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Zweiundsiebzigstes Kapitel

Zweimal schon im Laufe dieser Erzählung haben wir Anton, unseren Helden, vom Krankenlager sich erheben sehen und mit unseren guten Wünschen ins neue Streben und Leben begleitet. Heute, wo er zum drittenmal vom Tode ersteht, nimmt er selbst so geringe Hoffnungen, so anspruchslose Erwartungen auf seine kleine Reise mit, daß wir uns bedenklich fragen müssen, läuft es darauf hinaus? Ist der arme Junge darum so unsanft hin und hergeworfen worden, hat er darum so viel erlebt, geirrt, gelitten, daß er am Ende aller Enden sich glücklich schätzen muß, nur wieder einkriechen zu dürfen, von wo er ausging? Sollen die Erfahrungen, die er gemacht, die Bildung, die er gewonnen, die Kenntnisse, die er sich erwarb, – soll das alles nur vorhanden sein, damit er in seiner Großmutter niederer Hütte Körbe flechte – eine Beschäftigung, die ihm vor sechs Jahren, wo er in voller Übung war, unzweifelhaft besser gelang, als sie ihm jetzt gelingen wird?

Und doch, wir müssen es eingestehen, was bleibt ihm übrig? Tut er nicht am besten, sich in stille Vergessenheit zu flüchten, dem Leben zu entweichen und dem Lärm des Lebens? Scheint er nicht vom Schicksal dazu bestimmt, jeder Hoffnung entsagen zu müssen? Verfolgt ihn das Unglück nicht bei jedem Schritt, den er, vom Glücke gelockt und getäuscht, zu unternehmen wagte? Immer besser, daß er auf der kleinen Erdscholle, die er sein nennt, das langsam hinwelkende, leblose Leben einer verkümmernden Pflanze durchmache, als daß er, aufs neue in gefährliche Konflikte gebracht, ihnen unterliege und ein schmachvolles Ende nehme.

Ja, ich verstehe seine Sehnsucht nach Liebenau, nach seinem Häuschen, nach Einsamkeit! Ich begreife seinen Überdruß an allem, was Menschen heißt und Welt und Leben! Ich höre deutlich den Widerhall eines Liedchens, das er summte und sang, während er, noch matt und schwach, sein Bündel schnürte, und dessen letzte Zeile sich immer wiederholte:

»Bin müde, bin müde, laß schlafen mich gehen!«

Schkramprl hatte ihm bereits Lebewohl gesagt, und er hatte nur flüchtigen Abschied genommen, unter dem Vorwande, daß unzählige Bestellungen und Einladungen ihn riefen, daß Milliarden von Ratten und Mäusen, dem Verderben geweiht, seiner mystischen Todesurteile harrten. Anton aber war der Meinung, daß dieser Vorwand eben nur ein Vorwand sei, durch den der gutmütige Riese ferneren Danksagungen, vorzüglich jedoch der ihm zugedachten Entschädigung oder Belohnung habe entgehen wollen. »Ein zartfühlender, großmütiger Rattenfänger! Vielleicht kann ich's ihm doch dereinst vergelten, was er für mich getan. Vielleicht sucht er mein Häuschen auf, um darin zu sterben!«

Der Förster und seine Burschen begleiteten Anton bis an ihres Waldes Grenzen. Seit den letzten Tagen wollte es ihn bedünken, wie wenn sein Gastgeber ein anderes Wesen gegen ihn angenommen hätte, als derselbe während der verflossenen zwei Monate an den Tag gelegt. Und jetzt auf dem Wege durch den Wald trat diese Veränderung unverkennbar hervor. Die derbe, treuherzige Freundlichkeit eines von eigener Amtswürde überzeugten Beamten war verschwunden, an ihre Stelle eine fast verlegene Artigkeit getreten, die sich bei wiederholten Ausbrüchen von Antons Dankgefühl nicht mehr an grobe Zurückweisung desselben wagte, sondern ein verbindlich ablehnendes Schweigen entgegenstellte. Auf sein dringendes Befragen, ob man ihm zürne, wurden dunkle, unverständliche Andeutungen erwidert, die von »wunderbaren Verhältnissen« sprachen und zuletzt befürchten ließen, sein Besuch beim Grafen von Erlenstein könne den Bewohnern des Forsthauses kundgeworden sein. Deshalb gab er ferneres Befragen auf, stattete nochmals den innigsten Dank für alle Wohltaten ab und schied von dem wackeren Förster, der sich scheidend »seiner Gunst« empfahl.

»Meiner Gunst? – Entweder mein guter, alter Gönner hat heute früh zu tief in sein Fläschchen geguckt, – oder Schkramprl, der Schelm, hat einen seiner schlechten Späße gemacht und den leichtgläubigen Waldmännern aufgebunden, sie beherbergten einen Prinzen, der inkognito reisen will. So etwas sieht ihm ähnlich, dem langen Ungetüm!«

Und er wanderte rüstig fort in den blühenden Sommer hinein. Er vergaß, daß er so lange Bett und Zimmer gehütet, daß er nur kleine Gänge zur Probe unternommen hatte. Ihn trieb die Ungeduld nach Liebenau, trieb ihn zurück in die alten, halb vergessenen, eben deshalb mit jungem Lebensdufte in seiner Seele aufblühenden Tage der Kindheit, wie wenn es in seiner Macht stände, wieder ein Kind zu werden, die Ansprüche, die er an sich, an seine Umgebungen stellen gelernt, aufzugeben, an den Nagel zu hängen, wo sein Knabenjäckchen hing, und wo nun sein Reiseranzen hängen soll.

Armer Anton! Weißt du denn nicht, daß du jenen Räumen entwachsen bist, entwachsen auf jede Weise? Deinem männlich ausgebildeten, schlanken Körper wird der Großmutter Stübchen ein Kerker sein, und deine Seele, die jetzt nur Ruhe träumt, wird sich an dieses Kerkers Wänden schwer verletzen, sobald sie wieder sich zu regen beginnt, dem bunten Schmetterlinge ähnlich, der mit ängstlichem Geflatter an eines Fensters Glasscheiben den feinen Farbenduft von seinen Fittichen streift! Warum eilst du so sehr deinem Grabe entgegen, dem Grabe deiner Jugend, deiner doch lange nicht besiegten Lebenslust?

Und er wanderte rüstig fort, bis er dieser unzeitigen Anstrengung unterlag. Nur mit dem letzten Aufgebot seiner ganz erschöpften Kräfte erreichte er noch das kleine Städtchen St., etwa zwei und eine halbe Meile von Liebenau entfernt, nach seiner Berechnung. Dort mußte er liegen bleiben; nicht etwa, wie seine Absicht gewesen, über Nacht, um des anderen Tages sein Ziel zu erreichen, sondern wirklich, wie ein Kranker unterwegs liegen bleibt, eines Arztes bedürftig. Er nahm ein kühles Zimmer im schlichten Gasthofe, machte sich's bequem und war gerade im Begriff, nach einem Diener zu rufen, der ihm den »Herrn Doktor« herbeischaffen möge, als die Stubentür sich langsam öffnete und Schkramprls kleiner Peterl mit listigen Augen hereinschielte.

»So habe ich mich doch nicht getäuscht, da ich unterwegs dich einigemal vor und neben mir zu erblicken glaubte!« rief Anton aus: »Zum Teufel, Junge, wo kommst du her?«

»Mein Herr hat in der Gegend zu tun, und weil wir im Forsthause, wo er Euch noch einmal zu sprechen wünschte, erfahren, daß Ihr schon aufgebrochen seid, und weil er selbst keine Zeit mehr hatte, hieß er mich Euch nachlaufen und mich erkundigen, wie's mit der Gesundheit steht. Aber Ihr habt so lange Schritte gemacht, daß ich mit meinen kurzen, dicken Beinen kaum folgen konnte. Nun bin ich da und soll nur fragen, ob Ihr was bedürft.«

»Dein Herr ist ein großer Narr, Peterl, aber daneben der uneigennützigste, treueste Freund, den Gott belohnen möge. Und du bist ein braver Bursch. Geh, mein Sohn, forsche nach dem besten Arzt im Städtchen, und sollte es nur einen besitzen, so ist dieser gewiß der beste; den bringe mir. Denn mir ist gar nicht gut, und ich möchte doch frisch und gesund in meiner Heimat eintreffen.«

»Das hat der Herr gleich gesagt, daß Ihr Euch übernehmen werdet; deshalb hat er mich auf die Lauer geschickt. Habt keine Sorge; ich bestelle den Arzt, und dann folge ich dem Herrn und bringe ihm Nachricht.«

Damit verschwand Peterl, der wohlgenährte.

Bald erschien ein Arzt, der verständig genug des Kranken Übelbefinden für das erkannte, was es war, ihm ein laues Fußbad verordnete, einfache niederschlagende Mittel verschrieb, für einige Tage Ruhe anempfahl und baldigen Wiederbesuch versprach; dies alles in einer Weise, wie wenn er den Patienten kenne und ihn, im voraus schon von seiner Ankunft unterrichtet, erwartet habe.

»Gott mag wissen, was das wieder bedeutet!« sagte Anton, während er sein Nachtlager bestieg; »bald werde ich mir vorkommen wie die Hauptperson eines recht unnatürlichen Romans, die überall beobachtet, verfolgt, begleitet, überwacht, als Mittel für unbekannte Zwecke benützt wird, ohne jemals zu erfahren, was mit ihr geschieht. Es gibt solche Romane, und wenn ich vom Geschick ausersehen war, einen solchen mit mir spielen zu lassen, bedauere ich nur, daß der Beginn sich bis jetzt verspätet hat, wo ich auf dem nächsten Wege nach Hause mich befinde. Romantik wäre mir dienlich und lieb gewesen, da mir der Versucher vom Eichberg herab die Schätze des Landes zeigte; von nun an muß ich mir die Romantik vom Halse halten und die Romane. – Aber was zerbreche ich mir den schwachen Kopf mit Mutmaßungen, wenn ich die Lösung zur Hand habe? Schkramprl hat sich wieder ein Späßchen gemacht; sein Bote war es ja, der den Arzt herbeirief. Ja, ja, Schkramprl ist ein seltener Freund, – aber ein großer Narr!«

Diese Wahrheit wiegte unseren ermatteten Freund in Schlaf.

Doch schon mit dem frühen Morgen wurde er aufgeweckt durch seltsame Töne im benachbarten Zimmer, von denen er, noch schlaftrunken, anfänglich kaum zu unterscheiden vermochte, welchem Gebiete der Tierkunde jenes Wesen angehören dürfte, dem sie entstiegen. Es war dabei im Spiele das Gepfeife des Stares, das Gekrächz des Raben, das Geblök des Esels, das Meckern des Ziegenbocks, das Gestöhn der Unke und das Gebell des Hundes. Erst nachdem der Halberwachte hin und wieder einzelne Worte, dann sogar ganze Sätze verstand, die alten Freunden gleich sein Gedächtnis mahnten, fing er zu begreifen an, daß er sich eines Nachbars erfreue, der mit allen Modulationen des umfassendsten Sprechorganes deklamatorische Morgenübungen anstelle.

Schiller ward nicht geschont, Tiedge heftig gemißhandelt, Kosegarten mußte mit einigen Naturschilderungen herhalten, A. W. Schlegels Arion lieferte einen großmütigen Delphin, durch den Anton an Herrn Zaras Robbe erinnert wurde; sogar die Braut von Korinth stieg aus ihrem Grabe und wollte nicht weichen, bis das Geklapper des Kaffeegeschirres sie vertrieb, wo sie verstummte vor der Dienstmagd des Gasthauses. Letztere stellte sich denn auch bald bei Anton ein, nach seinen Bedürfnissen zu forschen; auf sein Befragen vernahm er aus ihrem Munde, daß sein Nachbar ein sogenannter »Theeclamuter« sei, der heute allhier in St. eine »Sauaree« veranstalten werde, zu der sich sämtliche Honoratioren einfinden, auch viele Gutsbesitzerfamilien aus der Nachbarschaft erscheinen würden.

»Wieder eine Sorte von Vagabunden, die mir noch nicht begegnet ist«, sagte Anton. »Ein reisender Deklamator. Nach dem Pröbchen zu urteilen, wie es durch die Wände zu mir drang, muß er ein gewaltiger Künstler sein, denn von Natur war nichts zu spüren, während er sich übte. Aber ich will ihn hören heute abend. An Weitergehen ist bei meiner Mattigkeit noch nicht zu denken; so mag dies die letzte öffentliche Schaustellung sein, der ich noch beiwohne, bevor ich mich wieder hinter meine Körbe verschanze. Gewiß, ich will ihn hören – und sein Publikum sehen.«

Der Arzt, der womöglich noch artiger auftrat, als gestern, billigte Antons Vorsatz, mindestens noch einen Tag der gemächlichsten Ruhe zu widmen, und fragte ihn, was für einer Gelegenheit er sich später bedienen wolle, um weiter zu reisen.

»Dieser hier«, antwortete Anton, indem er auf seine Füße zeigte.

Der Arzt lächelte pfiffig vor sich hin und meinte, der Posthalter besitze eine sehr bequeme gelbe Chaise in guten Federn.

»Kann sein«, entgegnete Anton, »aber ich habe nicht so viel Geld übrig, um mit Extrapost zu fahren.«

»Erwarten vielleicht eigene Gelegenheit?«

»Habe sie schon, Herr Doktor, wie gesagt; habe sie schon in diesen Beinen.«

»Belieben zu scherzen!«

»Herr, was wollen Sie mit Ihren Andeutungen, mit diesen versteckten Winken? Halten Sie mich für etwas anderes als ich bin, das heißt, für etwas anderes als einen armen, hergelaufenen Burschen, der, jeder Eitelkeit und jedem Anspruch entfliehend, die niedere Hütte seiner Heimat aufsucht, so sind Sie im Irrtum. Ich bin ein Korbflechter, der Arbeit braucht, und wenn Sie in Ihrer Wirtschaft zerbrochene Körbe haben, die ich ausbessern kann, dann lassen Sie mich Ihr Honorar für ärztliche Bemühungen abarbeiten; Sie sollen sehen, wie ich es ernstlich meine.«

Der Arzt wurde stutzig. Die innerste Überzeugung in Antons Worten fing an, ihn irrezumachen. Schon stand er im Begriff, sich auf Erklärungen einzulassen, da ging die Stubentür auf, eine abenteuerlich aufgetakelte Frauensperson trat ein; sie begann mit feierlich tremulierender Stimme:

»Der Ruf Ihrer Huld, gnädiger Herr, dringt, rosenduftigen Zephiren gleich, in die Laubengewinde der Kunst, deren Priester mit wonnereicher Zuversicht erlabend; so drang er auch zu uns, und von ihm ermutigt, sendet mein Gatte, der, angegriffen von den erschütternden Morgenstudien, einer notwendigen Schlummerstunde sich hingibt, mich, die liebende Gattin, mit diesem Programm zu Ihnen, um Sie einzuladen, daß Sie ihm heute abend Ihrer Gegenwart Ehre gönnen mögen. Obwohl parteiisch für ihn – und wehe der Gattin, die es nicht wäre für den Gefährten ihres Lebens – darf ich doch ohne Parteilichkeit behaupten, daß er das Überschwengliche leistet als deutscher Kunstredner, als Veredler heiligster Gefühle, als Verbreiter poetischer Schönheiten. Leider noch sind die Behörden, deren Sorgfalt öffentliche Geschmacksbildung anvertraut wurde, tief im Dunkel über die Verdienste meines Gatten; leider noch muß er als Begünstigung von einzelnen Schulvorstehern erbitten, daß sie ihm erlauben, die junge Welt durch seiner Donnertöne Gewalt zu erschüttern, wofür jeder Zuhörer die geringe Summe von zwei Groschen entrichtet, während alle Biersiedler besser bezahlt werden. Aber lange kann das nicht mehr dauern. Wir reisen jetzt nach der Residenz; dringende Empfehlungen werden bewirken, daß mein Gatte, mein Mortimer, bei Hofe deklamiere, und dann, – o nein, – lang lebe der König, es freue sich, was oben atmet im rosigen Licht, – nein, dann kann es nicht fehlen, daß ihm Auszeichnung, Belohnung und Rang zuteil werden; er wird, ich zweifle nicht, – festgemauert in der Erden steht mein Glaube – eine Anstellung erhalten als königlicher Kunstredner und wirklicher Obergefühlsveredler für Gymnasien und Bürgerschulen. Um dies zu erreichen, um in der stolzen Residenz unserer würdig auftreten zu können, machen wir gegenwärtige Kunstreise und rechnen auf Mäzene, die Ihnen ähnlich, gnädiger Herr – ...«

»Madame«, unterbrach sie Anton, »es war ohnedies mein Wille, das Deklamatorium dieses Abends zu besuchen; und ich hoffe, ich werde dies dürfen, ohne die Titel zu führen, mit denen Ihre freiwillige Einbildungskraft mich schmückt. Gewiß werde ich mich einstellen und mein Scherflein zu Ihrer glorreichen Ausstattung für die Residenz um so sicherer beitragen, als wir alte Bekannte sind.«

»Wäre es möglich? Hätten die Schlangenwindungen meiner Laufbahn die Ihrige schon einmal durchkreuzt?«

»Ich glaube nicht zu irren, wenn ich mir die Freiheit nehme, Sie an einen jungen Burschen zu erinnern, dessen Wäsche Ihrer besonderen Sorgfalt sich erfreuen durfte, während er als Diener in einer Menagerie angestellt war. Oder sollte die alte, berühmte Stadt D. nicht das Glück haben, Ihre Vaterstadt zu sein?«

Madame wurde feuerrot, stammelte sehr verlegen die Versicherung heraus, daß sie niemals in D. gewesen sei, daß es täuschende Ähnlichkeiten gäbe, daß ihr Gemahl sie erwarte usw. Dann warf sie noch einen prüfenden Blick auf den »gnädigen Herrn«, schien sich des ehemaligen Antoine bei Madame Simonelli wirklich zu erinnern und eilte beschämt in die Arme ihres Mortimer.

Der Arzt, offenbar stutzig gemacht in seinen zuversichtlichen Voraussetzungen, wußte doch nicht recht, wie er einen Menageriewärter, der die an einen gefühlsveredelnden Kunstredner verehelichte Wäscherin aus D. kannte und von ihr gekannt wurde, mit dem geheimnisvollen Kranken in eins verflechten solle, dem er Ehrfurcht gezollt, und zog sich, nachdem er seine Ratschläge bestens wiederholt und ein Honorar empfangen hatte, ebenfalls vom Schauplatze zurück.

Doch so gut war es nicht gemeint, daß Anton deshalb sich ungestört ersehnter Einsamkeit, ernstem Nachsinnen hätte hingeben dürfen. Bald meldete sich ein reisender Porträtmaler, der ebenfalls auf den »gnädigen Herrn Baron« spekulierte, über dessen Anrede sich aber der Angeredete nicht mehr ärgerte, weil er nun außer Zweifel war, daß Peterl, um wie ein würdiger Schüler Schkramprls auf- und abzutreten, ihn geadelt habe.

Der Maler kündigte sich mit eigenem Munde als »liederliches Genie« an. »Ich weiß«, so äußerte er sich gleich bei seinem Eintritt, »es muß übles Vorurteil erwecken, wenn der Künstler sich in den Kneipen kleiner Städte Durchreisenden anbietet; der Fremde ist berechtigt, einen Kleckser zu erwarten, einen talentlosen Pfuscher, unfähig, an größeren Orten mit Ehren zu bestehen. Ich bin eine Ausnahme. Ich meide große Städte, nicht weil ich den Vergleich mit anderen Porträtmalern fürchten müßte, sondern lediglich deshalb, weil es mich anekelt, mit ihren Anmaßungen und Prahlereien in die Schranken zu treten. Diese geleckten und geschleckten Pinsel, die vierundzwanzig Sitzungen brauchen für ein langweiliges Ölbild, das sie gut gemalt nennen, in dem aber sogar der eigene Hund seinen Gebieter nicht wiedererkennt, es vielmehr anbellt wie den Mann im Monde, wohnen in schönen, möblierten Zimmern, haben Ateliers, seidene Schlafröcke, geben vor, Historienmaler zu sein, lassen sich mitunter Professoren schimpfen, bilden Schüler und heißen Akademiker. Mir sind diese Scharlatanerien zuwider. – Ich halte – da nun einmal die großen Meister Todes verblichen, um nicht wieder aufzustehen – keinen von uns Lebenden für würdig, Bilder zu malen mit der Anmaßung auf lange Dauer; halte kein Gesicht, wie sie jetzt herumlaufen, für würdig, mit dem Anspruch auf Verewigung konterfeit zu werden, bin vielmehr der Meinung, unsere miserable Gegenwart solle sich mit der Gegenwart begnügen, dem Augenblick sein Recht tun und damit basta! Deshalb male ich in Wasserfarben, frisch, bunt, keck, aber rasch, in fünfundvierzig Minuten; dabei treffe ich wie aus dem Spiegel gestohlen. Wenn ein jugendliches Antlitz, wie das Ihrige, sich auf meinem Bildchen erblickt, freut es sich über sich selbst, verschenkt sich mit Lust und hat den Trost, nach einigen Jahren, wo dem Original die Jugend und Schönheit zu entweichen beginnt, keine niederschlagenden Vergleiche mehr zu fürchten, denn bis dahin ist meine Malerei längst an Luft und Sonne verblichen, verlöscht, unkenntlich geworden. Folglich triumphiert das Original über die Kopie. Wie gefällt Ihnen das? Drei Taler zahlt der Plebs, Standespersonen zahlen nach Belieben. Nehmen Sie Platz, setzen wir uns, Sie bleiben auch sitzend in meinen Augen eine Standesperson.«

»Ich bin noch niemals porträtiert worden«, antwortete Anton, »und wenn auch meine Kasse ungleich mehr der dünnen Börse des fußwandernden Handwerksburschen als der eisernen Schatulle einer reisenden Standesperson ähnelt, möchte ich doch, pour la rareté du fait, Ihren Pinsel in Anspruch nehmen. Legen Sie, bitte ich, das Bildchen so klein als möglich an, damit es ...«

»In Briefform versendet werden könne? Verstehe! Ein Wort genügt. Nur bitte ich um fünfzehn Minuten mehr als akkordiert war. In einer Stunde sind Sie erlöst. – So, dies Blatt wird passend sein. Unten eines Fingers Breite leerer Raum, damit etliche Worte darunter geschrieben werden können, nicht wahr? O, ich kenne mein Handwerk. Sie waren krank, will mich bedünken. Angenehme, schmachtende Blässe, sehnsüchtige Hingebung! Ich spare an teurer roter Gesichtsfarbe. Die Augen sind die Hauptsache bei Ihnen. Wissen Sie, daß Sie wunderbar schöne Augen führen, Herr Baron? Viel zu tief, viel zu geistreich für einen Baron.«

»Der Teufel ist ein Baron, Herr!«

»Ich weiß, ich weiß, ich kenne meinen Goethe so gut wie mein Handwerk. Der Teufel ist Baron: ›Sieh' her, das Wappen, das ich führe‹, es steht fest, jeder Teufel von einiger Bedeutung muß Baron sein, sonst wäre er nicht hoffähig in der Hölle: aber nicht jeder Baron ist umgekehrt ein Teufel, wie der Augenschein lehrt.«

»Sie könnten mir einen Dienst erweisen, Bester, wenn Sie mir ehrlich sagen wollten, wer Ihnen gesagt hat, daß es ein Baronsangesicht sei, dem Sie gegenwärtig Aufmerksamkeit widmen.«

»Wer? Je nun, er; Ihr Diener, Ihr Heiduck, Ihr Leibriese; der alte Mann mit der jugendlichen Quäkstimme; er sandte mich zu Ihnen.«

»Schkramprl! Der Kerl ist toll.«

»Doch wohl nur bei Nordnordwest? Wenn der Wind südlich ist, kann er einen vornehmen Herrn von einem Vagabunden unterscheiden.«

»Sie sind mir zu gelehrt, Herr Maler.«

»Shakespeare – Hamlet!«

»Schon recht. Schkramprl ist ein Schlingel, der sich schlechte Späße mit mir erlaubt, und seinem Pagen Peterl will ich die Ohren abreißen, wenn er mir noch einmal in die Hände gerät.«

»Welche Jammertöne in Ihrer Nachbarschaft!«

»Ein reisender Deklamator, der sich für heute abend übt. Kennen Sie seine Gemahlin?«

»Ihn und sie! Das edle Paar wirkte jenseits des Wassers – ich meine auf der polnischen Seite – bei einer reisenden Schauspielertruppe mit, wo ich sie mehrmals bewundert habe. Die Truppe hat sich aufgelöst infolge innerlicher Zersetzung. Herr Mortimer treibt sein Wesen selbständig fort. Hören Sie nur, wie er's treibt!?«

»Und die Gattin? Gibt sie den Hörern nichts zum besten?«

»Sie sitzt an der Kasse. – Mein Himmel, lieber Baron, – bitte die Augen ein wenig nach oben! – Wir wollen alle leben; der eine gut, der andere schlecht. Sie begreifen das nicht. Aber ich ... wahrhaftig, mir ist sogar ein solcher Deklamator begreiflich; das heißt von seiner Seite, weniger von der Seite derer, die sich einstellen, ihn zu hören.«

»Und gibt es deren?«

»Es gibt deren. Glauben Sie mir, bei der Mehrzahl jener zweibeinigen Geschöpfe, die sich das Recht anmaßen, Menschen genannt zu werden, kommt es nur darauf an, sie einzuschüchtern, ihnen frech entgegenzutreten, sie in Grund und Boden zu sprechen. Geschmack, eigenen, selbständigen Geschmack besitzen und üben die wenigsten; sogar unter denen, die sich für gebildete Leute halten, ist er selten. Das kommt einem rohen, unverschämten Lümmel von Ihres Nachbars Gattung zugute. Er redet ihnen ein, daß er ein Kunstredner sei, und niemand fragt, ob es wahr ist. Die Zeit wird ihnen freilich fürchterlich lang während solchen Deklamatoriums, aber ich fürchte, sie würde ihnen noch länger werden, wenn der Mann wirklich gut, einfach und natürlich vortrüge, während er jetzt gerade das Gegenteil tut. Ich habe gefunden, daß verhältnismäßig alles Niedere, Schlechte, Gemeine auf Erden die beste Aufnahme findet.«

»Das ist aber eine traurige Ansicht von der Welt und gar für einen Künstler.«

»Die Welt ist auch nicht lustig, Herr Baron; ich finde sie sehr traurig für einen Künstler; warum soll ich sie nicht traurig ansehen? Das heißt: warum soll ich nicht eine traurige Ansicht von ihr hegen, vorausgesetzt, daß diese Ansicht meiner Fröhlichkeit keinen Eintrag tut? Und das tut sie nicht; denn ich bin immer guter Dinge, sogar dann, wenn ich kein Geld habe. Das will viel sagen, wie? Doch das kennen Sie nicht.«

Anton brach in ein so herzliches Lachen über diese Behauptung aus, daß der Maler ihn dringend ersuchen mußte, seinen Bewegungen Einhalt zu tun. »Es wird ohnedies bald überstanden sein«, setzte er hinzu.

Auch war die erbetene Stunde kaum verstrichen, als ein handgroßes, heiteres Bildchen vollendet war, dem nur ein Blinder den Vorzug lebendigster Ähnlichkeit hätte absprechen können. Natürlich war es nur skizziert, aber so sicher und fest stand es da ... man konnte nichts Vollendeteres in dieser hingeworfenen Manier denken.

»Wie leid tut es mir«, sagte Anton, »daß ich nicht bin, wofür mich zu halten Ihnen beliebte. Ich würde dies reizende Spiel Ihrer geschickten Hand mit Goldstücken bedecken, um Sie würdig zu bezahlen. Aber wahrlich, wenn ich Ihnen entrichte, was Sie vorhin Ihren feststehenden Preis nannten, so empfangen Sie gerade die Hälfte meines Kapitals.«

»Und bin damit zufrieden, – ohne jedoch der Großmut Hindernisse in den Weg werfen zu wollen. Lassen Sie uns einen Vertrag schließen. Heute über ein Jahr, oder später, wie mich der Wind treibt, besuche ich Sie auf Ihrer Besitzung und hole mir die Summe nachträglich ab, deren Sie mein flüchtiges Talent heute würdig fanden. Sind Sie damit einverstanden? Ja? So empfehle ich mich und wandle fürbaß, denn ich habe noch einige heimische Bürgertöchterangesichter zu liefern. Also, auf Wiedersehen in Liebenau!«


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