Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzigstes Kapitel

Das Leben im Schlosse zu Liebenau gestaltete sich von einem Tage zum anderen immer unfreundlicher und kälter. Frühzeitiger, regnerischer Winter trug bei, es zu verdüstern. Anton machte in der Angst seines Herzens einigemal den Vorschlag, sie möchten einige Monate in einer großen Stadt zubringen. Dagegen erklärte sich Hedwig entschieden. »Mir in meinen Umständen«, sagte sie, »ist häusliche Ruhe nötig, die ich in bei Stadt entbehren müßte. Bis Ende Mai oder Anfang Juni erwarte ich meine Entbindung; nach der Krankheit des vergangenen Frühjahrs bin ich es mir und meinem Kinde schuldig, mich zu schonen. Die Vergnügungen der Stadt locken mich nicht, und sogar, wenn sie es täten, müßte ich sie unter den jetzigen Verhältnissen meiden. Was sollte ich in jenem Geräusch, wenn es mir keine Freude macht?«

Ottilie, gewöhnlich Zeugin dieser Gespräche, hätte gern gehört, daß Hedwig ihren Weigerungen noch ein Wort der Aufforderung für Anton beigefügt und ihm vorgeschlagen hätte, er seinerseits möge allein gehen und Zerstreuungen aufsuchen. Sie war begierig, wie er solchen Vorschlag aufgenommen hätte. Doch daran dachte Hedwig nicht. Sie in ihrer Unschuld vermochte nicht zu ahnen, daß es außerhalb seines Hauses Freuden für denjenigen geben könne, ohne den es für sie keine Freude gab. Nicht selbstsüchtige Mißgunst, nur Unerfahrenheit ließ sie darüber schweigen. Ottilie jedoch, die aus Antons Miene las und verstand, was seine Lippen zurückhielten, suchte Hedwigs Weigerung noch von einer anderen Seite zu unterstützen. Sie erklärte sich unumwunden gegen die Gewohnheit vieler Gutsbesitzer, den Winter über ihrer ländlichen Einsamkeit zu entfliehen; sie leitete mit sehr verständig entwickelten Gründen aus diesem Gebrauch eine lange Reihe von Mißbräuchen und Übeln her, die nicht wenig dazu beitrügen, die Angelegenheiten im kleineren wie im größeren zu verwirren. »Das Auge des Herrn, des Besitzers«, sagte sie, »soll auch im Winter sehen, forschen, prüfen und walten; auch im Winter gibt es eine Menge ländlicher Beschäftigungen, die niemand besser leiten und regeln mag, als er selbst. Seine Beamten, die Bewohner des Dorfes, Schäfer, Pferdeknechte, Kuhmägde und Ochsenjungen, alle bis auf den Geringsten sollen wissen, daß er da ist; daß er dem Schlage der Holzaxt, daß er dem hellen Klange der Dreschflegel, daß er dem Schnurren des Spinnrades lauscht; sie sollen wissen, daß in jenem Stübchen, wo der Lichtschein hinter den Vorhängen schimmert, ihr Brotherr bei seiner Frau sitzt und den langen Winterabend nach vollbrachter Arbeit traulich verplaudert. Sie sollen wissen, daß die alte, frierende Frau aus dem Dorfe sich dort eine Karre voll Holz, daß die hungernden Bettelleute ein tüchtig Stück Brot, daß der kranke Greis eine Flasche Wein erbitten kann bei der Herrschaft. Mein verstorbener Vater hatte wohl viele Fehler, und ich bin die letzte, ihn zu verteidigen, dennoch war er trotz seiner Kälte und Heftigkeit beliebt bei den Leuten im Dorfe. Warum? Weil er dreißig Jahre lang mit ihnen, unter ihnen, bei ihnen lebte! Weil er nichts sein wollte wie ein Landmann, gleich ihnen; weil er mit all seinem Fluchen und Schreien nicht hindern konnte, daß drei Töchter in seinem Namen, wenn auch ohne sein Geheiß, kleine Gaben mit eigenen Händen reichten und auch durch tiefen Schnee die Häuser aufsuchten, wo Krankheit und Not sich nach Hilfe sehnte. Sein Nachfolger (Ihr Vorgänger, Anton) warf das Geld mit vollen Händen unter die Armen des Dorfes, ohne daß er sich dadurch bei ihnen beliebt gemacht hätte; fragen Sie heute nach Theodor van der Helfft, so wird kein Mensch in Liebenau ihn anders bezeichnen als: Der vorige Herr, der immer auf Reisen war und auch auf Reisen starb. Hedwig hat nur allzu recht, wenn sie entschlossen ist, auch über Winter hier zu bleiben; diesen Winter wie immer.«

Nachdem Ottilie einigemal in diesem Sinne geredet, stand bei Anton die Überzeugung fest, die beiden Frauenzimmer hätten sich heimlich miteinander gegen ihn verbündet. Er schwieg und dachte nur: »O, meine Freiheit!« –

Vielleicht wäre dieser Gedanke, an sich schon gefährlich genug, zu einem unheilbringenden geworden, wenn nicht Antons Gutmütigkeit und liebevolle Gesinnung für Hedwig in der Sanftmut dieser mild weiblichen Natur immer wieder neue Nahrung gefunden und dadurch jeden möglichen Ausbruch von Ungeduld oder Heftigkeit verhindert hätte. Sie gingen, er und sie, nebeneinander her, so vorsichtig, so schonend, so rücksichtsvoll – sie, als ob sie ahnte, daß in Antons Herzen ein wunder Fleck verborgen sei; er, als ob er verhüten wolle, daß die Frau entdecke, wo und warum er leide.

Ottilie suchte freilich zu vermitteln und tat es mit Geist, Gemüt und gutem Willen.

Da machte sich's denn erträglich; aber auch nur erträglich.

Während dieses Winters ordnete Anton seine Tagebücher. Wenn Hedwig ihn in seine Wirtschaftsrechnungen, Monatsabschlüsse und Forstausweise vergraben wähnte, erging er sich – bei Frost und Schnee im warmen Gemache weilend – in der Zeit des Vagabundenlebens. Man sollte meinen, die erneuerte Erinnerung an all das überstandene Elend müsse ihm sein gegenwärtiges Glück erst im hellsten Lichte vor die Augen gestellt haben. Im Gegenteil; was ihn, da er es wandernd ertrug, wie eine schwere Last bedrückt, das dünkte ihm jetzt ein verlorenes Glück; aus den Blättern, die er überlas, wehte ein frühlingslauer Zauberhauch, und immer und immer wiederholte sich leise der Ausruf: »Ich liebe Hedwig, und ich bin glücklich, daß sie mein Weib ist; aber es war doch schön, als ich frei war!«

Ohne daß er es wollte, ja sogar, indem er es zu vermeiden suchte, trug sich eine Färbung davon in die Briefe über, die er an Gräfin Julia nach Sophienthal zu richten niemals unterließ. Diese aber schien absichtlich keine Kenntnis davon nehmen zu wollen. Aus ihren Antworten, die Hedwig wie Ottilie lasen, ging immer nur hervor, welchen Anteil sie an dem häuslichen Glücke ihrer teuren Liebenauer nehme. Ottilie dagegen schrieb sie nur, man könne jetzt nichts tun, als schweigen und hoffen; zur Entbindung werde sie sich persönlich einstellen, und erst nach dieser, wenn alles glücklich vorüber, sei es an der Zeit, zu reden und zu handeln.

»Gott gebe«, seufzte Ottilie, »daß sie meinem alten Anton den Kopf zurechtsetzt; wenn die Gräfin es nicht vermag, dann ist alles vergebens.«

Wir sprachen soeben von seinen Tagebüchern, und daß er dieselben, in zerstreuten Heften und Blättern wieder ordnend, durchlese. Bei dieser Gelegenheit dürfen wir auch einige kurze Auszüge geben von den Bemerkungen dieses Winters; denn Anton setzte sein Journal fort. Wir wählen aus jedem Monat immer nur ein Blättchen.

 

Liebenau, vom 18. November.

»Voriges Jahr freute ich mich über den herannahenden Winter; das trübe Novemberwetter mit seinem grauen Himmel, seinen kurzen Tagen entzückte mich; meinetwegen hätten die Abende noch länger sein dürfen; ich konnte es gar nicht erwarten, daß Licht und Lampe brannten, daß ich bei Hedwig saß und mich unserer Abgeschlossenheit und Ruhe freute, unserer Trennung von dem Geräusch der Welt, in welche niemand sich hineinwagte, als etwa nur Ottilie, die man mit ihren geisterhaft leisen Tritten und Bewegungen kaum hört.

Heuer ist das anders, und ich ärgere mich über mich selbst. Aber kann ich dafür? O, meine alte Großmutter hatte recht: Gar vieles – das Beste vielleicht, wie das Schlimmste – ward uns angeboren. Wir können's bekämpfen, manchmal besiegen, aber ausrotten? Niemals!«

 

Vom 24. Dezember.

»Dem Himmel sei Dank, daß die Glückwünsche des heutigen Tages überstanden sind; die Glückwünsche und die Danksagungen. Denn ich befinde mich in der seltsamen Lage, vormittags Gratulationen und Gaben für mich in Empfang zu nehmen, weil ich meinen Geburtstag begehe; nachmittags dagegen liegt mir, als Familienhaupt, die Sorge ob, andere zu begaben, weil wir den heiligen Christabend feiern. Voriges Jahr gewährte es mir ein eitles Vergnügen, meine Beamten vor mir aufmarschieren zu sehen und mich von ihnen anwünschen zu lassen. O vanitas vanitatum! Diesmal hätte ich sie lieber hinausgeworfen, alle, – den guten Pastor Puschel ausgenommen, den ich liebe, weil er ein täuschendes Ab- und Nachbild seines Vaters wird. Nachhaltiger wirkte die Lust am Beschenken der ärmeren Dorfleute. Ottilie und Hedwig hatten das prächtig hergerichtet und aufgebaut. Meine Frau benimmt sich dabei wie ein Engel, den man anbeten möchte.

Mitten im Jubel und im Schimmer der unzähligen Lichter fiel mir ein, daß ich vor zwei Jahren aus Kästners Haus im Gebirge wie ein begossener Pudel fortlief und wandernd, heimatlos, aufgegeben, den Christabend im tiefen Walde zubringen mußte. Und spürte ich nicht heute, umgeben von Überfluß, Liebe, Glück und Dank, eine Sehnsucht in mir nach jenem einsamen Elend?

Es ist keine Frage, ich bin ein Narr!

Aber Schkramprl hat wohl recht, daß er sich nicht fixieren, daß er umherlaufen will, so lange seine langen Beine ihn tragen.

Man ist nicht umsonst Vagabund gewesen.«

 

Vom 18. Januar.

»Heute hat es ein Ärgernis mit meinem Herrn Förster gegeben, und das hat mir gut getan: es hat mich aus dem Reich meiner haltlosen Träume zur unangenehmen Wirklichkeit herabgezwungen. Zum erstenmal, seitdem ich im Besitz stehe, habe ich den Herrn gezeigt. Der Mensch ist entlassen, und da seine Vernachlässigungen, vielleicht Betrügereien, auch nicht einen Tag fortdauern dürfen, schon des Beispiels wegen, so habe ich ihm sein Quartal auszahlen und die Amtswohnung heute noch räumen lassen. Seinen Dienst werde ich, bis ein anderer eintritt, selbst versehen. Vielleicht gefällt mir die winterliche Abendstille in unseren Räumen besser, wenn ich sie mir durch einen Tag im tiefen Schnee des Waldes errungen habe. Vielleicht hören meine Gedanken auf, in der Welt herumzuschweifen, wenn ich sie beim Klang der Vesperglocke mit den Holzfällern heimgeleite.«

 

Vom 12. Februar.

»Das trifft sich glücklich: Da kommt Freund Schkramprl wieder einmal, um, wie er sich huldreichst ausdrückt, nach uns und unseren Stallratten zu sehen, und bringt mir ein Mitschreiben meines alten Wohltäters, des k. Försters Wolff. Der ehrliche Isegrim geht mich an, seinen ältesten Sohn, der seine Zeit im Jägerkorps ausgedient hat und nun, als Oberjäger entlassen, keine Stelle findet, unterbringen zu helfen. Gewiß, er soll die Försterei in Liebenau haben. Seine Zeugnisse sind vortrefflich, und er ist der Sohn seines Vaters, des braven Mannes, der mich bei sich aufnahm, da ich, ein ›angeschossenes Stück‹, in seinem Walde ›wechselte‹.

Fiat! Morgen des Tages erhält er das Anstellungsdekret.

Schkramprl wird es ihm hintragen, und es wird Freude sein im alten Forsthaus.

Schkramprl fragt mich, wie ich es aushalte auf einem Flecke. Ich erwiderte ihm: Willst du schweigen, verdammter Heide! Habe ich nicht schon böses Blut genug in den Adern? Willst du auch noch beitragen, mir es wieder durcheinander zu jagen? Trolle dich von dannen und gib mir Frieden!«

 

Vom 15. März.

»Heute kam ein Gast in unsere Fluren, der mich mit seinem Lächeln aus der Fassung brachte. Offenbar hat er sich verlaufen, ist zu früh eingetroffen und wird nicht weilen; die Seinigen werden ihn zurückrufen. Fürs erste hat er sich ins Buchenwäldchen schlafen gelegt und schien höchlich erstaunt, daß die Bäume noch so dürr sind. Auch suchte er vergeblich nach Veilchen. Tor, wenn du sie nicht mitbrachtest, wir haben noch keine!

Er schläft im Buchenwäldchen; mir aber hat dieser erste Frühlingstag den Schlaf geraubt. Ich werde die ganze Nacht hindurch an ihn denken, an seine Wanderlust; – und wenn ich morgen früh heimkomme, ihn aufzuwecken und ihn ein Stück Weges zu begleiten, wird er längst auf und davon sein.

Desto besser. Ich wollte, wir hätten morgen das fürchterlichste Schneegestöber, das mich wieder ein wenig niederduckte! Was sollen mir die Boten der Freiheit? Ich bin nicht mehr frei.«

 

Vom 20. April.

»Gräfin Julia meldet, sie wolle mit Anfang Mai ihren Einzug in Schloß Liebenau halten und habe sich so eingerichtet, daß sie bei uns weilen könne ›bis zur Taufe‹! Die edle, liebenswürdige Frau! Wie freue ich mich, sie wiederzusehen – und zu hören! Wahrlich, die Beschreibung meiner seligen Mutter paßt noch immer auf sie, obgleich seitdem mehr als ein Vierteljahrhundert vergangen ist.«

 

Vom 15. Mai.

»Die Gegenwart der Gräfin sollte, wie ich gehofft, beruhigend, wohltätig auf mich einwirken. Leider ist dem nicht so. Ich fühle mich noch ungeduldiger, als ehe sie ankam. Wenn sie ihr geistvolles Auge wie fragend auf mir weilen läßt, wird mir zumute, als läse sie in meinem Innern, als erriete sie, welch eine Torheit mich martert! Und das ängstigt mich; ich schäme mich vor ihr. Nein, sie darf nicht entdecken, daß der Vagabund in mir sein Wesen treibt! Was würde sie dazu sagen, deren Großmut mich so königlich beschenkte? Sie, der wir alles verdanken! Sie darf nicht wissen, daß ich meines Glückes unwürdig bin. Sie würde mir zürnen. Oder sie würde, – nicht höhnisch, denn das vermag sie nicht – sie würde mitleidig lächelnd die Achsel zucken; und ich müßte vor Beschämung in den Erdboden sinken. Nein, sie darf's nicht entdecken!«

 

Vom 1. Juni.

»Welch ein Gefühl! Ich bin Vater!! Ein Kind ist da, das lebt, atmet, die Augen öffnet! Und dies ist mein, ist Hedwigs Kind!

Noch bin ich nicht imstande, mir über meine Empfindungen Rechenschaft zu geben. Auch weiß ich nicht, was meine Freude stört! Ich vermag mich meiner ahnungsschweren Besorgnis um Hedwig kaum zu entschlagen.«

 

Vom 2. Juni.

»Ich muß zu diesen Blättern meine Zuflucht nehmen. So manchen heißen Gram habe ich in einsamen Stunden dem Papiere anvertraut. Mag sich auch jetzt die schwerste Bangigkeit meiner Seele schreibend Luft machen. Hedwig ist sehr krank; ihre Mattigkeit nimmt mit jeder Stunde zu; schon lächelt sie nicht mehr, wenn man ihr das Kind zeigt; schon erwiderte sie kaum mehr den Druck meiner Hand. Die Gräfin und Ottilie sitzen mit ernstem Schweigen vor ihrem Bette, – mich sehen sie bedauernd von der Seite an. Der Arzt spricht von Hoffnung, die man nie ganz aufgeben dürfe, von unerwarteten Wundern, die eine gute Natur bewirkt! O, man kennt diese Sprache. Sie ist die Einleitung zu dem großen Trauerspiel!

Also diese Strafe wäre mir zuerkannt? Sie ist furchtbar streng; doch wehe mir, ich darf nicht leugnen, daß sie gerecht ist! Auch unterliegend muß ich's bekennen, ich habe sie verdient. Ja, ich habe sie verdient, da ich wahnsinnig gemurrt und geklagt, daß ich meine Freiheit einbüßte, daß ich nicht mehr, wie früher, ohne Pflicht, ohne Beruf planlos umherschlendern und jeder Lockung des Augenblicks, sei es immerhin die nichtigste, frivolste, nachgeben dürfe; daß ich meiner Jugend durch den Ehestand beraubt sei. Undankbar gegen Gott und Menschen bin ich gewesen; ruchlos verkannt und geringgeschätzt habe ich die Fülle von Segnungen, die mir Unwürdigem zuteil ward, und die zürnenden Mächte habe ich aufgestört durch leichtsinnigen Frevel! Treue Liebe und Hingebung standen mir zur Seite, – ich sehnte mich nach Freiheit! das heißt, ich wünschte mir die Tage zurück, wo ich kein Herz, keine Seele mein nennen durfte. Du wirst es nun bald empfinden, was es heißt, wieder allein stehen. Da wirst du nun bald wieder frei sein, Elender, und wirst nicht wissen, was du anfangen sollst mit dir und deiner Freiheit! Blutige Tränen wirst du weinen, Tränen fruchtloser Reue, vernichtenden Jammers, wenn sie die bleiche Gestalt hinaustragen, die dein liebendes Weib war, als Blut und Leben durch ihre Adern strömte. Hedwig, Hedwig nicht mehr leben? Tot, begraben sein, die sanfte, gute, schöne Hedwig!?

Ich zittere, wenn eine Tür geht, daß sie kommen, mich zu holen, mir zu künden, sie habe vollendet. Ich zittere, wie der arme Sünder, wenn seine letzte Nacht vor dem letzten Morgen entflieht.

Sie schlief, da ich sie verließ.

Dieser Schlaf kann der Tod sein, der sie nie mehr erwachen läßt!

Aber es kann auch der Engel sein, der ihr Genesung bringt!

Ach, wenn es wäre! Wenn morgen mit Tagesanbruch der Arzt ausriefe: sie ist gerettet! –

Höre mich, du Ewiger, den wir Gott nennen, an den auch der Gottesleugner glaubt in seiner hochmütigen Beschränkung, in seiner spitzfindigen Dummheit. Höre mich, unerforschliche Macht! Hier steht es in festen, deutschen Schriftzügen, ein Zeichen meines unerschütterlichen Willens, meiner innigsten Überzeugung. Nicht Angst und Pein des Augenblickes, nicht wandelbare Zerknirschung, die vor Gefahren kriecht und im Staube sich windet, nach überstandener Gefahr aber neu zu trotzen wagt; nein, klares Wollen, aufrichtige Selbsterkenntnis, männliche Besonnenheit führen meine Feder, und ich gelobe es mir, – und dir, Unsichtbarer! – wenn Hedwig wieder aufersteht vom Grabe, wenn sie noch einmal lebt und liebt, – nie mehr wird ein kindischer Wunsch, ein eitles Trachten, eine bange Regung so viel Einfluß über mich gewinnen, daß ich ihnen das Recht einräumte, sich zwischen mich und meinen Frieden zu stellen. Welche Träume im Herzen mir auftauchen mögen, das kann ich heute nicht wissen; aber daß ich ihrer Herr werde, daß ich als Sieger aus jedem Kampfe mit ihnen hervorgehe, das schwöre ich mit heiligem Eidschwur bei der qualvollen Prüfung dieser Stunde. So gewiß, wie ich jetzt die Kraft fand, meine glühendsten Zähren zurückzuhalten, mit hellem Blick und sicherer Hand die Worte zu schreiben, – so gewiß will ich durchführen, was ich hier beschworen!«


 << zurück weiter >>