Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Viertes Kapitel

Die Heirat eines Politikers

Sie liebte ihn nicht, doch sie erlaubte ihm gnädigst, sie zu lieben. Im übrigen war sie sehr spröde zu ihm, nicht bloß wegen des geringen Grades ihrer Neigung. Es gibt eine Art von Liebesgunst, die man aus Gleichgültigkeit, aus Zerstreuung, aus weiblichem Instinkt gewährt, weil sie überlieferter Brauch ist, oder zur Machtprobe, und um mit Selbstgefühl die Wirkungen zu verfolgen. Der besondere Grund von Evelinens Vorsicht war, daß er, wie sie wußte, als Flegel eine Vertraulichkeit später gegen sie ausgenutzt und sie grob beschimpft hätte, wenn sie sie nicht wiederholte.

Da er von Beruf antiklerikal und Freidenker war, hielt sie es für ersprießlich, vor ihm Frömmigkeit zu heucheln, sich mit in roten Saffian gebundenen Erbauungsbüchern großen Formats zu zeigen, etwa mit der Osterwoche der Königin Marie Lesczynska und der Dauphine Maria Josepha. Und beständig gab sie ihm die Unterschriften zu lesen, die sie zur Sicherung des Nationalkults der heiligen Orberose sammelte.

Nicht um ihn zu foppen, handelte Eveline so, nicht aus Schelmerei oder Widerspruchsgeist, nicht einmal aus Snobtum, obwohl sie einen Anflug davon hatte. Vielmehr sie bejahte sich dergestalt, sie prägte sich einen Charakter, sie bekam Größe. Sie hüllte sich, den Mut des Deputierten zu spornen, in Religion, wie Brunhilde, um Siegfried anzuziehn, die wabernde Lohe um sich breitete. Ihrer Verwegenheit winkte das Glück. Er fand sie so noch schöner. In seinen Augen war der Klerikalismus etwas Feines.

Mit ungeheuerer Mehrheit wiedergewählt, trat Ceres in eine Kammer ein, die noch entschiedener links gerichtet, noch fortschrittlicher war als die letzte und scheinbar noch mehr nach Reformen drängte. Er aber merkte sofort, daß hinter dem großen Eifer nur die Furcht vor Veränderung und der ehrliche Wunsch, nichts zu tun, sich barg, und er gelobte sich, einen politischen Kurs einzuschlagen, der diesen Bestrebungen entsprach. Gleich zu Beginn der Tagung hielt er eine große, geschickt abgefaßte, wohlgeordnete Rede mit dem Leitgedanken, daß jede Reform lange verschoben werden muß. Er war hitzig, er kochte sogar vor Glut, denn er ging davon aus, daß der Redner Mäßigung mit maßloser Heftigkeit empfehlen soll. Die ganze Versammlung huldigte ihm mit Applaus. Von der Präsidententribüne hörten die Damen Clarence zu; unwillkürlich zitterte Eveline beim feierlichen Geräusch des Beifalls. Auf derselben Bank saß die schöne Frau Pensée, und auch durch ihren Leib flog bei den Schwingungen dieser männlichen Stimme ein Schauer.

Sobald er die Tribüne verließ, eilte Hippolyt Ceres, ohne sich zum Wechseln des Hemdes Zeit zu gönnen, während die Hände noch klatschten und man den öffentlichen Anschlag der Rede heischte, die Damen Clarence auf ihrer Tribüne zu begrüßen. Für Eveline hatte er die Schönheit des Erfolges. Und indes er sich zu den Damen niederbeugte, mit bescheidener, nur ein wenig abgeschmackter Miene ihre Verbindlichkeiten entgegennahm und sich mit dem Taschentuch den Hals abwischte, warf das junge Mädchen einen Seitenblick auf Frau Pensée. Sie sah, wie diese berauscht, keuchend, mit schweren Lidern, rückwärts gelehntem Kopf, zur Ohnmacht bereit, den Schweiß ihres Helden einsog. Alsbald lächelte Eveline ihm zärtlich zu.

Die Rede des Deputierten von Alka hatte lauten Widerhall. In den politischen »Sphären« rühmte man seine Gewandtheit. »Endlich haben wir eine maßvolle Sprache vernommen,« schrieb das leitende Blatt der Gemäßigten. »Das ist ein ganzes Programm,« sagte man in der Kammer. Einträchtig billigte man seinem Urheber ein großes Talent zu.

Jetzt war Hippolyt Ceres der richtige Führer der Radikalen, Sozialisten und Antiklerikalen, die ihn zum Präsidenten ihrer Gruppe, der beträchtlichsten unter den Kammergruppen, ernannten. In der nächsten Regierungskombination mußte ihm ein Ministerportefeuille zufallen.

Nach langem Zögern fügte Eveline Clarence sich in die Idee, Herrn Hippolyt Ceres zu heiraten. Für ihren Geschmack war der große Mann ein wenig gewöhnlich. Noch bewies nichts, daß er eines Tages durch die Politik sein Schäfchen ins trockne bringen würde. Aber sie ging ins sicbenundzwanzigste Jahr und hatte genug Lebenserfahrung, um zu wissen, daß man nicht allzu wählerisch und nicht allzu mäklerisch sein darf.

Hippolyt Ceres war berühmt; Hippolyt Ceres war selig. Er war nicht mehr zu erkennen. Die Eleganz seiner Röcke und seiner Manieren stieg bedrohlich. Mit Überschwang trug er weiße Handschuhe. Er war nun zu sehr gesellschaftsfähig, und Eveline zweifelte, ob das nicht schlimmer sei als das Gegenteil. Frau Clarence war dem Verlöbnis hold. Sie war über die Zukunft ihrer Tochter beruhigt und freute sich, daß nun jeden Donnerstag Blumen ihren Salon schmückten.

Indessen bot die Hochzeitszeremonie einige Schwierigkeiten dar. Eveline war fromm und wollte den kirchlichen Segen empfangen. Hippolyt Ceres, der tolerant war, jedoch ein Freidenker, wünschte nur bürgerliche Trauung. Die Frage rief Streit und sogar schmerzliche Szenen hervor. Die letzte spielte sich im Zimmer des jungen Mädchens ab, als die Einladungsbriefe geschrieben werden sollten. Eveline erklärte, wenn sie nicht in die Kirche käme, würde sie sich nicht für vermählt betrachten. Sie sprach davon, sie müßte mit ihm brechen, samt ihrer Mutter ins Ausland gehn oder in ein Kloster flüchten. Dann wurde sie zärtlich, schwach, sie flehte und stöhnte. Und in ihrem jungfräulichen Zimmer stöhnte alles mit ihr, der Weihwasserkessel und der Buchsbaumzweig über dem weißen Bett, die frommen Bücher auf dem Schränkchen und auf dem Marmorkamin die weiße und blaue Statue der heiligen Orberose, die den kappadozischen Drachen fesselt. Hippolyt Ceres war gerührt, erweicht, geschmolzen.

Schmerzensschön, mit tränenfunkelnden Augen, um die Handknöchel als Glaubenskette einen Rosenkranz aus Lasurstein, warf sie sich plötzlich Hippolyt zu Füßen und umschlang sterbend, mit zerrauftem Haar seine Knie. Beinah gab er nach. Er stammelte:

»Eine religiöse Trauung, eine kirchliche Trauung würden ja meine Wähler allenfalls verdauen. Aber mein Wahlausschuß, der schluckte die Sache nicht ebenso leicht hinunter ... Na, ich werde es ihnen erklären ... Toleranz, gesellschaftliche Notwendigkeit ... Sie alle schicken ihre Töchter zum Katecheten ... Nur mein Ministerportefeuille, Geliebte, das, zum Deibel, können wir im Weihwasser ersäufen.«

Bei diesen Worten erhob sie sich ernst, großmütig, entsagungsvoll, ihrerseits besiegt.

»Mein Freund, ich bestehe nicht darauf.«

»Also keine kirchliche Trauung! Famos, famos!«

»Ja! Doch lassen Sie mich handeln. Ich werde versuchen, alles zu Ihrer und meiner Zufriedenheit zu regeln.«

Sie suchte den ehrwürdigen Pater Douillard auf und setzte ihm die Verhältnisse auseinander. Er zeigte sich noch fügsamer und bequemer, als sie gehofft hatte.

»Ihr Gatte ist ein Mann voll Klugheit, ein Mann der Ordnung und der Vernunft. Er wird schon zu uns kommen. Sie werden ihn heiligen; nicht umsonst hat Gott ihm die Wohltat einer christlichen Gattin geschickt. Die Kirche will nicht immer zu ihrem Hochzeitssegen Prunk und glänzende Zeremonien. Jetzt, wo sie verfolgt wird, passen die Dunkelheit der Krypten, die Schleichwege der Katakomben zu ihren Festen. Wenn Sie, Fräulein, die bürgerlichen Formeln erledigt haben, kommen Sie mit Herrn Ceres im Straßenkleid hierher in meine Privatkapelle. Ich werde Sie unter Wahrung unbedingter Verschwiegenheit vermählen. Ich werde beim Erzbischof den notwendigen Dispens und alle Erleichterungen für Aufgebot und Beichtzettel durchsetzen.«

Hippolyt fand diese Verabredung ein wenig gefährlich, doch nahm er, insgeheim recht geschmeichelt, sie an.

»Ich gehe in kurzem Rock,« sagte er.

Er ging im Überrock, mit weißen Handschuhen und Lackstiefeln, und beugte nach Vorschrift das Knie.

»Wo die Leute doch so höflich sind!«


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