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Einundachtzigstes Kapitel

Drei Wochen sind vergangen. Hedwig hat mit Bewilligung des Arztes sich heute vom Lager weg auf einen großen, wundervollen Lehnstuhl, ein Geschenk der Gräfin Julia, begeben. Diese, noch immer zu Liebenau anwesend, weil sie der Taufe beiwohnen will, hat im Verein mit Ottilie jeden Hauch der Leidenden bewacht, hat ihr in jenen bangen Nächten mütterlich treu zur Seite gestanden, hat aber auch sehr genau und scharf beobachtet, welchen Eindruck der drohende Verlust seiner Frau auf Anton geübt, mit welcher Stimmung dieser aus den Todesängsten hervorging. Sie teilte ihre Meinungen darüber der treuen Ottilie mit, und beide sagten: »Gott sei Dank? Er liebt sie mehr als je!«

Heute findet die Taufe statt.

Pastor Puschel erbot sich, diese Handlung im Schlosse vorzunehmen, doch Gräfin Julia war dagegen und bestand darauf, daß es in der Kirche vor sich gehe. »Wenn wir Winter hätten und harte Kälte, so würde ich den Pastor selbst ersuchen, das Kind im Zimmer zu taufen«, hatte sie geäußert; »aber jetzt beim schönsten Sommer, warum sollen wir nicht ebensogut in die Kirche gehen, wie alle Leute aus dem Dorfe?«

Die Hebamme trägt das Kind.

Gräfin Julia und Ottilie folgen ihm.

Anton bleibt bei Hedwig zurück.

Hedwig sitzt, liegt vielmehr in ihrem Lehnstuhl, der ans offene Fenster geschoben ward, so daß sie dem kleinen Zuge, der ihr Kind in die Kirche begleitet, mit den Augen folgen kann. Nun wendet sie sich zu Anton.

»Mein treuer Freund, wir haben ein herzlich Wort miteinander zu sprechen, vielmehr ich habe zu sprechen, du magst mich gütig hören. Doch ehe ich beginne, bitte ich flehentlich, du wollest nicht glauben, daß in dem, was ich dir zu sagen habe, irgend ein Vorwurf, eine Anklage gegen dich enthalten sei. Im Gegenteil.

Ich bemerke schon seit ... o, schon seit meines Vaters Tode, daß dir etwas fehlt. Anfänglich machte mich diese Entdeckung sehr unglücklich, denn ich fürchtete einige Tage hindurch, du könntest bereuen, mich zur Frau genommen zu haben, nun dann wäre mir wohl nichts übrig geblieben, als meinem Vater zu folgen. Doch dein ganzes Benehmen überzeugte mich bald, daß du mich liebst, achtest, daß ich (der Himmel sei gepriesen!) dir nicht zur Last bin; nein, daß es dir nur der Ehestand im allgemeinen ist; daß der Gedanke dich peinigt, gebunden, festgehalten, an Haus und Hof und Weib gekettet zu sein, während du doch gewöhnt warst, umherzuziehen, wie Wind und Wetter dich trieben, du mein lieber, geliebter Zigeuner. Mir ist es nicht entgangen, mein armer Anton, welche Mühe du dir gabst, dich zu beherrschen, mich zu täuschen. Aber das Auge der Liebe läßt sich nicht täuschen. Ich empfand deine Leiden, wie du; ich machte deine Kämpfe in meinem Herzen mit. Dennoch versagte ich mir den Trost, darüber mit dir zu sprechen. Ich dachte so: Entweder auch dieses Kind, das ich jetzt am Herzen trage, ist dem Tode geweiht, nun dann bin ich es auch, dann ist er ohnedies wieder frei!! Oder das Kind lebt und ich lebe mit ihm – (denn ich wußte, Gott würde mich nicht von diesem Kinde trennen!) nun, dann ist immer noch Zeit, mein Herz ihm zu öffnen; dann wird sich der passende Moment schon finden. Dieser Moment ist eingetreten.

Bald bringt man mir mein kleines Mädchen zurück, es hat einen Namen, es ist ein menschliches Wesen, es wächst heran in meiner Sorge und Pflege, ich bin die glücklichste Mutter, die reichste Frau auf Erden. Wäre es nicht schändliche Selbstsucht von mir, sträfliche Ungenügsamkeit, wollte ich zu all meinen Schätzen auch noch die Herrschaft über dich fügen; wollte ich, auf deine Liebe, deine Redlichkeit trotzend, dich eigensinnig festhalten, dich hindern, die Flügel zu regen, die das Bedürfnis fühlen, sich zu entfalten? Sieh', das mußte ich dir sagen, es kommt mir aus der Seele! Sei frei! Sei, wie wenn du kein Weib hättest! Ziehe hinaus und reise; treibe dich in der weiten Welt umher! Durchstreife Länder und Meere! Mache, was du willst, Anton; unternimm, wozu die Neigung dich auffordert! Ich werde nicht klagen, nicht weinen, nicht grollen. Ich werde mit meiner Tochter hier bleiben, eine treue Hausfrau, eine gute Wirtin sein, und wenn du wieder einmal einkehrst, werde ich dich ebenso freundlich, unbefangen begrüßen, wie ich gestern tat, als du aus unserem Walde heimkehrtest. Denn daß du manchmal kommen wirst, nach deiner Hedwig zu schauen, dein Kind zu küssen, das weiß ich.

Und fürchte keine Eifersüchteleien, Anton. Du bist frei! vollkommen frei! Ich weiß, was ich sage. Dir Zwang anlegen? Das wäre noch schöner! Damit du bei dir selbst denken lerntest: habe ich deshalb das kleine Ding abgeholt aus ihrem Hunger und Kummer, daß sie mir anhinge wie eine Klette, die man nicht mehr abschütteln kann? Das wäre noch schöner! Ich kenne nur dich, ich habe nur dich! Ich liebe nur mein Kind und dich in ihm; für mich gibt es sonst keine Welt und soll es keine geben. Dir aber soll die Welt offen stehen, mit allem was an Freuden darinnen für dich blüht; wenn du nur nicht vergessen willst, daß Liebenau auch in der Welt ist, daß dort auch Freuden für dich blühen, die kleinen, frommen Freuden bescheidener Häuslichkeit. Und das wirst du nicht vergessen! Also sei wieder frei!« – – –

*

»Ottilie heißt euer Mädchen«, sagte die Gräfin, da sie das neugetaufte Kind der Mutter in die Arme legte.

»Nicht Julia?« fragte Hedwig.

»Ottilie«, wiederholte die Gräfin. »Ich habe darum gebeten. – Aber was hat Anton?« –

Anton stand hoch aufgerichtet neben Hedwigs Lehnstuhl; sein Antlitz leuchtete in hehrer Begeisterung, zwei große Tränen liefen langsam über seine Backen.

Er legte die Hand auf Hedwigs Haupt und sprach: »Daß ich eine gute, schöne, gebildete Frau habe, wußte ich schon, daß Hedwig aber auch die klügste aller Frauen sei, hat sie mir heute bewiesen.«

Ottilie warf der Gräfin einen bedeutungsvollen Blick zu. Die Gräfin lächelte:

»Wir sind nicht mehr nötig mit unserer Einmischung. Die Leutchen haben sich selbst verständigt.«

»Ich habe ihm nur gesagt, was mein Gefühl mir eingab. Was er von meiner Klugheit redet, verstehe ich nicht«, rief Hedwig.

»Eben deshalb, mein Kind! Aus dem reinen Herzen einer edlen Frau kann nur das Beste kommen; wahre, uneigennützige Liebe ist die rechte Weisheit.«

Die Tür ging auf; Schkramprl steckte den Kopf herein:

»Ich soll den Maler melden«, fragte der Riese, »darf er kommen?«

Und der junge, umherziehende Künstler, den wir bei Anton im Gasthausstübchen kennen gelernt, erschien.

»Sie versprachen mir«, hub er an, »ein Porträt, in welchem ich Sie wiederzugeben trachtete, wenn auch in kleinsten Dimensionen, mit Goldstücken zu bedecken, sobald ich Sie auf ›Ihrer Besitzung‹ heimsuchen würde; hier bin ich! Erkennen Sie mich noch? Gedenken Sie noch Ihres Versprechens? Ehrlich gesagt, ich brauche Geld; ich will eine Reise nach Italien machen. Der Liebenauer Zuschuß geht mir gerade noch ab. Doch ich bin bereit, etwas dafür zu tun, Ihre Gemahlin hält ein schlafendes Kind, Sie stehen an den Sessel gelehnt. Das gibt ein reizendes Bildchen ...«

»Und ich will es besitzen«, sagte die Gräfin. –

Der Maler schlug sein fliegendes Atelier auf. Es ging ihm wundervoll von der Hand.

Die kleine Ottilie schlief sanft.

Hedwig schmiegte ihren Kopf an Antons Arm.

Die große Ottilie und Gräfin Julia nahmen auf dem Sofa Platz und sahen mit freudiger Rührung auf die Gruppe.

Durchs offene Fenster herein drang von den Kronen der alten Bäume das Summen unzähliger Bienen, denn, – und darum schließe diese Erzählung, wie sie begann, – denn:

Die Linden standen in voller Blüte.


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