Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Sechstes Buch: Die neue Zeit
Der Fall der achtzigtausend Heubündel

Ζευ̃ πάτερ, αλλὰ σὺ ρυ̃σαι υπ'ηέρος υι̃ας ’Αχαιω̃ν,
ποίησον δ' αίθρην, δὸς δ' οφθαλμοι̃σιν ιδέσθαι·
εν δὲ φάει καὶ όλεσσον, επεὶ νύ τοι εύαδεν ούτως.
(Ilias, XVII, V. 645 ff.)

Erstes Kapitel

General Greatauk, Herzog von Skull

Bald nach des Emirals Flucht trat ein Jude von mittelmäßiger Lebenslage namens Pyrot, den es nach Beziehungen zur Aristokratie gelüstete, und der seiner Heimat dienen wollte, in die pinguinische Armee ein. Der damalige Kriegsminister Greatauk, Herzog von Skull, konnte ihn nicht ausstehen. Er warf ihm seinen Fleiß vor, seine krumme Nase, seine Eitelkeit, seinen Hang zum Studium, seine dicken Lippen und seine musterhafte Führung. Jedesmal wenn man den Urheber einer Missetat suchte, pflegte Greatauk zu sagen:

»Das ist sicher der Pyrot!«

Eines Morgens setzte General Panther, der Generalstabschef, Greatauk von einem schweren Fall in Kenntnis.

Achtzigtausend für die Kavallerie bestimmte Heubündel waren spurlos verschwunden.

Sofort rief Greatauk:

»Die hat sicher der Pyrot gestohlen!«

Eine Zeitlang versank er in Nachdenken, dann äußerte er:

»Je mehr ich mir's überlege, desto klarer wird mir, daß Pyrot die achtzigtausend Heubündel gestohlen hat. Dem ist's schon zuzutrauen: er hat sie gestohlen, um sie zu einem Schleuderpreis an die Marsuine, unsre Erzfeinde, zu verschachern. Niederträchtiger Verrat!«

»Ganz gewiß,« antwortete Panther. »Nun müssen wir es bloß noch beweisen.«

Am selben Tag ging der Prinz Boscénos an einer Kavalleriekaserne vorbei und hörte, wie Kürassiere im Hof sangen:

»Boscénos ist ein dickes Schwein.
Wir wollen ihn zu Schinken schlagen
Und zu Würsten groß und klein
Für den Proletariermagen.«

Es dünkte ihm ganz disziplinwidrig, daß Soldaten diesen häßlichen und dabei revolutionären Kehrreim brüllten, der an Aufruhrtagen dem Schlund witziger Arbeiter entquoll. Bei dieser Gelegenheit beklagte er den sittlichen Niedergang Armee, und bitter lächelnd überdachte er, daß sein alter Kamerad Greatauk, der Chef dieses im Niedergang begriffenen Heeres, es feig den Ränken einer antipatriotischen Regierung auslieferte. Und er beschloß bei sich, in kurzem dazwischenzufahren.

»Dieser Schuft, der Greatauk,« sprach er vor sich hin, »wird nicht lange Minister bleiben.«

Der Prinz Boscénos war der unversöhnlichste Feind der modernen Demokratie, des freien Gedankens und der Regierung, die sich die Pinguine in Freiheit gegeben hatten. Gegen die Juden nährte er einen kräftigen, ehrlichen Haß, öffentlich und insgeheim, Tag und Nacht arbeitete er an der Machterneuerung des Drakonidenbluts. Sein glühender Royalismus erhitzte sich noch, wenn er seine häuslichen Angelegenheiten erwog, deren übler Zustand von Stunde zu Stunde übler ward. Denn er glaubte, seine Geldnot könne erst mit dem Einzug von Drakos des Großen Erben in die Stadt Alka behoben werden.

In seiner Villa entnahm der Prinz seinem Geldschrank einen Pack alter Briefe aus einer privaten, höchst geheimen Korrespondenz, die ihm von einem ungetreuen Beamten verschafft worden waren. Sie zeigten, daß sein alter Kamerad Greatauk, Herzog von Skull, bei den Lieferungen gemogelt und von einem Industriellen namens Maloury Schmiergelder angenommen hatte, nicht eben hoch und so bescheiden, daß es für einen Minister, der sich so wohlfeil bestechen ließ, überhaupt keine Entschuldigung gab.

Mit herber Wollust las der Prinz diese Briefe wieder durch, sorgsam barg er sie im Geldschrank und lief zum Kriegsministerium. Er war ein Mann von entschlossenem Charakter. Als man ihm sagte, der Minister empfange nicht, schob er die Portiers beiseite, gab den Ordonnanzen Püffe, stieß Zivil- und Militärbeamte mit Füßen, trat die Türen ein und drang ins Kabinett des erstaunten Greatauk.

»Kürze ist der Rede Würze,« sprach er. »Du bist ein alter Gauner. Aber das ist noch das mindeste. Ich habe dich gebeten, du solltest dem General Monchin, der Erzkreatur der Dingeriche, die Ohren schleifen; ja, Kuchen. Ich habe dich gebeten, du solltest dem General Des Clapiers, der für die Drakoniden arbeitet, und dem ich persönlich verpflichtet bin, ein Kommando geben; ja, Kuchen. Ich habe dich gebeten, den General Tandem zu versetzen, den Kommandeur von Port-Alka, der mich im Bakkarat um fünfzig Louis geprellt hat, und der mir Handfesseln anschnallen ließ, wie ich als Mittäter des Emirals Chatillon vor den Staatsgerichtshof mußte; ja, Kuchen. Ich habe dich um die Hafer- und Kleie-Lieferung gebeten; ja, Kuchen. Ich habe dich um eine geheime Gesandtschaft nach Marsuinien gebeten; ja, Kuchen. Und nicht genug damit, daß du mich stets abgewimmelt hast, Haft du mich, deinen Regierungskollegen, als ein gefährliches Individuum bezeichnet, das überwacht werden müßte. Dir habe ich es zu verdanken, daß die Polizei hinter mir herschnüffelt, alter Verräter! Nun bitte ich dich um nichts mehr und sage dir bloß noch: Verdufte! Wir haben von dir die Nase voll. Und anstatt deiner werden wir deinem dreckigen Öffentlichen Ding einen von den Unsrigen aufhängen. Du weißt, ich halte mein Wort. Wenn du in vierundzwanzig Stunden nicht zurücktrittst, dann bringen die Zeitungen die Maloury-Akten.«

Ruhig und heiter jedoch sprach Greatauk:

»Sei doch still, Idiot! Eben schicke ich einen Juden ins Loch. Ich lasse den Pyrot verklagen, weil er achtzigtausend Heubündel gestohlen hat.« Der Prinz Boscénos lächelte, und seine Wut fiel wie ein Schleier von ihm.

»Wirklich?«

»Na, du wirst schon sehn.«

»Gratuliere, Greatauk. Aber bei dir muß man immer vorsichtig sein. Die gute Neuigkeit will ich lieber gleich aussprengen. Heut abend steht in sämtlichen Zeitungen von Alka, daß Pyrot verhaftet ist.«

Und als er wegging, brummte er:

»Der Pyrot! Ich hab's doch geahnt, der würde sich noch mal den Hals brechen.«

Eine Minute drauf meldete sich der General Panther bei Greatauk.

»Herr Minister, ich habe jetzt den Fall mit den achtzigtausend Heubündeln untersucht. Man kann dem Pyrot nichts beweisen.«

»Dann müssen Sie Beweise finden,« entgegnete Greatauk. »Die Gerechtigkeit erfordert es. Lassen Sie den Pyrot ohne Aufschub verhaften.«


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