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Siebenundsiebzigstes Kapitel

Es ist mir bei der Anschauung von Dramen und bei der Lesung von Romanen stets auffällig gewesen, mit der Vermählung des Helden oder ersten Liebhabers die Dichtung enden zu sehen, als ob nun damit alles erschöpft, als ob mit dem Jawort, das die endlich ans Ziel gelangten Liebenden vor dem Altar aussprechen, nun auch schon jede weitere Negation besiegt, jedes Ziel erreicht wäre. Seltsamer Brauch, den die Verfasser fast immer befolgen, der also doch in den befriedigten Ansprüchen der Leserwelt wurzeln muß!

Was mich betrifft, so bin ich entgegengesetzter Meinung, ich kann mir nicht helfen. Ich möchte, wenn ich mich mit einem Menschen und seinem Schicksale im Buche durch dick und dünn geschlagen und ihn nun endlich bis zu seiner Verheiratung mit einer Geliebten begleitet habe, für mein Leben gern wissen, wie es ihm und ihr späterhin wohl erging, wie sie miteinander gelebt, und ob die Ehe, auf die sie beide und ich mit ihnen drei Bände lang warten mußten, denn eine glückliche geworden ist. Durch wen aber soll ich das erfahren, wenn mir's der Autor nicht sagt? An die betreffenden Personen zu schreiben will sich selten ziemen, auch wenn man ihre Adressen wüßte; denn Fragen dieser Art sind schwierig zu stellen und oft noch schwieriger zu beantworten.

Da es mich nun jedesmal verdrießlich macht, meine Neugier in ähnlichen Fällen unbefriedigt zu sehen, so denke ich, es könnte unter den Lesern manche geben, die meinen Geschmack teilen; und da ferner das alte Sprichwort:

Was du nicht willst, daß dir geschicht,
Das tu' auch keinem andern nicht.

mir von Kindheit auf eingeprägt worden ist, so halte ich es für meine Schuldigkeit, die Feder des Biographen nicht sogleich nach der Hochzeit hinzulegen, vielmehr selbige noch einmal frisch zu schneiden und unser schönes, jüngst vermähltes Paar zu verfolgen in seine Flitterwochen, sogar darüber hinaus.

Sie waren sehr schön, diese Flitterwochen.

Man denke nur: sanfter Herbst, ländliches Stilleben, kurze, herrliche Tage, lange, traute Abende! Und als nun der Winter kam, als der Schnee so reinlich und weiß die Fluren deckte, als die grünen Tannenwälder rauschten, als Anton den kleinen Rennschlitten lenkte, und von der neben ihm sitzenden, in einen unermeßlichen Bärenpelz vermummten Hedwig kaum ein Drittel des Gesichtes übrig blieb, womit sie dem Geliebten zulächelte: als Peterls Beine fast zu kurz waren, auf den Kufen des schmalen Schlittens Fuß zu fassen, er aber dennoch fürchterlich mit der großen Peitsche knallte, daß alle alten Weiber des Dorfes durch die kleinen Fensterlein guckten; als Anton vor seiner Mutter Häuschen anhielt und Hedwig aus dem Fell des brummigen Bären mit Nachtigallenstimme Ottilie einlud, sie möchte zum Tee aufs Schloß kommen; als Anton sodann, heimgekehrt, die rotbäckig gefrorene Frau an der Hand, in Rittmeisters Zimmer ging und sie schon auf dem Gange den Vater lachen hörten über Schkramprl, der vor seinem Ruhebette saß und log, was das Zeug hielt; als Schkramprl bei Hedwigs Eintritt aufsprang, ihr die Hand zu küssen, und eilig in den Stall lief, um verspätete Ratzen nachträglich aus seinen Fallen zu nehmen, die er dann für Peterl braten wollte, von dem er schwur, der Junge fresse Ratzen wie ein Chinese; als Anton sich in sein Arbeitszimmer begab, einige notwendige Briefe zu schreiben; als Hedwig von ihm Abschied nahm, wie wenn er nach Australien zöge; als Ottilie eintraf; als der Teetisch vor Rittmeisters Sofa geschoben wurde und die Frauenzimmer ihre Arbeit zur Hand nahmen; als Anton die seinige vollendet hatte und nun flehentlich um einen Löffel Arrak in den Tee bat, den ihm Hedwig durchaus nicht geben wollte, weil sie meinte, Tee mit Arrak sei nicht gesund; als der Rittmeister ihr recht gab und versicherte, Arrak mit Tee sei freilich gesünder; als der Stadtbote, beschneit und bereift, wie wenn er mit Zucker bestreut wäre, die Zeitungen brachte und einen Brief von Gräfin Julia, worin diese »ihre kleine Hedwig« küßte und Ottilie ihre Freundin nannte, den Rittmeister ihren würdigen Freund und Anton ihren lieben Sohn! – O welche Flitterwochen waren dies?

Hedwig liebte Anton wie ihre erste, ihre täglich zunehmende, ihre letzte Liebe; wie nur ein junges Weib lieben kann, dem das Glück zuteil wurde, den Inbegriff ihrer unschuldigsten, jungfräulichsten Neigung und Sehnsucht im Gatten umarmen zu dürfen. Wenn solche Liebe, solche Anhänglichkeit überhaupt jemals erlöschen kann, so darf man beinahe mit Gewißheit annehmen, der Gemahl habe sie durch seine Schuld erstickt. Was aber Anton hätte anwenden müssen, um Hedwigs Herz, Gemüt und Seele von sich abzuwenden, das weiß ich wirklich gar nicht; meine Phantasie ist zu dürftig, Möglichkeiten dafür auszusinnen. Dennoch zweifelte der in seinen Ansprüchen unersättliche Honigmondsüchtige bisweilen an der begehrten Ausschließlichkeit dieses Besitzes, weil die Geliebte sich durch keine Gewalt ehelicher Liebe von der Erfüllung kindlicher Pflichten abhalten ließ. Aus diesen Zweifeln ging eine kleine Eifersucht hervor, eine ganz kleine, junge, niedliche, mit welcher Hedwig spielend fertig wurde, weil ein Wort von ihr, ein Blick genügten, das Scheusälchen in die Flucht zu schlagen, in den Winkel zu treiben, wo es sich verbergen mußte und eben nur soviel Macht behielt, der glühendsten Zärtlichkeit gleichsam einen Sporn einzudrücken, der sie nur um desto mehr belebte. Denn Anton achtete und liebte seinen Schwiegervater auch, und er selbst würde endlich Hedwig getadelt haben, wenn sie neben ihm und um seinetwillen imstande gewesen wäre, den Rittmeister zu vernachlässigen. Was für ihn der Vater seiner Frau, das war für diese Ottilie. Hedwig liebte Ottilie als eine Freundin, achtete sie als einen großmütigen Charakter, als ein geistreiches Mädchen, – aber sie konnte ihr doch niemals ganz vergessen, daß sie einst Antons »Tieletunke« war. Es genügte, diesen kindischen Beinamen nur auszusprechen, damit Hedwig, sei es auch nur auf einen Moment, unruhig werde. Sie hatte dieser Empfindung, die sie selbst eine höchst alberne nannte, niemals Hehl, sie meldete sich selbst, die ehrliche Seele, jedesmal, wenn's ihr geschah. »Du«, sagte sie dann, »du, Ottilie, es ist kaum fünf Minuten her, da bildete ich mir ein, ich könnte eifersüchtig auf dich sein.«

Worauf Ottilie zu entgegnen pflegte: »Warum das nicht? Die Eifersucht hat schon klügere Leute dumm gemacht.«

Dann lachte Hedwig und fragte: »Bin ich dumm?« Und Ottilie antwortete: »Geh; du bist nicht klug.«

Dann lachten sie beide. Und Anton kam dazu und küßte Hedwig.

Ottilie aber sprach: »Den Kuß müßte er mir nun geben, wenn ich nicht Verstand gehabt hätte für ihn – und für mich.«

Anton küßte Ottilies Hand.

Ottilie rief: »Siehst du, wie dankbar er mir ist, daß ich ihn nicht festhielt?«

Dann hinkte der Rittmeister herein, und seine Tochter umschlang ihn mit beiden Armen und sagte: »Du bist mein guter, treuer Vater, du machst mir niemals Ärger.«

»Außer wenn ich deine Anbeter mit dem Säbel in die Flucht schlage!«

Und Hedwig machte sich vom Vater los, neigte sich zu Anton, fuhr ihm in die Locken, schüttelte ihn und flüsterte: »Hab' ich ihn doch!«

So verging der Winter.

Und der Frühling kam wieder; der böse Frühling! Wie er lächelnd, mit Blüten umkränzt, seinen Einzug hält, Leben verheißend und Lust, doch im Herzen birgt er den Tod, der Heuchler!

Sie hatten einen Gang ins frische Grün gemacht. Die Maisonne brannte wie im August. Die Luft war schwül und schwer. Sie suchten den Schatten des nahen Buchenwäldchens.

Anton und Hedwig gingen voran und plauderten von ihren Hoffnungen. Hedwig wollte wissen, ob ihr Kind, wenn es zur Welt käme, ihr oder seinem Vater ähnlich sehen werde, oder beiden; ob es blaue Augen haben werde oder braune; ob es ein Anton sein werde oder eine Julia – »denn nach unserer guten Gräfin muß es heißen. Ja, gewiß. Und ist's ein Junge, muß er Julius heißen, nicht Anton.« Es ist auch besser, daß er nicht nach dem Vater genannt werde, schon der Verwechselungen wegen. »Nehmen wir an, ich sagte eines Morgens zu Ottilie: Ich habe wenig geschlafen, mein Anton hat die ganze Nacht geschrien, – was müßte sie von dir denken?«

Ottilie, den Rittmeister führend, folgte ihnen. Ein ängstlicher Ausruf aus ihrem Munde störte Hedwigs zärtliches Geplauder. Sie wendeten sich, Hedwigs Vater lag am Boden, Ottilie kniete neben ihm. – Ein Gewitter zog in der Ferne herauf. – Der alte Soldat schien tot. Hedwigs herzdurchschneidendes Jammergeschrei weckte ihn noch einmal aus seiner Betäubung. Er versuchte die Augen zu öffnen, die ihn Umgebenden zu erkennen, reichte Anton und Ottilie die zitternden Hände und zog dann Hedwigs Kopf an seine Brust:

»Im Freien! Im Frühling! Im Mai! Kanonendonner! Letzte Schlacht! Mein Kind, – mein Sohn, habt euch lieb!«

*

Nach drei Tagen wurde der Rittmeister begraben, wo Ottilies Eltern ruhen, Antons Großmutter, der gute Pastor Karich und auch der schwarze Wolfgang.

Am Abend des Begräbnistages gebar Hedwig ein totes Kind.


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