Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Siebentes Kapitel

Der Drache von Alka (Fortsetzung)

Während des ganzen Monats, den die Römer ihrem falschen Gotte Mars oder Mavors geweiht haben, plünderte der Drache die Meiereien in den Tälern der Steinfliesen und der Domben, raubte fünfzig Hammel, zwölf Schweine und drei junge Burschen. Alle Familien trauerten, und die Insel ward von Wehegeschrei erfüllt. Die Plage zu beschwören, entschlossen sich die Ältesten der Unglücksdörfer, die von den Bächen Clange und Surelle bespült werden, im Verein zu dem seligen Maël zu gehen und seine Hilfe zu erbitten.

Am fünften Tage des Monats, der bei den Lateinern Öffnung heißt, weil er das Jahr eröffnet, begaben sie sich in Prozession zu dem Holzkloster, das auf dem Südgestade der Insel sich erhob. Als man sie dort hineinführte, brachen sie in ein Schluchzen und Stöhnen aus. Bewegt von ihren Klagen, verließ der Greis Maël den Saal, drin er sich der astronomischen Forschung und der Betrachtung der Heiligen Schrift widmete, und stieg, auf seinen Hirtenstab gestützt, zu ihnen herab. Als sie ihn sahen, warfen die Ältesten sich zu Boden und streckten grüne Zweige aus. Und etliche verbrannten wohlriechende Kräuter. Und der fromme Mann ließ sich beim Klosterbrunnen unter einem alten Feigenbaum nieder und sprach die Worte:

»O meine Söhne, ihr Nachkommenschaft der Pinguine, warum weint und stöhnt ihr? Warum streckt ihr hilfesuchend diese Zweige aus? Warum laßt ihr den Rauch der duftenden Kräuter zum Himmel schweben? Erwartet ihr, ich solle ein Unheil von euren Häuptern abwenden? Weshalb fleht ihr zu mir? Ich bin bereit, mein Leben für euch hinzugeben. Sagt nur, was ihr von eurem Vater erhofft.«

Auf diese Fragen erwiderte der Ältesten Oberer:

»Vater der Kinder von Alka, o Maël, ich will für alle reden. Ein furchtbarer Drache verheert unsere Fluren, entvölkert unsre Ställe und schleppt die Blüte unsrer Jugend in seine Höhle fort. Das Kind Elo und sieben junge Burschen hat er verschlungen. Die Jungfrau Orberose, das schönste Pinguinenmädchen, hat er zwischen seinen hungrigen Zähnen zermalmt. Kein Dorf gibt es, worüber sein vergifteter Hauch nicht weht, und darin er nicht Jammer verbreitet.

Mißhandelt von dieser furchtbaren Geißel kommen wir, o Maël, zu dir und bitten dich als den weisesten Mann, für die Rettung der Inselbewohner zu sorgen, auf daß der alte Pinguinenstamm nicht erlösche.«

»Oberer der Ältesten von Alka,« entgegnete Maël, »deine Rede verhängt tiefen Gram über mich, und ich seufze bei dem Gedanken, daß die Insel der Wut eines furchtbaren Drachen ausgeliefert worden ist. Ein solcher Vorfall steht nicht einzig da, und in den Büchern findet man mehrere Geschichten von gräßlichen Drachen. Meist sind diese Ungetüme in Höhlen anzutreffen, am Rand der Gewässer und namentlich bei heidnischen Völkern. Es ist möglich, daß einige von euch, obwohl sie die heilige Taufe empfingen und ganz zu Adams Sippe gehören, wie die alten Römer Götzen angebetet haben. Oder daß sie Bilder, Weihtäfelchen, Wollbänder, Blumengewinde an die Zweige irgendeines heiligen Baumes hängten. Oder die Pinguinenfrauen haben um einen Zauberstein getanzt oder das Wasser der Brunnen getrunken, die von Nymphen bewohnt werden. Wäre dem so, dann, scheint mir, hätte der Herr den Drachen gesandt, um alle für die Verbrechen einiger zu strafen, und damit ihr, Pinguinensöhne, Lästerung, Aberglauben, Gottlosigkeit unter euch ausrottet. Drum will ich zur Heilung des großen Übels, an dem ihr krankt, euch raten, sorgfältig in euren Wohnungen nach Zeichen von Götzendienst zu suchen und sie zu tilgen. Auch Gebet und Buße halte ich für wirksam.«

So sprach der fromme Greis Maël. Und die Ältesten des Pinguinenvolkes küßten ihm die Füße und kehrten, besserer Hoffnung voll, in ihre Dörfer heim.


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