Anatole France
Die Insel der Pinguine
Anatole France

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Drittes Buch: Mittelalter und Renaissance

Erstes Kapitel

Brian der Fromme und die Königin Glamorgane

Die Könige von Alka, die von Drako, dem Sohn des Kraken, stammten, trugen auf dem Haupte einen furchtbaren Drachenkamm, ein geheiligtes Abzeichen, dessen Anblick schon den Völkern Verehrung einflößte, Schrecken und Liebe. Beständig fochten sie entweder mit ihren Vasallen und Untertanen, oder mit den Fürsten der benachbarten Inseln und festen Länder.

Die ältesten dieser Könige haben nur einen Namen hinterlassen, und diesen können wir weder aussprechen noch schreiben. Der erste Drakonide, dessen Geschichte man kennt, ist Brian der Fromme, den man seiner List halber schätzte und seines Mutes im Krieg und auf der Jagd.

Er war Christ und war den schönen Wissenschaften hold und den Männern, die sich dem Mönchsleben gewidmet hatten. In seinem Palastsaal, wo unter rauchgeschwärzten Balken Köpfe, Geweihe und Hörner wilder Tiere hingen, gab er Feste, zu denen alle Harfenspieler von Alka und den Nachbarinseln geladen wurden, und er selbst sang dort der Helden Lob. Gerecht und großherzig, doch von brennender Ruhmsucht erhitzt, konnte er sich nicht enthalten, jeden, der besser als er gesungen hatte, dem Tod zu überantworten.

Als die Mönche von Yvern durch die Heiden, die die Bretagne verheerten, weggejagt wurden, rief König Brian sie in sein Reich und ließ für sie bei seinem Palast ein Holzkloster erbauen. Täglich begab er sich mit der Königin Glamorgane, seiner Gemahlin, in die Klosterkapelle, wohnte den religiösen Zeremonien bei und sang Hymnen.

Nun war unter diesen Mönchen einer namens Oddul, der in seiner Jugendblüte stand, und den Wissenschaft und Tugenden zierten. Den Teufel verdroß das sehr, und mehrfach bemühte er sich, ihn mit Versuchung zu umstricken. Er nahm verschiedene Gestalten an und zeigte ihm nach und nach ein Schlachtroß, eine Jungfrau, eine Schale Honigwassers. Dann ließ er vor ihm zwei Würfel im Becher klappern und sprach zu ihm:

»Willst du mit mir um die Reiche der Welt gegen ein Haar deines Kopfes spielen?«

Doch mit dem Kreuzeszeichen bewaffnet, stieß der Gottesmann den Feind zurück. Als der Teufel inne ward, daß er ihn nicht verführen könne, ersann er, ihn zu verderben, einen geschickten Anschlag. In einer Sommernacht näherte er sich der auf ihrem Lager entschlummerten Königin, hielt ihr das Bild des jungen Mönches vor, den sie täglich im Holzkloster sah, und verzauberte dieses Bild. Sogleich schlich die Begier wie ein feines Gift in die Adern der Glamorgane. Und die Lust, mit Oddul nach ihrem Wunsch umzuspringen, verzehrte sie. Unablässig fand sie Vorwände, ihn an sich zu ziehen. Mehrere Male bat sie ihn, ihre Kinder im Lesen und im Gesang zu unterrichten.

»Ich vertraue sie Euch an,« sprach sie. »Und den Lesestunden, die Ihr ihnen gebt, werde ich folgen, um mich selbst zu bilden. Mitsamt den Söhnen werdet Ihr die Mutter lehren.«

Doch der junge Mönch entschuldigte sich bald damit, daß er für einen Lehrer zu wenig wisse, bald sagte er, sein Stand verbiete ihm der Frauen Umgang. Diese Weigerung reizte die Lüste der Glamorgane noch. Eines Tags, als sie müde auf dem Bett lag und ihr Leiden unerträglich geworden war, ließ sie Oddul in ihr Zimmer rufen. Aus Gehorsam kam er, doch mit niedergeschlagenen Augen blieb er auf der Türschwelle stehen. Daß er sie nicht ansah, entfachte in ihr Ungeduld und Schmerz.

»Sieh,« sprach sie zu ihm, »ich habe keine Kraft mehr, Schatten umdunkelt mein Auge. Mein Leib ist heiß und kalt.«

Und da er schwieg und sich nicht regte, rief sie ihn mit flehender Stimme:

»Komm her zu mir, komm!«

Und mit ausgestreckten Armen, die das Begehren noch verlängerte, wollte sie ihn haschen und an sich zerren.

Doch er warf ihr ihre Unzucht vor und entfloh.

Da faßte sie, außer sich vor Zorn und in Furcht, Oddul werde die Schmach, der sie verfallen war, bekanntgeben, den Plan, ihn selbst zu verderben, um nicht durch ihn verdorben zu werden.

Mit lautem Weinen, das im ganzen Palast widerhallte, rief sie nach Hilfe, als bestände sie wirklich eine große Gefahr. Ihre Dienerinnen liefen herzu und sahen den jungen Mönch, der entfloh, und die Königin, die ihre Bettücher über sich zog. Vereint schrien sie: »Mord!« Und als, vom Lärm gelockt, König Brian das Zimmer betrat, zeigte Glamorgane ihm ihr gelöstes Haar, ihre von Tränen leuchtenden Augen und ihre Brust, die sie in ihrer Liebesraserei mit ihren Nägeln zerrissen hatte. »Mein Herr und Gemahl,« sprach sie, »hier steht die Spur des Schimpfes, der mir angetan ward. Von ruchlosem Begehren getrieben, ist Oddul mir genaht und hat versucht, mich zu vergewaltigen.«

Als der König diese Klagen hörte und das Blut sah, schäumte er vor Wut und befahl seinen Wachen, den jungen Mönch zu ergreifen und ihn vor dem Palast, unter den Augen der Königin, lebendig zu verbrennen.

Wie dem Abt von Yvern dies Abenteuer hinterbracht wurde, ging er zum König und sprach zu ihm:

»König Brian, erkennt an diesem Beispiel den Unterschied zwischen einer christlichen und einer heidnischen Frau. Die Römerin Lucretia war die tugendhafteste der götzendienerischen Fürstinnen. Sie aber hatte nicht die Kraft, den Angriff eines jungen Weichlings abzuwehren, und, in ihrer Schwäche beschämt, geriet sie in Verzweiflung. Glamorgane jedoch hat dem Ansturm eines Verbrechers siegreich widerstanden, der toll war und besessen vom furchtbarsten der Dämonen.«

Inzwischen erharrte Oddul im Palastkeller die Stunde, wo er lebendig verbrannt werden sollte. Gott aber duldete den Tod des Unschuldigen nicht. Er sandte ihm einen Engel, der die Gestalt einer Dienerin der Königin annahm, die Gudrun hieß. Und führte ihn aus dem Kerker in das Zimmer, das eben die Frau bewohnte, der der Engel glich.

Und sprach zu dem jungen Oddul:

»Ich liebe dich, weil du wagst.«

Und der junge Oddul glaubte Gudrun selbst zu hören und antwortete mit niedergeschlagenen Augen:

»Durch Gottes Gnade habe ich der Gewalt der Königin widerstanden und dem Zorn dieses mächtigen Weibes getrotzt.«

Und der Engel fragte:

»Wie? Hast du das nicht getan, wessen die Königin dich anklagt?«

»Fürwahr, nein, ich habe es nicht getan,« antwortete Oddul, die Hand auf dem Herzen.

»Du hast es nicht getan?«

»Nein! ich habe es nicht getan. Der Gedanke schon an ein solches Beginnen erfüllt mich mit Grauen.«

»Na, was machst du denn hier,« schrie der Engel, »du blöde Wurst?«Der pinguinische Chronist, der das Begebnis erzählt, gebraucht den Ausdruck: » species inductilis». Ich habe wörtlich übersetzt.

Und öffnete das Fenster, die Flucht des jungen Mönches zu begünstigen.

Oddul fühlte, wie man ihn heftig nach außen schob. Kaum war er auf die Straße hinabgestiegen, da goß eine Hand einen Nachttopf über ihn. Und da sann er:

»Geheimnisvoll sind deine Absichten, Herr, und unergründlich deine Wege.«


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