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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Es war schon häufig die Rede davon gewesen, sich mit der Menagerie nach Rußland zu wagen, und wenn dieser Plan ausgeführt werden, wenn vor Eintritt strengster Kälte das Hauptziel solcher kühnen Fahrt, die Kaiserstadt, noch erreicht werden sollte, so durfte man sich keine Stunde mehr besinnen. Zum Unglück für unsere Liebenden traf des »Permissionärs« Bericht, daß für Kurland und Livland der Eingang bereits gestattet, und für St. Petersburg die Konzession so gut wie sicher sei, gerade am Morgen nach der verhängnisvollen Nacht beim fliegenden Hauptquartier des afrikanisch-asiatisch-südamerikanischen Streif- und gestreiften (unfreien) Freikorps ein. Er hinderte durch beschleunigten Marschbefehl nicht nur die zarten Myrtenreiser, die Pierre und Jean in den Boden des nachtwächterlichen Gartens gepflanzt, Wurzeln zu treiben und Blüten anzusetzen für Brautkränze; – er störte auch Antons Verkehr und Umgang mit Laura.

Überall gab es zu tun, zu ordnen, zu bereiten, überall mußten alle Hand anlegen; überall war Madame Simonelli, über allen und auf alles hatte sie die Augen der Gebieterin. Es wurde den Liebenden fast unmöglich, eine ungestörte Minute zu finden, ein vertrautes Wort zu wechseln. Der Wanderer, der halb verdurstend in Staub und Hitze einherzieht, mag wohl nach Labung seufzen; dennoch wandert er auch ohne sie. Reicht ihm aber einen Krug frischen Wassers hin, mit dem Vorbehalt, daß er nur nippen dürfe, laßt ihn einen Zug tun, – und dann seht zu, ob ihr ihm den Krug so leicht entwinden werdet!

Anton, in seinem strengen Rechtlichkeitssinne, unter ländlichen kleinen Erfahrungen und Wahrnehmungen aufgewachsen, noch unbekannt mit vielem, was in minder beschränkten Verhältnissen kleine Kinder durchschauen würden, vorzüglich aber, muß ich hinzufügen, in seiner unschuldvollen Verehrung für alle schönen Frauen, in seinem Köhlerglauben an sie und ihren reinsten Wert, konnte wohl nicht anders, als sich den kürzlich geschilderten Vorgängen zufolge für Lauras Bräutigam halten! für einen verlobten Bräutigam, welchem lediglich der Segen der Kirche noch mangelt, um ein Ehegatte zu sein. Sie hatte ihm gesagt: Ich liebe dich, du mußt mein werden! Was konnte das sonst bedeuten, außer: wir wollen uns heiraten? Ihr ferneres Benehmen hatte diesem Entschlusse mehr als zu deutlich entsprochen. Witwe war sie auch – oder doch von ihrem ersten Gatten getrennt, was ebensoviel heißt. Die bisweilen in ihm aufsteigende Bedenklichkeit, daß sie samt all ihren Reizen doch vielleicht vier bis fünf Jahre länger auf dieser Erde umherwandle, als er, wies er, von ihrer Schönheit entzündet, entschieden zurück.

Aber die Mama? Madame Simonelli? Inwieweit war sie unterrichtet von den Gefühlen ihrer Tochter? Aus welchem Gesichtspunkte sah sie das Verhältnis mit einem ihrer Diener? Darüber täuschte er sich nicht: sie war nicht mehr so freundlich, nicht mehr so mütterlich derb gegen ihn; ihre Artigkeit beschränkte sich auf leere Hinweisungen fürs Geschäft, ohne eine Silbe zutraulichen Geschwätzes. Keine Frage, sie mißbilligte das Verhältnis.

Aus diesen Bedenklichkeiten entstand eine für beide Teile bezeichnende Unterhaltung zwischen ihm und Laura auf der Reise von K. nach Kurland. Man mußte dazumal noch den langen, beschwerlichen und oft gefährlichen Weg am Strande machen. Die plumpen Frachtwagen versanken schier im Flugsande; die Vorspannpferde arbeiteten fürchterlich. Anton war längst zu Fuße gegangen, dem Schneckenzuge leicht einen Vorsprung abgewinnend. Ehe er sich's versah, hatte Laura ihn eingeholt. Die ersten Worte galten der Gegenwart, vielmehr der allernächsten Zukunft. Ein Zusammentreffen im Nachtquartier wurde begehrt und gewährt. Dann wendete Anton sich seinen Besorgnissen zu und teilte ihr mit, was er im Angesicht der Mutter zu lesen glaube. Sie sagte:

»Es ist ihr unlieb, daß ich dich liebe. Ich habe noch nicht mit ihr darüber gesprochen, aber sie verbirgt ihren Unwillen nicht. Gleichviel! Ich kann nicht anders. Seit ich von Amelot getrennt bin, habe ich bei ihr gelebt gleich einem vierzehnjährigen Mädchen, das aus der Pension tritt. Das Herz hat auch seine Rechte. Ich habe lange genug dawider gestritten. Nun will ich leben!«

»Laura«, erwiderte Anton sehr ernst und feierlich, indem er sich Mühe gab, den Amtston des guten Karich nachzuahmen, wie er denselben so oft von der Liebenauer Kanzel vernommen, »das ist jetzt meine Sache. Wenn der Mann zu einem Weibe steht, wie ich zu dir, dann gebietet ihm seine Pflicht, zu handeln! Ich werde morgen mit deiner Mutter sprechen und in aller Form um deine Hand bitten.«

Die eigentliche Bedeutung dieser Anrede war Laura entgangen. Sie hörte nur heraus, daß Anton sich der Mutter entdecken wolle.

»Bist du von Sinnen?« rief sie aus, wobei sie ihre kleinen Füße, im Sande watend, kaum vom Flecke brachte; »bist du völlig wahnsinnig? Du wirst doch nicht so unverschämt sein, der Mutter zu erzählen, daß die Tochter dich erhört hat?«

»Aber, teuerste Freundin«, entgegnete unerschütterlich der jugendliche, unter die Vagabunden geratene Dorfphilister, »muß sie es denn nicht erfahren, wenn wir vor dem Altare stehen?«

»Gott der Götter! est-il bête ce garçon-là! Antoine, ich glaube, dein Protegé, das riesenhafte Faultier, führt mehr Esprit in seinem langschnauzigen, dicken Hirnschädel, als du, Schönster der Schönen! Was predigst du mir da von einem Altare? Du glaubst, Madame Laura Amelot, Tochter der reichen Simonelli, wolle Madame Antoine werden? Madame Gamin de Liebenau? Süßer Junge, in welchem Märchenlande, aus welchem fabelhaften Gewässer hast du solche Träume herausgefischt? Das kann niemals geschehen. Das ist ebenso unmöglich, wie es mir unmöglich, noch länger in diesem Sande zu schwimmen, meine Schuhe sind voll davon, zum Ertrinken. Wir wollen die Wagen erwarten; bleibe stehen! Und vernimm in aller Eile noch dies: wärest du, wie du zur Stunde unser Diener bist, der reichste Prinz aus Moskau, ich könnte nie und nimmermehr deine Gemahlin sein, denn ich bin verheiratet. Zwar lebe ich getrennt von meinem Gatten, der ein perfides Ungeheuer ist mit all seinem Talent, hasse ihn bei all seiner Liebenswürdigkeit, wie ich dich liebe in all deiner Dummheit. Aber ich bin katholisch – und eine katholische Ehe kann nicht gelöst werden. Merke dir das, Teufelsbraten von einem Ketzer! Mich verbrennen zu lassen, weil ich einen zweiten Mann nahm, während der erste noch am Leben ist, trage ich kein Verlangen. Brennt mich doch schon heftig genug das Feuer für dich, das in mir wütet. – Die Wagen sind da. Heute zur Nacht, mag es nun geschehen, wie es und wo es wolle, müssen wir uns finden. Sei wach, aufmerksam, und wenn es dir möglich ist, sei nicht dumm. Ich will dich belohnen. Adieu!«

Anton half ihr in die Kutsche. Beleidigtes Ehrgefühl, gewissenhafte Sittsamkeit, Bewußtsein niedriger, unwürdiger Stellung, Groll gegen sie und sich schwellten ihm den Busen. Doch wie sie beim Einsteigen in den Wagen Gelegenheit suchte und fand, seine Hand zu ergreifen, sie zu drücken, an ihr Herz zu pressen, ... da versanken jene grollenden Gewalten in die Tiefen der See, welche am Pfade wogte, und er vernahm nur noch: »Heute nacht! – Wir müssen uns finden! – Ich will dich belohnen!«


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