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Achtundfünfzigstes Kapitel

Im Walde, bei finsterer Nacht allein, müde, hungrig, abgeängstet, suchte Anton ein Ruheplätzchen, und als er dies eingenommen, fing er zu überlegen an, was nun geschehen solle.

Er hatte die Wahl, zurückzukehren nach dem Orte, wo man sich ihrer Kamele bemächtigt, sich der Behörde zu stellen und herauszubegehren, was von seinem Eigentum bei Momolos Hab und Gut sich befand, – oder sich weiterzuschlagen und nötigenfalls zu betteln. Für den ersten Entschluß sprachen seine vollkommene Unschuld, seine gänzliche Unwissenheit in allem, was politische Verbindung heißt, und gerechte Ansprüche, wie er sie an die gemeinschaftliche Kasse machen durfte. Für den zweiten dagegen eine nicht unbegründete Befürchtung, daß er sich jedenfalls langwieriger Untersuchungshaft aussetzen und wahrscheinlich doch nichts davon haben werde, da Geronimos Eigentum als eines flüchtig gewordenen Verurteilten im ganzen konfisziert werden konnte, ohne Rücksicht auf Ansprüche eines Dritten.

Nach langem Hin- und Hersinnen blieb er endlich dabei stehen: »Mein Reisepaß befindet sich glücklicherweise unter den Papieren im Felleisen, das ich, wie durch eine Ahnung veranlaßt, bei mir behielt. Die Visen sind in Ordnung. Das ist wieder ein Wink! Als Anton Hahn ziehe ich unangefochten meines Weges. Von meinem Gewerbe sind die sichtbaren Spuren unter Momolos Gepäck verblieben; niemand wird mir anmerken, daß ich Kamelführer war. So kann ich von einer Stadt zur anderen langsam wandern, kann nach der Carina forschen, bleibe mein eigener Herr – und kann als solcher verhungern, wo mir beliebt. Freilich wohl verliere ich das schöne Geld und die Geige, mit der ich's erwarb – und meine Sonntagskleider, ... jedoch die Affenjacke bin ich auch los, und das ist durch die übrigen Verluste noch nicht zu teuer bezahlt. Wer weiß, warum es so kommen mußte: Antonio mag bei Antoine und bei dem Baron de la Vannière begraben bleiben. Jetzt gilt's dem armen Anton durchzuhelfen.«

Auf diese Übereinkunft mit sich selbst folgte beruhigende Gewißheit. Sobald nur erst die Zweifel schwinden, stellt sich Friede ein. Die laue Nacht wurde sanft durchschlafen. Hätte der leere Magen den Träumer nicht gemahnt, sich zu erheben, wer weiß, wie lange noch in den blühenden Mai hinein unser junger Hahn sein Morgenlied zu krähen gezögert! Dicht neben seiner Schlummerstätte rieselte ein klarer Quell. Er badete Angesicht, Brust und Füße, nahm aus dem Ranzen reine Wäsche, suchte die kleine Bürste hervor, mit ihr jedes Stäubchen vom leichten Rock zu kehren, und so erfrischt suchte er einen Ausweg aus dem Walde, dessen Schutz er nicht mehr zu bedürfen glaubte, wobei er jedoch darauf achtete, diejenige Richtung zu verfolgen, die ihn immer weiter und weiter aus dem Bereiche seiner mit Beschlag belegten Kamele führte. Es dauerte auch gar nicht lange, so betrat er einen von Baumwurzeln durchschlungenen, hölzernen Fahrweg, wo in uralten, tief ausgehöhlten Löchern und Pfützen liebende Frösche und Kröten mit melancholischen Wonnetönen und paarweise den Frühling feierten. Ein grüner Fußpfad, vom schönsten Waldrasenteppich durchsäumt, zog sich neben der ausgefahrenen Straße her, wie das Leben eines jugendlichen, noch nicht enttäuschten Poeten neben dem bürgerlichen Verkehre der Alltagswelt. – Nur schade, daß derlei Fußsteige zuletzt immer wieder in die allgemeine Heerstraße münden, und daß man beizeiten einbiegen muß, will man sich nicht auf der entgegengesetzten Seite in dem von Dornen durchwachsenen, undurchdringlichen Dickicht verlaufen.

Antons Magen war sehr leer. Aber sein Herz war sehr voll. Und eigentlich voll Freude, wozu doch eben wenig Anlaß vorhanden schien: Dennoch erfreute er sich des schönen Morgens aus frohem Herzen; denn des Menschen Herz ist ein wunderlich Ding.

Mitten in seine genügsame Freude hinein rauschte ein Trommelwirbel, dessen Echo im Walde ringsum gar schauerlich widertönte.

»Was Teufel«, sagte Anton, »haben sie ein Kommando ausgesandt nach meinem Freunde Momolo? Das wäre doch höchst fatal, wenn ich den Bajonetten gerade entgegenliefe, um mich daran aufzuspießen, gleich einem dieser (trunkene Liebeshymnen singenden) Frösche! Was beginnt nun ein kluger Feldherr? Dem verdammten Trommelwirbel kann kein menschliches Ohr anhören, von wannen er kommt, weil er in allen Büschen, aus allen Ecken widerhallt, wie ein Donnerwetter im Gebirge. Außerdem haben sie wahrscheinlich die ganze Grünlichkeit umstellt, vielleicht gar mit Wildnetzen. Sapperment, Momolo muß ein wichtiger Kohlenbrenner sein, daß sie seinetwegen mit allen Fahnen ins Feld rücken. Aber ich, wie komme ich zu der Ehre? Ich fühle mich so unwichtig, man kann sich gar nicht unwichtiger fühlen; ich bin ihnen das Wasser nicht wert, das sie mir im Kerker Schanden halber darreichen müssen, – des Brotes nicht erst zu gedenken. Ich mache keinen Anspruch auf die Auszeichnung, für einen Carbonaro, Demagogen, Weltverbesserer zu gelten. Ich bin ein simpler Hahn, und kein gallischer, ja nicht einmal ein galliger, sondern ein sanfter, deutscher, friedliebender Liebenauer, der die bunten Federn, die er in Frankreich und Italien aufsteckte, längst wieder abgelegt hat. – Schon wieder ein Wirbel? So trommle du und der Henker! Wahrscheinlich ruft er zerstreute Truppen zusammen, damit sie mich völlig umzingeln. Wie der Kerl so vortrefflich das Kalbfell rührt! das muß wenigstens ein Tambourmajor sein! Ja, es hilft nichts, ich will mich ergeben. Niederschießen ohne Urteil und Recht können sie mich doch nicht. Vorwärts Marsch, dem Feind entgegen! Von dort rasselt's; drauf und dran!«

»Wird die himmelkreuzsackermentsche Bestie jetztunder bald aufhören zu trommeln, oder ich reiß' ihr, Gott straf' mich, 'nen Löffel vom Kopfe 'runter, verwünschtes Beest, was du bist!«

Die Wirbel verstummten.

»Nein. Ein Tambourmajor kann es doch nicht sein«, äußerte Anton, als er jene Drohung vernahm; »gegen einen solchen würde der Kommandant der Exekutionsarmee sich ähnliche Ausdrücke nicht erlauben.«

Jetzt macht der Weg eine Biegung. – »Hier müssen sie stehen – bei Gott, da seh' ich die Trommel.«

Das hatte seine Richtigkeit. Eine Trommel hing vor Anton, doch nicht an einem lebendigen Menschen; eine große Trommel an den dürren Ast eines krummen, halb verwitterten Baumstammes aufgehängt. Auf dem zur Erde gesenkten Stamme saß ein – Hase. Wie dieser Anton erblickte, fing er aufs neue zu trommeln an, heftiger denn vorher; seine beiden Vorderläufe arbeiteten mit unerhörter Fertigkeit, und zwar gab er für den Augenblick das Alarmsignal zum besten, womit man bei nächtlichen Feuersbrünsten schlafende Einwohner zu ermuntern pflegt.

Abermals erhob sich die zürnende Stimme, und mit den Flüchen, die sie voransandte, fast zugleich traf der Besitzer dieser Stimme, ein wohlbeleibter Mann in grüner Jagdpekesche ein, offenbar entschlossen, seine frühere Drohung wahr zu machen und den Trommler am Gehör zu beschädigen. Als er Anton erblickte, stutzte er und fragte: »Herr Jesus, wo kommen Sie denn her?«

»Dieselbe Frage wage ich Ihnen vorzulegen, ein Wanderer an und für sich scheint mir weniger merkwürdig als ein Mann, der mit den Tieren des Waldes auf diesem Fuße steht! Woher, wenn ich fragen darf –«

»Da sehen Sie die Bescherung!« –

In einem der tiefsten und umfangreichsten Löcher dieser waldumwachsenen Straße – man darf behaupten, daß die Straße in ihrer totalen Breite auf jener verhängnisvollen Stelle nur ein Loch war – lag, von trüben Wellen umspült, ein Wagen, jenen Gebäuden nicht unähnlich, in und mit denen Antons Freunde und Feinde dereinst am Strande der Flammen Raub wurden. Wenn ich sage, »er lag«, so bediene ich mich gedankenlos einer herkömmlichen Phrase, die das Bild schlecht bezeichnet. Ich müßte sagen »er stand«; doch seiner gewöhnlichen Stellung als Wagen wenig entsprechend, stand er auf dem Kopfe; mindestens streckte er seine Füße, die Räder, zum Himmel empor, von diesem Hilfe flehend. Wie es erreicht worden sei, diesen gänzlichen Umsturz der Dinge zu bewirken, würde Anton bei allem Aufgebote der Einbildungskraft nicht begriffen haben, wäre ihm die bildliche Auseinandersetzung des Pekeschenmannes nicht entgegengekommen.

»Ich habe geschlafen, sehen Sie, denn ich war müde. Der Schurke, der Johann, kutschiert, sehen Sie. Hier kommt er ans Loch. Anstatt gerade durchzufahren, denn das ist das beste bei so tiefen Löchern, will der Esel rändeln und rändelt da oben 'nauf über die Wurzeln, bis er glücklich auf den umgestürzten Baum kommt, wo ich jetzt die Trommel aufgehängt habe. Von der rechten Seite gehen die Räder über den Baumstamm, von der linken schwammen sie im Loche, sehen Sie, sogleich versteht der Wagen unrecht, fängt an zu kippen und kippt aber auch gleich kopfüber. Und ich kippe mit und erwache im Schlamme, sehen Sie –«

»Ich sehe.«

»Und kannte nicht einmal fluchen, denn ich hatte das Maul voll Lehm und Wasser. Und der Johann, sehen Sie –«

»Wo ist der Johann? den sehe ich nicht.«

»Ja, wo ist der Johann? Fortgelaufen ist er, in die Waldung, sehen Sie. Er hatte ohnedies sein Kerbholz voll; da hat er sich aus dem Staube gemacht, so lange ich noch nicht bei Verstande war. Ich bin froh, daß ich das liederliche Tuch los bin, sehen Sie, wenn ich nur hier Rat wüßte. Die Hirsche sind geborgen, die stehen da im Grase angebunden. Ein Hase ist auch gerettet, der sitzt bei seiner Trommel. Was aus den anderen geworden ist, sehen Sie, das weiß ich nicht. Wie Sie um die Ecke bogen, war ich gerade dabei, langsam auszupacken, sehen Sie.«

»Da bin ich ja wohl erwünscht gekommen? Darf ich Ihnen meine Hilfe anbieten?«

Bei diesen Worten legte Anton Ranzen und Stab neben den Hasen, der ihn schmunzelnd betrachtete und sodann den Ranzen eifrig beschnupperte.

Nach und nach wurden die einzelnen Bestandteile des halbversunkenen Inventariums ans Land gebracht. Ein Hase hatte den Hals gebrochen, weil ihm ein schwerer Kasten ins Genick gesunken war. Der andere sprang, als man ihm Luft gemacht, sain et sauf zu seinem noch lebenden Kameraden auf den Baumstamm und begann das Fest seiner Lebensrettung sogleich durch leidenschaftliche Trommelschläge zu feiern, welcher Ausdruck des Wohlbehagens ihm ernstlich untersagt werden mußte.

Dem eigentlichen Wagengestell, wie es leicht herausgezogen und auf die Beine gebracht werden konnte, war kein Leid widerfahren. Dagegen hatten die hohen Korbgeflechte, die zum Aufenthaltsorte für die »Hirsche auf Kunstreisen« dienten, schwere Beschädigungen erlitten, indem die Seitenwände von oben bis unten auseinander geborsten waren. Hier zeigte sich unser Korbmacher aus Liebenau in alter Glorie. Mit einigem Handwerkszeug, was ein Vagabund von Profession stets im Kästchen des Kutschersitzes bei sich führt und Zuziehung verschiedener Stricke, die der Pekeschenmann lieferte, ging Anton rüstig ans Werk, nicht ohne sich vorher durch ein kaltes Frühstück gestärkt zu haben. An Proviant war kein Mangel und auch eine volle Weinflasche unbeschädigt aus dem Schiffbruche aufs Trockene gerettet.

Der größte Teil des Tages verging mit Herstellung einzelner Schäden. Anton bot überall hilfreiche Hand, wobei er sich so willig und geschickt zeigte, daß ihm Dank, Lob und Lebensmittel in Fülle verabreicht wurden. Als er im Laufe der wechselnden Gespräche einfließen ließ, wie er planlos durch die Welt schweife, ohne andere Absicht, als möglichst viele Städte zu berühren, wo er imstande sei, Erkundigungen einzuziehen über eine Person, die er zu finden strebe; und als er nicht verhehlte, daß die Mittel zu solcher Entdeckungsreise ihm so gut wie gänzlich abgingen – da machte der Mann in der grünen Jagdpekesche ihm einen schüchternen Vorschlag in folgender Anrede:

»Sie sind mir sozusagen zu vornehm, sehen Sie; denn ich kann nicht klug werden aus Ihnen, weil Sie so gelehrt reden, und doch sind Sie eigentlich ein Korbmacher und sagen, Sie hätten gedient! Da weiß ich nicht, wie ich mit Ihnen dran bin. Aber wenn Sie sonst wollten, – denn Pferdeknecht oder Kutscher ist wieder was anderes, sehen Sie. Wer in meinen Dienst geht, der hat mit Künstlern zu tun. Was meine Hasen sind, sehen Sie, das haben Sie gehört; die Hirsche sind dressiert wie Pferde, und meine Pferde sind klug, daß ihnen nur die Sprache fehlt. Und den Johann nehme ich nicht wieder auf, sehen Sie; durchaus nicht. Er ist ein Taugenichts, der Kerl, und bleibt einer. Ich heiße Kästner, sehen Sie, von der b...schen Grenze. Alle Jahre sechs Monate auf der Kunstreise und sechs Monate zu Hause. Und junge Hasen will ich bald wieder haben, das ist Leichtigkeit. Denn ich gebrauche mehr wie zwei. Einer muß trommeln, sehen Sie, und zwei müssen Schildwach stehen; und sie wechseln ab untereinander; das ist alleben die Kunst, sehen Sie.«

»Herr Kästner«, antwortete Anton, »wie Sie mit mir daran sind, sollen Sie bald wissen. Ich bin bereit, den Dienst als Bursche bei Ihnen anzunehmen, unter der Bedingung, daß ich von einem Tage zum anderen das Recht behalte, Sie wieder zu verlassen. Ebenso können Sie mich fortschicken, wann es Ihnen gut dünkt. Daß ich anders rede, mich anders benehme und ausdrücke, wie Ihr Johann, darf Sie nicht irremachen, nichtsdestoweniger werde ich meine Schuldigkeit tun, und ich denke, wir werden miteinander zufrieden sein.«

»Sehr zufrieden«, sagte Kästner, »sehr; ich bin schon zufrieden mit Ihnen, sehen Sie, heute den ganzen Tag.«

Die Hirsche waren in ihre Körbe gebracht, die Hasen in ihre Kiste, die künstlerisch gebildeten drei Rosse, an Pegasus im Joche erinnernd, wieder vor den Wagen gelegt, der seinen Kampf mit den unerforschlichen Tiefen der Waldstraße weiter ausfechten sollte; Kästner und Anton saßen bereits ..., da erschien Johann, der Flüchtling. Er versicherte, sein Entweichen habe keinen anderen Grund gehabt, als Hilfe herbeizuholen, die er nun doch leider nicht gefunden.

Kästner rief alle Nymphen und Dryaden des Waldes zu Zeuginnen auf, daß Johann ein frecher Lügner sei, zahlte ihm seinen Wochenlohn, warf ihm sein Bündel zu, empfahl ihm, sich einen Galgen mit freundlicher Aussicht zu suchen, woran er sich hängen lasse, und schloß mit einem Winke auf Anton, der ihn bereits ersetzt habe.

Johann schied mit tüchtigem Fluche.

Die Hasen in der Kiste trommelten einen Tusch.

Die Pferde setzten sich in Bewegung.


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