Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Fünftes Kapitel

Das Kabinett Visire

Mit geziemender Bescheidenheit nahm das Ehepaar Ceres in einem recht hübschen Gelaß eines neuen Hauses Wohnung. Ceres verehrte seine Frau mit rundem Behagen, wobei ihn oft die Budgetkommission zurückhielt. Über drei Nächte wöchentlich arbeitete er am Postbudget, aus dem er sich ein Denkmal errichten wollte. Eveline fand, er sei ein »dickes Kerlchen«, und er mißfiel ihr nicht. Verdrießlich war ihre Situation insofern, als sie nicht viel Geld hatten, sondern nur äußerst knapp. Die Diener der Republik bereichern sich in ihren Ämtern nicht so sehr, wie man glaubt. Seit der Souverän nicht mehr da ist, um Gunst auszuteilen, nimmt jeder nach Kräften, und seine Beute wird, da sie durch den Unterschleif der andern beschränkt wird, auf mäßigen Betrag herabgesetzt. Das ist die Ursache jener Sittenstrenge, die man an den Häuptern der Demokratie beobachtet. Nur von Zeit zu Zeit, wenn große Geschäfte abgeschlossen werden, können sie Schätze sammeln, und dann werden sie von ihren minder begünstigten Kollegen beneidet. Hippolyt Ceres ahnte für die nächste Zukunft eine Zeit großer Geschäfte. Er gehörte zu denen, die sie vorbereiteten. Inzwischen trug er mit Anstand eine Dürftigkeit, unter der Eveline, die sie teilte, weniger litt, als man hätte meinen sollen. Sie pflegte enge Beziehungen zum ehrwürdigen Pater Douillard und besuchte die Kapelle der heiligen Orberose, wo sie eine ernste Gesellschaft traf und Personen, die ihr nützlich sein konnten. Sie wußte sie auszuwählen und schenkte ihr Vertrauen nur denen, die es verdienten. Seit ihren Fahrten im Auto des Vikomte Cléna hatte sie an Erfahrung gewonnen, und vor allem hatte sie den Wert einer verheirateten Frau erlangt.

Zuerst ward der Politiker durch diese frommen Übungen, die von den kleinen demagogischen Blättern verspottet wurden, beunruhigt. Doch bald wurde er sicher gemacht, als er sah, wie rings um ihn die Führer der Demokratie sich der Aristokratie und der Kirche freudig näherten.

Man war in einer jener oft wiederkehrenden Perioden, wo man bemerkte, daß man zu weit gegangen war. Hippolyt Ceres gab das mit Gemessenheit zu. Seine Politik war keine Politik der Verfolgung, sondern eine Politik der Toleranz. Begründet hatte er sie in einer großartigen Rede über die Vorbereitung der Reformen. Das Ministerium galt als zu schroff. Da es Gesetzentwürfe aufrechthielt, die das Kapital sichtlich bedrohten, hatte es die großen Finanzgesellschaften und demzufolge die Blätter jeder Richtung wider sich. Als das Kabinett sah, wie die Gefahr immer ärger wurde, verleugnete es seine Entwürfe, sein Programm, seine Meinungen, doch es war schon zu spät. Eine neue Regierung wartete. Und die alte stürzte über eine hinterhältige Frage von Paul Visire, die sofort in eine Interpellation umgewandelt wurde, und eine sehr schöne Rede von Hippolyt Ceres.

Mit der Bildung eines neuen Kabinetts beauftragte der Präsident der Republik den nämlichen Paul Visire, der, sehr jung noch, zweimal Minister gewesen war. Er war ein entzückender Mensch, Stammgast im Konversationszimmer des Balletts und hinter den Kulissen, sehr künstlerisch, sehr weltmännisch, geistreich, mit wunderbarer Klugheit und Tatkraft begabt. Da Paul Visire ein Kabinett zusammensetzte, das bestimmt war, eine Ruhepause zu markieren und die erregte Öffentlichkeit zu beschwichtigen, ward Hippolyt Ceres zur Teilnahme eingeladen.

Die neuen Minister gehörten allen Gruppen der Mehrheit an und vertraten die mannigfachsten, in sich ganz unverträglichen Meinungen. Aber durch die Bank waren sie gemäßigt und mit Entschlossenheit staatserhaltend.Da dieses Ministerium auf die Geschicke des Landes und der Welt beträchtlichen Einfluß geübt hat, glauben wir die Mitgliederliste geben zu sollen: Inneres und Vorsitz Paul Visire; Justiz Pierre Bouc; auswärtige Angelegenheiten Viktor Crombile; Finanz Terrasson; öffentlicher Unterricht Labillette; Handel, Post, Telegraph Hippolyt Ceres; Landwirtschaft Aulac; öffentliche Arbeiten Lapersonne; Krieg General Débonnaire; Marine Admiral Vivier des Murènes. Man übernahm aus dem beseitigten Kabinett den Minister der auswärtigen Angelegenheiten, einen kleinen, schwarzhaarigen Mann namens Crombile, der, im Größenwahn befangen, vierzehn Stunden täglich arbeitete. Er war stumm, versteckte sich vor seinen eigenen diplomatischen Agenten und plante Unheimliches, ohne daß er irgend jemandem unheimlich erschien. Denn die Ahnungslosigkeit der Völker ist grenzenlos und die der Regierenden nicht minder.

Das Ressort der öffentlichen Arbeiten unterstellte man einem Sozialisten, Fortuné Lapersonne. In jener Zeit war es eine der feierlichsten, strengsten, härtesten und, wenn ich so sagen darf, furchtbarsten und grausamsten Gepflogenheiten der Politik, in jedes Ministerium, das den Sozialismus bekämpfen sollte, ein Mitglied der sozialistischen Partei zu setzen, damit die Feinde des Eigentums die bittere Schmach zu kosten bekämen, von einem der Ihrigen gezüchtigt zu werden, und damit sie sich nicht versammeln könnten, ohne nach dem zu spähen, der morgen ihre Geißel sein würde. Nur tiefe Unkenntnis des menschlichen Herzens vermöchte zu wähnen, daß es schwierig gewesen wäre, für ein solches Amt einen Sozialisten zu finden. Der Bürger Fortuné Lapersonne trat freiwillig, ohne irgendeinen Zwang ins Kabinett Visire. Und selbst von seinen ehemaligen Freunden fielen ihm welche zu, so sehr werden die Pinguine vom Anblick der Macht bezaubert.

Der General Débonnaire hatte das Kriegsportefeuille empfangen. Er stand im Ruf, einer der fähigsten Generäle des Heeres zu fein. Doch er ließ sich von einer galanten Dame leiten, der Frau Baronin Bildermann, die, im Lebensalter der Ränke noch unverändert schön, sich einem feindlichen Nachbarlande verdingt hatte.

Der neue Marineminister, der hochgeschätzte Admiral Vivier des Murènes, der allgemein als vortrefflicher Seemann bewertet wurde, zeigte eine Frömmigkeit, die in einem antiklerikalen Ministerium sich übergebührlich ausgenommen hätte; die Laienrepublik jedoch schrieb der Religion Nutzen für die Flotte zu. Nach den Anweisungen des ehrwürdigen Paters Douillard, seines geistlichen Beraters, weihte der hochgeschätzte Admiral Vivier des Murènes die Flottenmannschaft der heiligen Orberose und ließ christliche Barden Lobgesänge auf die Jungfrau von Alka abfassen, die in den Musikkapellen des Marineministeriums die Nationalhymne verdrängten.

Das Ministerium Visire bekannte sich zu einwandfrei antiklerikaler, doch den Glauben respektierender Gesinnung. Es war neuerungssüchtig »mit Maß«. Paul Visire und seine Mitarbeiter wollten Reformen, und um diesen nicht zu schaden, beantragten sie sie erst gar nicht. Denn sie waren richtige Politiker und wußten, daß man Reformen, wenn man sie beantragt, kompromittiert. Diese Regierung wurde gut aufgenommen, beschwichtigte die anständigen Leute und erzielte ein Steigen der Rente.

Sie kündigte die Bestellung von vier Panzerschiffen an, Verfolgungen gegen die Sozialisten und bezeigte in aller Form ihren Willen, jede inquisitorische Einkommensteuer abzulehnen. Besonders lieb war der großen Presse die Wahl Terrassons für das Finanzdepartement. Terrasson, ein alter, durch feine Börsenmanöver berüchtigter Minister, ließ die Finanzwelt das Schönste hoffen und eine Zeit großer Geschäfte wittern. Bald – so rechneten sie – würden die drei Saugbrüste der modernen Nationen von der Milch des Reichtums schwellen: Wucher, Agio und betrügerische Spekulation. Schon sprach man von fernen Unternehmungen, von Kolonisation, und die Kühnsten lancierten durch die Blätter den Plan einer militärischen und finanziellen Schutzherrschaft über Nigritien.

Hippolyt Ceres hatte noch nicht ganz geoffenbart, was er vermochte, doch er wurde bereits als Könner angesehn. Die Geschäftsleute hielten etwas auf ihn. Von allen Seiten beglückwünschte man ihn, weil er mit den extremen Parteien, den gefährlichen Menschen, gebrochen habe und der Verantwortlichkeit der Regierung sich bewußt sei.

Unter den Damen des Ministeriums strahlte Frau Ceres in einsamem Glanz. Crombile verdorrte im Junggesellentum. Paul Visire hatte sich im Großhandel des Nordens reich verheiratet, und zwar mit einem Mädchen von tadelloser Herkunft, Fräulein Blampignon. Sie war fein, hatte einen guten Ruf, war schlicht und immer krank, und ihr Gesundheitszustand hielt sie beständig bei ihrer Mutter, in entlegener Provinz, zurück. Die übrigen Ministerfrauen waren nicht zur Augenweide geboren und man lächelte, wenn man las, daß Frau Labillette zum Ball beim Präsidenten mit einem Paradiesvogelhut erschienen war. Frau Admiralin Vivier des Murènes stammte aus guter Familie, war eher breit als groß, hatte ein knallrotes Gesicht, brüllte wie ein Straßenschreier und ging selbst auf den Markt. Die Generalin Débonnaire war lang, trocken, sinnig, unersättlich vor Gier nach jungen Offizieren und nach Ausschweifungen und Verbrechen toll. Nur durch ihre sehr große Häßlichkeit und Frechheit hatte sie ihr Ansehen wiederhergestellt.

Frau Ceres war des Ministeriums Entzücken und Zierde. Jung, schön, unantastbar, besaß sie, um die Elite der Gesellschaft und auch die Massen zu gewinnen, außer erlesenen Toiletten ihres Lächelns Keuschheit.

In ihre Salons drang die jüdische Großfinanz ein. Sie gab die elegantesten Gartenfeste der Republik. Die Zeitungen beschrieben ihre Kostüme, und die großen Schneiderfirmen verlangten keine Bezahlung. Sie ging zur Messe, schützte die Kapelle der heiligen Orberose gegen den Grimm des Volks und ließ in den aristokratischen Herzen die Hoffnung auf einen neuen Vertrag mit der Kirche blühen.

Sie hatte goldenes Haar, flachsgraue Augäpfel, war geschmeidig, schmal bei voller Taille und wirklich hübsch. Sie genoß eines vorzüglichen Leumunds, der, selbst wenn man sie bei einem Ehebruch ertappt hätte, unversehrt geblieben wäre, so geschickt zeigte sie sich, so ruhig, so überlegt.

Die Tagung endete mit dem Sieg des Kabinette, das, unter fast einmütigem Beifall der Kammer, den Antrag auf eine Einkommensteuer ablehnte, und mit einem Triumph der Frau Ceres, die drei durchreisende Könige als Gäste bei sich sah.


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