Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Zweites Kapitel

Des heiligen Maël apostolische Berufung

Eines Tages erging er sich an einer stillen Bucht, die das ins Meer hinaus lagernde Felsgeröll mit einem wilden Deich umrahmte. Und da sah er einen Steintrog, der wie eine Barke auf dem Wasser schaukelte.

In einem solchen Bottich waren der heilige Quirin, der große heilige Colomban und viele Mönche aus Schottland und Irland nach Armorika übergesetzt, das Evangelium dort zu verbreiten. Noch jüngst fuhr die heilige Hedwig, die von Britannien kam, den Aurayfluß in einem Mörser aus rosafarbenem Granit hinauf, darein man später die Kindlein bettete, um sie zu kräftigen. Die heilige Vuga kreuzte von Hibernien nach Cornwallis auf einem Felsen, dessen Splitter künftig in Penmarch aufbewahrt werden, und die Pilger, die ihr Haupt daran lehnen, sollen vom Fieber geheilt werden. Der heilige Samson landete in der Bucht des Berges vom heiligen Michael in einem Granitbottich, dem dann die Benennung Samsonsnapf zuteil wurde. Deshalb verstand der fromme Maël, als er den steinernen Trog erblickte, daß der Herr ihn erwählt hatte zum Apostolat bei den Heiden, die an der Küste und auf den Inseln der Bretonen noch wohnten.

Er händigte seinen Eschenstab dem frommen Budok ein und betraute ihn also mit der Abtei Verwaltung. Dann stieg er, nur mit einem Brot, einer Tonne Süßwasser und dem Evangelienbuch versehen, in den steinernen Kübel, der ihn sacht zur Insel Hoedic brachte.

Sie wird beständig vom Sturm verheert. Arme Leute fischen dort zwischen den Felsenspalten, und mit hartem Fleiß bauen sie ihr Gemüse in sandigen, von Kieseln überschwemmten Gärten, die sie mit Mauern ohne Mörtel und mit Tamarindenhecken umfassen. In einem hohlen Tal der Insel wuchs ein Feigenbaum. Weithin streckte er seine Äste. Das Inselvolk verehrte ihn mit Gebet.

Und der fromme Maël sprach zu ihnen:

»Ihr betet zu diesem Baum, weil er schön ist. Also empfindet ihr Schönheit. Ich habe sie, die euch noch verborgen war, erschlossen.«

Und lehrte sie das Evangelium. Und als er sie darin unterwiesen hatte, taufte er sie mit Salz und Wassersflut.

Damals gab es in der Morbihan-Gruppe noch mehr Inseln als heute. Denn seitdem sind viele verschwunden. Der heilige Maël bescherte ihrer sechzehn das Evangelium. Sodann fuhr er in seinem Granittrog den Aurayfluß hinauf. Und nach dreistündiger Schiffahrt betrat er vor einem römischen Hause das Land. Ein leichter Rauch zog vom Dache empor. Der fromme Mann überschritt die Schwelle, in die ein Mosaikbild eingelassen war, das Bild eines Hundes mit gespannten Kniekehlen und gestülpten Lefzen. Der Heilige wurde von einem greisen Ehepaar aufgenommen, das dort vom Ertrag des Bodens lebte, Markus Combabus und Valeria Moerens. Den inneren Hof beherrschte ringsum ein Säulengang, dessen Säulen vom Fuß bis zur halben Höhe rot bemalt waren. Ein Brunnen mit Muschelzierat wölbte sich neben der Mauer, und unter dem Säulengang ragte ein Altar, in dessen Nische der Hausherr kleine, tönerne, mit weißem Kalk bestrichene Götterfiguren gelegt hatte. Die einen stellten geflügelte Kinder dar, andere den Apollo oder den Merkur, und etliche hatten die Form eines nackten Weibes, das sich das Haar wand. Jedoch der fromme Maël, der die Figuren betrachtete, entdeckte darunter das Bild einer jungen Mutter, die ein Kind im Schoße hielt.

Alsbald zeigte er auf das Bild und sprach:

»Dies ist die Jungfrau, die Mutter Gottes. Virgilius, der Dichter, hat sie in sibyllinischem Loblied angekündigt, eh sie geboren ward, und mit eines Engels Stimme Jam redit et virgo gesungen. Und die Heiden machten aus ihr prophetische Gestalten wie die hier auf deinem Altare, o Markus. Und gewißlich hat sie deine bescheidenen Laren geschützt. So bereiten diejenigen, die dem Gesetz der Natur getreu sind, sich auf die Erkenntnis der geoffenbarten Wahrheiten vor.«

Durch diese Rede mit Einsicht begnadet, fielen Markus Combabus und Valeria Moerens dem christlichen Glauben zu. Sie empfingen die Taufe mit ihrer jungen Freigelassenen, Caelia Avitella, die ihnen lieber war als das Licht ihrer Augen. Dem Heidentum entsagten auch die Ackerpächter und wurden am selben Tage getauft.

Seitdem führten Markus Combabus, Valeria Moerens und Caelia Avitella ein verdienstreiches Leben. Sie entschliefen im Herrn und wurden den Heiligen zugezählt.

Noch siebenunddreißig Jahre evangelisierte der selige Maël die Heiden des Binnenlandes. Er baute zweihundertundachtzehn Kapellen und vierundsiebzig Abteien.

Eines Tags weilte er in der Stadt Vannes, wo er das Evangelium predigte. Da erfuhr er, daß die Mönche von Yvern in seiner Abwesenheit die Regel des heiligen Gal übertreten hätten. Sogleich begab er sich mit dem Eifer der Henne, die ihre Küchlein sammelt, zu seinen verirrten Kindern. Damals vollendete er sein siebenundneunzigstes Jahr. Sein Rücken war krumm, doch seine Arme waren stark geblieben, und sein Wort erbrauste wie in den Schlüften der Schnee zur Winterszeit.

Der Abt Budok lieferte dem heiligen Maël den Eschenstab zurück und erzählte ihm von der Bedrängnis der Abtei. Die Mönche hatten sich über das Datum gezankt, an dem Ostern gefeiert werden müsse. Die einen waren dem römischen Kalender zugeneigt, die anderen dem griechischen, und die Greuel eines chronologischen Schismas zerrissen das Kloster.

Noch bestand eine zweite Ursache der Zerrüttung. Die Nonnen der Insel Gad hatten ihre anfängliche Tugend auf traurige Weise vergessen und fuhren, beinah ohne Unterlaß, in einer Barke zur Küste von Yvern herüber. Die Mönche empfingen sie im Herbergshaus, und so gab es Ärgernisse, die fromme Seelen tief betrübten.

Der Abt Budok erstattete seinen wahrhaftigen Bericht und schloß:

»Seit der Nonnen Ankunft ist es um die Unschuld, ist es um die Ruhe der Mönche geschehen.«

»Gern glaube ich das,« erwiderte der selige Maël. »Denn das Weib ist eine Falle der Arglist. Wer daran schnuppert, ist alsbald gefangen. Ach! der Zauberreiz dieser Geschöpfe ist fern noch mächtiger als nahe. Sie erregen um so heftigeres Begehren, je weniger sie es stillen. Daher sagt der Poet von einem solchen Weibe:

Ich fliehe deine Gegenwart; wenn du
Entrückt bist, halt' ich dich umklammert.

So sehen wir, mein Sohn, daß der Stachel der fleischlichen Liebe Einsiedlern und Mönchen schärfer zusetzt als Männern, die in der Welt stehen. Mein Leben lang hat der Dämon der Wollust mit verschiedenen Plagen mich versucht, und die größten Versuchungen kamen nicht etwa von der Begegnung einer Frau, mochte sie auch schön sein und duften. Sie kamen von dem Traumbild eines abwesenden Weibes. Noch jetzt, wo ich hochbetagt bin und fast achtundneunzig Jahre, werde ich vom Bösen oft verlockt, in Gedanken wenigstens gegen die Keuschheit zu sündigen. Nachts, wenn ich auf meinem Lager friere und meine alten, eiskalten Knochen mit dumpfem Geräusch aneinanderklappern, höre ich Stimmen, die den zweiten Vers des dritten Buches der Könige rezitieren: Dixerunt ergo et servi sui: Quaeramus domino nostro regi adolescentulam virginem, et stet coram rege et foveat eum, dormiatque in sinu suo, et calefaciat dominum nostrum regem. Und der Teufel zeigt mir ein Kind in der ersten Blüte, das zu mir spricht: ›Ich bin deine Abilag; ich bin deine Sunamitin. O Herr, räume mir einen Platz ein auf deinem Lager.‹«

»Glaube mir,« fügte der Greis hinzu, »nur durch des Himmels besonderen Beistand vermag ein Mönch seine Keuschheit in Werken und Gedanken zu wahren.«

Unverzüglich schickte er sich an, Reinheit und Frieden im Kloster wiederherzustellen. Er verbesserte den Kalender nach den Berechnungen der Chronologie und der Astronomie und gab ihn allen Mönchen zur Richtschnur. Er schickte die gefallenen Töchter der heiligen Brigitta in ihr Kloster. Aber er war weit entfernt, sie roh zu verjagen. Mit Psalmengesang und mit Litaneien ließ er sie aufs Schiff bringen.

»Wir wollen,« sagte er, »in ihnen die Töchter der Brigitta und die Bräute des Herrn achten. Hüten wir uns, die Pharisäer nachzuahmen, die sich mit der Verachtung der Sünderinnen spreizen. In ihrer Sünde, nicht ihrer Person müssen wir diese Frauen demütigen, sie für das beschämen, was sie getan haben, nicht für das, was sie sind; denn sie sind Geschöpfe Gottes.«

Und der fromme Mann ermahnte seine Mönche, die Regel des Ordens genau zu beobachten.

»Das Schiff,« sagte er, »das dem Steuer nicht gehorcht, gehorcht der Klippe.«


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