Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel

Die Hochzeit des Kraken und der Orberose

Damals lebte auf der Insel Alka ein Pinguin, dessen Arm stark, dessen Geist schlau war. Er hieß Kraken und wohnte am Gestade der Schatten, wohin die Inselbewohner sich niemals wagten, aus Furcht vor den Schlangen, die in den Felslöchern nisteten, und aus Angst, dort die Seelen der ungetauft verstorbenen Pinguine zu treffen, die, bläulichen Flammen ähnlich und mit langgezogenem Stöhnen, nachts über das trostlose Gestade geisterten. Denn gemeinhin glaubte man, und zwar nicht ohne Beweise, daß unter den auf des seligen Maël Bitten zu Menschen verwandelten Pinguinen mehrere die Taufe nicht empfangen hatten und nach ihrem Tod zurückkehrten, um durch den Sturm zu heulen. Kraken bewohnte an der wilden Küste eine unzugängliche Höhle. Man drang dorthin nur durch einen hundert Fuß langen natürlichen Keller, dessen Eingang ein dichtes Gehölz verbarg.

Eines Abends nun, als Kraken über die verödete Flur ging, traf er durch Zufall eine junge, anmutige Pinguinin. Es war die nämliche, die unlängst der Mönch Magis mit seiner Hand bekleidet, und die zuerst Hüllen der Scham getragen hatte. Zur Erinnerung an jenen Tag, an dem die erstaunte Menge der Pinguine sie in ihrem morgenrotfarbenen Kleid hatte fliehen sehen, hatte die Jungfrau den Namen Orberose,»Orbe, poetisch, Kugel, von Himmelskugeln. In weiterem Sinn von jeglichem kugelförmigem Körper.« (Littré) Rosenkugel, empfangen.

Beim Anblick des Kraken stieß sie einen Schrei der Furcht aus und eilte, ihm zu entrinnen. Doch der Held griff sie bei dem Schleier, der ihr nachflatterte, und richtete die Worte an sie:

»Jungfrau, sage deinen Namen, deine Sippe, dein Land!«

Angstvoll betrachtete Orberose währenddessen den Kraken.

»Sehe ich Euch, Herr,« fragte sie ihn mit Zittern, »oder ist es Eure zürnende Seele?«

So sprach sie, weil die Bewohner von Alka, da sie seit des Kraken Aufenthalt am Gestade der Schatten nichts von ihm wußten, glaubten, er sei tot und hinabgestiegen zu den Dämonen der Nacht.

»Fürchte dich nicht mehr, du Mädchen von Alka,« erwiderte Kraken. »Denn mit dir spricht keine irrende Seele, sondern ein Mensch voller Kraft und Macht. Bald werde ich große Schätze besitzen.«

Und die junge Orberose fragte:

»Wie kannst du große Schätze erwerben, o Kraken, da du ein Pinguinensohn bist?«

»Durch meine Klugheit,« antwortete Kraken.

»Ich weiß,« sagte Orberose, »zu der Zeit, wo du unter uns wohntest, warst du berühmt ob deines Geschicks im Jagen und Fischen. Niemand kam dir gleich in der Kunst, den Fisch im Netz zu fangen oder die schnellen Vögel mit dem Pfeil zu durchbohren.«

»Das war nur ein gewöhnlicher, mühsamer Erwerb, o junges Mädchen. Ich habe ein Mittel gefunden, mir ohne Plage große Schätze zu verschaffen. Doch sage mir, wer du bist!«

»Ich heiße Orberose,« antwortete das junge Mädchen.

»Wie kamst du nachts hierher, so fern von deiner Behausung?«

»Kraken, das ist nicht ohne des Himmels Willen geschehen!«

»Was meinst du, Orberose?«

»Daß der Himmel, o Kraken, aus irgendeinem Grund mich dir begegnen ließ.«

Kraken betrachtete sie lange, in Dunkel und Stille. Dann sprach er sanft zu ihr:

»Orberose, komm in mein Haus. Es ist das Haus des klügsten und tapfersten Pinguinensohnes. Willigst du ein, mir zu folgen, so sollst du meine Gefährtin sein.«

Da schlug sie die Augen nieder und flüsterte: »Ich folge Euch, Herr.«

So wurde die schöne Orberose des Helden Kraken Gefährtin. Dieser Hymen wurde nicht mit Gesang und Fackeln gefeiert, weil Kraken sich dem Pinguinenvolk nicht zu zeigen wünschte. In seiner Höhle versteckt, sann er großen Plänen nach.


 << zurück weiter >>