, bunt und abenteuerlich, wie sich's für den Tierführer schickt. Diese legst du an in jeder Stadt, in jedem größeren Flecken, wo wir mit den Kamelen auf Straßen und Plätzen erscheinen. Da geigst du, während mein Kleiner einsammelt, und ich die Tiere ihren Kreislauf machen lasse. Des Abends zählen wir die Kasse; so lange, bis ich mein Kapital heraus habe, ziehst du den Vierteil; später trittst du in ein Dritteil. Gegenseitige Aufkündigung von einer Woche zur anderen. Das ist klar und deutlich, will ich hoffen? Und nun entscheide dich: Ja oder Nein?«

»Geh' und bestelle den Schneider«, sagte Anton fest entschlossen, »ich will mir die Affengarderobe anmessen lassen. Man muß nichts halb tun. Zog ich bis jetzt im halben Scherze mit dir herum, mag's nun meinetwegen ganzer Ernst werden. Ich will geigen! Lipinski hört mich nicht, und Paganini hat mich längst vergessen. Ich bin entschieden: Ja! –«

»Tel brille au second rang, qui s'éclipse au premier!« pflegte Anton hohnlachend auszurufen, wenn Weiber und Mädchen, ohne der Kamele und ihres Besitzers zu achten, sich um ihn scharten, mit allen Zeichen der Bewunderung für seine Töne, noch mehr aber für seine Schönheit. Modena, Mantua, Verona, Roveredo, samt vielen Plätzen von geringerem Namen wurden zu ebenso vielen Schauplätzen des Triumphes für ihn. Und so tief ist auch in besseren Naturen die liebe persönliche Eitelkeit eingewurzelt, daß diese Erfolge ihn schmeichelnd berührten; daß ihre Wirkung ihn taub und blind machte gegen die Entwürdigung, worin er zu versinken begann. Dazu gesellten sich noch flüchtig vorübergehende Liebeshändel, die sich knüpften und lösten von einem Tage, von einem Orte zum anderen, die durch bunten Wechsel, für ihn etwas Fremdes und Neues, sein Haupt mit wüstem Rausch umnebelten, während das Herz stumm dabei blieb und fühllos.

So verging der Winter. Geronimo zögerte absichtlich so lange; ob nur deshalb, weil er das mildere Klima seines Vaterlandes früher nicht verlassen wollte, ob deshalb, weil allerlei heimliche und geheim gehaltene Geschäfte, Besorgungen, Zusammenkünfte da und dort ihn fesselten – darüber sann der in Leichtsinn und Lebensgenuß verlorene Anton nicht nach. Ihm genügte das Bewußtsein, daß sich Geronimo ohne ihn und sein Spiel nicht gehalten haben würde; er fühlte sich als der Liebling der Bevölkerung; die Kamele waren zu Nebenfiguren herabgesunken, sie würden nicht das Futtergeld eingebracht haben. Auch wurde er mit Erkenntlichkeit behandelt. Er hatte stets das sauberste Lager, den besten Bissen, den reinsten Wein, die hübschesten Mädchen und als Würze die freundlichsten Worte von Momolo »Momolo« verkleinertes Liebkosungswort für Geronimo..

Mit dem Frühling zugleich hielten sie ihren Einzug in Deutschland.

Und hier kam Anton zur Besinnung.

Bei den ersten deutschen Worten, wie sie aus dem Kreise gaffender Hörer an sein Ohr schlugen, erwachte in ihm das Gefühl der Beschämung, welches er bisher zu übertäuben gesucht, aber so mächtig, daß er es nicht mehr zu beherrschen, nicht mehr abzuweisen vermochte. Was in fremder Sprache an ihm vorübergegangen, wie wenn es einem Fremden gelten sollte, das berührte nun in heimatlichen Klängen, wenn schon in abweichendem Dialekt und Akzent ausgesprochen, ihn selbst in eigener Seele. In Italien hatte er mit lüsternem Behagen ausrufen hören: »O, wie gut er spielt! Wie lieblich er aussieht! Welch ein schöner Mensch!« In Deutschland schnitt es ihm wie ein Messer durchs Herz, wenn sie um ihn her murmelten: »Seht nur den Geiger; schade um den hübschen Burschen!«

Und wohlgetan wäre es gewesen, wenn er, seinen besseren Empfindungen gehorsam, hier gleich den Vertrag mit Geronimo aufgehoben hätte; sein Anteil am Barbestand der Kasse belief sich schon auf mehr als hundert Silbergulden. Damit konnte er, weiter wandernd, ein gutes Stück Weges machen. Doch seine Gutmütigkeit ließ ihn zögern – und zögern, – und abermals war ihm beschieden, den bittersten Bodensatz des Kelches zu leeren. Frei sollte er wieder werden von den jetzigen Banden, aber ohne den Lohn seiner Erniedrigung davonzutragen.

Sie befanden sich auf dem Wege aus Tirol nach M. Schon seit Trient, wo Geronimo wiederum nächtlich heimliche Unterredungen gepflogen und nachher mehrere Briefe verbrannt hatte, bemerkte Anton, wie er zerstreut, verstört, unruhevoll sei. Sogar mit der Violine, die den musikliebenden Veronesen sonst immer aus schweigendem Grübeln in heitere oder sanfte Stimmung zu bringen vermochte, gelang es nicht mehr. Auf wiederholte Fragen schüttelte er nachdenklich den Kopf und sagte nur: »Ich fürchte, diesmal geht es schief!« weiter ließ sich nichts aus ihm herausbringen.

Soeben hatten sie den Gipfel einer kleinen Anhöhe erreicht. Vor ihnen lag eine Stadt. Zu beiden Seiten der Straßen zogen sich Gebüsche und Waldungen ins Tal hinab.

Die Kamele, vom »Kleinen« geführt, schritten voran und näherten sich fast den ersten zerstreuten Häusern der Vorstadt. Geronimo und Anton gingen nebeneinander her.

»Warum schleppst du heute Dein Felleisen, Antonio?«

»Als wir die Tiere tränkten, nahm ich's aus dem Korbe, um eine Zeile in meinem Tagebuche nachzutragen. Dann habe ich's auf den Schultern behalten – ich weiß selbst nicht recht, warum; der Kleine mit den Kamelen war, glaube ich, schon vorauf; es ist übrigens nicht schwer. Meine Kleidungsstücke liegen meist im Kasten.«

»Und dein Geld?«

»Du weißt ja, daß ich nichts aus der Kasse entnommen habe. Das Haus ›Momolo‹ ist mir sicher.«

»Das könnte dich doch täuschen. Vielleicht steht dies Haus seinem Sturze näher, als du meinst. Ist dir bekannt, was man unter einem Carbonaro begreift?«

»So ziemlich, hörte ich doch oft genug davon reden.«

»Diese Carbonari leben nicht auf dem besten Fuße mit einer anderen Sorte von Leuten, die Sbirren genannt werden. Und wenn es sich nun träfe, daß ein Agent besagter Carbonaris zu was immer für einem Zwecke, unter was immer für einer Maske sich auf Reisen befände, daß irgend ein Verräter seine Ankunft vorher gemeldet hätte, daß man Jagd auf ihn machte; ... bist du nicht der Ansicht, man werde nicht unterlassen, auch seine Kasse in Beschlag zu nehmen?«

»Solltest du? ...«

»Ich sollte so eigentlich nicht. Aber Freund Antonio, du weißt aus eigener Erfahrung, man tut nicht immer, was man sollte; man tut häufig, was man wollte; da läuft allerlei mit unter, was verboten ist. Heute noch, sobald wir im Quartiere sind, werden wir rechnen, und du wirst an dich nehmen, was dein ist. Vielleicht auch, was mein ist, denn besser ... Heilige Jungfrau, schon zu spät! Sie halten den Kleinen mit den Kamelen an. Lebendig erwischen sie mich nicht. Addio, Teuerster! Laufe, was deine Füße dich tragen, sonst heißt's: mit gefangen, mit gehangen. Auf Wiedersehen im Himmel!«

Geronimo war schon im Gebüsche verschwunden. Anton tat wie er und suchte Heil in der Flucht. Die Abenddämmerung beschützte ihn.


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