Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Zweites Kapitel

Prinz Crucho

Agaric beschloß, sich unverzüglich zu dem Prinzen Crucho zu begeben, der ihn mit seiner vertrauten Freundschaft ehrte. In der Abenddämmerung verließ er, als Ochsenhändler vermummt, die Schule durch die kleine Tür und setzte auf dem Sankt Maël über.

Tags darauf landete er in Marsuinien. In diesem gastlichen Land, in Schloß Chitterlings, aß Crucho das bittere Brot der Verbannung.

Agaric traf ihn auf der Landstraße im Auto, während er mit zwei jungen Damen auf 13O Kilometer in der Stunde fuhr. Sobald er des Prinzen ansichtig wurde, schwang der Mönch seinen roten Regenschirm, und die Maschine des Prinzen hielte

»Sie sind's, Agaric? Steigen Sie doch ein! Wir sind schon drei; aber wir werden ein bißchen zusammenrücken. Sie nehmen eine von den Damen auf die Knie.«

Der fromme Agaric stieg ein.

»Was gibt's Neues, geistlicher alter Herr?« fragte der junge Prinz.

»Große Neuigkeiten,« erwiderte Agaric, »darf ich reden?«

»Sie dürfen. Vor den beiden Damen habe ich kein Geheimnis.«

»Hoheit, Pinguinien verlangt nach Ihnen. Sie werden für seinen Ruf nicht taub sein.«

Agaric schilderte die Stimmung der Geister und legte den Plan eines Riesenkomplotts dar.

»Auf mein erstes Signal,« sagte er, »werden alle Ihre Parteigänger zugleich sich erheben. Das Kreuz in Händen, in geschürzten Röcken werden ihre Bataillone ehrwürdiger Mönche die bewaffnete Masse ins Palais des schönen Theodor führen. Wir werden Schrecken und Tod unter Ihre Feinde tragen. Zum Lohn unserer Anstrengungen bitten wir Sie, Hoheit, nur, sie nicht zu vereiteln. Wir flehen Sie an, auf einem Thron, der von uns hergerichtet sein wird, Platz zu nehmen.«

Der Prinz erwiderte bloß:

»Ich werde auf einem grünen Pferd in Alka einreiten.«

Agaric merkte sich diese männliche Antwort. Obwohl er, seinen Gewohnheiten entgegen, eine Dame auf den Knien hatte, beschwor er den jungen Prinzen mit erhabener Seelengröße, seinen königlichen Pflichten treu zu sein.

»Hoheit,« rief er und vergoß dabei Tränen, »Sie werden sich eines Tags erinnern, daß der Mönche Hand Sie aus der Verbannung gezogen, Ihren Völkern zurückgegeben, auf den Thron Ihrer Ahnen wieder eingesetzt und mit dem majestätischen Drachenkamm gekrönt hat. König Crucho, o möchten Sie den Ruhm Ihres Ahnherrn, Drakos des Großen, erreichen!«

Bewegt warf sich der junge Prinz über seinen Wiedereinsetzer, ihn zu umarmen. Doch er konnte nur durch zwei umfangreiche junge Damen zu ihm dringen, so eng saß man in diesem historischen Wagen aufeinander.

»Geistlicher alter Herr,« sagte er, »ich wünschte, ganz Pinguinien wäre bei dieser Umarmung Zeuge.«

»Es müßte ein erquickendes Schauspiel sein,« sprach Agaric.

Indessen raste das Auto einer Windhose gleich durch Weiler und Flecken, zerquetschte unter seinen unersättlichen Pneus Hühner, Gänse, Truthähne, Enten, Perlhühner, Katzen, Hunde, Schweine, Kinder, Bauern und Bäuerinnen.

Und der fromme Agaric wälzte im Geist seine großen Pläne. Seine Stimme, die hinter der Dame hervorkam, drückte den Gedanken aus:

»Wir werden Geld brauchen, viel Geld.«

»Das ist Ihre Sache,« antwortete der Prinz.

Doch schon öffnete sich das Parkgitter vor dem furchtbaren Auto.

Das Diner war verschwenderisch. Man trank auf den Drachenkamm. Jeder weiß, daß ein verschlossener Becher ein Abzeichen der Souveränität ist. So tranken auch Prinz Crucho und Prinzessin Gudrun, seine Gemahlin, aus Bechern, die zugedeckt waren wie Monstranzen. Der Prinz ließ den seinigen mehrmals mit den roten und weißen Weinen Pinguiniens füllen.

Crucho hatte eine wahrhaft fürstliche Bildung empfangen. Er war eine hervorragende Kapazität der Wissenschaft vom Automobil, doch auch die Geschichte war ihm geläufig. Es hieß, er sei in den Altertümern und Ruhmestiteln seiner Familie sehr bewandert; und richtig gab er beim Dessert einen bedeutenden Beweis seiner einschlägigen Kenntnisse. Als man von verschiedenen besonderen Merkmalen berühmter Frauen sprach, sagte er:

»Es ist vollkommen wahr, daß die Königin Crucha, nach der ich getauft bin, einen kleinen Affenkopf unter dem Nabel gehabt hat.«

Im Verlaufe des Abends hatte Agaric mit drei bejahrten Ratgebern des Prinzen ein entscheidendes Gespräch. Man beschloß, um Fonds den Schwiegervater Cruchos zu ersuchen, der sich einen König zum Schwiegersohn wünschte, mehrere jüdische Damen, die vor Ungeduld brannten, in den Adel hineinzukommen, und endlich den regierenden Fürsten der Marsuine, der, den Drakoniden seine Hilfe versprochen hatte, da er durch Cruchos Wiedereinsetzung die Pinguine zu schwächen hoffte, die Erbfeinde seines Volkes.

Die drei bejahrten Ratgeber verteilten die drei ersten Hofämter, die des Kämmerers, des Seneschalls und des Brotmeisters unter sich und ermächtigten den Mönch, die übrigen Ämter nach dem besten Interesse des Prinzen zu verteilen.

»Ergebenheit muß ihren Lohn haben,« beteuerten die drei alten Ratgeber.

»Und Verrat auch,« sagte Agaric. »Das ist nur zu gerecht,« erwiderte einer, der Marquis von Septplaies, der in Revolutionen Erfahrung hatte.

Man tanzte. Nach dem Ball zerriß Prinzessin Gudrun ihr grünes Kleid, um Kokarden daraus zu machen. Mit eigener Hand nähte sie ein Stück dem Mönch auf die Brust, und er vergoß Tränen der Rührung und der Dankbarkeit.

Herr von Plume, der Stallmeister des Prinzen, fuhr noch am Abend ab, ein grünes Pferd zu suchen.


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