Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Viertes Kapitel

Des heiligen Maël Fahrt übers Eismeer

Der Teufel, der seinen Kittel bis zu den Achseln aufgestreift hatte, zog den Bottich über den Sand und betakelte ihn, eh noch eine Stunde verging.

Sobald der fromme Maël eingestiegen war, entfaltete der Trog alle Segel und durchschnitt die Fluten dermaßen schnell, daß die Küste unmittelbar darauf verschwand. Der Greis lenkte südwärts, um Kap Land's End zu umsteuern. Doch eine übergewaltige Strömung riß ihn gen Südwest. Er fuhr die Südküste von Irland entlang und drehte schroff gegen Norden. Abends kam ein frischer Wind. Umsonst versuchte Maël das Segel einzuziehen. Unaufhaltsam floh der Bottich zu sagenhaften Meeren hin.

Im hellen Mondschein tauchten ringsum des Nordens fette Sirenen auf, mit hanfgelbem Haar, mit weißer Brust und rosigem Hinterteil. Und mit ihren smaragdenen Schwänzen klatschten sie auf das schaumige Meer und sangen im Takt:

Wohin, wohin so schnelle,
O heil'ger Mann, im Meeresdrang?
Es bläht dein Segel sich zur Welle
Wie Junos Busen, als die helle
Milchstraße draus entsprang.

Einen Augenblick verfolgten sie ihn unter den Sternen mit ihres Lachens Wohllaut. Doch der Trog schoß hundertmal rascher vorwärts als eines Wikings rotes Schiff. Und die Sturmvögel, die in ihrem Fluge überrascht wurden, verfingen sich mit den Klauen im Haar des frommen Mannes.

Bald erhob sich ein Orkan voll Dunkelheit und Ächzen, und der Bottich flog, von rasendem Wind gepackt, wie eine Möve durch Nebel und Gebraus.

Nach einer Nacht von dreimal vierundzwanzig Stunden zerriß plötzlich die Finsternis. Und der fromme Mann entdeckte am Horizont ein Gestade, das gleißender war denn Diamant. Mit Schnelligkeit wuchs es, und bald sah Maël in der Eisklarheit einer unbewegten, niederen Sonne eine weiße Stadt mit stummen Gassen dem Meer entsteigen. Größer als das hunderttorige Theben dehnte sie unabsehbar die Trümmer ihres schneeigen Marktplatzes aus, ihrer Paläste von Reif, ihrer kristallenen Triumphbögen und irisfunkelnden Obelisken.

Der Ozean war mit schwimmendem Eis überbreitet, um das Meermänner schwammen, wilden und sanften Blicks. Und der Leviathan wälzte sich vorbei und spritzte eine Wassersäule bis zu den Wolken.

Doch auf einem Eisblock, in des steinernen Troges Kielwasser, saß eine weiße Bärin, die ihr Junges zwischen den Pfoten hielt, und Maël hörte sie leise den Vers des Virgilius brummen: » Incipe parve puor

Und in Traurigkeit und Verwirrung weinte der Greis.

Beim Gefrieren des Süßwassers war die Tonne, die es umschloß, geborsten. Und Maël sog Eisstückchen, seinen Durst zu löschen. Und aß sein Brot mit Salzwasser getränkt. Wie Glas zerbrachen ihm Bart und Haar. Sein Rock, auf dem eine Eisschicht hing, sägte ihm bei jeder Bewegung tief ins Gelenk. Die Riesenwellen hoben sich, und ihre schäumenden Kinnbacken wollten den Greis verschlingen. Zwanzigmal füllten Sturzwogen das Boot. Und der Ozean fraß das heilige Evangelienbuch, das der Apostel in ein kostbares Purpurtuch mit einem goldenen Kreuz darauf gewickelt hatte.


Am dreißigsten Tag beruhigte sich das Meer. Da dringt mit Schreckgetös von Himmel und Wasser ein blendend weißer, dreihundert Fuß hoher Berg gegen den Steinkübel vor. Maël will zur Seite steuern; die Ruderpinne zerbricht in seiner Hand. Um seinen Anprall gegen den Eisberg zu verringern, sucht er noch einzureffen. Doch als er die Beschlagleinen knüpfen will, reißt der Wind sie ihm fort, und die Troß, die ihm entschlüpft, verbrennt ihm die Finger. Und er sieht drei Dämonen mit schwarzhäutigen, kralligen Flügeln am Takelwerk hängen und ins Segel pusten.

Bei diesem Anblick wird ihm bewußt, daß der Teufel in allen Dingen ihn gelenkt hat, und er waffnet sich mit dem Kreuzeszeichen. Da hebt ein irrer, schluchzender, heulender Windstoß den Steinbottich, raubt ihm Masten und Linnen, entführt ihm Steuer und Steven.

Und ziellos plantschte der Trog über die beruhigte Meerflut. Der fromme Mann kniete nieder und dankte dem Herrn, der ihn aus des Dämons Falle gerettet hatte. Da erkannte er die Bärenmutter, die während des Sturmes zu ihm gesprochen hatte. Sie saß auf einem Eisblock, drückte ihr vielgeliebtes Junges an sich und hielt in Händen ein Purpurtuch mit goldenem Kreuz. Sie trieb an den Granittrog heran und grüßte den frommen Mann mit den Worten:

» Pax tibi, Maël.«

Und gab ihm das Buch zurück.

Der fromme Mann erkannte sein Evangelienbuch, und staunend sang er hinaus in die erwärmte Luft ein Lied zum Preise des Schöpfers und der Schöpfung.


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