Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Drittes Kapitel

Das geheime Konzil

Wieder in Pinguiniens Hauptstadt, teilte der ehrwürdige Vater Agaric seine Pläne dem Prinzen Adélestan von Boscénos mit, dessen drakonische Empfindungen er kannte.

Der Prinz war ein Mitglied des höchsten Adels. Die Torticol von Boscénos hatten einen Stammbaum, der bis zu Brian dem Frommen reichte, und unter den Drakoniden die höchsten Ämter des Königreichs innegehabt hatte. Philipp Torticol, Großemiral von Pinguinien, ein tapferer, treuer, großherziger, aber rachsüchtiger Held, lieferte den Schlupfhafen und die pinguinische Flotte den Feinden des Königreichs aus, weil er den Verdacht hegte, die Königin Crucha, seine Geliebte, betrüge ihn mit einem Stallknecht. Diese große Königin hat den Boscénos den silbernen Bettwärmer verliehen, den sie im Wappen tragen. Ihr Wahlspruch ist erst im sechzehnten Jahrhundert entstanden und hat den folgenden Ursprung. In einer Fastnacht stak der Herzog Johann von Boscénos mitten im Schwarm der Höflinge, die sich im Garten des Königs drängten und dem Feuerwerk zuschauten. Er näherte sich der Herzogin von Skull und griff ihr mit der Hand unter den Rock; die Dame beschwerte sich nicht.

Der König, der gerade vorbeikam, überraschte sie und meinte nur: »So trifft man sich.« Diese vier Worte wurden der Boscénos Wahlspruch.

Prinz Adélestan war kein entarteter Sproß seiner Ahnen. Er bewahrte dem Drakonidenblut unveränderliche Treue und wünschte nichts so heiß wie die Einsetzung des Prinzen Crucho als Vorzeichen für seiner eigenen ruinierten Glücksgüter Wiederkehr. Darum fand er sich bereitwillig in des ehrwürdigen Paters Agaric Gedanken. Sofort verbündete er sich den Plänen des Mönchs und beeilte sich, ihn mit den hitzigsten und ehrlichsten Royalisten seiner Kreise in Beziehung zu bringen, dem Grafen Eléna, Herrn von La Trumelle, dem Vikomte Olive und Herrn Bigourd. Eines Nachts kamen sie im Landhaus des Herzogs von Ampoule, zwei Meilen östlich von Alka, zusammen, um Mittel und Wege zu prüfen.

Herr von La Trumelle sprach sich für gesetzliches Vorgehen aus:

»Wir müssen auf dem Boden des Gesetzes bleiben,« sagte er im wesentlichen. »Wir sind Ordnungsfreunde. Durch unermüdliche Propaganda wollen wir unsere Hoffnungen zu verwirklichen trachten. Den Geist des Landes müssen wir umwandeln. Unsere Sprache wird triumphieren, weil sie gerecht ist.«

Der Prinz von Boscénos äußerte eine entgegengesetzte Ansicht. Er meinte, um zu triumphieren, bedürften die gerechten Sachen ebenso der Gewalt wie die ungerechten, und mehr noch als diese.

»In der gegenwärtigen Lage,« sagte er ruhig, »haben wir für die Aktion drei Mittel. Wir müssen die Fleischergehilfen anwerben, die Minister bestechen und den schönen Theodor, den Präsidenten, entführen.«

»Theodor zu entführen, das wäre falsch,« wandte Herr von La Trumelle ein. »Der Präsident steht auf unserer Seite.«

Daß ein Drakophil vorschlug, den schönen Präsidenten zu verhaften, und daß ein anderer ihn als Freund behandelte, erklärte sich aus dem Benehmen und aus der Gesinnung des Staatsoberhaupts. Der schöne Theodor zeigte sich den Royalisten hold, deren Manieren er bewunderte und nachahmte. Wenn er jedoch bei der Erwähnung des Drachenkammes lächelte, so kam das nur daher, daß er ihn sich selbst aufs Haupt zu setzen träumte. Er war lüstern nach souveräner Macht. Nicht, als hätte er sich fähig geglaubt, sie auszuüben, jedoch liebte er den Schein. Nach dem starken Wort eines pinguinischen Chronisten war er eine männliche Pute.

Der Prinz von Boscénos blieb bei seinem Vorschlag, mit bewaffneter Hand gegen das Palais des schönen Theodor und die Deputiertenkammer zu ziehen.

Der Graf Eléna war noch energischer:

»Zum guten Anfang wollen wir den Republikanern und allen Regierungsdingerichen den Hals abschneiden und ihnen Gedärm und Hirn ausnehmen. Das andere findet sich schon.«

Herr von La Trumelle war ein Gemäßigter. Die Gemäßigten leisten der Gewalt stets mäßigen Widerstand. Er erkannte an, daß die Politik des Grafen Eléna sich an einer edlen Gesinnung begeisterte, daß sie hochherzig war, aber er warf scheu ein, daß sie den Prinzipien vielleicht nicht ganz angepaßt sei und gewisse Gefahren biete. Endlich war er zur Diskussion bereit.

»Ich beantrage, einen Aufruf an das Volk zu entwerfen,« sagte er. »Wir wollen die Leute wissen lassen, wer wir sind. Daß ich selbst meine Fahne nicht in die Tasche stecken werde, dafür bürge ich.«

Herr Bigourd nahm das Wort:

»Meine Herren, die Pinguine sind mit der neuen Ordnung unzufrieden, weil sie Genuß davon haben und weil über ihr Schicksal zu klagen von Natur die Art der Menschen ist. Doch zugleich fürchten sich die Pinguine vor Änderungen der Regierung, weil das Neue erschreckt. Den Drachenkamm kennen sie nicht. Und wenn es ihnen mitunter widerfährt, daß sie Sehnsucht danach bekunden, so muß man darauf nichts geben; bald würde man dessen gewahr, daß sie unbedacht und in übler Laune gesprochen haben. Über ihre Gesinnungen gegen uns wollen wir uns nicht täuschen. Sie lieben uns nicht. Sie hassen die Aristokratie sowohl aus gemeinem Neid wie aus hochherziger Freiheitsliebe. Und diese beiden vereinten Gesinnungen sind im Volk sehr stark. Die öffentliche Meinung ist nicht wider uns, da sie von uns nichts weiß. Doch sobald sie weiß, was wir wollen, wird sie uns nicht folgen. Wenn wir durchblicken lassen, daß wir die demokratische Staatsform zerstören und den Drachenkamm aufrichten wollen, wer wird dann zu unserer Partei zählen?

Die Fleischergehilfen und die Kleinkrämer von Alka. Und können wir auf diese sogar bis zuletzt rechnen? Sie sind mißvergnügt, doch im Herzensgrund sind sie Dingeriche. Sie haben mehr Lust, ihre schlechten Waren zu verkaufen, als Crucho wiederzusehen. Spielen wir offenes Spiel, so schrecken wir sie ab.

Damit man uns sympathisch folgt und mit uns geht, muß der Glaube verbreitet sein, wir wollten die Republik nicht stürzen, vielmehr sie wiederherstellen, säubern, reinigen, verschönern, schmücken, zieren, putzen, parfümieren, daß sie prächtig und reizend wird. Deshalb dürfen wir nicht selbst handeln. Man weiß, daß wir der gegenwärtigen Ordnung nicht hold sind. Wir müssen uns an einen Freund der Republik, und um sicher zu gehen, an einen Schützer dieser Staatsform wenden. Nur die Wahl wird uns Qual machen. Gut wird es sein, wenn wir die volkstümlichste und, entschuldigen Sie, republikanischste Person vorziehen. Wir werden sie durch Schmeicheleien, Geschenke und besonders durch Verheißungen gewinnen. Verheißungen sind billiger und viel wertvoller als Geschenke. Nie gibt man soviel, als wenn man Hoffnungen gibt. Er braucht nicht sehr klug zu sein. Ich wäre eher dafür, daß er geistlos wäre. Dumme Menschen haben bei Schurkereien eine unnachahmliche Anmut. Folgen Sie mir, meine Herren, und lassen Sie das Öffentliche Ding durch einen geschworenen Dingerich stürzen. Wir wollen schlau sein! Schlauheit ist mit Energie wohl vereinbar. Wenn Sie meiner bedürfen, werden Sie mich immer dienstfertig finden.«

Diese Rede wirkte auf die Hörer sehr nachhaltig. Den Geist des frommen Agaric vor allen überwältigte sie. Doch jeder dachte hauptsächlich daran, sich Ehren und Vorteile zuzuweisen. Man bildete eine Geheimregierung, und alle anwesenden Personen wurden zu ihren Effektivmitgliedern ernannt. Der Herzog von Ampoule, der die große Finanzkapazität der Partei war, wurde mit der Kasse betraut und sollte die Propagandafonds zentralisieren.

Die Versammlung war ihrem Ende nah. Da tönte eine grobe Stimme durch die Luft. Sie sang nach einer alten Melodie:

»Boscénos ist ein dickes Schwein,
Wir wollen ihn zu Schinken schlagen
Und zu Würsten groß und klein
Für den Proletariermagen.«

Das war ein seit zweihundert Jahren in den Vorstädten von Alka bekanntes Lied. Der Prinz von Boscénos hörte es nicht gern. Er ging auf den Platz hinunter, sah, daß der Sänger ein Arbeiter war, der das Schieferdach der Kirche ausbesserte, und bat ihn höflich, etwas anderes zu singen.

»Ich singe, was mir beliebt,« antwortete der Mann.

»Lieber Freund, tun Sie mir den Gefallen ...«

»Ich habe keine Lust, Ihnen einen Gefallen zu tun.«

Der Prinz von Boscénos war sonst ruhigen Gemütes, doch war er jähzornig und besaß ungewöhnliche Kraft.

»Hund, komm herunter oder ich komme hinauf,« rief er mit furchtbarer Stimme.

Und als der Dachdecker, der auf dem First ritt, sich nicht rühren wollte, kletterte der Prinz hastig über die Turmtreppe zum Dach und stürzte sich auf den Sänger, der, von einem Faustschlag niedergeschmettert, mit zerbrochenen Kinnbacken in die Rinne fiel. Sofort waren sieben bis acht Zimmerer, die im Dachstuhl arbeiteten, durch das Geschrei ihres Kollegen aufgestört, mit ihren Nasen in den Luken. Und als sie den Prinzen droben sahen, eilten sie über eine Leiter, die gerade auf dem Schieferdach lag, zu ihm, holten ihn ein, wie er just in den Turm schlüpfte, und warfen ihn, den Kopf nach vorn, die hundertundsiebenunddreißig Stufen der Wendeltreppe hinunter.


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