Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel

Mondzeichen

Als Pinguinien noch in Unwissenheit und Barbarei versenkt war, widmete sich Gilles Loissellier, ein Franziskaner, der durch seine Schriften unter dem Namen Aegidius Aucupis bekannt ist, mit unermüdlichem Fleiß dem Studium der schönen und gelehrten Wissenschaften. Seine Nächte schenkte er der Astronomie und der Musik, die er die beiden anbetungswürdigen Schwestern nannte, die harmonischen Töchter der Zahl und der Phantasie. Er war in der Heilkunde und der Sterndeuterei erfahren. Man beargwöhnte ihn, daß er Magie treibe, und es scheint, daß er Verwandlungen wirkte und Verborgenes entdeckte.

Die Mönche seines Klosters fanden in seiner Zelle griechische Bücher, die sie nicht lesen konnten, dachten, es seien Bücher der Hexenkunst, und zeigten ihren allzu gelehrten Bruder als Hexenmeister an. Aegidius Aucupis entfloh und gelangte zur Insel Irland, wo er dreißig Jahre lang in Studien lebte. Er ging von Kloster zu Kloster, auf der Suche nach griechischen und lateinischen Manuskripten, die dort verschlossen waren, und schrieb diese ab. Er studierte auch die Naturlehre und die Goldmacherkunst. Er erwarb sich ein allgemeines Wissen und entdeckte zumal Geheimnisse über Tiere, Pflanzen und Steine. Eines Tages überraschte man ihn, wie er sich mit einem äußerst schönen Weibe eingesperrt hatte, das sang und sich auf der Laute dazu begleitete. Und später erkannte man, daß sie eine von seinen Händen verfertigte Maschine war.

Oft fuhr er über das irische Meer, um sich ins Land Wales zu begeben und die Klosterbüchereien dort zu besuchen. Auf einer dieser Überfahrten sah er, als er nachts auf der Schiffsbrücke stand, zwei Störe, die nebeneinander schwammen. Er hatte ein feines Gehör und kannte die Sprache der Fische. Nun vernahm er, wie ein Stör zum anderen sagte:

»Der Mann mit dem Holzstoß auf den Schultern, der seit langem im Mond zu sehen war, ist ins Meer hinabgefallen.«

Und dann sprach der zweite Stör:

»Und man wird in der Silberscheibe das Bild eines Liebespaares sehen, das sich auf den Mund küßt.«

Etliche Jahre später kam Aegidius Aucupis in die Heimat zurück und fand dort die antike Literatur wiederhergestellt, die Wissenschaften zu neuen Ehren gebracht. Die Sitten sänftigten sich. Die Menschen verfolgten die Nymphen der Quellen, Wälder und Berge nicht mehr mit ihren Schmähungen. Sie stellten in ihren Gärten die Bilder der Musen und der züchtigen Grazien auf und bezeigten der Göttin mit den ambrosischen Lippen, der Wollust der Menschen und der Götter, die alte Huldigung. Sie versöhnten sich mit der Natur. Sie traten die nichtigen Schrecken zu Boden und erhoben die Augen gen Himmel, ohne die Furcht, dort, wie einst, Zeichen des Zorns und Drohungen der Verdammnis zu lesen.

Bei diesem Schauspiel erinnerte Aegidius Aucupis sich dessen, was die beiden Störe im irischen Meere verkündet hatten.


 << zurück weiter >>