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Siebzehntes Kapitel

Ich weiß nicht, woher es kommt und welche Art von Ehre die sogenannten Vornehmen darein setzen, daß sie ihre Verstorbenen so spät als möglich begraben lassen! In manchen Gegenden wenigstens hegt man diese seltsame Gattung von Eitelkeit. Sollte es Furcht vor dem Scheintode sein? Ich glaube kaum; denn ich selbst habe oft genug Leichenbegängnissen beiwohnen müssen, wo man sich schon einige Tage vorher durch allzu kräftig duftende Beweise von der unzweifelhaften Auflösung alles Irdischen überzeugen konnte. Es mag wohl daher kommen, daß Zurückbleibende entweder wirklich wünschen, die leiblichen Überreste der Ihrigen noch in ihrer Nähe zu wissen, oder daß sie es für schicklicher halten, diesen Wunsch mindestens voraussetzen zu lassen. Und weil denen, welche ihren Verhältnissen gemäß größere Räume, bequemere Wohnungen innehaben, es leichter wird, ein abgesondertes Leichenzimmer einzurichten, so bleibt ihnen auch hierin ein trauriger Vorzug vor den Ärmeren und Geringeren, die gezwungen sind, Luft zu machen, damit sie selbst nur wieder leben und wirken können.

Anton hielt sich herkömmlicherweise an den dritten Tag, wobei er jedoch den eigentlichen Todestag nicht mitrechnete; und dadurch geschah es, daß des freiheitlichen Gutsherrn und der Kantorswitwe Bestattung auf einen und denselben Nachmittag fiel. Eine seltene Begebenheit für Liebenau: zwei Leichen unmittelbar hintereinander!

Eben kamen die leidtragenden Töchter aus der Erbgruft wieder ans Tageslicht, als zwei Träger mit dem Sarge der Frau Hahn in den Friedhof traten. Anton wankte hinter diesem Sarge her wie bewußtlos. Puschel und Rubs, die sich seines Schmerzes, seiner Ratlosigkeit hilfreich angenommen, leiteten ihn. Das ganze Dorf war noch beisammen von der »Beisetzung« des Barons. Es blieb versammelt für das Begräbnis der Mutter Goksch. Bloß daß die Leute sich umwendeten, von der Gruft unter der Kirche weg, um sich dem Grabe im frischen Erdboden zuzukehren. Das war alles. Auch die drei Baronessen stellten sich dahin. Pastor Karich stand schon am offenen Grabe. Er redete nur wenig zum Andenken der Verstorbenen; doch dies wenige scheint mir eigentümlich genug, damit es hier ein Plätzchen finde!

»Ich habe« – so lautete die Trauerrede für Antons Großmutter – »jetzt eben meinen ältesten Gönner und hohen Freund, unseren gnädigen Grundherrn, zur ewigen Ruhe eingesegnet, indem ich für selbigen, kraft meines Amtes als berufener und verordneter Diener Gottes, die Gnade des Himmels erflehte und barmherzige Verzeihung alles dessen, was menschlich-sündhaft an ihm gewesen. Er ist gestorben, ohne seinen Frieden mit der Ewigkeit abzuschließen, darum ist sein Ende mir ein zweifacher Schmerz.

Hier dagegen stehen wir am Grabe einer so redlichen, sanften, verständigen und dabei bescheidenen Frau, daß ihr Beispiel allen empfohlen werden kann, die noch auf Erden wandeln. Während sie hier unter uns lebte, hat niemand eine üble Tat von ihr gesehen. Wie sie lebte, ist sie gestorben, im frohen Vertrauen auf die ewige Macht, welche alles leitet und lenkt.

Sie hat einen Enkel hinterlassen, der ihrer würdig ist. Ihr Segen ruht auf ihm! Anton, im Namen Gottes ruft ein alter Mann dir zu, – daß die ganze Gemeinde es höre! – deiner Großmutter Segen wird dich begleiten durchs Leben. Welche Versuchungen, welche Prüfungen, welche Leiden dir etwa vorbehalten sein mögen – du wirst über alle siegen und zuletzt glücklich sein, – so gewiß die Seele selig ist, deren Hülle wir jetzt versenkt haben!! Laßt uns ein stilles Gebet sprechen, und kehre dann ein jedes an seinen Herd. Amen.«

Nachdem das Gebet vollendet war, drängte sich alt und jung herbei, ihre drei Handvoll Erde auf den Sarg zu werfen. Anton blieb unbeweglich, bis keiner mehr zurück war. Dann warf er seine Spende hinab. Und wie er so schweigend, still – denn Tränen hatten seine Augen nicht mehr – ins Grab starrte, trat Ottilie an ihn heran.

»Toni!« rief sie laut, daß die Leute ringsumher es hörten und auf beide blickten.

Er schrak zusammen und sah sie fragend an.

Sie umschlang seinen Kopf mit beiden Händen, drückte einen langen Kuß auf seine Stirn und sagte: »Lebe wohl!« Hierauf folgte sie ihren Schwestern. Das Gewühl zerstreute sich.

Anton blieb am Grabe, bis es völlig geschlossen und der Hügel aufgeworfen war, der noch vor Abend mit sorgfältig ausgestochenen Rasenstücken bedeckt wurde.


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