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Achtundsiebzigstes Kapitel

Sie erholte sich, dank sei es ihrer Jugendkraft, bewundernswürdig schnell.

Als sie zum erstenmal des Vaters Grab besuchte, sagte sie zu Anton: »Nun habe ich dich allein! Wende dich niemals von mir!«

Dieses Wort, aus der tiefsten Fülle eines schmerzlich verwundeten, doch innig liebenden Herzens gesprochen, gestaltete sich auf eigentümliche Weise zu einem Fluche um, der sich gegen Antons Glück und Zufriedenheit richtete.

Anton hatte schon beim Erwachen des Frühlings die Ahnung einer ihm unklaren Bangigkeit gehabt, einer Unruhe, die ihn fortwährend hinaustrieb, auch ohne bestimmten Zweck sein Gebiet nach allen Richtungen zu durchstreifen; zu Wagen, zu Pferde, wie zu Fuß! Es fehlte ihm etwas, er konnte nicht ausfinden, was es sein möge. Der plötzliche Tod seines Schwiegervaters, die Krankheit Hedwigs, der Schmerz über den Verlust eines schon vor der Geburt gestorbenen Kindes, – dies alles hatte seinen Gedanken eine andere Richtung gegeben.

Hedwigs weibliche Klage und Bitte am Grabe des Rittmeisters brachte ihn wieder auf die gefährliche Grübelei, in die er vor einem Monat versenkt gewesen.

»Was kann mir denn fehlen«, fragte er sich, »mir, den das Glück mit Gaben überhäuft? Daß mein Schwiegervater sterben, bald sterben würde, wußte ich, als ich Hedwig heimführte; Gott hat ihm das letzte Lebensjahr nur noch geschenkt, damit er sich freuen dürfe, seine Tochter versorgt zu sehen. Nicht daß er uns verließe, darf ich beklagen, nur zu danken haben wir, daß er uns noch so lange geliehen ward! Daß mein Kind das Licht dieser Sonne nicht erblickte, ist die natürliche Folge von Hedwigs kindlicher Liebe; sie befindet sich wieder wohl und wird künftig auch eine beglückte Mutter sein. Ich bin reich, unabhängig, jung, kann Gutes schaffen in meinem Wirkungskreise; die Bewohner von Liebenau haben mich gern; ich liebe meine Frau, meine Frau liebt mich ... was kann mir denn fehlen? – Wie, wenn es die Freiheit wäre? »Nun habe ich dich allein! Wende dich niemals von mir!« Gewiß, sie hat recht, sie ist mein schönes, gutes, treues Weib, sie hat recht, von mir Treue zu fordern bis übers Grab! – Und doch, wie wenn es nun der Gedanke wäre, so unauflöslich gefesselt zu sein, der mich beunruhigte? Es wäre schrecklich, dennoch ist es nicht unmöglich. Ich war elend, das ist richtig, ein armseliger, umhergeworfener Vagabund! Ich sehnte mich nach Ruhe, nach einer Heimat. Nun habe ich beides, habe es im überreichem, jeden Wunsch übersteigenden Maße; ... und nun entbehre ich, was mich damals quälte, jene Freiheit der Armut, deren Heimat die ganze große Erde heißt: »Vie errante est chose enivrante!« singt der französische Chansonnier, dessen Lieder ich in Paris kennen lernte. Wohl wahr! In diesem Rausche sind mir sieben Jahre verflogen, sieben Jahre voll Not und Lust. Die Not ist vergessen, die Lust wirkt nach. Sie überfällt mich bisweilen, daß ich nur gleich aufspringen und davonlaufen möchte über alle Berge hinaus! Ich weiß sehr gut, ich würde nicht lange laufen: ich würde bald wieder heimkehren nach meinem lieben Liebenau; – aber ich hätte die Lust doch gebüßt, ich hätte doch wieder einmal vom Schaume der vollen Jugendfreiheit genippt. – Für einen Gatten schickt sich das nicht. Ich soll ein Mann sein, ein ernster, würdiger Gutsbesitzer; darf meine Gemahlin nicht verlassen, muß nach der Wirtschaft sehen, die Beamten kontrollieren, muß im Geschirr des soliden Lebens ziehen, darf nicht über den Strang schlagen, bin glebae adscriptus, bin Sklave meines Reichtums, – Sklave meiner Liebe! – und gute Nacht, persönliche Freiheit! –

Gerate nur erst einer auf derlei bedenkliche Fragen, er wird sich bald in eine recht gut organisierte, rebellische Widersetzlichkeit hineingefragt haben, und gar erst, wenn er die entstehende Mißstimmung – sei es auch in der edelsten Absicht – vor derjenigen verheimlicht, welche die unschuldige Ursache derselben ist. Wer vor seiner Frau ein Geheimnis hegt (ich rede begreiflicherweise nur von solchen Geheimnissen, die auf das eheliche Verhältnis Bezug haben), der erzieht eine Schlange an seiner Brust, die ihm über kurz oder lang das Herz anfressen kann.«

Anton beging diesen Wahnsinn. Er verbarg vor Hedwig jene Unruhe, die ein gespenstisches Phantom, Freiheit genannt, ihm erregte, er zwang sich, heiter und unbefangen zu erscheinen, er erkünstelte fröhlichste Laune, er verdoppelte seine zärtlichsten Aufmerksamkeiten für sie, »damit sie nur nichts merke«! Der Tor! Es wäre besser gewesen, ihr alles zu sagen, die volle, reine Wahrheit. Die Wahrheit ist immer das Beste, auch wenn sie das Schlimmste ist. Hätte er sich die Skrupel von der Seele geredet, ein ganzes verdorbenes Jahr hätte er sich ersparen können.

Doch er schwieg, log, litt. Und es währte nicht lange, so empfand Hedwig, daß er sie täusche. Doch schwieg auch sie, und auch sie litt.

So gingen sie lächelnd, liebend und leidend nebeneinander her.

Ottilie aber schüttelte den Kopf und sagte: »Mit meinen Leutchen im Schlosse ist nicht alles in Ordnung. Seit des Vaters Tode gefallen sie mir nicht. Das muß der Gräfin berichtet werden.«


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