Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Elftes Kapitel

Der Drache von Alka

(Fortsetzung)

An jenem Tage betrat Kraken seine Höhle zeitiger als sonst. Vom Haupte streifte er seinen Helm aus Seekalbfell, den zwei Rinderhörner überdrohten, und dessen Gitter von furchtbaren Haken starrte. Auf den Tisch warf er seine Handschuhe, die in gräßliche Klauen endeten; dies waren Schnäbel von Meervögeln. Er hakte seinen Gürtel ab, von dem ein langer, vielgewundener, grüner Schwanz hing. Dann befahl er seinem Pagen Elo, ihm die Stiefel herunterzuziehen, und da das Kind nicht rasch genug fertig wurde, schleuderte er es mit einem Fußtritt bis zu der Grotte Hinterteil.

Er blickte gar nicht auf die schöne Orberose, die Wolle spann, setzte sich vor den Kamin, an dem ein Hammel schmorte, und brummte:

»Pinguinen-Gesindel! Es gibt doch kein gemeineres Handwerk als den Drachen zu spielen.«

»Was redet mein Gebieter?« fragte die schöne Orberose.

»Sie haben keine Angst mehr vor mir,« fuhr Kraken fort. »Einst floh alles, wenn ich näherkam. Hühner und Kaninchen schleppte ich in meinem Beutel weg. Hammel und Schweine, Kühe und Ochsen jagte ich vor mir her. Jetzt sind die Bauernkerle auf der Hut; sie wachen. Eben bin ich im Dorf Anis von Ackerern verfolgt worden, die mit tüchtigen Flegeln, Sicheln und Gabeln bewaffnet waren, und ich mußte Hühner und Kaninchen loslassen, meinen Schwanz über den Arm nehmen und aus Leibeskräften rennen. Nun frage ich dich, schickt sich das für einen Drachen aus Kappadozien, wie ein Dieb wegzulaufen, den Schwanz über dem Arm? Mit meiner Last von Kämmen, Hörnern, Haken, Klauen und Schuppen bin ich gerade noch einem Vieh entronnen, das mir seine Gabel einen halben Daumen tief ins linke Gesäß bohrte.«

Unter solchen Worten griff er voll Kümmernis sich nach der verletzten Stelle.

Und noch etliche Augenblicke erging er sich in bitteren Betrachtungen:

»Was für Idioten sind diese Pinguine! Ich bin es satt, solchen Kamelen Flammen unter die Nasen zu speien. Verstehst du, Orberose?«

So sprach der Held, wog den furchtbaren Helm auf seinen Händen und schaute, in finsterem Schweigen, ihn lange an. Dem folgten die schnellen Worte:

»Diesen Helm habe ich aus den Fellen eines Seekalbs mit eigener Hand zu eines Fischkopfs Gestalt geschnitten. Ihn noch fürchterlicher zu machen, habe ich Rinderhörner darüber gesetzt und ihn mit den Kinnbacken eines Ebers bewaffnet. Einen zinnoberrot gefärbten Pferdeschwanz habe ich drangehängt. Kein Bewohner dieser Insel konnte den Anblick ertragen, wenn ich bis zu den Schultern in der trüben Dämmerung den Schmuck mir aufsteckte. Wenn er zu sehen war, flohen Weiber, Kinder, junge Männer, Greise besinnungslos davon, und im ganzen Pinguinenstamm verbreitete sich das Grauen. Welcher Rat hat dieses freche Volk jetzt der früheren Angst entfremdet, wieso wagt es jetzt, den furchtbaren Schlund anzustieren und die gräuliche Mähne zu jagen?«

Und Kraken warf seinen Helm auf den steinigen Boden und schrie:

»Werde zunichte, trügerischer Helm! Bei allen Dämonen von Armor schwöre ich, dich nie mehr auf dem Haupte zu tragen.«

Und nach diesem Schwur trampelte er auf seinem Helm, seinen Handschuhen, seinen Stiefeln und seinem vielgewundenen Schwanze herum.

»Kraken,« sprach die schöne Orberose, »verstattet Ihr Eurer Dienerin, eine List zu gebrauchen, um Euch Ruhm und Gut zu retten? Verachtet die Hilfe eines Weibes nicht. Ihr bedürft ihrer, denn die Männer sind alle dumm.«

»Weib,« fragte Kraken, »was planst du?«

Und die schöne Orberose unterrichtete ihren Gemahl davon, daß Mönche über Stadt und Land gingen und die Einwohner die beste Art lehrten, den Drachen zu bekämpfen; daß ihrer Lehre nach das Tier durch eine Jungfrau überwunden werden solle, und wenn eine Jungfrau ihren Gürtel um den Hals des Drachen schlinge, sie ihn so leicht führen könne wie ein Hündlein.«

»Woher weißt du, daß die Mönche so etwas lehren,« fragte Kraken.

»Freund,« erwiderte Orberose, »unterbrecht doch die ernste Rede nicht mit einer müßigen Frage. Wenn also, fügten die Mönche dem hinzu, eine ganz reine Jungfrau sich in Alka findet, dann mag sie sich erheben. Nun habe ich, Kraken, mich auf diesen Aufruf zu melden beschlossen. Ich will zu dem frommen Greis Maël gehen und ihm sagen: Ich bin die vom Himmel zu des Drachen Besiegung erwählte Jungfrau.«

Bei diesen Worten schrie Kraken:

»Wie magst du diese reine Jungfrau sein? Und warum willst du mich bekämpfen, Orberose? Hast du den Verstand verloren? Wisse, daß ich mich von dir nicht zähmen lasse!«

»Bevor man zornig wird, könnte man wohl versuchen, mich zu begreifen,« seufzte die schöne Orberose verächtlich und sanft.

Und sie erläuterte ihren feinen Plan.

Der Held hörte ihr zu, in Gedanken versunken. Und als sie ausgeredet hatte, sprach er:

»Orberose, deine List ist tief. Und wenn deine Pläne deinem Entwurf gemäß glücken, so nutzt mir das sehr. Doch wie willst du die vom Himmel erwählte Jungfrau sein?«

»Sei unbesorgt, Kraken,« erwiderte sie. »Und nun wollen wir schlafen.«

Tags darauf flocht Kraken in der vom Fettdunst geschwängerten Luft der Höhle ein sehr mißgestaltetes Weidengerippe und bedeckte es mit furchtbar gesträubter, schuppiger, schmieriger Haut. An ein Ende dieses Gerippes nähte die schöne Orberose den wilden Helmstutz und das scheußliche Helmgitter, das Kraken bei seinen verheerenden Fahrten trug, und an das andere Ende knüpfte sie den vielgewundenen Schwanz, den der Held hinter sich her zu ziehen pflegte. Und nachdem die Arbeit vollbracht war, wiesen sie den kleinen Elo und die übrigen fünf Kinder, die ihnen dienten, an, in das Gerät zu schlüpfen, es in Gang zu bringen, aus ihm hervor Trompete zu blasen und Werg drin zu verbrennen, um aus des Drachen Schlund Flammen und Rauch zu speien.


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