Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Siebentes Kapitel

Die ersten Folgen

Als Eveline Herrn Paul Visire anvertraute, daß sie ähnliches nie gespürt habe, glaubte er ihr nicht. Er war des Verkehrs mit Frauen kundig und wußte, daß sie gern den Männern so etwas sagen, um sie sehr verliebt zu machen. Drum wurde er, wie das mitunter geht, gerade durch seine Erfahrung an der Wahrheit irre. Ungläubig und dennoch geschmeichelt, empfand er bald Liebe zu ihr und mehr noch als das. Anfangs schien dieser Gemütszustand seinen geistigen Gaben förderlich. Im Hauptort seines Wahlbezirks hielt er eine anmutige, glänzende, glückliche Rede, die für sein Meisterwerk galt.

Bei heiterem Himmel nahm er sein Amt wieder auf. Kaum, daß in der Kammer vereinzelte Bosheit und noch schüchterner Ehrgeiz das Haupt erhoben. Ein Lächeln des Ministerpräsidenten genügte, um diese Schatten zu zerstreuen. Sie und er sahen sich täglich zweimal und schrieben sich in der Zwischenzeit. Er war an intime Verhältnisse gewohnt, war geschickt und ein Meister im Hehlen. Sie zeigte sich ohne Scheu in den Salons, im Theater, in der Kammer, in den Botschaften neben ihm. Sie trug ihre Liebe auf ihrem Antlitz, in ihrer Erscheinung, im nassen Schimmer ihres Blicks, im hinsterbenden Lächeln ihrer Lippen, im stürmischen Wallen ihrer Brust, in der Weichheit ihrer Hüften, in ihrer gesamten neubelebten, gereizten, besinnungslos träumenden Schönheit. Bald kannte das ganze Land ihr Verhältnis. Die ausländischen Höfe wußten davon Bescheid. Nur der Präsident der Republik und Evelinens Gatte waren noch nicht unterrichtet. Der Präsident erfuhr es in seiner Villeggiatur durch ein auf unerforschte Weise in seinen Koffer verirrtes Polizeiprotokoll.

Hippolyt Ceres, der nicht sehr zartfühlend und nicht sehr scharfsichtig war, merkte trotzdem bald, daß in seinem Haushalt sich etwas geändert hatte. Eveline, die noch unlängst sich für seine Geschäfte interessierte und ihm zwar keine warme Neigung, doch gute Freundschaft zeigte, bewies ihm hinfort nur Gleichgültigkeit und Widerwillen. Sie war schon immer, der verlängerten Besuche in der Stiftung der heiligen Orberose halber, periodisch außer dem Haus gewesen. Jetzt ging sie in der Frühe weg, kam den ganzen Tag nicht und setzte sich um neun Uhr abends mit dem Antlitz einer Nachtwandlerin zu Tisch. Ihr Gatte fand das lachhaft. Doch vielleicht hätte er nie etwas erfahren. Eine tiefe Unkenntnis der Frauen, ein schwerfälliges Vertrauen auf seine Vorzüge und sein Glück hätten ihm vielleicht ewig die Wahrheit verborgen, hätte ihn das Liebespaar zur Entdeckung nicht gleichsam gezwungen.

Wenn Paul Visire zu Eveline kam und sie allein fand, sagten sie unter Küssen: »Hier nicht! Hier nicht!« und dann benahmen sie sich einander gegenüber sehr steif. Das war ihre unverletzliche Regel. Eines Tags nun begab sich Paul Visire zu seinem Kollegen Ceres, mit dem er eine Besprechung vereinbart hatte. Eveline empfing ihn. Der Postminister wurde »im Schoße« einer Kommission zurückgehalten.

»Hier nicht!« sagte das Liebespaar lächelnd.

Sie sagten es sich Mund auf Mund, unter Küssen, Verschlingungen, mit Niedersinken aufs Knie. Sie sagten es sich noch, als Hippolyt Ceres in den Salon trat.

Paul Visire fand seine Geistesgegenwart wieder. Er erklärte Frau Ceres, daß er nun darauf verzichte, ihr das Staubkörnchen aus dem Auge zu nehmen. Durch dieses Verhalten konnte er zwar den Gatten nicht irreleiten, doch wenigstens in Form das Zimmer verlassen.

Hippolyt Ceres brach zusammen. Evelinens Verstoß begriff er nicht. Er fragte sie nach den Gründen. »Warum, warum?« wiederholte er beständig. »Warum?«

Sie leugnete alles, nicht um ihm ihre Schuldlosigkeit einzureden, denn er hatte alles gesehen, doch aus Bequemlichkeit, aus gutem Geschmack und zur Vermeidung peinlicher Gespräche.

Hippolyt Ceres litt alle Qualen der Eifersucht. Er gestand es sich selbst. Er sagte sich: »Ich bin ein starker Mann, ich bin gepanzert. Aber die Wunde sitzt darunter; sie sitzt im Herzen.«

Und er wandte sich nach seiner Frau um, die mit Wollust geschmückt, schön durch ihr Verbrechen war, betrachtete sie schmerzlich und sprach zu ihr:

»Mit dem hättest du's nicht tun sollen.« Er hatte recht. Eveline durfte sich ihren Geliebten nicht in der Regierung suchen.

Er litt so heftig, daß er seinen Revolver faßte und schrie: »Ich werde ihn töten!« Doch er bedachte, daß ein Post- und Telegraphenminister den Ministerpräsidenten nicht töten darf, und legte seinen Revolver wieder in die Schublade des Nachttisches.

Die Wochen verstrichen, doch sie trösteten ihn nicht in seinem Leid. Jeden Morgen schnallte er sich den Panzer eines starken Mannes über die Wunde und suchte den Frieden, der ihn floh, in der Arbeit und in politischen Ehren. Jeden Sonntag weihte er Büsten ein, Statuen, Brunnen, artesische Quellen, Hospitäler, Apotheken, Eisenbahnen, Kanäle, Markthallen, Kloaken, Triumphbögen, Märkte und Schlachthäuser und hielt dazu begeisterte Reden. Sein siedender Tatendrang fraß die Akten; in acht Tagen veränderte er vierzehnmal die Farbe der Postwertzeichen. Inzwischen schwoll in ihm wütender Schmerz, eine Raserei, die ihn betörte. Tagelang verlor er den Verstand. Hätte er einen Posten in der Privatverwaltung bekleidet, dann hätte man es sofort bemerkt; doch bei der Verwaltung von Staatsgeschäften sind Wahnwitz oder Tobsucht viel schwerer zu erkennen.

Damals bildeten die Regierungsbeamten in einer Aufregung, worüber Parlament und Öffentlichkeit erschraken, Vereine und Genossenschaften. Vor allem entwickelten die Briefträger glühenden Syndikatseifer. Hippolyt Ceres verlautbarte durch ein Zirkular, ihr Beginnen sei völlig gesetzlich. Am nächsten Tag erließ er ein zweites Zirkular, das jeden Verein von Staatsangestellten als gesetzwidrig untersagte. Er nahm hundertachtzig Briefträgern ihr Amt, gab es ihnen wieder, sprach eine Rüge gegen sie aus und schenkte ihnen Gratifikationen. Im Ministerrat drohte er immer zu platzen. Kaum vermochte die Anwesenheit des Staatschefs ihn in schicklichen Schranken zu halten, und da er seinem Nebenbuhler nicht an die Kehle zu springen wagte, überschüttete er, um sich zu erleichtern, den hochgeschätzten Armeechef, den General Débonnaire, mit Beschimpfungen. Der aber hörte sie nicht, denn er war taub und befaßte sich damit, Verse für die gnädigste Frau Baronin Bildermann zu dichten. Hippolyt Ceres widersetzte sich ohne Unterschied allen Anträgen des Ministerpräsidenten. Kurz, er war verrückt. Eine einzige Fähigkeit blieb ihm noch in der geistigen Vernichtung; der parlamentarische Sinn, das Gefühl für Mehrheiten, die vertiefte Kenntnis der Gruppen, die Sicherheit in der Stimmenschätzung.


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