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Siebenundvierzigstes Kapitel

Die meisten Spieler von Profession, mögen sie noch so erpicht sein auf baren Gewinn, mögen sie, schäbigen Wucherern gleich oder hungernden Geizhälsen, sich am Glanze des Goldes letzen, sind mehr oder weniger doch Verschwender, Schwelger, Schlemmer, jeder frivolen Laune des Augenblicks frönend. Selten findet sich einer, der schlau genug berechnete, seiner Zukunft zu gedenken und wenigstens etwas von dem mit Todesschweißen und Angstblut befleckten Raube in Sicherheit zu bringen. Ein solcher gehörte zu Theodors Umgebung. Der größte Teil der Summen, die letzterer verlor, – denn durch große Verluste erkaufte seine Torheit das beklagenswerte Glück, mit Rittern vom Stegreife durch dick und dünn reiten zu dürfen, – wanderte in die tiefen Taschen des Herrn von Zwack; unter seinesgleichen nur der »Wohltäter« geheißen. Diesen tugendhaften Beinamen verdankte er der Herzlosigkeit, der eisigen Kälte und Grausamkeit, womit er die Verzweiflung unglücklicher Schlachtopfer zu belächeln pflegte, denen, wenn sie aus seinen kunstfertigen Händen kamen, gewöhnlich nur die Wahl blieb zwischen Arbeitshaus und Selbstmord. Dieser Wohltäter der Menschheit konnte, wie Rosenkranz nicht ohne Güldenstern und Güldenstern nicht ohne Rosenkranz, so nicht ohne Herrn von Schmutzel gedacht werden; sie ergänzten sich gegenseitig auf ihren Kunstreisen. Und wie zwei Personen jenes Kalibers in Shakespeares Augen dazu erforderlich schienen, einen faden Hofkavalier abzugeben, so gehörten zwei ganze Schurken zusammen, um nach Wohltäters Meinung einen vollständigen Kavalier der Industrie zu bilden. Er lieferte das vollwangige, rote, mild lächelnde Vertrauen einflößende Biedermannsgesicht; Schmutzel seinerseits gab den derben, kräftigen, soldatischen Vertreter bei allen Ehrensachen und Schandehändeln. Der Wohltäter handhabte die Karten, Herr von Schmutzel führte die Pistolen, wenn vielleicht ein Voreiliger naseweis genug gewesen sein sollte, sich zu verwundern, daß die Karten immer fielen, wie sie fallen sollten!

Den größten Beweis, wie sehr Wohltäter seinen erhabenen Ruf und Beinamen verdiente, gab wohl die innige Verbindung mit Theodor, dem sie eingeredet, er sei ihr Kompagnon; den sie auch wirklich, wenn es die Börsen anderer sogenannter »Lämmer« galt, bedeutende Summen gewinnen ließen, wodurch sie seiner albernen Eitelkeit schmeichelten; doch dieses nur, um ihm später noch bedeutendere wieder abzunehmen, sobald sie »unter sich« waren und ein kleines freundschaftliches Spiel zur Erholung vom »ernsten Geschäft« spielten.

Wie weit Bärbel die Wahrheit durchschaute, wissen wir nicht. Ihr genügte daran, mit beiden Händen im Golde zu wühlen, jede ihrer kostbaren Launen befriedigen zu können.

Seitdem nun endlich Anton der Ihrige war, bekümmerte sie sich um gar nichts mehr, als nur um fein ersonnene Gelegenheiten, so oft wie möglich mit ihm zusammen zu sein, wäre es auch auf Viertelstunden, und versäumte von nun an nichts bei Theodor, was weibliche List erfinden mag, einen betrogenen Mann in dauernder Blindheit zu erhalten.

Anton, durch neue Genüsse, durch ungewohnten Luxus, durch Überfluß und Üppigkeit eingewiegt, ließ auch sein Selbstbewußtsein schlummern. Manchmal wohl überkam ihn eine Ahnung von der Schmach solches Daseins – doch es blieb bei der Ahnung; denn bevor noch klare Einsicht daraus werden konnte, hatten Bärbels Liebkosungen Ahnung und Mahnung schon wieder verscheucht.

Monate vergingen. –

Monate, auf die unser Freund gar bald mit Schauder zurücksehen wird, wenn die schwellenden Blütenkränze, in deren betäubendem Duft sein Gewissen, sein Ehre, sein Rechtlichkeitsgefühl verstummten, verblühend abgeblättert sind, und er entdeckt, daß es Giftblumen waren, die sich zum Kranz um Schlangen gewunden.

Jetzt noch täuscht, belügt er sich selbst. Er spottet seiner sentimentalen Sehnsucht nach Adele; er nennt sich einen Toren, weil er Käthchens Frieden geschont; er macht sich Vorwürfe, daß er sich jemals von dankbarer Treue für Laura zurückhalten ließ, daneben andere Bekanntschaften zu benützen, die man ihm darbot; – und seiner Großmutter gedenkt er gar nicht mehr; wenigstens bemüht er sich, ihrer nicht zu gedenken; dämmert jedoch ihr Bild unwillkürlich in seiner Seele auf, dann scheucht er es ängstlich, hastig zurück, indem er voll Zorn über sich selbst ausruft: was soll mir das? Sie war alt, und alte Leute müssen sterben!

Der Wohltäter, Schmutzel, deren Gesellen, auch Theodor wissen ihn sehr zu schätzen. Er ist für ihre Zwecke von hohem Wert. Denn wie tief er auch schon versunken, wie groß der Abstand sein mag zwischen dem sogenannten Baron de la Vannière und jenem Antoine, der in Vlämerts Wachsfigurenkabinett das blonde Käthchen dem biederen Gatten wieder zuführte ... immer noch ist genug übriggeblieben und vorhanden von unserem ehrlichen, naturfrommen Anton aus Liebenau, daß er zwischen jenen Menschen sich ausnahm wie zwischen Dohlen und Raben die weiße Taube. Die Jugendfrische kindlicher Unschuld spricht freilich aus seinen Zügen nicht mehr; – aber noch künden sie ein reines, nur verirrtes Herz; noch wecken sie Vertrauen, fordern zu gläubiger Freundschaft auf. Und deshalb, – es ist fürchterlich zu denken, – deshalb hielten die Spieler ihn wert. Nicht etwa, um Geld von ihm zu gewinnen: darum war es ihnen nicht. Wenn sie schon nicht argwöhnen konnten, Theodor am wenigsten, es sei des letzteren Kasse, aus welcher der Baron den Baron beziehe, hatten sie doch bald eingesehen, bei ihm sei nicht viel zu holen. Folglich spielten sie mit ihm gar nicht, forderten ihn gar nicht dazu auf. Sie wollten nur seine Person um sich haben; sein Äußeres, seine bescheidene Anmut waren für sie das Aushängeschild, womit sie junge Fremdlinge, denen das Pariser Steinpflaster unter den Füßen und ihre Mutterpfennige in den Taschen brannten, und die ihnen der Mühe wert schienen, anzulocken suchten. Der Baron machte leicht Bekanntschaften, führte diese ihnen zu, ohne zu überlegen, was er tat. Und wenn die Ärmsten, dem liebenswürdigen, treuherzigen Jünglinge vertrauend, in die Raubhöhle abgeliefert waren, bemächtigte sich seiner jene Zauberin, die, dort waltend, im stillen ihr Wesen trieb. Einmal beim Kartenspiele vergaß Theodor alles, sogar Bärbels Reize, und Bärbel benützte jede Stunde für sich und ihre Zwecke.

Nur ausnahmsweise geschah es, daß bei Theodor auch Damen gesehen wurden. Bärbel liebte das nicht. »Denn«, äußerte sie ganz richtig gegen Anton, »auf wen können wir rechnen? Nur auf meinesgleichen! Und meinesgleichen macht sich nicht besonders gut in großer Gesellschaft. Wir sind besser unter uns. Nicht wahr, Anton?«

Desto häufiger wurden kleine Soupers gegeben, bei denen sie als Frau vom Hause unter lauter Männern präsidierte. Sie verstand, was bei ihrem Herkommen überrascht und für ihren Verstand Zeugnis gibt, mit sicherem Takte zu verhindern, daß die Tischgespräche der Herren aus dem Zweideutigen ins Unzweideutige übergingen. Was ihr aber den meisten Spaß machte und woran sie ein, ich möchte sagen, teuflisches Vergnügen fand, waren Bekenntnisse der Spieler, schamlose Enthüllungen ihrer Finten, Ränke und Verbrechen. Anton glaubte zu bemerken, daß sie diese frechen Anpreisungen schnöder List und Betrügerei deshalb so gern vernahm, weil sie dadurch in ihrem verachtenden Hasse gegen Theodor und dessen Umgebungen bestärkt, weil sie gewissermaßen dazu berechtigt wurde. Bisweilen entsetzte er sich bis zum Abscheu vor einem Wesen, das, alle Weiblichkeit verhöhnend, denjenigen haßt, betrügt, zugrunde zu richten strebt, dem es fortdauernd treue Liebe und Anhänglichkeit heucheln muß und kann; dann wieder regte die Naturwidrigkeit dieses Verhältnisses und seine eigene Stellung in demselben einen zwar krankhaften, doch eben darum desto unwiderstehlicheren Sinnen- und Seelenreiz in ihm auf, der ihn mit immer neuerwachender, unersättlicher Leidenschaft der Frevlerin verfallen ließ.

Wir wollen den verworfensten aller Vagabunden, diesen umherziehenden Spielern von Handwerk, mögen sie nun in Europas Hauptstädten und Badeörtern mit Golde prunken, mögen sie in schmutziger Kneipe betrunkenen Bauern ihr Kupfergeld abgewinnen, – wir wollen ihnen in diesem Büchlein den Raum nicht gönnen, den harmlosere, wenn auch geringgeschätzte Umhertreiber anderer Gattung besser und unterhaltender ausfüllen würden. Wir wollen uns nur an ein kleines Pröbchen ihrer durch Bärbels Champagner aufgestörten und zur Sprache gebrachten Prahlereien im Gebiete ihrer Heldentaten halten und selbiges in gedrängter Kürze mitteilen.

Herr von Schmutzel erzählte:

»Vor zehn Jahren etwa, im Beginn meiner Lehrlingszeit, befand ich mich gänzlich auf dem Trocknen. Kein Coup wollte gelingen; nirgend eine Aussicht; die verfluchte Polizei hinter uns her; wenig Geld im Städtel: hochbeinige Zeiten: keine Courage – mochte kein Hund so länger leben Spieler von Metier lieben es, mit einigen aufgeschnappten Phrasen aus Dichtern, die sie selbst niemals lasen, um sich zu werfen, damit man sie für Leute von ästhetischer Bildung halte.! Wer kommt eines Morgens zu mir? Jod, der Lump, der Schuft, der uns in W. verraten und die Gendarmen über den Hals geschickt, daß sie das ganze Nest ausnahmen, weil wir ihn aus der Kompagnie gestoßen. Ich springe zum Bett heraus und will ihn über die Treppe werfen. Er schreit mir entgegen: »Gnädiger Herr, eh' Sie mich schlagen, hören Sie, was ich Ihnen vorzuschlagen hab'; nachschlagen können Sie immer noch!« »Bon! Ich denke: du hast recht; erst will ich hören; über die Stufen fliegst du zeitig genug.« Aber er flog nicht. Denn er kam als Bote des Obersten U. (ein echter konsumierter Grec, dieser Oberst, auf Seele!) und brachte mir von diesem und in dessen Namen den süperbsten Vorschlag, dessen Ausführung mir anvertraut wurde, den ich annahm, vorbereitete, siegreich ins Leben setzte – und dessen Resultat ich euch folgendermaßen wie eine zarte Novelle kunstvoll und drastisch vortragen werde mit dazugehörigen Schikanen und Effekten wie ein Romanschmierer.

In dem Gebirgsörtchen K., unweit der †††schen Grenze, langt im Januar durch tiefen Schnee ein einzelner Reisender mit gebrechlichem Wagen an, hält vor dem einzigen, dort befindlichen, anständigen Gasthause, stellt sich leidend, mietet ein Zimmer und bringt auf diesem wie der schöne Einsiedler etliche sehr langweilige Tage zu, die er lediglich durch »Sekt«, vulgo Champagner, arrosiert. Nach und nach sucht er die Bekanntschaft des Wirtes, läßt sich mit selbigem Schafskopf auf Plaudereien und vertrauliche Entdeckungen ein; zieht ihn, trotz aller Schafsköpfigkeit, in seine Geheimnisse; flüstert ihm zu, daß er eigentlich in der Absicht reise, den ganzen großen Koffer voll Spielkarten, den er da hinten auf seine Kutsche geschraubt habe, ins †††sche einzuschwärzen; daß er aber jetzt kaum imstande sei, diesen lukrativen Plan auszuführen, weil er sich krank und matt fühle; hauptsächlich auch, weil er mit seinem alten Fuhrwerk unmöglich über die Berge voll Schnee auf Seitenwegen gelangen könne und außerdem befürchten müsse, viel strenger visitiert zu werden, wenn er den ungeheuren Koffer vereinzelt auf einem Schlitten bei sich führen wolle.

Unterdessen verschleicht ein Tag nach dem anderen; der Reisende versäumt nicht, sich möglichst festzufressen, vielmehr zu saufen. Wie seine Rechnung wächst, fängt der Wirt an, Besorgnis zu zeigen, weil vom Bezahlen noch nicht die Rede war. Da rückt der Reisende mit dem Bekenntnis hervor, daß er schlecht bei Kasse sei. Der Wirt zeigt sich unangenehm, der Reisende stellt sich verlegen. Der Wirt droht. Der Schuldner, ohne deswegen dem Champagner zu entsagen, bietet seinem Gläubiger den alten Reisewagen an, der natürlich mit gebührender Geringschätzung als wertlos zurückgewiesen wird. Da offeriert er seinen Kartenvorrat, und zwar zu einem Spottpreise für den möglichen Fall, daß Herr Schafskopf die nötigen Einkäufe zur bevorstehenden Saison noch nicht gemacht habe. Denn K. gehört zu einer besuchten Badeanstalt, wo es von Russen und Polen wimmelt, deshalb sehr stark daselbst gespielt wird; und dieses in dem nämlichen Gasthaus, wo meine Komödie vor sich geht. Der Wirt, der Stempelpapier und Spielkarten debitiert, beißt an. Er kauft fürs halbe Geld, gleicht die mit doppelter Kreide geschriebene Rechnung aus, freut sich, den dummen Reisenden tüchtig geprellt und sich auf unzählige Sommer im voraus verfolgt zu haben. Der arme Wanderer zieht wie ein Bettler von dannen, und der erste Akt ist aus.

Zweiter Akt. Schöner Sommer, brillante Saison, Überfluß an Gästen und Dukaten. Grand jeu! Alle Karten, wie sie frisch und glatt aus dem Vorrat des unverdächtigen Schafskopfs entnommen werden, sind beschnitten, bezeichnet, anderweitig präpariert. Die Unternehmer der Bank und der übrigen Spielgelegenheiten haben sie für diesen Zweck bearbeitet. Natürlich gewinnt die Bank oder vielmehr diejenigen ihrer Associes, die als Pointeurs auftreten, unermeßlich; Rußland, Polen und Deutschland werden ausgebeutet bis auf den Grund. Allgemeines Erstaunen.

Was den armen Reisenden vom vorigen Winter betrifft, ist dies niemand anders als dero hier anwesender untertäniger Diener, der durch diesen Kommerz vom Trocknen ins Fahrwasser geriet und seitdem ganz leidlich schwimmt.«

Die Zuhörer überschütteten Herrn von Schmutzel mit lebhaften Zeichen ihrer innigen Bewunderung, die der bescheidene und ehrenhafte Mann verschämt ablehnte, indem er dem Erfinder seine Ehre gebührend reserviert wissen wollte.

Anton rückte mit seinem Stuhle und war sichtlich im Begriff aufzuspringen, um seinem Herzen Luft zu machen ... aber Bärbel stellte ihren Fuß auf den seinigen, und er ... schwieg und blieb.

Noch war der Zauber nicht verflogen, der ihn umnebelte.


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