Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Zweites Kapitel

Trinko

Die souveräne Nation hatte die Ländereien des Adels und der Geistlichkeit wieder an sich genommen, um sie für einen elenden Preis an Bürger und Bauern zu verkaufen. Bürger und Bauern fanden, die Revolution sei gut, um Boden zu erwerben, und schlecht, um ihn im Besitz zu behalten.

Die Gesetzgeber der Republik schufen furchtbare Gesetze zum Schutz des Eigentums und beschlossen Todesstrafe für jeden, der die Güterverteilung vorschlagen würde. Aber das nutzte der Republik nichts. Die Bauern, die Eigentümer geworden waren, merkten, daß sie, indem sie sie bereicherte, den Vermögensstand zerrüttet hatte, und wünschten, es möge eine Herrschaftsform aufkommen, die mehr Achtung hätte vor privatem Gut und fähiger sei, die Beständigkeit der neuen Einrichtungen zu sichern.

Sie brauchten nicht lange zu warten. Die Republik trug, wie Agrippina, ihren Mörder im Schoß.

Da sie große Kriege bestehen mußte, rief sie die Militärmacht ins Leben, die sie retten und zerstören sollte. Ihre Gesetzgeber meinten, die Generäle durch den Schrecken der Hinrichtungen im Zaum halten zu können. Doch wenn sie zuweilen unglücklichen Soldaten den Kopf abschnitten, so konnten sie das gleiche nicht den glücklichen Soldaten antun, die vor ihr voraus hatten, daß sie ihre Retter waren.

Im Siegesrausch gaben sich die wiedergeborenen Pinguine einem Drachen preis, der noch schrecklicher war als der Fabeldrache und, wie ein Storch inmitten der Frösche, vierzehn Jahre lang mit unersättlichem Schnabel sie verzehrte.

Ein halbes Jahrhundert nach der Herrschaft des neuen Drachen hat ein junger malaiischer Maharajah mit Namen Djambi, der begierig war, sich durch Reisen zu bilden wie der Scythe Anacharsis, Pinguinien besucht und über seinen Aufenthalt einen interessanten Bericht erstattet, dessen erste Seite hier folgen mag.

Die Reise des jungen Djambi durch Pinguinien

Nach neunzigtägiger Schiffahrt landete ich in dem weiten, verlassenen Hafen der schlachtliebenden Pinguine und begab mich durch unbebaute Felder zu der zertrümmerten Hauptstadt. Von Befestigungen umzäunt, voll von Kasernen und Arsenalen sah sie kriegerisch und trostlos aus. Rachitische, verkrümmte Menschen schleppten stolz alte Uniformen und rostiges Eisen durch die Straßen.

»Was wollen Sie?« fragte mich unter dem Stadttor ein Soldat, dessen Schnurrbartspitzen gen Himmel drohten, mit rauhem Organ.

»Mein Herr,« antwortete ich, »ich komme aus Neugier, die Insel zu besuchen.«

»Das ist keine Insel,« versetzte der Soldat.

»Wie?« rief ich. »Die Pinguin-Insel ist keine Insel?«

»Nein, mein Herr, sie ist ein Inselreich. Insel hieß sie früher, seit einem Jahrhundert aber trägt sie laut Dekret den Namen Inselreich. Sie ist das einzige Inselreich in der ganzen Welt. Sie haben einen Paß?«

»Hier.«

»Lassen Sie ihn im Ministerium der auswärtigen Beziehungen visitieren.«

Ein lahmer Führer, der mir den Weg zeigte, blieb auf einem großen Platz stehen.

»Das Inselreich,« sprach er, »hat, wie Sie wohl wissen, das größte Genie der Welt erzeugt, Trinko, dessen Statue Sie hier vor sich sehn. Dieser Obelisk, der Ihnen zur Rechten ragt, verewigt Trinkos Geburt. Die Säule, die sich Ihnen zur Linken erhebt, trägt auf ihrem First Trinko im Diadem. Von hier gewahren Sie den Triumphbogen, der dem Ruhm Trinkos und seiner Familie geweiht ist.«

»Was hat er denn so Außerordentliches gemacht, der Trinko,« fragte ich.

»Krieg!«

»Das ist doch nichts so Außerordentliches. Wir Malaien führen beständig Krieg.«

»Möglich, aber Trinko ist der größte Kriegsmann aller Länder und Zeiten. Nie hat es einen so großen Eroberer gegeben wie ihn. Als Sie in unserem Hafen vor Anker gingen, haben Sie im Osten eine vulkanische Insel gesehen. Sie ist kegelförmig, von mittelmäßiger Ausdehnung, doch wegen ihrer Weine berühmt und heißt Ampelophora. Und im Westen eine geräumigere Insel, die mit einer langen Reihe spitzer Zähne gen Himmel sticht. Drum heißt sie auch Hundskinnbacken. Sie ist reich an Kupferminen. Die beiden besaßen wir vor Trinkos Herrschaft; darauf beschränkte sich unser Reich. Trinko erstreckte die pinguinische Herrschaft über den Türkisen-Archipel und den Grünen Kontinent, unterwarf das finstere Marsuinien, pflanzte seine Fahne im Polareis auf und im heißen Sand der afrikanischen Wüste. In allen Ländern, die er erobert hatte, hob er Truppen aus, und wenn seine Armeen vorbeizogen, sah man hinter unsern schlachtliebenden Tirailleuren, unsern Inselgrenadieren, Husaren, Dragonern, Artilleristen und Trainsoldaten gelbe Krieger, die in ihren blauen Rüstungen Krebsen glichen, die auf den Schwänzen standen. Rote Männer, die den Kopf mit Papageifedern geputzt hatten, mit Sonnenfiguren und Zeugungsemblemen tätowiert waren und auf ihrem Rücken einen Köcher voll vergifteter Pfeile klirren ließen. Splitternackte, mit ihren Zähnen und ihren Nägeln bewaffnete Mohren. Pygmäen, die auf Kranichen ritten. Gorillas, die sich auf einen Baumstamm stützten, unter Führung eines alten Männchens, von dessen zottiger Brust das Kreuz der Ehrenlegion baumelte. Und alle diese Truppen flogen, unter Trinkos Standarten durch den Hauch eines heißen Patriotismus dahingetragen, von Sieg zu Sieg. In dreißig Kriegsjahren hatte Trinko die Hälfte der bekannten Welt erobert.«

»Wie?« rief ich. »Ihr habt die ganze Welt besessen?«

»Trinko hat sie uns erobert, und wir haben sie verloren. Ebenso groß in seinen Niederlagen wie in seinen Siegen, hat er alles, was er erobert hatte, zurückgegeben. Er hat sich sogar die beiden Inseln abnehmen lassen, die wir vor ihm besaßen, Ampelophora und Hundskinnbacken. Er hat Pinguinien in Armut versetzt und entvölkert. Die Blüte des Inselreichs ist in seinen Kriegen zugrunde gegangen. Bei seinem Sturz blieben in unserem Vaterland nur die Buckligen und die Lahmen, von denen wir abstammen. Aber er hat uns den Ruhm geschenkt.«

»Den hat er euch teuer bezahlen lassen!«

»Der Ruhm wird nie zu teuer bezahlt,« erwiderte mein Führer.


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