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Viertes Kapitel

Es wird Zeit, daß wir den geneigten Leser in Antons frühere Lebensjahre, sowie in die Verhältnisse seines heimatlichen Dorfes ein wenig einführen. Deshalb werden wir einen Rückschritt machen müssen; doch soll der Fortschritt unserer Erzählung dadurch nicht lange aufgehalten werden.

Der alte Baron Kannabich, der Liebenau, den ersten Schauplatz dieses schlichten Romans, von seinem Vater (dieser wieder von dem seinigen und so weiter hinauf) ererbt hatte, war auch einmal jung gewesen, wie das bei vielen alten Baronen der Fall zu sein pflegt. Und als er jung, war er ein wilder, nichtsnutziger, liederlicher junger Herr gewesen, wie das bei vielen jungen Baronen der Fall zu sein pflegt. Deshalb hatte er denn auch in seine älteren Tage nicht viel mehr herübergebracht, als drei Töchter, deren Mutter bei der Geburt der jüngsten starb – dreimal soviel Schulden, als schon bei seines Vaters Lebzeiten auf Liebenau gehaftet –, einen unversiegbaren und unbesieglichen Durst (doch nicht nach Wasser) – und endlich eine drei mal drei, folglich neunmal größere Nase, als Freiherrn, Ritter und Grafen im gewöhnlichen Lauf der Dinge zu tragen belieben. Diese Nase gab unserem Anton, der ihr blaurotes Farbenspiel von Kindheit auf mit besonderer Andacht observieret, erwünschte Gelegenheit, den gestrengen Gutsherrn mit dem Beinamen: »Onkel Nasus« zu belehnen; eine Benennung, die anfänglich kaum durchdringen wollte, da des Pastors Söhne vorher eine andere geschaffen. Sie behaupteten, der Freiherr schreibe sich nicht Kannabich, sondern von Rechts wegen »Kannenpich«, weil er lieber aus großen »Kannen«, denn aus kleinen Gläsern »pichle«. Und sie hießen ihn Onkel »Kannenpichler«. In seiner Art war das nicht übel, jedoch zu kompliziert, um ins Volk überzugehen. Onkel Nasus war anschaulicher, einfacher, wurde deshalb allgemein beliebt und schlich sich endlich bis ins Schloß, wo es dann durch Diener und Mägde bis zur sogenannten Kammerjungfer und durch solche wieder bis zu den »Schloßfräulein« selbst gelangte, die naiv genug waren, es auch zu akzeptieren und in guter Laune ihren oft in sehr übler Laune polternden ungnädigen Papa »Onkel Nasus« zu schelten, obschon dieser keines Menschen Onkel oder Ohm war, denn er hatte niemals Bruder noch Schwester besessen; er war ein einziges Kind.

»Onkel Nasus ist heute wieder mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bett gestiegen! Onkel Nasus hat heute wieder einmal zu tief in Glas geguckt! – Mit Onkel Nasus ist seit acht Tagen nichts anzufangen!« – Das waren Äußerungen, die nicht selten in den jungfräulichen Gemächern der drei Schwestern von Kannabich beim Aus- und Ankleiden vernommen wurden. Wenn auch »Linz« als älteste mancherlei dagegen einzuwenden wußte, sie wurde überstimmt, da »Miez«, die zweite, in dieser Sache mit »Tieletunke«, der dritten, über einstimmte; und was Tieletunke betrifft, so gestand selbige mit der ihr eigenen Unbefangenheit eine ausgesprochene Vorliebe für Anton, den Korbmacherjungen, den Gespielen früherer Zeit, den Schöpfer des »Onkel Nasus«, immer gern ein.

Damit nun aber keiner meiner Leser wähne, jene soeben genannten Namen der drei Schwestern seien denselben ursprünglicherweise am Taufsteine zuteil geworden, versäume ich nicht, beizufügen, wie »Linz, Miez und Tieletunke« nur Umbildungen von Karoline, Emilie und Ottilie sind; Transkriptionen, die wir der freien Phantasie der beiden Pastorsöhne verdanken, aus deren hosenloser Kindheit sie sich unvermerkt in die Gymnasialzeit geschlichen und, wie so mancher Mißbrauch auf Erden, durch Verjährung geheiligt haben. Gleiches Schicksal traf übrigens die kühnen Täter, denn an beiden, Julius und Robert geheißen, blieben die vertraulichen Kindernamen: »Pastor-Puschel und Rubs« fest haften, während Anton allein, nur in minder vertrauten Umgang gezogen, solcher Ehre verlustig ging. Er war und blieb schlechthin Anton, an längeren Sommertagen, wo man mit der Zeit nicht zu geizen braucht: der Korbmacherjunge. Linz und Mieze standen ihm fern, auch bei ihren Kinderspielen, die beide, in gleichem Alter mit Puschel und Rubs, folglich als Mädchen schon reifer wie Knaben, nur aus Herablassung mitmachten. Tieletunke aber, fast um ein Jahr jünger als Anton, fand dessen Namen zu hübsch, als daß sie ihn hätte umstülpen sollen. Sie rief ihn folglich: Anton, und wenn sie gut aufgelegt war, wurde manchmal Toni daraus; was wohl eigentlich keine Verzerrung, vielmehr eine verkürzende Übertragung des lateinischen Antonius ins Deutsche ist; nach welcher ihr, wie sie zu äußern liebte, bloß Kopf und Schwanz, nämlich: An und us übrig blieb. Und mit An-us wisse sie nichts weiter anzufangen. Denn der Pastorsöhne Vorschlag, asinus daraus zu machen, gab sie zornig zurück, sobald ihr der Herr Pastor die Bedeutung dieses Wortes beigebracht.

Der Pastor nun hatte Schloßfräulein und eigene Söhne vorbereitend unterrichtet, so gut und so schlecht er dies bei redlichem Willen imstande gewesen. Anton, der nur als halbgeduldeter Freiwilliger an jenen Lehrstunden naschen durfte, hatte das Beste davon in sich aufgenommen und das Meiste, weil er von allen der Begabteste gewesen. Das entging der feinfühlenden Tieletunke nicht. Und wie sie scheinbar den adeligsten Stolz gegen den jungen Burschen an den Tag legte, war sie ihm innerlich am herzlichsten zugetan. Die Neckereien ihrer Schwestern hatten es jedoch dahin gebracht, daß sie später ihre wahren Empfindungen in sich verbarg, wie eine Schnecke sich mit bedrohten oder gar betasteten Fühlhörnern ins Innere des Hauses zurückzieht. Linz und Mieze, minder fein organisiert und ihrem väterlichen Großnasenträger ebenso nahe verwandt, als Ottilie der durch sie und ihr Geborenwerden entseelten zarteren Mutter, machten aus ihrer Vorliebe für Puschel und Rubs gar kein Geheimnis. Diese drei Verhältnisse wuchsen mit den drei Paaren heran, wie es eben nur in solchen ländlichen Zuständen möglich ist. Es war eine werdende Dorfgeschichte – nach altem Zuschnitt.

Jetzt sind Puschel und Rubs als wohlbestandene Gymnasiasten in der Hauptstadt und kommen während der Schulferien, im Sommer auch oft über Sonnabend und Sonntag, nach Liebenau zum Besuche. Sie bereiten sich fleißig vor auf ihre Prüfungen für den großen Schritt zur hohen Schule, den man damals noch nicht so zeitig tat wie später; es war noch nicht die Epoche frühreifer Weisheit und Gelehrsamkeit.

Anton, weniger unterrichtet, aber klüger als sie, flicht seine Körbe und in diese samt den Weidenruten gar manchen besonderen, eigentümlichen Gedanken, auf den die jungen Herren Gelehrten schwerlich geraten dürften. Ihr Schulwissen hat sie geistig fast abgetötet, und so sicher sie sich durchs Examen winden werden, so gewiß sind sie flache, nüchterne, wenn schon gutmütige Gesellen.

Ebenso bleiben, wie bereits angedeutet, Linz und Miez gar weit hinter Tieletunke zurück. Nicht allein an Geist, sondern was weit mehr sagen will, auch an Charakter. Die jüngste der Schwestern ist die selbständigste, die an Willen festeste. Dabei ist sie trotzig bescheiden, mit seltenen Ausnahmen nachgiebig, ja unterwürfig und den älteren gehorsam.

Ihr eigentümliches Wesen zeigte sich schon hervorragend, da sie, ein sechsjähriges Kind, mit den Kindern des Hofgesindes spielte. Alle barfüßigen kleinen Jungen, bis zu jenen zehnjährigen Schlingeln hinauf, die bereits vom Dorfschulmeister für die kirchliche Kinderlehre vorbereitet wurden, fügten sich anerkennend ihrem geistigen Übergewicht. Dieses war so entschieden, daß es sogar ein leibliches wurde. Fräulein Tieletunke führte strenges Regiment und prügelte nötigenfalls ihre jungen Verehrer tüchtig durch, was diese ohne Widerrede sich von ihr gefallen ließen, während sie sich doch gegen Linz und Miez raufend zur Wehre setzten und die gnädigen jungen Schloßfräulein dermaßen zurichteten, daß Onkel Nasus oft mit der Karbatsche dazwischen hauen mußte.

Sehr bezeichnend ist folgender Vorfall: Gottfried, des Schulmeisters Söhnlein, gleichfalls um einige Jahre älter als Tieletunke und durch seinen Vater eine Art von Respektsperson für den Liebenauer Nachwuchs, hatte einmal gewagt, sich als solche geltend zu machen und der jungen Gebieterin Gehorsam zu verweigern. Man war allgemein gespannt, welche Folgen daraus entstehen würden. Tieletunke ließ sich ein Stöckchen reichen, befahl dem rebellischen Gottfried still zu halten (was dieser in stummem Erstaunen wirklich tat) und erklärte mit fester Stimme, sie werde dem Schuldigen fünfundzwanzig Streiche geben. – (Wem diese Strafe zu hart und die Summe der Schläge zu groß erscheint, der wird zu bedenken ersucht, daß die Strafende dazumal noch nicht zählen konnte und mit 25 einen unbestimmten Begriff verband; es war, wie wenn sie drei oder sieben gesagt hätte.) – Beim ersten Streiche schon zerbrach das dünne Stäbchen. War nun wirklich kein anderes zur Hand, oder schafften die Kinder keines mehr herbei, weil sie Gottfrieds Vater zu erzürnen fürchteten: die Exekution konnte nicht fortgesetzt werden. Da sagte Tieletunke: »Mit der Hand schlag' ich einen so unsauberen Buben nicht; er mag laufen, aber ich spiele nicht mehr mit ihm!«

Am anderen Tage, als zur gewohnten Spielstunde sich das muntere Völkchen auf dem grünen Kirchhof versammelte, saß Tieletunke an ihrer Mutter Gruft und spielte nicht mit den anderen. Und nun kam Gottfried, reichte ihr ein stärkeres Haselstöckchen dar, sprechend: »Gib mir meine Strafe, Tieletunke; das wird schon aushalten, ich hab' es selber abgeschnitten; wenn ich aber geprügelt bin, spiele auch wieder mit mir.«

Von jenem Abende schreibt sich Antons Neigung für Ottilie.

Diese Neigung würde bis auf den Zeitpunkt, der unsere Erzählungen eröffnet, schon zur heißen, wenn auch halb hoffnungslosen, doch eben darum schwärmerischen Liebe eines reiferen Knaben herangeblüht sein, unseren jungen Freund gänzlich in Anspruch genommen haben, hätte nicht die für ihr Geschlecht fast zu männliche Energie des Fräuleins den Korbmacher befremdet und instinktmäßig abgekühlt. Er wagte nicht, für sie zu schmachten, auch wenn er allein war, nicht, weil er befürchtete, sie könne ihn höhnisch verspotten. Sie, die ihn oft schon »Korbmachermädel« gescholten, weil er so leicht sich der Rührung hingab; sie, die als kleines Kind schon beklagt, daß sie nicht ein Junge geworden. »Es ist recht böse von meinem rotnasigen Papa«, hatte sie damals immer geäußert, »daß er, als der Klapperstorch, der meine arme Mutter totgebissen, mich ihm brachte, nicht ausgerufen hat: das ist ein Junge! Es hing ja von ihm ab. Er durfte nur wollen, gleich war ich ein Junge, wie ihr, und hieß Otto, statt Ottilie. Jetzt muß ich ein dummes Mädel sein und lange Röcke tragen.«

So hatte sie damals geredet und redete nun freilich nicht mehr so, aber der Wunsch, ein Jüngling zu werden, statt eine Jungfrau zu sein, schien sich oft noch bei ihr geltend zu machen. Diese Richtung störte Anton in der sehnsüchtigen Andacht einer ersten unschuldigen Liebe. Er zitterte fast vor der, die er anbeten wollte, wie sanft, wie weiblich, wie anmutig sie auch sonst sein mochte.

Wer irgend, mit einiger Kenntnis des menschlichen Herzens, mit einiger Beobachtungsgabe ausgestattet, die beiden mitsammen gesehen, konnte ahnen, daß hier eines jener Urgeheimnisse der Natur in verborgenster Nacht wirkte. Der Jüngling schien das Mädchen zu fliehen, das Mädchen schien ihn gering zu schätzen; und dennoch fühlten sich beide von der unbeschreiblichen Gewalt aneinander gezogen, die aus Mann und Weib wieder eine Seele und einen Leib machen möchte und dieses Problems Lösung seit Adam und Eva auf die verschiedensten Arten bis jetzt immer noch erfolglos sucht.

Sobald Pastor-Puschel und Rubs in Liebenau eintrafen, sich vom Staube des Weges einigermaßen gesäubert hatten, begaben sich Beide stets regelmäßig und ohne Aufschub aus dem Pfarrhause nach dem Herrenhause, um Onkel Nasus die Hand zu küssen, der seinen »Mädels« alsobald befahl, Wein und Brot vorzusetzen. Dann ritt er aus und ließ die zwei Paare treiben, was ihnen gefällig war. Gewöhnlich unternahmen sie einen Spaziergang, den die »Studenten« mit ihren beinahe vier Meilen in den müden Füßen möglichst abzukürzen und im nächsten schattigen Wäldchen zu beenden wußten, wo man sich lagerte. Bis vor einem Jahre noch hatte man zu jedem dieser Züge Anton abgeholt. Der Korbmacherjunge, der sauberste, hübscheste, klügste Genosse der Spielzeit, durfte nie fehlen. Jetzt war das nicht mehr so. Die Hochschüler fingen an, sich seiner zu schämen; in seinem Wesen lag es nicht, sich aufzudrängen. Er blieb fern, und Tieletunke schlenderte allein hinter den zwei zärtlichen Paaren her, ohne durch ein Wort oder eine Miene zu verraten, daß sie den Begleiter ihrer Kindheit vermisse. Doch entschädigte sie sich dann beim Auskleiden für ihre Entbehrung, wenn sie den Schwestern zu verstehen gab: Rubs und Puschel wichen dem vertrauten Verkehr mit ihrem ehemaligen Spielkameraden nicht deshalb aus, weil sie sich des Dorfjungen, sondern weil sie sich vor ihm schämten, der in seiner grauen, grobleinenen Jacke zierlicher, vornehmer, unterrichteter sei, als die plumpen Schulflegel.

Und gewissermaßen sprach sie wahr. Die Gegner der Aristokratie mögen zweifeln, wie sie wollen und können – es gibt einen angeborenen Adel; nur freilich, daß er nicht unveräußerliches Erbteil der Adeligen bleibt! Daß er oft mehrere Generationen überhüpft! Daß er verwunderliche Kreuz- und Quersprünge macht! Daß die Rassen Auffrischung und Wechsel brauchen! Geht es doch bei Pferden, Schafen und Rindvieh nicht anders zu.

Eine der edelsten von allen unserem Helden angeborenen Eigenschaften war die Empfänglichkeit, die Bildungsfähigkeit seines Verstandes wie Gemütes. Aus den Büchern, die er teilweise beim Pastor empfangen, die er von den Schloßfräulein ausgeliehen, ging so viel in ihn über, drangen die Gedanken, die er in sich aufnahm, so tief ein, daß er, seinen Umgebungen, seinen Verhältnissen, seinem wirklichen Wissen weit voraus, sich gleichsam selbst übertraf; daß er seiner eigenen Entwicklung vorangeeilt schien. In städtischem Verkehr, in geselligen Vergnügungen heimisch, würde er ein vorlauter, altkluger, unausstehlicher Laffe geworden sein. Im Häuschen seiner biederen Großmutter, als bescheidener, reingewaschener, sauber gehaltener Dorfhandwerker – vielmehr Pfuscher – war er ein Phänomen. Tieletunke wußte am besten, was sie tat, wenn sie ihren Schwestern zu bedenken gab, daß die gelehrten Pastorsöhne von dem ungelehrten Anton lernen könnten.

Zwei kleine Talente fingen frühzeitig an, sich bei ihm zu entwickeln. Zuerst ein musikalisches. Unter all den Jungen, so beim Herrn Schulmeister streichen und geigen mußten, zum Schreck und Schauder sämtlicher Dorfhunde, die ängstlich mit eingeklemmten Schwänzen und nur bei unvermeidlichen Gängen und Geschäften an der philharmonischen Sektion des Schulhauses vorüberschlichen – war er der einzige, der seiner kleinen, armseligen Fiedel reinere Töne zu entlocken wußte. So glänzend strahlten seine Progressen, daß er Herrn Kickelier, den Lehrer (Gottfrieds Vater), bald überbot und nichts mehr von ihm vernahm als staunende Lobeserhebungen, während derselbe den übrigen Jungen nicht Fingerknipse genug darreichen konnte für all ihre Mißtöne.

Die zweite von Antons Gaben sprach sich in frischen Reimen aus, die ihm wunderbar leicht gelangen. Ich hätte mich wissenschaftlich kritischer ausdrücken und sagen können: er besaß Anlagen zur Poesie; er war Naturdichter und dergleichen mehr. Ich sagte absichtlich und ausdrücklich: sein Talent sprach sich in Reimen aus. Weil ich zu den aufrichtigen Leuten gehöre und eingestehe, daß ich den Reim bei einer gewissen harmlosen Gattung lyrischer Kleinigkeiten nicht entbehren mag, daß ich ihn fast für die Sache selbst halte; daß ein kleines Liedchen reimen muß, wenn es ein Lied sein will. Für mich gibt es keine Blume ohne Blüten.

Antons Reime kannte nur der liebe Gott und er. Sonst niemand. Nicht einmal die Großmutter. Denn wie er, vor etwas länger als einem Jahre, Ottilie eins von seinen Sprüchlein hergestottert, hatte ihn diese unbarmherzig ausgelacht und gemeint, die Mutter Goksch würde wohl tun, ihm den Hagedorn mit dem Klopfstock auszutreiben und er möge hübsch seine Kunden prompter bedienen, damit sie nicht so lange auf geflickte Körbe warten müßten!

Seitdem verschloß Anton, was die Musen ihm eingeben wollten, in tiefster Brust und vertraute niemand eine Silbe an.

Aber seltsam bleibt es, daß seitdem auch, wenn Tieletunke sich allein und unbelauscht meint, sie immer und immer folgende Zeilen wiederholt:

»Ich flechte schlanke Weiden
In meine Körbe ein;
Ich schlinge meine Leiden
Und Freuden mit hinein;
Ich hab' ein stilles Sehnen,
Das tut mir wohl und weh;
Mein Auge schwimmt in Tränen,
Wenn ich mich flechten seh';
Die Weidenruten streben
Aus dem Geflecht heraus;
Doch müssen sie sich geben,
Es wird ein Korb daraus.
Ein Korb! Das ist ein schlechter,
Ein trauriger Doppelsinn,
O armer, armer Flechter,
Ein Korb ist dein Gewinn.«

Seltsam, seltsam bleibt es, daß Tieletunke diese Reime sich oft sinnend vorsagt. Noch seltsamer, daß sie von einmaligem Hören ihr im Gedächtnis blieben!


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