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Vorbemerkung

Wenn man die Art, wie Karl von Holtei dichtet und erzählt, mit der anderer Dichter vergleichen will, so mag man ihn etwa neben Jeremias Gotthelf oder Otto Ludwig stellen, vielleicht auch neben Fritz Reuter. Die Romantik seiner Zeit haftet seinem Wesen unverkennbar an und doch kann man in einzelnen seiner Werke Stellen finden, die einer aus dem Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben haben dürfte. Und Holtei lebte 1797 bis 1880. Die Hauptzeit seines Schaffens liegt zwischen 1825 und 1855. Will man untersuchen, von wem Holtei gelernt hat und an wen er sich anlehnt, so wird man finden, daß er von jedem etwas hat, daß er überall genippt hat, daß er aber im Grunde genommen nur von seiner Zeit abhängt.

Einen Vagabunden hat er sich mit Vorliebe genannt, und es gibt in der Tat kaum einen Beruf, der ihn nicht ernährte. Zwischendurch finden wir ihn immer wieder beim Theater, einmal als Direktor und das nächste Mal als Souffleur.

Seine Vagabondage hat ihm aber niemals den Charakter verdorben. Ehrlich, aufrecht, bieder in allen Lebenslagen und in allen Werken! Berühmt wurde Holtei, als seine schlesischen Gedichte in die Öffentlichkeit drangen. Er ist der erste, der in der schlesischen Mundart schrieb, der in der schlesischen Mundart Land und Leute schildert, so deutlich und wahr wie Gerhart Hauptmann in seinen Dramen. Ein Vagabund im Leben war er auch ein Vagabund im Dichten. Lieder, Lustspiele, Trauerspiele, Erzählungen, Romane; es gibt keine Dichtart, in der Holtei nicht heimisch gewesen wäre. Von seinen 55 Dramen wurden einige lange Zeit hindurch oft und gern gespielt. Jetzt sind sie halb in Vergessenheit geraten, obwohl sie vielen neueren Volksstücken an Wert bedeutend über sind.

Seine Romane dagegen werden immer noch so viel gelesen wie in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die seltene Kunst, ohne Komposition künstlerisch zu erzählen, wirkt heute noch ebenso erfrischend wie vor 50 Jahren. Holtei ist der geborene Erzähler. Er ist so viel herumgekommen und hat so viel gehört und gesehen, daß er oft nicht weiß, wo er anfangen soll. Obwohl er ein Mann der feinen Welt ist und seine Artigkeiten in die herzlichste Form zu kleiden versteht, nimmt er kein Blatt vor den Mund. Dazu ist er zu ehrlich.

Die bekanntesten seiner Prosawerke sind seine Autobiographie »40 Jahre« und der hier vorliegende Roman »Die Vagabunden«. In seiner Biographie wie in dem Roman ist er in seinem Element. Kreuz und quer zieht der Held in der Welt umher, überall ein gern gesehener Geselle, als Korbmacher, als Tierbändiger, als Zirkusreiter und als Gutsbesitzer. Ein Philosoph der Landstraße, wird er niemals langweilig in seinen Grübeleien. Künstlerblut, Vagabundenblut! Ruhelos treibt die Handlung vorwärts und wird dann spannend wie die seltsamste Erzählung Ernst Theodor Amadeus Hoffmanns! Dabei die unbedingte Ehrlichkeit und die Treuherzigkeit, die den Autor zwingt, seine Gedanken dem Leser ohne Ausschmückung zu offenbaren. Die eingeflochtenen Selbstgespräche und Dispute mit dem Leser über den Roman selbst verleihen dem Werk einen Reiz, der sich kaum sonstwo in der Literatur findet.

Martin Feuchtwanger.


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