Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Fünftes Kapitel

Die Taufe der Pinguine

Nachdem er eine Stunde sich hatte treiben lassen, da landete der fromme Mann auf engem, durch spitze Berge abgesperrtem Strand. Einen Tag und eine Nacht ging er längs des Ufers und bog bei den Felsen aus, die einen unübersteigbaren Wall bildeten. Und so versicherte er sich, daß es ein rundes Eiland war, in dessen Mitte ein wolkengekrönter Berg sich türmte. Froh schlürfte er den frischen Atem der feuchten Luft. Regen sank, und dieser Regen war so mild, daß der fromme Mann zum Herrn sprach:

»Herr, hier ist die Insel der Tränen, der Zerknirschung.«

Der Strand war öde. Von Müdigkeit und Hunger geschwächt, kauerte er sich auf einen Stein nieder, in dessen Höhlungen gelbe, schwarzgesprenkelte Eier lagen, so groß wie Schwaneneier. Doch er rührte nicht daran und sagte:

»Die Vögel sind lebendige Lobpreisungen Gottes. Ich will nicht, daß durch meine Schuld eine einzige dieser Lobpreisungen fehlt.«

Und er zerbiß Tang, der in den Steinhöhlen wucherte. Der fromme Mann hatte die Insel fast gänzlich umkreist, ohne Bewohner zu treffen. Da gelangte er zu einem großen Rund, das von rotgelben Klippen eingefaßt war. Sie waren voll klingender Wasserbäche, und ihre Zacken standen in blauem Wolkendunst.

Der Abglanz des Polareises hatte des Greises Augen verbrannt. Doch stahl noch schwaches Licht sich durch seine geschwollenen Lider hindurch. Er unterschied beseelte Gestalten, die auf diesen Felsen sich geschichtet hatten wie eine Menschenmasse auf den Stufen eines Amphitheaters. Und zugleich hörten seine Ohren, die betäubt waren von des Meeres lang andauerndem Getös, ein schwaches Rufen. Er dachte, dort seien Menschen, die nach dem Naturgesetz lebten, und der Herr habe ihn hingeschickt, um sie Gottes Gesetz zu lehren. Und so predigte er ihnen das Evangelium.

Er stieg auf einen hohen Stein inmitten des wilden Runds und sprach:

»Bewohner dieser Insel! Zwar seid ihr klein gewachsen, doch scheint ihr minder ein Haufe von Fischern und Seeleuten zu sein als der Senat einer weisen Republik. Durch euern Ernst, euer Schweigen, eure ruhige Haltung stellt ihr auf diesem wilden Felsen eine Versammlung dar, ähnlich dem Rat von Rom, der in Victoriens Tempel tagte, oder den athenischen Philosophen, die auf dem Tempel des Areopag ihre Meinungen tauschten. Gewiß besitzt ihr weder ihr Wissen noch ihren Genius. Doch vielleicht übertrefft ihr sie vor Gott. Ich errate, daß ihr einfach und gut seid. Als ich eure Küste entlangschritt, habe ich kein Mordbild, kein Zeichen von Blutgemetzel gefunden, nirgends waren Köpfe oder Haarwülste von Widersachern auf eine Stange gesteckt oder an die Dorftore genagelt. Mir scheint, daß ihr keine Kunst habt und die Metalle nicht bearbeitet. Doch eure Herzen sind rein und eure Hände unschuldig. Und die Wahrheit wird leicht in eure Seelen einziehen.«

Aber was er für klein gewachsene Menschen von ernstem Betragen gehalten hatte, waren Pinguine, die der Lenz vereinte. Gepaart hockten sie auf den natürlichen Stufen des Felsens, und in der Majestät ihrer dicken, weißen Bäuche standen sie da. Mitunter spreizten sie ihre gefiederten Flossen wie Arme und stießen friedliche Schreie aus. Sie scheuten sich vor den Menschen nicht, weil sie sie nicht kannten und nie Unbill von ihnen erfahren hatten. Und in diesem Mönch war eine Sanftmut, die selbst die furchtsamsten Tiere beschwichtigte und den Pinguinen außerordentlich gefiel. Mit freundschaftlicher Neugier drehten sie sich zu ihm, und ihr kleines rundes Auge war vorne durch einen weißen ovalen Fleck verlängert, der ihrem Blick etwas Wunderliches, etwas Menschliches gab.

Von ihrem Lauschen angenehm betroffen, unterwies der fromme Mann sie im Evangelium.

»Bewohner dieser Insel! Der irdische Tag, der auf euren Felsen sich erhoben hat, ist das Abbild des geistigen Tages, der in euren Seelen aufsteigt. Denn ich bringe euch das innere Licht; ich bringe euch Licht und Wärme der Seele. Wie die Sonne das Eis eurer Berge schmilzt, wird Jesus Christus das Eis eurer Herzen schmelzen.«

Also sprach der Greis. Da überall in der Natur die Stimme andere Stimmen weckt, da alles, was im Tageslicht atmet, dem Wechselgesang zugeneigt ist, antworteten die Pinguine dem Greis durch die Klänge ihres Schlundes. Und ihre Stimmen wurden sanft dabei, denn sie waren in der Jahreszeit der Liebe.

Und der fromme Mann war überzeugt, sie gehörten irgendeinem götzendienerischen Volke an und bekehrten sich nun in ihrer Sprache zum christlichen Glauben. Und er lud sie ein, die Taufe zu empfangen.

»Ihr badet wohl oft,« sagte er. »Denn alle Höhlungen der Felsen sind reinen Wassers voll, und vorhin, als ich mich zu eurer Versammlung begab, sah ich mehrere von euch in diese natürlichen Badewannen getaucht. Die Reinheit jedoch des Leibes ist das Abbild der geistigen Reinheit.« Und er lehrte sie Ursprung, Natur und Wirkungen der Taufe.

»Die Taufe,« sagte er, »ist Kindschaft, Wiedergeburt, Erneuerung, Erleuchtung.«

Und legte ihnen der Reihe nach jeden dieser Begriffe dar. Dann segnete er zuvörderst das Wasser, das von den Kaskaden fiel, betete entzaubernde Sprüche her und taufte die, die er gelehrt halte. Jedem goß er einen Tropfen reinen Wassers aufs Haupt und sprach dazu die geweihten Worte.

Und so taufte er die Vögel drei Tage und drei Nachte lang.


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