Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neununddreißigstes Kapitel

Seit vielen Jahren hatte der große Weltmarkt in L. nicht soviel »Meßbuden« gezählt, als in jenem Frühling, wo Antoine mit der Guillaumeschen Reitertruppe daselbst erschien. Es konnte nicht fehlen, sie mußten sich einer dem anderen das Brot vom Munde nehmen. Während Kauf- und Handelsleute sich im Ganzen, für zufrieden erklärten, klagte das Gauklervölkchen allgemein über spottschlechte Messe.

Anton befand sich in seltsamer Verwirrung seiner eigenen Wünsche und Absichten. Mit dem friedlichen Asyl, das er in Dr. bewohnt, und in dem er stille, ungestörte Stunden zugebracht, hatte er zugleich die entsagende Geduld verloren, die ihn dort im Gleichgewicht hielt, die ihn sogar bisweilen ohne Klage wähnen ließ, er sei mit dem Leben fertig.

Mit dem erwachenden Frühling erwachte in ihm auch wieder das Gefühl seiner Jugend, winterlich begrabene Empfindungen entkeimten diesem Gefühle. Die schwermütige Erinnerung an Adele verwandelte sich in aufregende Sehnsucht nach ihr. Er wurde den Gedanken nicht los, daß die Jartour ihren Paß nach Paris hatte ausstellen lassen, wie sein Arzt beim Gesandten erfahren. Es war ihm zu Sinne, als müsse er die Entflohene dort wiedersehen; als würden, wenn es ihm gelänge, dieses Ziel unklarer Träume zu erreichen, viele Geheimnisse sich enthüllen, viele Rätsel seines Lebens sich lösen. Doch wie wäre dies auszuführen? Sein Geldvorrat ging auf die Neige. Er mochte sich's noch so sparsam einrichten; wenn man immer nur ausgibt, ohne einzunehmen, hilft zuletzt kein Sparen. Wie, fragte er sich, soll es mit mir enden? Wenn ich auch wirklich diese fast unbezwingbare Begierde, ihr nach Frankreich zu folgen, bezwinge, wenn ich mich und meine feurigsten Wünsche niederdrücken will, ... was soll, auch in Deutschland, aus mir werden? Ich weiß es nicht. Denn sogar für den traurigen Fall, daß ich mich überwinde, meine Arbeit als Korbflechter wieder ergreife und mich beim nächsten Meister als Gesellen verdinge, – wie komme ich mit dem unglücklichen Blatt Papier ins reine, das die Simonelli mir angeheftet, unter dessen Schutz ich noch immer reise, und zwar als ein Betrüger reise, zu dem ich wurde, ohne es zu wollen und zu wissen? Überdies auch ist jener Reisepaß abgelaufen, so gut wie ungültig. Der Furioso, der sich auf solche Dinge versteht, hat mir neulich zu hören gegeben, ich würde genötigt sein, Paris »wieder« zu besuchen, um meine Reiseerlaubnis verlängern zu lassen. Und wenn sie dort die Wahrheit entdecken ...? Das kann mich in Schande und Kerker bringen! Gar vielleicht, wenn der wirkliche Antoine mir begegnet? Wenn er schlechte Streiche gemacht, die auf mich zurückfallen, wenn er schon eingesperrt ist? Oder wenn er ... Gott weiß was? da gibt es so viele »Oder«, daß mir ganz schwindlig wird! – Nach Liebenau zurückgeschleppt werden? ... Auf dem »Schube«, wie sie's nennen? Zum Spott der Landleute, gescholten vom Kurator, verhöhnt von Ottilie, vielleicht gebunden, mit wirklichen Stricken gebunden als Vagabund? Das ehrenvolle Andenken meiner Großmutter geschändet? Nichts Besseres als der schwarze Wolfgang? – O, ich wollte, ich läge zwischen beiden begraben im grünen Kirchhof!

*

Es war ein sonnig blauer Vormittag, dessen Klarheit wenig zu den Wolken passen wollte, in die Antons Haupt sich gehüllt. Dem drängenden Marktgewühl der Gassen entwichen, hatte er sich nach dem Platze begeben, auf den alle öffentlichen Schaustellungen verwiesen, eine zweite kleine Stadt von hölzernen Häusern bilden, in denen die modernen Nomaden verkehren, und wo des Morgens verhältnismäßig Ruhe herrscht, im Vergleich zum Lärmen ernsteren Verkehrs im Innern der eigentlichen Stadt. Anton hatte bisher noch vermieden, das Handwerk zu begrüßen. Nur seiner Lage Hoffnungslosigkeit trieb ihn heute, von Bude zu Bude schlendernd, mit prüfender Forschung umherzusuchen, wo sich für ihn vielleicht eine, wenn auch nur vorübergehende Zuflucht finden ließe. Denn von Guillaume sich zu trennen, wußte er sich ebenso fest entschlossen, wie er fest durchdrungen war von der traurigen Überzeugung, es bliebe ihm nichts anderes mehr übrig, als ein Dienst niedrigster Gattung im Lande der Zigeuner.

Da prangte zuvörderst der »Feuerkönig«, glimmende Kohlen verschluckend, flüssiges Siegellack naschend, siedendes Öl wider brennenden Durst schlürfend, seine Fußsohlen mit glühend roten Eisen kitzelnd; und diesem verbunden eine »Minerva«, den zarten Leib mit gewichtigem Amboß belastet, auf dem vier Zyklopen furchtbare Waffen schmiedeten. War das Porträt, welches, die Göttin darstellend, in Lebensgröße neben jenem des feuerbeherrschenden Gatten hing, einigermaßen getroffen, so konnte das lebendige Urbild sehr wohl die vom Gewicht des Amboß zwar zerschmetterte, aber dennoch wieder zusammengeschmiedete Mutter des Riesen Schkramprl sein. Zum erstenmal, seitdem er in L. weilte, glitt ein Lächeln über Antons verkümmerte Züge, wie er Schkramprls gedachte und ihrer gemeinschaftlichen Schneewanderung. »Wo mag der lange Schlagetot jetzt seine Lügen debitieren«, murmelte er, bedächtig weiter schreitend, vor sich hin, und ehe er noch ausgemurmelt, stieß er fast mit der Nase an eine kleine Bude, von deren Eingang ihm das alte, grauumlockte Riesenantlitz freudestrahlend entgegenleuchtete.

»Endlich, Herr Antoine! Sie haben lange Zeit gebraucht, bis Sie sich des kleinen Freundchens erinnerten. Ich wollte und konnte Sie nicht aufsuchen, indem ich mit Ihrem Direktor nicht gut stehe ...«

»Keine Ahnung, Herr Schkramprl, daß Sie sich schon in L. befinden! Angenehm überrascht ...«

»Treten Sie ein. Keine Publikümmer vorhanden. Leider gar keine. Wir sind unter uns! Sagen Sie, Freund, ist es wahr – – – He, ihr da drinnen im Häuschen, erhebt euch, Langschläfer! Macht Toilette! Der Husar erscheint heute im Schweizerkostüm, weil er darin nicht so eifersüchtig aussieht wie in seinem blutfarbigen Doliman. Und daß Ninon sich mehr dekolletiert als gestern: wir haben gegen ein Uhr mittags Privatvorstellung für einige alte Herren! – Also, teuerster Antoine, ist es wahr, was der Bajazzo mir sagt, daß Sie Papa Bonhomme verlassen?«

»Es ist wahr, Schkramprl.«

»Haben recht. Er ist ein ausgestopfter Strohmann, und sie ist ein weiblicher Satan in fleischfarbenen Trikots, unter denen sich passabel hübsches Menschenfleisch befindet, das gebe ich zu; doch darum nicht weniger Satan. Eingefleischter Satan. Haben recht. Ich erfuhr erst hier, daß Sie derselbe sind, der in B. den schönen Sturz machte. Bravo! Jetzt weiß ich alles: Laura Amelot, die Katze, Adelaide, Adele Jartour, alles! Sie müssen mich, als wir uns kennen lernten, für ein dummes Nilroß gehalten haben. Und wohin sind wir verschrieben mit unserer Violine?«

»Nirgend. Ich bin ohne Aussichten.«

»Sie? Ohne Aussicht! Sie, Antoine?«

Hier prüfte Schkramprl Antons Gestalt mit Kennermiene, brach dann in ein wildes, höhnisches Gelächter aus und schrie, daß sein kleines Schweizerhäuschen in den Fugen bebte und seine drei Zwerge ängstlich die dicken Köpfe durch die Fensterchen steckten: »Ein solcher Jüngling ohne Aussichten? Es ist nichts mehr zu machen, durchaus nichts; ich sag' es ja. – Was kann Schkramprl für Sie tun? Wünschen Sie, daß ich an verschiedene Bekannte schreibe, die bei guten Truppen reiten?«

»Sie sind sehr gefällig, lieber Schkramprl, doch will ich Ihnen eingestehen, daß ich fest entschlossen bin, die Reiterei gänzlich aufzugeben. Meine Gründe für diesen Entschluß erlassen Sie mir; die Auseinandersetzung würde zu weit führen. Vielleicht, daß mein Sturz mich eingeschüchtert, mir die rechte Lust geraubt hat. Genug, ich gebe das Metier auf. Dankbar würde ich Ihnen sein, wenn Sie mir Gelegenheit verschafften, irgend ein Unterkommen zu finden, das mich vor augenblicklichem Mangel schützt und mich der traurigen Notwendigkeit überhebt, mehr von meinen Sachen zu veräußern, als mir eben entbehrlich ist. Vorzüglich lieb wäre es mir, wenn die Unternehmung, bei der ich – sei es auch nur als Diener – attachiert würde, sich den französischen Grenzen recht bald näherte oder gar vielleicht selbst nach Frankreich reiste. Denn, im Vertrauen gesprochen, mein Paß läuft ab, und ich bin nicht ohne Besorgnis ...«

»Verstehe! Verstehe alle Worte ohne Brille. Keine Silbe weiter. Sie sollen erfahren, daß Schkramprl eine böse Zunge besitzt und einen guten Willen. Wir haben zwei Stunden Zeit bis zu meiner Privatvorstellung. Ich lasse den Riesen bei den Zwergen, lege den weiten Rock an, der mich verkleinert, schließe die Hütte, und wir treten unsere Entdeckungsreise an. – Gesindel da drin, haltet euch ruhig! Husar, prügle deine Weiber nicht! Macht euch schön und exerziert das pas de trois! Kommen Sie, Antoine! – Hier zur Linken treibt der Feuerkönig sein Unwesen mit einer sogenannten Minerva ...«

»Ich sah das Aushängeschild und gedachte Ihrer Mutter, Schkramprl.«

»Fi donc! Keine Parallele zu ziehen; kein Vergleich, Misere das, pure Misere das! Aber da drüben, die große, solide Bude, die Chiarinis, Guillaumes Nebenbuhler auf diesjähriger Messe! Das ist's! Je tiens votre affaire! Das wäre etwas für einen jungen Mann von Ihrer Bildung. Hier ist die Tür geschlossen, niemand anwesend. Wir werden sie in ihrer Behausung finden. Eine achtungswerte Familie.«

Die Wohnung war bald erreicht, sie traten ein; der Riese, sich tief bückend, zuerst. Hier herrschten Ordnung und Reinlichkeit. Die kleinen Zimmerchen verrieten durch nichts, daß hier eine Schar durchziehender Tänzer eingemietet sei. Auf zwei Stühlen am Fenster saß ein eisgraues Ehepaar; die Urgroßeltern jener kühnen, doch bescheiden erzogenen Kinderchen, die, mit Büchern oder Schreibfedern in Händen, um einen großen Tisch geschart, ihre Lektionen von einem Hauslehrer empfingen. Schkramprl stellte Antoine den uralten Leuten vor. Die Urgroßmutter neigte verbindlich ihr zitterndes Haupt: der Elter-Elter-Vater erhob sich vom Sessel und gab den Gruß der Eintretenden durch eine feierliche Verbeugung zurück, wie man sie nur am Hofe Ludwig des Vierzehnten verlangt haben könnte. »Mein Sohn!« rief er ins Nebenzimmer hinein, »tritt heraus, mein Kind! es wird dir die Ehre eines Besuches zuteil.« Die Violine unterm Arm erschien ein Mann von wenigstens sechzig Jahren, seine langen, silbergrauen Haare in einen dicken Chignon gebunden, durch einen goldenen Kamm auf dem Wirbel festgehalten. Er verneigte sich graziös, als Schkramprl Herrn Antoine nannte, lud beide ein, Stühle zu nehmen und verwies, da sämtliche Sitzgelegenheiten durch die fliegende kleine Schule okkupiert war, letztere samt ihrem Professor in ein anderes Gemach. »Unsere Enkelkinder«, sagte er, »empfangen ihren Unterricht sonst gewöhnlich in meiner Stube; heute nur fand eine Ausnahme statt, weil ich mit meiner jüngsten Tochter die Allemande einübte; Herr Antoine wird gütig entschuldigen!«

Nach einigen hin und her gewechselten allgemeinen Fragen und Antworten rückte Schkramprl mit dem eigentlichen Zweck ihres Besuches hervor.

Chiarini, der Großvater, blickte Chiarini, den Urgroßvater, an. Der fünfundachtzigjährige Greis erwiderte diesen Blick durch ein intelligentes Zeichen des Einverständnisses und fügte hinzu: »Du würdest deinen Sohn Joseph mit zu Rate ziehen müssen, mein lieber Paul?«

Herr Joseph Chiarini wurde herbeigerufen, ein hübscher, kräftiger, zierlich gebauter Mann von etlichen und dreißig Jahren. Gleich hinter demselben trat sein ältester Sohn Viktor ein, der höchstens zehn Jahre haben mochte, aber schon so tüchtig ausgearbeitet und männlich ernst erschien, daß Anton keine Mühe hatte, die Wunderdinge zu glauben, die Schkramprl in aller Eile von dem kleinen Burschen und dessen Bravour auf dem gespannten Seile berichtete. So waren vier Generationen vertreten.

»Wir hegen lange schon den Wunsch, und ich sprach mich neulich darüber gegen diesen Herrn – (auf Schkramprl deutend) – aus, einen zuverlässigen Geschäftsführer zu gewinnen, der, uns voranreisend, alle äußeren Angelegenheiten ordnen möge, ehe wir an den neuen Orten unserer Bestimmung eintreffen. Bisher hat mein würdiger Vater, der seit mehreren Jahren nicht mehr tanzen will, obschon er noch in voller Kraft und Gesundheit steht – (hier sah der sechzigjährige Sohn den Greis mit dem Ausdruck schonungsvoller Liebe an!), – diese Geschäfte besorgt. Aber meine gute Mutter wünscht, daß er die anstrengenden raschen Fahrten unterlasse: nur aus Rücksicht für sie, keineswegs, weil es ihn zu sehr ermüdet – (der Alte nickte bejahend und reichte seiner Frau die Hand), – willigt er ein in das Engagement eines Sekretärs. Ein solcher aber müßte, damit ich offen rede, ein Mann von Redlichkeit, Bildung und Umsicht sein. Was dies anlangt, mein Herr, so genügt ein Augenblick des Zusammenseins mit Ihnen ...«

Die vier Zeitalter verneigten sich gegen Anton. Der kleine Viktor näherte sich seinem Stuhle und schlang in kindlicher Vertraulichkeit einen Arm um seinen Hals.

»Sie werden billigen, Herr Antoine, daß wir in der Wahl eines Reise- und teilweise Lebensgefährten vorsichtig zu Werke gehen. Unsere Truppe besteht, meine teuersten Eltern mit eingerechnet, aus siebenundzwanzig Köpfen, alle Artisten, alle verbunden durch die heiligsten Rechte und Pflichten des Blutes, der Liebe, der Dankbarkeit. Mein unvergleichlicher Vater hat mich unterrichtet in meinem Metier; von mir lernte mein Sohn Joseph; Viktor ist seines Vaters Schüler. Es mag anmaßend klingen, doch wirklich muß ich glauben, daß wir in unseren Leistungen von ähnlichen Künstlern nicht übertroffen werden, weder als Seiltänzer, noch als Equilibristen, noch in dem Ensemble unserer kleinen lustigen Pantomimen. Was wir machen, machen wir sicher, vollendet, rasch hintereinander, effektvoll. Unsere Repräsentationen geben ein Ganzes aus einem Gusse. Woher kommt das? Weil wir sämtlich aus einer Schule sind; weil uns alle der Geist und das Talent unseres würdigen Meisters durchdringt; weil wir uns durch sein Lob stolzer fühlen wie durch den Beifall des Publikums! Weil wir uns gegenseitig lieb haben; weil wir eine Familie von redlichen, frommen Leuten und Christen bilden. Denn wir sind sehr fromm, Herr Antoine; wir schämen uns nicht vor der Welt unserer Anhänglichkeit an die heilige, alleinseligmachende Kirche; wir spotten jedes Spötters. Deshalb auch herrscht in unserem Kreise nur die Milde, nicht die Grausamkeit, nicht die Härte wie bei vielen unseresgleichen. Niemals habe ich von meinem guten Vater einen Schlag erhalten; niemals mein Sohn Joseph oder meine Töchter ein hartes Wort von mir; und Josephs Kinder von ihm, so viel ich weiß, auch nicht.«

»O, niemals, niemals, parole d'honneur«, sagte Viktor in Antons Ohr, wobei er ihm einen Kuß auf die Wange gab, den dieser herzlich erwiderte.

»Ich sehe schon, daß wir füreinander passen werden, Herr Antoine. Wen die Kinder lieb gewinnen auf den ersten Blick, und wer die Kinder lieb hat, der ist wie wir ihn brauchen. Was nun Ihre Erfahrungen in dieser Art von Geschäft anlangt ...«

»Damit sieht es schwach aus, Herr Paul. Ich darf Ihr Zutrauen nicht täuschen. Vernehmen Sie in wenigen Worten, wie es mit mir steht.«

Und Anton teilte ihnen mit, was hierher zu gehören schien.

»Ein neuer Beweis, daß dies ein braver junger Mann ist; nicht wahr, mein Vater?« fragte Herr Paul.

»Und was die Erfahrung betrifft, die erwirbt man, wenn man sie nicht hat, nicht wahr, mein Vater?« fügte Herr Joseph hinzu.

»Besser ein kleiner Verlust im Anfange durch Unkunde als übler Wille und Mißtrauen für immer«, schloß der Urgroßvater.

Und Viktor ergriff Antons Kopf mit beiden Händen und bat flehentlich: »Bleiben Sie bei uns, mein schöner Freund: wir wollen Sie lieb haben, wir alle, jung und alt, ich und meine kleinen Schwestern.«

Anton vergaß in diesem Augenblicke Paris, seinen Reisepaß, die Jartour, sich selbst. Überwältigt von dem, was er noch niemals gesehen, von dem Zauber einer Familie floß des Armen empfängliches Gemüt in Wonne über; mit Freudentränen, deren er kaum Herr zu werden vermochte, stammelte er: »Ach, ich würde zu glücklich sein!«

»Über die pekuniären Bedingungen«, meinte das Haupt der Familie, »soll kein Zweifel entstehen. Ich denke, wir einigen uns, meine Kinder. Warum darf ich's nicht sagen, der junge Mensch gefällt mir sehr; sein Anblick tut meinen alten Augen wohl. Ich sehe ihm ins Gesicht, wie wenn er mein Sohn wäre – vielmehr mein Enkel. Nur daß er schön ist – und ihr seid nicht schön, meine armen Jungen, seid's niemals gewesen. Was hilft's? Ihr schlagt nach dem Alten.«

Paul und Joseph erklärten sich einverstanden. Die Urgroßmutter, die Anton aufmerksam beobachtete seit der Anspielung, die ihr Sohn Joseph auf ihre Frömmigkeit hatte einfließen lassen, winkte jetzt das Ohr des Gatten an ihren Mund und flüsterte ihm etwas zu.

»Du hast recht«, sprach der Alte, »es ist nicht unerläßlich notwendig.« Dann erhob er sich, ging langsam auf Anton zu, legte ihm die noch immer nervige Hand auf die Stirn und sprach mit ruhiger Würde: »Ich hoffe, unser junger Freund ist ein römisch-katholischer Christ!«

Anton spürte, wie Schkramprl ihm unmerklich auf den Fuß trat. Er begriff auch sogleich, dies heimliche Zeichen sollte ihm als Warnung gelten, die Wahrheit zu verheimlichen, falls dieselbe ungünstig lautete. Doch ein solcher Betrug wäre ihm solchen Menschen gegenüber unmöglich geworden.

Er stand von seinem Sitze auf und sagte sanft, aber in entschiedenem Tone: »Ich bin evangelisch-lutherisch geboren, getauft, erzogen, unterrichtet und konfirmiert.«

Die drei Männer schwiegen, wie wir schweigen, wenn wir vernehmen, was unabänderlich bleibt und uns tief betrübt.

Die Urgroßmutter schlug ein Kreuz.

Der kleine Viktor bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen und lief davon, indem er schluchzend rief: »Ach, wie traurig; nun verliere ich wieder meinen lieben, neuen Freund!«


 << zurück weiter >>