Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundvierzigstes Kapitel

Blätter und Blättchen aus Antons Tagebuch.

Vom 30. Mai.

»Meinen Fuchs hat Felix richtig gekauft und noch gut genug bezahlt. Den Betrag dafür sollte ich von Rechts wegen an Madame Amelot schicken, wenn ich sonst wüßte, wo sie zu finden ist!

Der Abschied von Guillaumes war kurz und kalt. Der Furioso und die Stalljungen zeigten ein wenig Bedauern über meinen Abgang. Sonst niemand von allen, mit denen ich länger als ein Jahr zusammen gewesen. Gestern sind sie fort.

Wir packen bereits. Das ist eine schwierige Arbeit, zu der ich mich wohl recht ungeschickt anstellen mag! Doch Herr Vlämert hat Geduld mit mir und unterweist mich auf das liebreichste. Ich habe bald nicht einen so sanften, gefälligen Mann gesehen. Er legt seine edlen Menschen und niederträchtigen Schurken gleich subtil auseinander, daß man denkt, er habe mit lebendigen, empfindenden Personen zu tun, die er schonen möchte.

Schkramprl suchte mich gestern auf, mir Glück zu wünschen, daß ich's so gut getroffen. Er ist ganz erstaunt über die Nachricht; denn bis gestern haben wir, Vlämert und ich, das Geheimnis bewahrt. Auch danke ich meinem Schöpfer für dieses glückliche Ereignis. Es wird zwar lange genug dauern, bis der wächserne Kongreß und wir mit ihm Frankreich und gar Paris, die Stadt meiner Sehnsucht, erreichen. Aber das hilft nun einmal nichts. Allein könnte ich ja doch aus vielfachen Gründen die Reise nicht unternehmen, sogar nicht, wenn ich mich durchfechten wollte, wie die Handwerksburschen; einen Anhalt, einen Schutz, eine Bürgschaft muß ich haben bei der Unsicherheit meines Passes, und da gibt es schon keinen besseren Platz, als den mir Herr Vlämert vertrauensvoll gegönnt.

Wenn ich nur aus mir selbst insoweit klug werden könnte, daß ich wüßte, was mich eigentlich nach Paris zieht. Ich mag sinnen, forschen, mich aufs Gewissen fragen, wie ich will, – endlich bleibe ich doch immer wieder bei Adele stehen. Die innere Stimme sagt mir, daß ich sie trotz des Franconischen Berichtes dennoch nirgend anderswo antreffen werde.

Und sehen, sprechen muß ich sie!

Ich fasse nicht, wie ich weiter leben sollte, ohne mindestens mit ihr mich ausgeredet zu haben über alles, was sie und mich betrifft. Ich weiß nicht, ob ich sie liebe. Aber ich weiß doch, daß ich ins reine kommen will über mich, über sie, über unsere Gefühle füreinander.«

 

Vom 14. Juni.

»Es wird doch rascher gehen mit unserer Reise, wie ich erst gefürchtet. Herr Vlämert findet es gar nicht der Mühe wert, in kleinen Städten, deren wir manche berühren, anzuhalten und seine Sammlung auszupacken. Er hat auch recht. Die Kosten der Anordnung stehen in keinem Verhältnisse zu der größten Einnahme, die möglicherweise in derlei Nestern erzielt werden könnte.

In der jetzigen Jahreszeit zu reisen ist sehr angenehm. Herr und Frau fahren in ihrer kleinen Chaise. Ich sitze ganz allein, ungestört im bequemen Kabriolett eines Packwagens, wo ich mich häuslich eingerichtet habe. Eine englische Sprachlehre und ein französisch-englisches Taschenwörterbuch habe ich von L. mitgenommen. Herr Vlämert, der die englische Sprache kennt und täglich übt, weil Mistreß Vlämert nichts anderes spricht, gibt mir manchen Wink über die Aussprache. Aber da wird er, fürchte ich, lange winken können, bis ich dahin gelange, mich nur verständlich auszudrücken. Eine Menge von Buchstaben klingen ganz anders, wie sie geschrieben werden; derer nicht zu gedenken, die man im Munde behalten, mit der Zunge zerdrücken und halb hinunterwürgen soll, wie reife Erdbeeren, halb wieder herausgeben, wie Kirschkerne. Ich sagte neulich zu Herrn Vlämert, es wäre für den Lernenden schlimm: wenn er zwei Tage daran gewendet, zu begreifen, wie man »Ochse« schreibe, erfahre er am dritten, daß es »Esel« ausgesprochen werde. Er lachte und übersetzte diese meine dumme Äußerung seiner Gemahlin ins Englische. Da sah ich sie zum erstenmal lächeln; doch stellte sie's augenblicklich wieder ein. Die gute Frau hat etwas gegen mich, sie kann's nicht verbergen, ich bin ihr zuwider. Zwar nehme ich ihr's nicht übel, denn so was ist unwillkürlich, doch drückt es mich und verleidet mir meine Anstellung, mit der ich übrigens alle Ursache hätte, sehr zufrieden zu sein. Es ist halt nichts auf Erden vollkommen, und kein Glück bleibt ungetrübt.«

 

Vom 23. Juni.

»Heute ist es ein Jahr, daß ich zum erstenmal im Zirkus öffentlich erschien. Mit welchen Hoffnungen! Mit welch eitlen Voraussetzungen! Und was hat sich davon erfüllt!«

 

Vom 7. Juli.

»Da wären mir ja in dem altberühmten F. Hier wird geblieben.

Das ist wahr, einzurichten versteht mein Herr seine Sachen. Unsere Bude sieht aus wie ein Schmuckkästchen von innen und außen. Mein heimliches Kabinett ist so niedlich, daß ich es fast zu schön finde für die unschönen Gegenstände, die es zum Teil einschließt. Herr Vlämert ist zwar sehr stolz auf dieselben und gewissermaßen kann er es wohl sein; alle Kenner loben die vollendete Ausführung. Aber bei all dem kann ich die Scham noch nicht überwinden, daß ich so viele Sachen enthüllen muß, die besser verschleiert blieben!

Was es doch für Weiber gibt! Gestern bestanden ihrer zwei darauf, mit einer Herrengesellschaft zugleich die verbotenen Waren anzusehen. Na, mir konnte es recht sein! aber wenn meine Geliebte oder meine Frau solches Äpfelgelüste zeigte, – ich gäbe ihr, glaub' ich, den Laufpaß!

Da lobe ich mir Madame Vlämert. Die macht schon linksum, wenn sie nur in die Nähe der Tür gerät. Fast komme ich auf die Vermutung, sie wolle mir bloß deshalb übel, weil sie in mir den Hüter jener ihr anstößigen Kleinodien erblickt.

Die Trinkgelder fließen übrigens reichlich ein.«

 

Vom 10. Juli.

»Mit der englischen Sprache geht es mir gut. Das heißt, sprechen, wie ich das Französische spreche, werde ich sie niemals; das habe ich bereits aufgegeben. Aber verstehen werde ich sie sehr bald, ebensogut wie die deutsche, der sie nahe verwandt scheint. Ich lese schon ziemlich fertig. Der Herr hat mir einige Bände aus seiner Gattin Reisebibliothek geliehen, wo ich auf Schwierigkeiten stoße, erklärt er mir den Sinn. Er bossiert jetzt gerade eine Gruppe aus einem englischen Trauerspiele, für welche er sich die Porträts der Akteurs, die er zu London darin auftreten sah, mitgebracht. Das Stück ist von Herrn Shakespeare geschrieben und heißt Othello. Dieser letztere ist ein eifersüchtiger Maure oder Mohr, der seine unschuldige Frau umbringt. Diesen Auftritt hat Herr Vlämert gewählt für die neue Gruppe; wahrscheinlich, weil er meint, daß es für die Franzosen nicht blutig genug zugehen kann. Die Tragödie ist auch wirklich höchst fürchterlich. Das Ehepaar tat mir erbärmlich leid, wie ich sein trauriges Schicksal las; es ist alles so natürlich geschildert, daß man die handelnden Personen vor sich sieht, wie Menschen, die man kennt. Nur damit bin ich nicht einverstanden, daß der Bösewicht, der das ganze Unglück braut, ein gewisser Jago mit Namen, so häufig selbst sagt: er wolle schlecht handeln; es sei sein Wille, ein Bösewicht zu sein! Wahrscheinlich hab' ich unrecht, und der Dichter muß das besser verstehen; doch bisher hab' ich immer geglaubt, wer Böses tun will, suche sich's als gut vorzumalen und bemühe sich um Entschuldigungsgründe gegen sein eigenes Gewissen.

Wäre ich übrigens Herr Vlämert, ich ließe die Londoner Schauspielerin gänzlich aus dem Spiele und gäbe der armen Desdemona das Gesicht meiner eigenen Gattin. Einen besseren Ausdruck für unschuldige Reinheit kann er nirgends finden, wie in Käthchens Zügen; das ist einmal wahr, und das muß ich sagen, wenn sie mich schon nicht leiden mag.«

 

Vom 21. Juli.

»Auf was doch die Menschen geraten, um Geld zu erwerben! Und was ich schon für seltsame, närrische Dinge gehört und gesehen, ja selbst mitgemacht habe, die in derselben Absicht unternommen waren. Jetzt ist nun gar eine Affen- und Hundekomödie hier. Ein Italiener, namens Baldavi, dirigiert das Ganze. Er soll früher auch Kunstreiter gewesen sein. Weil er aber bei einem gefährlichen Sturz mit dem Pferde das Bein gebrochen hat und schlecht geheilt worden ist, sah er sich genötigt, die Reitkunst mit der Dramaturgie zu vertauschen. Das krumme Bein beiseite war ich ja in einem ähnlichen Falle, nur daß bei mir nicht zur Ausführung kam, was ich vorhatte.

Ich denke oft darüber nach, ob ich gut oder übel daran getan, mich von dem großen Schauspieler sobald zurückschrecken zu lassen!

Das hiesige Theater – ich meine jenes mit zweibeinigen Schauspielern – hat einige recht gute Mitglieder.

Aber ein D. ist nicht dabei.«

 

Vom 24. Juli.

»Hab' ich gelacht! Die Hunde erbarmten mich wohl mit ihren dummen Gesichtern, denen man gleich ansieht, daß sie immer ängstlich nach der Peitsche schielen. Aber verwünschte Figuren sind es. Die gewisse Madame Pompadour, welche Madame Batavia besuchte; die langen, blassen Schnauzen, die da unter den Federhüten hervorschmachteten; und die Schwänze, die aus den seidenen Röcken herauszüngeln. – Einige Affen sahen frappant aus wie Schkramprls Zwerge. Der ganz kleine Rossignol, der sich auf dem Schlappseile schwenkte, erinnerte mich an Madame Simonellis Lieblingsäffchen, und beim Seile mußte ich wieder an Michaletto Sanchez' jüngste Tochter denken. Was für verschiedene Erinnerungen zogen doch in wenig Minuten an mir vorüber.

Zuletzt führte die ganze Gesellschaft eine Bataille auf. Die Erstürmung und Einnahme der Festung Kakomirum. Der Mordlärm, den Affen und Hunde bei diesem Sturm erhoben, riß mich glücklicherweise wieder aus meinen sentimentalen Mucken heraus, daß ich fröhlich lachend heimkehrte und meinem Herrn samt Gattin tapfer zuredete, sie möchten sich den Unsinn doch auch einmal mit anschauen. Aber da predigt man tauben Ohren. Er sitzt so tief in seinen Büchern und denkt nur an Desdemona, daß Kakomirum und Madame Batavia keine Anziehungskraft für ihn haben. Sie sagte: »Wie können Sie Gefallen finden an den Qualen der Tiere?« Das sagte sie auf Englisch.

's ist doch närrisch; wenn Herr Vlämert diese Sprache redet, finde ich sie mißlautend. Wenn Mistreß Katharine sie spricht, finde ich sie lieblich klingend! C'est le ton, qui fait la musique, pflegte Laura zu behaupten.

Arme Laura! Ob er sie wirklich prügeln mag, der verdammte, kleine Amelot?«

 

Vom 2. August.

»Muß mich mein Unstern mit dem Affenmanne, dem Baldavi zusammenführen! Muß meine Eitelkeit mich plagen, ihm zu erzählen, daß ich bei Guillaume war! Muß er mir von seinen Künsten bei Franconi vorschwatzen! Muß er den Namen Adele Jartour aussprechen! Und kaum hat er ihn ausgesprochen, daß ich auch schon mit Fragen in ihn stürme! – Ich Tor! Was habe ich nun davon? Nichts als neue Unruhe und Ungeduld. Er ist ihr im vorigen Jahre begegnet, sie befand sich auf der Reise nach Paris! Sie hat es ihm mit klaren französischen Worten gesagt, daß sie nach Paris gehe, um dort zu bleiben!

Und was weiß ich nun, da ich dies weiß? So viel wie vorher! Nichts. Nur daß es mich wieder aufregt und mich mit – ja du lieber Himmel, mit was denn? – erfüllt?

Ich vermag einmal nicht mir Rechenschaft zu geben über meine Empfindungen für dieses Mädchen. Und deshalb ist und bleibt es notwendig, daß wir uns wiedersehen. Ich will mich nicht durch die Welt stehlen wie mein eigenes Geheimnis!

Aus all meinem Sehnen und Trachten nach unbestimmter Ferne, aus diesem Leben und Weben in der Idee könnte mich nichts retten als eine gegenwärtige, heitere, lebensfrische Neigung für eine junge Schöne! Doch das ist leicht ausgesprochen. »Aber woher nehmen und nicht stehlen?« wie der Liebenauer Gemeindehirt sich oftmalen zu äußern beliebte. Dabei stahl er wie ein Rabe.«

 

Vom 13. August.

»M. ist kleiner wie F., aber eine freundliche Stadt. Ich möchte wissen, woran es liegt, daß finstere Vorahnungen mich bedrängten, gleich bei meinem Eintritt. Hier sind sie wahrlich unpassend, denn alles, was mich umgibt, atmet Heiterkeit und Frohsinn. Ich trage etwas Düsteres in mir; eine Bangigkeit, die mir für gewöhnlich auch fremd ist. Ernst könnte ich wohl gestimmt sein, doch warum ängstlich?

Vielleicht sind es die Gewitter, die seit acht Tagen so schwer in der Luft hängen, die mich bedrücken?«

 

Vom 14.

»Das war eine Nacht! Wie wenn die Welt unterginge! Solch ein Donnerwetter habe ich noch nicht erlebt. Das Rollen und Krachen setzte nicht aus, und ein Blitz ging sozusagen im anderen auf, daß man sie gar nicht mehr auseinander zu sondern vermochte. Es war ein fünfstündiger Blitz. Ich lag in meinem Kämmerlein, ohne zu schlafen, doch auch ohne mich zu ängstigen. Blitze haben nur dann etwas Peinliches für mich, wenn sie in großen Zwischenräumen aus schwülen, schweren Wolken zucken, daß man lange darauf warten muß, bis wieder einer leuchtet. Wenn es aber am lieben Himmel sozusagen drüber und drunter geht, wie in vergangener Nacht, da verliert sich der Druck von meinen Nerven, und es wird mir völlig leicht und frei. So lag ich nun und war mit meinen Gedanken weit weg von M., war in Liebenau bei meiner unvergeßlichen Großmutter, die mir von frühester Kindheit an einschärfte, es sei erbärmlich, bei gefahrdrohenden Naturerscheinungen sich abzuängstigen, als ob, sagte sie, der liebe Gott, wenn er uns suchen wolle, uns bei heiterem Himmel nicht ebenso sicher finden würde!

Ich dachte mich während des furchtbaren Tumultes in der Natur, gleichsam wie zum Gegensatze, so recht heimlich und kindlich in den stillen Frieden unseres Häuschens; überlegte, wie es wohl dort aussehen, wer darin wohnen möchte! Ob vielleicht gar mein verehrungswürdiger Herr Kurator? – Da pochte es an meine Tür, und englische Worte aus Engelsmunde – es gibt keinen schöneren! baten flehentlich, mich anzukleiden und hinüber zu kommen. Ich gehorchte. Ich fand Madame Vlämert im saubersten Nachtkleide, vor Schreck und Furcht weinend; sie war nicht imstande gewesen, ihren Gemahl zu erwecken, der sich eines Totenschlafes erfreut, und sie bekannte mir, daß sie in Bangigkeit vergehen müsse, wenn sie nicht mit einem lebendigen Wesen reden könne, während Gott mit der Erde zürne. Die schöne Frau stammt, wie mir scheint, aus einer Familie von sogenannten Pietisten oder Puritanern! Desto seltsamer, daß ihre Eltern ihr doch gestattet haben, einen umherziehenden Künstler zu heiraten! Die Verzweiflung, die sie in ihrer Furcht zeigte, und die ich durch Gründe zu widerlegen suchte, so weit mein schwacher Geist ausreichen wollte, führte uns auf religiöse Gespräche. Leider konnte ich doch nicht alles von mir geben, was ich etwa auf dem Herzen gehabt, weil ich mich in ihrer Sprache noch nicht fertig genug ausdrückte; denn es ist ein anderes, bei Tische zu sagen: ich bitte noch um ein Stück Fleisch! und wieder ein anderes, Meinungen und Ansichten zu entwickeln. Dazu gebraucht man seine eigene Sprache, in der man versucht hat, über dasjenige zu denken, was man mitteilen möchte. Wie ich mit Laura lebte, war ich wohl schon so weit, bisweilen französisch zu denken. Wie lange würde ich wohl mit Käthchen leben müssen, um englisch denken zu lernen?

Doch das ist eine dumme Frage und, was noch schlimmer, eine strafbare. Sie ist die Gattin meines Brotherrn, meines Gönners, ist ein unbescholtenes, rechtschaffenes Weib. Folglich ist das eine unschickliche Äußerung, von der ich nicht begreife, wie sie mir in den Sinn und gar erst in die Feder geriet!

Obenein diese Frau, die mich nicht ausstehen mag! ... Aber das ist kurios: da fällt mir eben ein, wie sie vergangene Nacht mich ganz anders behandelte, als bisher! – Sonderbar! – Wenn ich mir zurückrufe, wie sie mich ansah, ... sich bei heftigen Donnerschlägen an mich drängte, ... sie befand sich in unnatürlicher Aufregung.

Es gibt Menschen, auf die das Gewitter gewaltsamen Einfluß ausübt, so daß sie gar nicht mehr wissen, was sie beginnen!«

 

M. Vom 22. August.

»Die Geschäfte gehen im ganzen schwach. Herr Vlämert klagt und ich spüre es auch an meinen Seiteneinnahmen. Die Stadt zählt nicht gar viele Einwohner. Das meiste müssen die Fremden tun, die Reisenden. An denen fehlt es nicht, und diese bringen uns auch noch am meisten ein. Doch ist einer gekommen, der uns kein Geld einbringt, weil er freien Eintritt hat, wenn er ihn benützen will, und der uns zur Erwiderung auch den freien Eintritt bei sich angeboten, wovon ich nächstens Gebrauch machen werde. Das ist ein Schweizer, namens Jeanet, der mit abgerichteten Kanarienvögeln reist.«

 

M. Vom 26. August.

»– – – Es gibt nichts Hübscheres zu sehen als Herrn Jeanets kleine Vögel, wenn sie buchstabieren und rechnen. Er besitzt deren nur drei, die in einem zu drei Käfigen abgeteilten Kasten ihren Wohnsitz haben. Den ersten nennt er den Professor, den zweiten den Studenten, den dritten den Schuljungen. Auf einem mit grünem Teppich bedeckten Tische liegen schmale dünne Kartenblättchen, auf jedes derselben ein Buchstabe des Alphabets gedruckt, der Reihe nach von A bis Z, wie man dergleichen für Kinder anfertigt, die spielend lesen lernen sollen. Sodann werden die Anwesenden aufgefordert, Namen, Wörter, was sie wollen, auszusprechen, und diese trägt ein Vogel auf den Zuruf seines Herrn aus einzelnen Zeichen, wie er dieselben mit dem Schnabel ergreift, richtig zusammen; dasselbe geschieht mit Ziffern, wodurch er die ihm gestellten Rechnungsaufgaben löst. Ich kann mir schon denken, daß der Vogel selbst weder buchstabiert, noch zusammenrechnet, sondern, daß er nur auf einen Wink seines Lehrers diejenigen Blätter mit dem Schnabel faßt, die gerade nötig sind. Aber schon das ist bewunderungswürdig und setzt ebensoviel Geschick als übermenschliche Geduld und Ausdauer von seiten des Herrn Jeanet voraus. Einen Hund kann man leicht zum Apportieren abrichten; ebenso Herr Guillaume seine dressierten Pferde; dafür gibt es die liebe und beliebte Peitsche. Aber ein kleines, gelbes Vögelchen, zart wie Spinngewebe, womit straft man dieses, ohne es zu zermalmen? Das verstehe ich nicht. Dabei sehen die Tierchen so frisch und glatt und munter aus wie nur jemals ein Rotschwänzlein auf unserem Liebenauer Gartenzaun. Vorzüglich der Herr Professor und der Student. Weniger »komfortabel«, um mit Mistreß Vlämert zu reden, scheint sich der Schuljunge zu fühlen: doch das machen die Studien der Anfangsgründe; aller Anfang ist schwer.

Madame Vlämert muß das sehen, ja, das muß sie sehen. Die Hundekomödie fand sie schon in der Beschreibung ekelhaft, weshalb ich ihr nicht weiter zuredete. Dieses unschuldige Schauspielchen wird ihrem zarten Sinne und ihrer großbritannischen Exklusivität gewiß behagen. Ich will's ihr so beschreiben, daß sie einwilligt, sich von mir hinführen zu lassen.«

 

M. Vom 28. August.

»Wehe mir, was habe ich getan? und wer konnte das ahnen?

Warum aber sitzt Herr Vlämert so fest über seinem Othello, daß er selbst ... diesen Satz darf ich nicht ausschreiben, schon indem ich ihn weiterdenke, erregt er mir Entsetzen.

Dieser geduldige, immer lächelnde Jeanet mit seinem dicken Haarzopf! Wenn er wüßte, was er angerichtet hat! Madame begab sich gestern in meiner Begleitung allein dahin, um die Kanarienvögel zu sehen. Unser Herr hatte sich nicht bewegen lassen, mitzugehen, weil er erklärte, das wären Narrheiten. Es war in aller Frühe, ehe noch bei uns die Kasse geöffnet wird. Herr Jeanet wollte so gefällig sein, für Madame eine Extravorstellung zu geben, und deshalb befanden sich unglücklicherweise keine Zuschauer dort außer uns.

Anfänglich ging alles gut. Frau Käthchen freute sich wie ein Kind an den allerliebsten Tieren. Sie redete nicht, wie es überhaupt in ihrem Wesen liegt, wenig Worte zu machen; sie ließ auch mich die Aufgaben stellen. Herr Jeanet, nicht wissend, daß sie eine Britin ist und nur spärlich Deutsch redet oder Französisch, wandte sich auch an sie und schlug ihr vor, seinen Professor auf eine noch schwierigere Probe zu stellen, indem sie ihm anbefehle, er solle den Namen desjenigen zusammentragen, welcher ihr »der Liebste sei«. Er sagte ihr das in seinem Schweizerfranzösisch, und ich vermutete, sie verstände den Sinn seiner Anrede nicht. Um so mehr mußte ich erstaunen, als sie dem Vogel mit englischen Ausdrücken zurief, was Herr Jeanet ihr vorgeschlagen. Sie hatte ihn also doch verstanden! Jetzt war ich nur voll Erwartung, ob nun der Zuname meines Herrn erscheinen oder ob Herr Jeanet dessen Taufnamen (Hyazinth) wissen werde. Doch schon der erste Sprung, den der kleine Professor der an ihn ergangenen Aufforderung zufolge nach der Buchstabenreihe tat, überzeugte mich, daß weder von einem V noch von einem H die Rede sei, daß vielmehr der harmlos aussehende Schweizer eine Schelmerei im Sinne habe, die er wahrscheinlich für ganz unschuldig und unverfänglich hielt! Der Vogel holte ein großes A herbei. Es dauerte nicht zwei Minuten, so stand ich groß und breit auf den grünen Teppich geschrieben – oder gedruckt. In meiner tödlichen Verlegenheit stammelte ich eine Art von Auseinandersetzung, durch welche ich andeuten wollte, das Tier habe meinen Namen schon verschiedene Male zusammengestellt und werde sich dessen jetzt bei meinem Anblicke wieder erinnert haben. Diese freilich abgeschmackte Entschuldigung für den noch abgeschmackteren Spaß des Schweizers gab ich in meinem kühnsten Englisch zum besten, ohne doch dabei die Augen aufzuschlagen. Käthchen jedoch erwiderte darauf: »Dieser Vogel trifft die Wahrheit besser als mancher Mensch.«

In solch verhängnisvollem Augenblick bat ich Gott nur im stillen, er möge Sorge dafür getragen haben, daß der Schweizer auch sicher und gewiß nicht eine Silbe verstehe von der Muttersprache dieser mir unbegreiflichen Frau.

Wir gingen bald. Ich schützte vor, es sei die höchste Zeit, unsere Bude zu öffnen. Beinahe mußte ich unhöflich werden, um Madame zum Aufbruch zu bewegen. Sie wollte durchaus noch länger verweilen und neue Buchstabenrätsel schmieden.

Auf dem Heimwege bemerkte ich, daß sie Tränen auf den Wangen hatte. Ich wünschte, ich hoffte eine Erklärung herbeizuführen, worauf ich beabsichtigte, die Insolenz des Zopfmannes aufs schärfste zu tadeln; ich zwang mich, vorauszusetzen, Käthchen sei beleidigt durch seine Keckheit und weinte aus Zorn. Deshalb fragte ich:

»Wherefore weep you»Weswegen weint Ihr?«

Doch ach, mein Hoffen und Wünschen ward zunichte, da sie erwiderte:

»At mine unworthiness, that dare not offer
What I desire to give; and much less take,
What I shall die to want.
« »Um meinen Unwert, daß ich nicht darf bieten, Was ich zu geben wünsche; noch viel minder, Wonach ich tot mich sehnen werde, nehmen.«
Der Sturm. Akt III, Szene 1.

Ich verwünschte in diesem Augenblicke Herrn Jeanet, seine Vögel, das Alphabet, meinen Eifer, den ich an den Tag gelegt, Madame zur Betrachtung der kleinen gelben Wunder zu geleiten; vor allen Dingen aber den Fleiß, der mich so rasche Fortschritte in der englischen Sprache machen ließ, die Verse verstehen zu lernen, welche sie zitierte.

Also das war der Groll, den sie gegen mich zu hegen schien! Deshalb konnte sie mir niemals gerade ins Gesicht sehen; deshalb vermied sie, wo sie wußte und konnte, meine Nähe! Weil sie sich selbst nicht Kraft genug zutraute und zutrauen durfte, vor mir verborgen zu halten, was ich nicht wissen sollte! So lange hat sie ihr Geheimnis bewahrt, und ich Unglücklicher muß es ans Licht bringen helfen!

Sie liebt mit vollster Glut. Ihre äußere Ruhe ist scheinbar, erkünstelt. In ihr wogt und wütet eine Welt von widersprechenden Gefühlen.

Wenn man sich's besonnen überlegt, ist's gar nicht so unnatürlich. Herr Vlämert, der beste, bravste Mann, den ich kenne, und der seine Frau gewiß aufs herzlichste verehrt und achtet, weiß so gar nicht angenehm vor ihr zu erscheinen oder ihr das Leben angenehm zu machen. Er lebt nur seiner Kunst und hat sich gerade jetzt dermaßen in die Arbeit vertieft, daß er vor lauter Arbeit schon aussieht, wie wenn er eine Wachsfigur wäre und sich selbst gemacht hätte! Die junge Frau an ihrer Kasse, zu wohlerzogen, zu sittsam, zu schüchtern, um Gefallen zu finden am Geschwätz junger Herren, die sie gar nicht einmal versteht, läßt sich darauf nicht ein, scheucht im Gegenteil jeden, der sich etwa nähern möchte, durch ihre Strenge, mehr noch dadurch zurück, daß sie affektiert, gar kein deutsches Wort zu kennen. Nun hat sie auch keinen weiblichen Umgang, stirbt samt ihrer Lektüre fast vor Überdruß und Langerweile. Jung ist sie. Die kalten puritanischen Formen, in denen sie aufgewachsen, passen nicht zu ihrer gesunden, kräftigen, lebenslustigen Natur. Da hat sich eine Widersetzlichkeit des Fleisches eingestellt. Und ich Sohn des Verderbens bin eben apropos gekommen, die Rebellion zu nähern, ihr zum Vorwand zu dienen.

Ich bin der einzige junge Mann, mit dem sie in Verkehr steht, mit dem sie reden kann. – Nun ist das Elend fertig! Ihr, wie gesagt, kann man's gar nicht so übel nehmen. Der Gatte trägt einen großen Teil der Schuld – ohne seine Schuld.

Ich aber für meine Person wäre ein niederträchtiger Schurke, wenn ich auch nur das geringste unternähme, um des rechtschaffenen Mannes Vertrauen, das er in mich setzt, zu täuschen; ja, es wäre desto schändlicher von mir, weil ich für Käthchen nichts empfinde, weil sie mir gleichgültig ist. Das heißt, – lügen will ich nicht, und am wenigsten vor mir selbst, – sie gefällt mir sehr gut; ich müßte blind sein, wenn mir ein junges, blühendes, schönes Weib nicht gefiele! In gewisser Beziehung ist sie mir also keineswegs gleichgültig. Und hegte ich nicht Achtung und Dankbarkeit für ihren Gemahl, und wäre ich sonst berechtigt, sie für eine leichtsinnige, schon verdorbene Kreatur zu nehmen, so müßte ich ein Tor sein, wollte ich die Gelegenheit unbenützt lassen. Aber wie die Sachen stehen, und wie ich sie ansehe, bin ich willens, lieber meinen Platz aufzugeben als durch unwürdige Falschheit zu behaupten. Herr Vlämert benimmt sich gegen mich gleich einem väterlichen Freunde. Wer unter der Larve der Freundschaft einen vertrauensvollen Ehemann zu betrügen sucht, ist in meinen Augen schlimmer als Räuber und Mörder.

Sobald Madame mir noch einmal zu verstehen gibt, daß sie geliebt sein möchte und daß sie mich liebt, werde ich deutsch mit ihr reden; – das heißt auf Englisch.«


 << zurück weiter >>