Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Zweites Buch: Die alte Zeit

Erstes Kapitel

Die ersten Hüllen

An jenem Tag setzte sich der heilige Maël, draußen beim Ozean, auf einen Stein, den er glühend heiß fand. Er glaubte, die Sonne hatte ihn gewärmt, und dankte dem Schöpfer der Welt, da er nicht wußte, daß soeben der Teufel dort geruht hatte.

Der Apostel erwartete die Mönche von Yvern, die eine Ladung Gewebe und Felle herbeibringen sollten, den Bewohnern der Insel Alka zur Kleidung.

Bald sah er einen Mönch namens Magis sich ausschiffen, dessen Rücken ein Koffer beschwerte. Dieser Mönch genoß den Ruf großer Heiligkeit.

Als er sich dem Greis genähert hatte, stellte er den Koffer hin und fragte, mit dem Umschlag seines Ärmels sich von der Stirn den Schweiß wischend: »Nun, mein Vater, so wollt Ihr den Pinguinen Kleider geben?«

»Das ist überaus notwendig, mein Sohn,« antwortete der Greis. »Seit sie zu Abrahams Sippe gehören, haben die Pinguine an Evas Verdammnis teil und wissen, daß sie nackt sind, was sie vorher nicht wußten. Und es ist hohe Zeit, sie zu kleiden, denn sie verlieren schon den Flaum, der nach der Verwandlung noch an ihnen haftete.«

»Führwahr,« sagte Magis und ließ seine Blicke über das Ufer schweifen, wo man die Pinguine mit dem Fischen von Krabben, dem Sammeln von Miesmuscheln beschäftigt, singen oder schlafen sah. »Sie sind nackt. Doch glaubt Ihr nicht, mein Vater, daß es besser wäre, ihnen ihre Nacktheit zu lassen? Warum wollt Ihr ihnen Kleider geben? Wenn sie Röcke tragen und dem Sittengesetz unterworfen sind, werden sie maßlosem Stolz verfallen, niedriger Heuchelei und überflüssiger Grausamkeit.«

»Wär's möglich, mein Sohn,« seufzte der Greis, »daß Ihr so schlecht die Wirkungen des Sittengesetzes versteht, dem die Heiden sogar gehorchen?«

»Das Sittengesetz,« entgegnete Magis, »zwingt die Menschen, die Tiere sind, anders als Tiere zu leben, was ihnen zweifellos zuwider ist, doch auch ihnen schmeichelt und sie sicher macht. Und da sie stolz sind, feig und nach Freude gierig, fügen sie sich gern einem Zwang, dem sie Eitelkeit ablisten, und worauf sie ihre gegenwärtige Ruhe und die Hoffnung ihres Zukunftsglücks bauen. Dies ist das Prinzip einer jeden Moral ... Doch wir wollen nicht schwatzen. Meine Gefährten laden auf der Insel ihre Fracht von Geweben und Fellen ab. Erwäget, mein Vater, solange es Zeit ist. Wenn wir die Pinguine bekleiden, sind die Folgen schwer. Heute, wenn ein Pinguin nach einem Pinguinenweib trachtet, weiß er genau, was er will, und seine Begehrlichkeit hat durch die genaue Kenntnis des Begehrten ihre Grenze. Just eben begatten sich am Gestade, im Sonnenschein, zwei bis drei Pinguinenpärchen. Seht, mit welcher Einfachheit! Niemand achtet darauf, und selbst die, die es tun, scheinen davon nicht allzusehr benommen. Wenn aber die Pinguinenweibchen verhüllt sind, wird der Pinguin sich nicht mehr so klar darüber sein, was ihn zu jenen hinreißt. Unbegrenzt wird sein Verlangen in Träume und Trugbilder ausströmen. Er wird die Liebe kennen lernen und ihre wahnsinnigen Schmerzen, mein Vater. Indessen werden die Pinguinenweibchen die Augen niederschlagen, die Lippen verkneifen und sich gebärden, als bärgen sie unter ihren Hüllen einen Schatz! Daß ich nicht lache!

Das Übel wird so lange erträglich sein, als die Völker rauh und arm bleiben. Doch wartet nur ein Tausend Jährchen, und Ihr werdet sehen, mit wie furchtbaren Waffen Ihr, mein Vater, Alkas Töchter geziert habt. Erlaubt Ihr, so kann ich Euch einen Vorgeschmack geben. In der Truhe hier habe ich einen Putz. Wir wollen, nach dem Zufall, eins von diesen Pinguinenweibchen nehmen, die für die Pinguine so reizlos sind, und sie möglichst hübsch ausstaffieren.

Da läuft uns gerade eine zu. Sie ist weder schöner noch häßlicher als die anderen; sie ist jung. Niemand schaut auf sie. Träg geht sie die Klippen entlang, einen Finger hat sie in der Nase, und sie kratzt sich den Rücken bis hinab zur Kniekehle. Euch entgeht wohl nicht, mein Vater, daß sie enge Schultern hat, Hängebrüste, einen dicken, gelben Bauch, kurze Beine. Ihre Knie, die ins Rote spielen, verzerren sich bei jedem Schritt, und an jedem Beingelenk sitzt ihr, so scheint es, ein kleiner Affenkopf. Platt und dick geädert, heften ihre Füße sich mit vier krummen Fingern ans Gestein, während die großen Zehen auf dem Weg sich emporwinden gleich den Häuptern zweier kluger Schlangen. Sie überläßt sich der Gehverrichtung. Alle ihre Muskeln sind auf diese Arbeit hingespannt, und da wir sie in entblößtem Zustand erblicken, dünkt sie uns eine Gehmaschine, weit eher als eine Begattungsmaschine, wennschon sie offenbar beides ist und noch etliche andere Mechanismen in sich hat. Nun, ehrwürdiger Apostel, sollt Ihr sehen, was ich mit ihr beginne.«

Bei diesen Worten erreicht der Mönch Magis das Pinguinenweib in drei Sprüngen, hebt es hoch, schleppt es, unter seinen Arm gebeugt, mit schleifenden Haaren, fort und wirft die Entsetzte zu den Füßen des frommen Maël nieder.

Und während sie heult und bettelt, er solle ihr nichts Böses tun, zieht er ein Paar Sandalen aus seinem Koffer und befiehlt ihr, sie unterzubinden.

»Wenn ihre Füße in Wollgurte eingezwängt sind,« bemerkte er zu dem Greis, »so werden sie kleiner scheinen. Die zwei Finger hohen Sohlen werden ihre Beine artig verlängern, und die Last, die sie tragen, wird dadurch erhöht werden.«

Noch während das Pinguinenweib ihr Schuhwerk knüpfte, warf es auf die offene Truhe einen neugierigen Blick, und als es sah, daß sie voll war von Kleinodien und Zierat, verwischte ein Lachen seine Tränen.

Der Mönch raffte die Haare des Weibes auf dem Nacken zusammen und kränzte sie mit einem Blumenhut. Um die Armgelenke streifte er ihm Goldringe, hieß es gerade stehen und zog ihm unter den Brüsten, über den Bauch weg ein breites Leinenband. Dadurch sollte die Brust in neuem Stolz sich raffen und der Hüfte zum Ruhm die Flanke ausgebogen werden.

Mit Nadeln, die er der Reihe nach zwischen den Lippen hervorholte, steckte er das Leinen fest.

»Ach, Sie können noch fester ziehen,« sagte das Pinguinenweib.

Als er mit viel Studium und viel Sorgfalt die weichen Teile des Rumpfes derart eingefaßt hatte, kleidete er den ganzen Körper mit einer rosigen Tunika, die zart den Linien sich anschmiegte.

»Sitzt sie gut?« fragte das Pinguinenweib.

Und mit ausgerenkter Taille, seitlich gerichtetem Kopf, das Kinn auf der Schulter, beobachtete es offenen Blicks seinen Anzug.

Magis fragte es, ob der Rock nicht ein bißchen lang sei. Doch das Weib beteuerte: »Nein!« Es würde den Rock schon heben.

Sofort zog es mit der linken Hand hinten am Kleide und preßte es sich schräg über die Kniekehlen, wobei es erpicht war, nur ein Stückchen der Ferse sehen zu lassen. Dann trippelte es weg und schaukelte mit den Hüften.

Es wandte den Kopf nicht um. Doch als es an einem Bach vorüberging, zwinkerte es und spiegelte sich in seiner Fläche.

Ein Pinguin, der dem Weib von ungefähr begegnete, stand betroffen still, schlich zurück und folgte ihm nach. Als es das Ufer entlang tänzelte, nahten sich Pinguine, die vom Fischzug kamen, betrachteten das Weib und folgten seiner Spur. Die auf dem Sande lagen, erhoben sich und stießen zu den andern.

Unablässig, wo es vorbeistrich, aus den Bergpfaden, aus dem Felsgeklüft, aus dem Wassergrund eilten neue Pinguine, die den Schwarm vergrößerten. Und alle, breitschultrige Männer mit zottiger Brust, flinke Jünglinge, Greise mit faltenreichem, rosigem Fleisch und weißseidenem Haar, oder solche, deren Beine noch magerer waren und dürrer als ihr Wacholderstock, ihr drittes Bein, drängten sich keuchend und atmeten beißenden Dunst aus und heiseren Odem. Das Weib aber trippelte ruhig von dannen und schien nichts zu sehen.

»Mein Vater,« rief Magis, »so bewundert doch, wie sie alle im Schreiten mit der Nase auf das kugelrunde Zentrum dieses jungen Mädchens zielen, jetzt, wo das Zentrum einen rosigen Schleier hat. Die Kugel an sich, regt durch die Zahl ihrer Eigenschaften die Grübelei der Geometer an; wenn sie der lebenden, der physischen Natur entstammt, so begabt sie das mit noch neuen Eigenschaften. Und auf daß der Reiz dieser Figur sich den Pinguinen gänzlich erschließe, mußten sie, statt sie deutlich mit den Augen wahrzunehmen, gezwungen sein, sie im Geist sich zu vergegenwärtigen. Ich selbst fühle mich in dieser Stunde unwiderstehlich zu dem Pinguinenweib gezogen. Vielleicht, weil sein Rock seinen Popo wesenhaft gemacht, großartig vereinfacht hat, weil er ihn mit synthetischem, allgemeinem Charakter bekleidet hat und nur seine reine Idee erscheinen läßt, das göttliche Prinzip. Doch dünkt mich, wenn ich diesen Hintern umarmte, dann hielten meine Hände das Firmament der menschlichen Wollust. Sicher ist, daß die Scham der Frauen unüberwindlich lockt. So groß ist meine Verwirrung, daß sie wegzutäuschen umsonst wäre.«

Er spricht's, schürzt seinen Kittel gräßlich auf, springt in die letzten Glieder des Pinguinenschwarms, schiebt sie, schmeißt sie über den Haufen, treibt sie auseinander, tritt sie, zerschmettert sie, erreicht das Mädchen von Alka, greift es mit vollen Händen an der Rosenkugel, die ein ganzes Volk mit Blicken und Wünschen beschießt, und die nun plötzlich, an des Mönches Arm, in einer Meergrotte verschwindet.

Da glaubten die Pinguine, die Sonne sei erloschen. Und der fromme Maël erkannte, daß der Teufel die Züge des Mönches Magis angenommen hatte, um der Tochter Alkas Hüllen zu geben. Er war verwirrt im Fleisch, und seine Seele war betrübt. Als er langsam seiner Einsiedlerklause wieder zustrebte, sah er kleine, sechs bis siebenjährige Pinguinenmädchen, mit platter Brust und hohlen Schenkeln, die sich aus Algen und Tang Gürtel geflochten hatten und über den Strand liefen, wobei sie sich umschauten, ob die Männer ihnen nicht folgten.


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