Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

Die letzten Folgen

Die Eifersucht ist eine Tugend der Demokratien, die sie gegen Tyrannen schützt. Die Abgeordneten begannen dem Ministerpräsidenten seinen goldenen Schlüssel zu neiden. Seit einem Jahr nun war seine Herrschaft über die schöne Frau Ceres der ganzen Welt bekannt. Auch die Provinz, wohin Neuigkeiten und Moden erst nach einer vollständigen Umdrehung der Erde um die Sonne gelangen, wußte nun endlich von der ungesetzlichen Liebe im Kabinett. Die Provinz bewahrt sich strenge Sitten; die Frauen sind dort tugendhafter als in der Großstadt. Man erklärt das verschieden: aus Erziehung, Beispiel, Einfachheit des Lebens. Professor Haddock behauptet, ihre Tugend komme einzig von den niederen Absätzen ihrer Stiefel. »Eine Frau,« sagt er in einem gelehrten Artikel der anthropologischen Revue, »flößt einem zivilisierten Mann eine erotische Empfindung nur dann ein, wenn ihr Fuß zum Boden im Winkel von fünfundzwanzig Grad steht. Beträgt der Winkel fünfunddreißig Grad, so wird der erotische Eindruck, der von der weiblichen Person ausgeht, heftig. In der Tat hängt bei senkrechtem Stand von der Stellung der Füße zum Boden die bezügliche Situation der verschiedenen Körperteile und vor allem des Beckens ab, ebenso wie die Wechselbeziehungen und das Spiel der Lenden und der Muskelschichten, die hinten und oben den Schenkel umhüllen. Da nun jeder zivilisierte Mann der Geschlechtsperversion erliegt und mit weiblichen Formen (zum mindesten bei senkrechtem Stand) nur dann die Idee der Wollust, verbindet, wenn sie nach den durch die Fußneigung bedingten Verhältnissen von Umfang und Gleichgewicht verteilt sind, so folgt daraus, daß die Provinzdamen, die niedrige Sohlen haben, wenig begehrt werden (zum mindesten bei senkrechtem Stand) und sich leicht ihre Tugend wahren.« Diese Schlüsse wurden nicht allgemein gebilligt. Man warf ein, daß in der Hauptstadt selbst unter dem Einfluß der englischen und der amerikanischen Mode niedere Absätze in Gebrauch gekommen sind, ohne daß sie die von dem gelehrten Professor angegebenen Wirkungen zeitigten. Daß übrigens der Unterschied zwischen den Sitten der Metropole und denen der Provinz, den man festlegen will, vielleicht illusorisch ist, und wenn er besteht, offenbar darauf zurückgeht, daß die Großstädte der Liebe Vorteile und Erleichterungen bieten, die die Kleinstädte nicht haben. Jedenfalls begann die Provinz gegen den Ministerpräsidenten zu murren und Skandalrufe auszustoßen. Es war noch keine Gefahr, aber es konnte eine werden.

Für den Augenblick war die Gefahr nirgends und überall. Die Mehrheit wankte nicht, doch die Führer wurden dreist und verdrießlich. Vielleicht hätte Hippolyt Ceres nie seine Interessen seiner Rache geopfert. Doch er dachte, er könne hinfort, ohne sein eigenes Glück aufs Spiel zu setzen, insgeheim dem von Paul Visire schaden, und so befleißigte er sich, kunstvoll und maßvoll, dem Regierungschef Schwierigkeiten und Gefahren zu schaffen. Er war seinem Nebenbuhler in Talent, Wissen und Autorität nicht entfernt gewachsen, doch übertraf er ihn weit in den Schlichen, mit denen man in den Wandelgängen etwas erreicht. Die schlauesten Parlamentarier sagten, an der neuerlichen Ohnmacht der Regierung sei seine Enthaltung von der Debatte schuld. In den Kommissionen heuchelte er Ungeschick, er nahm Kreditforderungen günstig entgegen, die, wie er wußte, der Ministerpräsident nicht unterzeichnen würde. Eines Tags entfachte seine berechnete Tölpelhaftigkeit einen schroffen, gewaltsamen Kampf zwischen dem Minister des Innern und dem Budgetberichterstatter für dieses Departement. Nun hielt Ceres erschreckt inne. Das Ministerium vor der Zeit zu stürzen, wäre für ihn gefährlich gewesen. Sein kluger Haß fand ein Mittel, auf versteckten Pfaden ans Ziel zu kommen. Paul Visire hatte eine arme, galante Kusine, die seinen Namen trug. Zu guter Stunde erinnerte Ceres sich dieses Fräuleins Celine Visire, brachte sie in die große Lebewelt, besorgte ihr Verhältnisse mit sonderbaren Männern und Frauen und Engagements in den Tingeltangels. Bald spielte sie, von ihm angeregt, im Eldorado eingeschlechtliche Pantomimen, die ausgepfiffen wurden. In einer Sommernacht stellte sie auf einer Bühne der Champs Elysées vor einer tobenden Menge unzüchtige Tänze dar, begleitet vom Gekreisch einer tollen Musik, die man bis in die Gärten hörte, woselbst der Präsident der Republik Königen ein Fest gab. Der Name Visire, der in diesen Skandal hineingezerrt war, bedeckte die Mauern der Stadt, füllte die Zeitungen, flog auf Blättern mit sehr freien Vignetten durch Cafés und Ballokale und glänzte in Feuerbuchstaben über den Boulevards.

Niemand machte den Ministerpräsidenten für die Gemeinheit seiner Verwandten haftbar. Doch man schätzte nun seine Familie gering ein, und die Zaubermacht des Staatsmannes schrumpfte zusammen.

Unmittelbar darauf entstand ein ziemlich lebhaftes Lärmen. Eines Tags drohte in der Kammer der Minister des öffentlichen Unterrichts und des Kultus, Labillette, der leberleidend war, und den die Ansprüche und Ränke des Klerus allmählich erbitterten, auf eine harmlose Anfrage hin, die Kapelle der heiligen Orberose zu sperren. Auch sprach er respektlos von der nationalen Jungfrau. Wütend erhob sich die ganze Rechte. Die Linke schien den unbesonnenen Minister nur widerstrebend zu halten. Die Führer der Mehrheit waren nicht erpicht, einen volkstümlichen Kult anzugreifen, der dem Lande jährlich dreißig Millionen einbrachte. Der gemäßigste Mann der Rechten, Herr Bigourd, wandelte die Anfrage in eine Interpellation um und gefährdete das Kabinett. Zum Glück wußte der Minister der öffentlichen Arbeiten, Fortuné Lapersonne, der stets der Verpflichtungen der Macht eingedenk war, das Ungeschick und das unpassende Betragen seines Kollegen vom Kultus in Abwesenheit des Ministerpräsidenten wieder auszugleichen. Er stieg auf die Tribüne und bekundete dort die Achtung der Regierung vor der himmlischen Schutzheiligen des Landes, die soviel Übel lindere, bei dem die Wissenschaft, wie sie selbst bekenne, versage.

Als Paul Visire sich aus Evelinens Armen endlich losgerissen hatte und in der Kammer erschien, war das Ministerium gerettet. Doch sah der Ministerpräsident sich gezwungen, die oberen Klassen durch wesentliche Zugeständnisse zu befriedigen. Er schlug dem Parlament den Bau von sechs Panzerschiffen vor und gewann so die Sympathien des Stahltrusts zurück. Aufs neue versicherte er, die Einkommensteuer sei nicht geplant, und er ließ achtzehn Sozialisten verhaften.

Bald sollte er gegen noch furchtbarere Schwierigkeiten ringen müssen. Der Kanzler des benachbarten Kaiserreichs flocht in eine Rede über die auswärtigen Beziehungen seines Souveräns, mitten unter geistvolle Worte und tiefe Ausblicke, eine boshafte Anspielung auf die Liebesleidenschaft ein, von der die Politik eines großen Landes beseelt sei. Diese Spitze wurde vom kaiserlichen Parlament mit Lächeln vernommen; sie mußte die schon verfinsterte Republik zum Groll reizen. Sie weckte die nationale Empfindlichkeit, die sich an den verliebten Minister hielt. Die Deputierten nahmen, um ihre Unzufriedenheit zu bezeigen, einen frivolen Vorwand wahr. Auf einen lächerlichen Zwischenfall hin (den Besuch und den Tanz einer Unterpräfektin im Moulin Rouge) zwang die Kammer das Ministerium zur Vertrauensfrage, und nur wenige Stimmen fehlten, sonst wäre es gestürzt. Allgemein erklärte man, Paul Visire sei nie so schwach, so weich, so glanzlos gewesen wie in dieser beklagenswerten Sitzung.

Er begriff, daß er nur durch einen Handstreich in der großen Politik am Ruder bleiben könne, und entschied sich für die Expedition nach Nigritien, die von Hochfinanz und Großindustrie begehrt wurde, die den kapitalistischen Gesellschaften ungeheure Waldkonzessionen sicherte, den Kreditinstituten eine Anleihe von acht Milliarden, den Offizieren zu Wasser und zu Lande Beförderung und Dekorationen. Ein Vorwand bot sich: ein Schimpf, den man rächen, ein Gläubigertitel, den man eintreiben konnte. Sechs Panzerschiffe, vierzehn Kreuzer und achtzehn Transportdampfer drangen in die Mündung des Hippopotamosstromes ein; sechshundert Pirogen leisteten der Landung der Truppen vergebens Widerstand. Die Kanonen des Admirals Vivier des Murènes schmetterten die Schwarzen nieder. Sie antworteten mit einem Pfeilhagel und wurden, trotz ihres fanatischen Mutes, gänzlich geschlagen. Der Enthusiasmus des Volkes loderte, durch die Presse erhitzt, die im Solde der Kapitalisten stand. Nur ein paar Sozialisten protestierten gegen ein rohes, barbarisches und gefährliches Unternehmen; sie wurden sofort verhaftet.

In dieser Stunde, wo das Ministerium, vom Reichtum gestützt und jetzt auch den Einfältigen teuer, unerschütterlich schien, sah Hippolyt Ceres allein, vom Haß erleuchtet, die Gefahr. Mit düsterer Freude betrachtete er seinen Nebenbuhler und murmelte: »Futsch ist er, der Bandit!«

Während sich das Land an Ruhm und Geschäften berauschte, protestierte das Nachbarreich gegen die Besetzung Nigritiens durch eine europäische Macht, und diese Proteste, die in stets kürzeren Zwischenräumen aufeinander folgten, wurden immer lebhafter. Die Zeitungen der geschäftigen Republik hehlten allen Grund zur Besorgnis. Doch Hippolyt Ceres hörte die Drohung schwellen und arbeitete, nun endlich gewillt, zur Vernichtung seines Feindes alles, selbst das Los des Ministeriums, aufs Spiel zu setzen, hastig im Dunkeln. Leute, die ihm verkauft waren, mußten für mehrere offiziöse Blätter Artikel abfassen und einrücken. Unter dem Schein, die Gedanken von Paul Visire selbst wiederzugeben, mußten sie dem Regierungschef kriegerische Absichten zuschreiben.

Die Artikel fanden im Ausland schrecklichen Widerhall, und zugleich erregten sie die öffentliche Meinung des Volkes, das zwar die Soldaten liebte, doch nicht den Krieg. Über die auswärtige Politik der Regierung interpelliert, gab Paul Visire eine beruhigende Erklärung ab und versprach, einen mit der Würde einer großen Nation vereinbaren Frieden aufrechtzuerhalten. Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Crombile, las seinerseits eine Erklärung, die in diplomatischer Sprache verfaßt und daher vollkommen unverständlich war. Das Ministerium erlangte eine starke Mehrheit.

Doch der Kriegslärm hörte nicht auf, und um eine neue, gefährliche Interpellation zu verhindern, teilte der Ministerpräsident unter die Deputierten achtzigtausend Hektar Wald in Nigritien aus und ließ vierzehn Sozialisten verhaften. Hippolyt Ceres ging sehr finster in den Wandelgängen umher und vertraute den Deputierten seiner Gruppe an, daß er sich bemühe, im Ministerrat eine Friedenspolitik zur Geltung zu bringen, und daß er noch auf Erfolg hoffe.

Von Tag zu Tag wuchsen die unheilvollen Gerüchte, drangen ins Publikum und säten dort Unbehagen und Angst. Paul Visire sogar wurde von Furcht erfaßt. Ihn verwirrten das Schweigen und die Abwesenheit des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten. Crombile kam jetzt nicht mehr in den Ministerrat. Er stand um fünf Uhr morgens auf, arbeitete in seinem Bureau achtzehn Stunden und fiel erschöpft in seinen Korb, worin ihn die Hausdiener mit den Papieren aufhoben, die sie den Militärattachés des Nachbarreichs verkaufen wollten.

Der General Débonnaire glaubte, der Feldzugsbeginn stehe unmittelbar bevor; er rüstete. Weit entfernt, den Krieg zu fürchten, sehnte er ihn herbei und vertraute seine großgestimmten Hoffnungen der Baronin von Bildermann an, die em Nachbarreiche davon Kenntnis gab, das auf diese Kunde eine rasche Mobilisation vornahm. Ohne es zu wollen, beschleunigte der Finanzminister die Ereignisse. In diesem Moment spielte er Baisse. Um eine Panik zu entfesseln, sprengte er an der Börse das Gerücht aus, der Krieg sei jetzt unvermeidlich. Der Kaiser des Nachbarreichs, der durch dieses Manöver getäuscht wurde und einen Einfall in sein Gebiet erwartete, mobilisierte seine Truppen Hals über Kopf. Entsetzt stürzte die Kammer das Ministerium Visire mit riesiger Mehrheit (814 Stimmen gegen 7 und 28 Enthaltungen). Es war zu spät. Noch am Tage dieses Sturzes rief die feindliche Nachbarnation ihren Botschafter ab und warf acht Millionen Menschen ins Vaterland der Frau Ceres. Der Krieg wurde zum Weltkrieg und die ganze Welt in Strömen von Blut ertränkt.

Der Höhepunkt der pinguinischen Zivilisation

Ein halbes Jahrhundert nach den hier erzählten Geschehnissen starb Frau Ceres, von Respekt und Verehrung umgeben, im neunundsiebzigsten Lebensjahr. Seit langem war sie die Witwe des Staatsmanns, dessen Namen sie mit Würde trug. Bei ihrer bescheidenen, andachtsvollen Bestattung gingen die Waisen des Kirchspiels und die Schwestern der heiligen Barmherzigkeit mit.

Die Verewigte hinterließ all ihr Gut der Stiftung der heiligen Orberose. »Ach!« seufzte Herr Monnoyer, Kanonikus des heiligen Maël, als er dieses fromme Vermächtnis empfing, »es war hohe Zeit, daß eine edle Stifterin in unsrer Not uns half. Reiche und Arme, Gelehrte und Unwissende wenden sich von uns ab. Und wenn wir uns bestreben, die verirrten Seelen zurückzuführen, dann nutzen weder Drohungen noch Versprechungen mehr, weder Sanftmut noch Gewalt. Der Klerus von Pinguinien seufzt in trostloser Bedrängnis. Unsre Landgeistlichen sind, um ihr Leben zu fristen, zur Ausübung des niedrigsten Handwerks gezwungen; sie gehen in alten Schuhen und nähren sich von Küchenresten. In unsren morschen Kirchen fällt der Himmelsregen auf die Gläubigen, und während des Gottesdiensts hört man die Steine der Gewölbe herabrieseln. Der Glockenturm der Kathedrale neigt sich und droht einzustürzen. Die heilige Orberose ist von den Pinguinen vergessen, ihr Kult abgeschafft, ihr Heiligtum verödet. Auf ihrem Schrein, den man seines Goldes und seiner Kleinodien beraubt hat, webt die Spinne verschwiegen ihr Netz.«

Pierre Mille, der mit achtundneunzig Jahren von seiner geistigen und sittlichen Kraft noch nichts eingebüßt hatte, fragte, als er dies Wehklagen vernahm, den Kanonikus, ob er nicht denke, daß die heilige Orberose eines Tags diese schmähliche Vergessenheit überwinden werde.

»Das wage ich nicht zu hoffen,« seufzte Herr Monnoyer.

»Schade!« erwiderte Pierre Mille. »Orberose ist eine entzückende Gestalt. Ihre Legende ist sehr anmutig. Neulich habe ich, ganz durch Zufall, eins ihrer hübschesten Wunder entdeckt, das Wunder des Jehan Violle. Beliebt es Ihnen davon zu hören, Herr Monnoyer?«

»Gern, Herr Mille.«

»Dann will ich sie also erzählen, wie ich sie in einer Handschrift aus dem vierzehnten Jahrhundert gefunden habe:

Cecile, das Eheweib des Nikolas Gaubert, Goldschmieds vom Pont-au-Change, das lange Jahre ein ehrbares, keusches Leben geführt hatte und schon aus dem Schneider war, entbrannte für Jehan Violle, den kleinen Pagen der Frau Gräfin Maubec, die das Hotel zum Pfau am Grèveplatz bewohnte. Er war noch nicht achtzehn Jahre alt, sein Wuchs und sein Gesicht waren sehr zierlich. Da Cecile ihre Liebe nicht besiegen konnte, beschloß sie, ihre Lust zu stillen. Sie lockte den Pagen in ihr Haus, erwies ihm allerlei Liebkosungen, gab ihm Leckereien und tat zuletzt mit ihm nach ihrem Willen.

Als sie nun eines Tags beide im Bett der Goldschmiedsfrau lagen, kehrte Meister Nikolas zeitiger heim, als man ihn erwartet hatte. Er fand den Riegel vorgeschoben und hörte durch die Tür sein Weib stöhnen: »Mein Herz! Mein Engel! Mein Rätzchen!« Da schöpfte er Verdacht, sie habe sich mit einem Buhlen eingesperrt, schlug laut gegen die Tür und Hub an zu heulen: »Lumpenweib, geiles Aas, Hure, Ketzermensch, mach auf, daß ich dir die Nase und Ohren abhaue!« In dieser Gefahr gelobte sich des Goldschmieds Weib der heiligen Orberose und versprach ihr eine schöne Kerze, wenn sie ihr aus der Patsche hülfe, ihr und dem kleinen Pagen, der splitternackt vor dem Bett in Ängsten starb.

Die Heilige erhörte dieses Gelübde. Sofort verwandelte sie den Jehan Violle in ein Mädchen. Als sie dies sah, wurde Cecile gutes Muts und begann ihren Mann anzuschreien: »O, der Bauernlümmel, der eifersüchtige Tückebold! Sprecht doch sanft, wenn Ihr wollt, daß man Euch aufmacht!« Und während sie so schalt, lief sie zu ihrem Kleiderspind und zog eine Kappe hervor, eine Schnürbrust und einen langen grauen Kittel, worin sie in großer Hast den umgewandelten Pagen hüllte. Sodann sprach sie laut: »Cathérine, mein Liebchen, Cathérine, mein Kätzchen, geh und mach deinem Oheim auf. Er ist mehr dumm als tückisch und wird dir nichts zuleide tun.« Der Bursche, der nun ein Mädchen war, gehorchte. Meister Nikolas trat in die Kammer und fand drin ein Jüngferchen, das er nicht kannte, und sein gutes Weib im Bett. »Alter Esel,« sprach dieses zu ihm, »reiß nicht das Maul auf über das, was du siehst. Als ich mit Leibweh zu Bette ging, bekam ich Besuch von Cathérine, der Tochter meiner Schwester Jeanne von Palaiseau, mit der wir seit fünfzehn Jahren erzürnt waren. Mann, küsse unsre Nichte! Sie ist es wert.« Der Goldschmied nahm Violle in seine Arme, und seine Haut dünkte ihm zart. Und hinfort wünschte er nichts so sehr, als einen Augenblick mit ihm allein zu sein, um ihn nach Lust zu herzen. Deshalb führte er ohne Säumen die Jungfrau in die untere Stube, um, wie er sagte, ihr Wein zu geben und Nußkern, und kaum war er mit ihr drunten, so streichelte er sie sehr hitzig. Der Gute hatte sich damit nicht begnügt, hätte die heilige Orberose nicht sein ehrbares Weib auf den Einfall gebracht, ihn zu überraschen. Sie fand ihn, wie er seine falsche Nichte auf den Knien hielt, schimpfte ihn aus, er sei ein geiler Kerl, versetzte ihm Backpfeifen und zwang ihn, um Verzeihung zu bitten. Tags drauf nahm Violle seine erste Gestalt wieder an.

Als der ehrwürdige Kanonikus Monnoyer diese Erzählung gehört hatte, dankte er Pierre Mille dafür, griff zur Feder und begann, die Tips auf die Pferde, die beim nächsten Rennen gewinnen würden, aufzuschreiben. Denn er führte einem Buchmacher die Listen.

Indessen rühmte Pinguinien sich seines Reichtums. Die den notwendigen Lebensbedarf erzeugten, hatten Mangel daran; bei denen, die ihn nicht erzeugten, war er im Überfluß. »Das sind,« sagte ein Mitglied des Instituts, »unvermeidliche ökonomische Fügungen.« Daß große pinguinische Volk besaß weder Tradition mehr, noch geistige Kultur, noch Kunst. Die Fortschritte der Zivilisation offenbarten sich in der mörderischen Industrie, der ruchlosen Spekulation, dem scheußlichen Luxus. Die Hauptstadt bekam, wie alle Großstädte jener Zeit, einen kosmopolitischen, kapitalistischen Charakter. Es herrschte eine grenzenlose, regelmäßige Häßlichkeit darin. Das Land erfreute sich völligen Friedens.

Das war der Höhepunkt.


 << zurück weiter >>