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69. Kapitel

Empfang durch Karla – Ihr Bericht – Ich schäme mich und hoffe – Die Käufer von Gaugarten

 

Ehe ich noch am Pförtnerhaus klingeln kann, öffnet sich leise die Tür, und eine Stimme fragt aus dem Dunkeln ins Dunkle: Bist du das, Max?

Ja – Karla?

Ja. Sei leise, Maxe, Hanne ist eben eingeschlafen. Wir dachten schon, du kämst gar nicht mehr.

Ich war in Radebusch.

Wir haben es uns gedacht. Komm, nein, nicht auf dein Zimmer, hierher, bitte! Ich habe hier Essen für dich hingestellt ...

Von ihrer Hand geführt, taste ich in ein Zimmer im Erdgeschoß. Karla macht Licht. Es ist eben das Zimmer, dem ich die bunte Leiste aufmalte, als mich Herr von Kanten überraschte. Aber jetzt steht in diesem Zimmer mehr als eine Stehleiter. Es ist vollständig eingerichtet mit Bett und Tisch und Stuhl – mit allem, was dazu gehört. Die Möbel kenne ich nicht, sie scheinen neu, ganz einfach in den Formen, weißgelblich lackiert.

Karla hat mich aufmerksam angesehen, während ich das Zimmer musterte, jetzt sagt sie langsam: Ja, nun wohne ich hier, wie du. Mückchen und Isi schlafen nebenan. Willst du sie sehen, Maxe?

Ich mache eine abwehrende Bewegung. – Das Schloß? frage ich fast flüsternd.

– Gehört uns nicht mehr. Auch nicht mehr das Gut – es ist alles verkauft, Max, alles!

Ich habe es ja gewußt. Ich habe es den ganzen Tag gewußt, aber jetzt fühle ich es doch wie einen Schmerz.

Arme Karla, sage ich halblaut. Aber ich sehe sie dabei nicht an.

Sie sagt lebhaft: Das mußt du nicht sagen, Maxe! Wenn ich es schlimm fände, würde ich es nur für dich schlimm finden. – Findest du es schlimm, Maxe?

Die Schande ... sage ich.

Es ist keine Schande dabei! sagt sie stolz. Das darfst du nicht sagen, Max. Jedermann hat sein Geld auf Heller und Pfennig bekommen. Wir gehen ohne Schulden von hier.

Aber dein Werk, das Dorf, das du mit so viel Liebe aufgebaut hast, Karla – nun bekommen es andere, du hast gar nichts davon!

Aber die Leute haben etwas davon – und ich habe es aufgebaut!

Der neue Besitzer wird die Leute kaum in Frieden lassen.

Die Verträge sind so, daß der neue Herr den Leuten nichts tun kann. Sie sitzen alle in ihrem Eigentum! Das habe ich genau vorausbedacht.

Du hast damit gerechnet, Karla?

So hast du also gar nichts verstanden, Maxe?! Armer Max, was mußt du dich gequält haben! Komm, sage mir erst einmal richtig guten Abend, ganz richtig, Max! Die Trennung ist vorbei, die schlimmen Zeiten sind vorüber, nun bleiben wir wieder zusammen. War es sehr schlimm –?

Karla, ich ... ich habe ... ich bin ...

Still! Still! Wozu davon reden? Das Schlimme ist vorbei, das Gute beginnt neu ... Max!

Karla ...

So – und jetzt setzt du dich an den Tisch und ißt etwas. Ganz elend siehst du aus. Los – ich erzähle dir dabei alles ...

Karla, ich kann jetzt unmöglich ...

Natürlich kannst du –! Sehr gut sogar! Das Weißsauer ist noch aus dem Schloß. Überhaupt ist alles Essen aus dem Schloß. Halt dich ran, Max, mit den fetten Zeiten ist es nun bald vorbei.

Nein, Karla, du mußt mir jetzt erzählen –

Während du ißt. Nur, wenn du ißt! Warte, ich mache dir ein Brot zurecht. Wenn du erst einen Anfang hast, wird es schon weiter gehen!

Ich biß widerwillig in das Brot. Aber sie hatte recht: als ich erst den guten Geschmack im Munde hatte, spürte ich, wie ausgehungert ich war. Ich aß weiter.

Also, Karla, jetzt esse ich. Nun erzähle du auch!

Ja, gerne. Aber womit soll ich anfangen? Eigentlich ist doch kaum etwas zu erzählen –!

Doch, stundenlang! Fang beim ersten Anfang an – als du Mehltau zu mir schicktest mit dem Vertrag.

Aber Max, das war doch nicht der Anfang, das ist doch beinahe das Ende gewesen! Nein, der Anfang war, daß wir erbten. Du weißt doch noch, ich habe gleich Angst gehabt, und als dann noch der Brief vom Onkel Eduard kam, Max, damals im Schützenhaus ...

Ja, ich weiß, du hast ihn verbrannt.

Oder hast du es getan? Das weiß ich nicht mehr genau. Jedenfalls hat es mir gleich nicht gefallen, daß nun plötzlich alle Menschen schlecht sein sollten und wir waren plötzlich aller Menschen Feind und sollten immer nur auf das alte dumme Geld aufpassen, das uns gar nichts nützte.

Damals hatten wir ja noch gar kein Geld! Solange wir bei Hutap wohnten, hatten wir nur Schulden ...

Aber das ist genau dasselbe! Wenn man zuviel Geld oder zuviel Schulden hat, das ist, glaube ich, genau dasselbe! Du weißt gar nicht, Maxe, wie du dich da schon verändert hast. Ich konnte es gar nicht mitansehen! Früher bist du immer nett zu allen Menschen gewesen und hast deinen Spaß mit ihnen gemacht, eigentlich warst du immer guter Stimmung. Und nun plötzlich wie ausgewechselt! Du weißt es ja gar nicht, in welchem Ton du manchmal mit mir geredet hast, und ich mochte es überhaupt nicht mitanhören, wenn du den o-beinigen Ober anschnauztest!

Sie hielt einen Augenblick inne. Ich sah sie nicht an, ich sah auf mein Butterbrot, aber ich fühlte ihre Augen auf meinem Gesicht. Ich schämte mich, nicht nur um dessen willen, was sie von mir wußte, sondern mehr noch wegen der Dinge, die sie nicht von mir wußte. Sie redete so ganz ohne Vorwurf und Anklage ...

Ich habe aber keinen launischen, zänkischen, rechthaberischen Mann geheiratet, sagte Karla und reichte mir ihre Hand über den Tisch weg, sondern einen netten, liebenswürdigen, hilfsbereiten. Nicht um alles Geld und alle Erbschaften der Welt wäre ich mit solchem Tausch zufrieden gewesen! Aber du weißt ja, es war nicht anzukommen gegen dich. Das viele Geld hatte dich ganz verblendet. Sowas kann man doch nicht ausschlagen, hast du immer gesagt, und zu Anfang habe ich eigentlich auch so gedacht. Aber immer wieder bin ich schwankend geworden, weißt du noch, damals nach unserer ersten und einzigen Gesellschaft, als all meine Freundinnen mir treulos wurden, und dann, wie sie den Paul Hagenkötter mit seinem Mikroskop gezwackt hatten, und die Bettelbriefe, und Tante Frätzchen ...

Ja, das war schon eine schlimme Zeit, Karlchen, sagte ich ganz unwillkürlich. Ein Wunder, daß wir die so überstanden haben ...

Aber, fuhr Karla unbeirrt fort, ich habe mich immer wieder von dir und dem Geschwätz und Glauben all der Leute herumkriegen lassen und habe meine Hoffnung auf Gaugarten gesetzt ...

Sie schwieg einen Augenblick und holte tief Atem. Sie sagte: Und dann kam Gaugarten, und nun wurde es erst ganz schlimm ...

Ich wollte etwas sagen, aber sie legte ihre Hand beruhigend auf meine und erzählte weiter: Denn wenn es bisher nicht gut war, so waren wir doch immer beisammen gewesen, wenn auch manchmal in Trauer und Streit. Aber jetzt war es, als gingest du ganz von mir fort, als wärest du gar nicht mehr bei mir, als seiest du ein fremder Mensch. – Oh, Max! rief sie, und ihre Stimme klang noch jetzt fast angstvoll, es ist ja nicht nur dein Trinken gewesen und deine Arroganz und dein Nichtstun und dein unvernünftiges, sinnloses Autorasen, sondern ich habe gespürt, so deutlich gespürt, daß ich es fast greifen konnte: da war etwas Fremdes, Böses zwischen uns! Manchmal sahst du mich an, als haßtest du mich, und du wußtest gar nicht, daß du mich so ansahst ...

Mir stand fast das Herz still vor Schreck, und ich schwor bei mir, daß sie es nie, nie erfahren sollte, was da Böses zwischen uns gestanden hatte ...

Es ist ja vorbei, Max! sagte sie fast fieberhaft und streichelte immerzu meine Hand. Schon seit Wochen habe ich gespürt, es ist vorbei, und wir wollen auch nie mehr davon reden. Aber damals war eine schreckliche Zeit für mich. Ich habe mir so viel Mühe gegeben mit dir, ich habe mein ganzes Temperament verleugnet, ich bin geduldig gewesen, wo ich dich hätte anschreien und schlagen mögen – aber es hat ja gar nichts geholfen! Ich habe keine rechte Ahnung von dem Leben in der Ehe gehabt – woher auch? So etwas erzählen einem weder Mütter noch andere Menschen – und in den Büchern habe ich auch nichts davon gelesen! Aber heute verstehe ich, daß eine Frau ihren Mann immer noch lieb haben kann, auch wenn er liederlich wird und zu trinken anfängt, oder ein Faulenzer ... Aber einen fremden Mann kann sie nicht um sich haben, den muß sie von sich tun, wenn sie ihn auch noch so lieb hat!

Sie sah mich mit flammenden Augen an, sie atmete rasch. Sie hielt meine Hand sehr fest.

Es ist ja vorbei, Kerlchen! rief ich. Ich schwöre dir, es ist ganz vorbei! Rege dich bloß nicht so auf!

Ja, sagte sie, es ist vorbei, und ich wußte nicht, ob sie mein halbes Geständnis verstanden oder nicht verstanden hatte. – Als ich das spürte, da bin ich ganz hart in mir geworden und habe gesagt: was nutzt mir alles Geld, wenn mein Mann und die Liebe zu meinem Mann darüber verloren geht? Ich habe keinen fremden Trinker geheiratet! Ich will meinen Maxe Schreyvogel wieder – und wenn ich den nicht wiederkriegen soll, so ist mir auch alles andere egal, Geld und Gut Gaugarten, alles! Und wenn er dann schneller zugrunde geht, auch gut. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende ...

Sie sah eine Weile vor sich hin, dann sagte sie ruhiger: So ist es zu dem Vertrag gekommen, Max! Damals ist es mir wirklich gleich gewesen, wie du ihn aufnehmen würdest. Wärest du damals zugrunde gegangen, es wäre schrecklich für mich gewesen. Ich wäre nie darüber weggekommen. Aber ich hätte immer gedacht: er wäre auch so zugrunde gegangen, nur mit mehr Quälerei!

Oh, Max, ich habe nie gewußt, wie hart ich sein kann! Aber es ist gut, wenn man weiß, daß man hart sein kann. Das Leben ist leichter, wenn man keine Angst mehr um sich selbst hat. Um leben zu können, muß man wissen, daß man alles opfern kann, auch das Leben ...

Sie schwieg lange, und ich wagte nicht, ein Wort zu sagen. Sie war stärker als ich, aber ich hoffte, daß auch ich einmal stärker werden würde – als ich jetzt war. Ich hatte schon einen kleinen Anfang gemacht ...

Wenn du aber wirklich gesund werden und zu mir zurückkehren solltest, fuhr Karla endlich fort, dann mußte die ganze Erbschaft und das ganze Geld fort, das wußte ich. Zuerst hatte ich vor, das Geld nur so zu verlumpen. Ich wollte viel verschenken und verschwenden und Unnützes anschaffen. Aber das wäre eine schwere, häßliche Arbeit gewesen, und denen, die ich mit Geld beschenkt hätte, wäre auch nichts Gutes damit geschehen, das habe ich ja an uns erfahren. – Da fiel mir zur rechten Stunde das Dorf ein, in dem die Leute so jämmerlich wohnen, und ich habe gedacht: So tust du mit dem schlechten Geld vom bösen Onkel Eduard doch endlich etwas Gutes. Und wenn der Max nicht gerettet wird, so hat es ein ganzes Dorf doch wenigstens besser – und das ist auch ein Trost!

Sie lächelte jetzt und fragte rasch: Ist das Dorf gut geworden, Max?

Großartig! sagte ich. Die werden dich nie vergessen! Und wenn nun alles sicher und verbrieft ist, daß der neue Besitzer nichts machen kann, wie du sagst –

Sicher und verbrieft – so sehr er darüber auch wüten wird.

Wer ist es denn, Karla?

Nachher, Max! Erst muß ich zu Ende erzählen. Das Geld hat mir Mehltau leicht genug verschafft, die Sparkasse und die Banken haben eine zweite Hypothek gegeben mit einem ganz vernünftigen Zinsfuß. Freilich war es hinter der Steuerhypothek schon ein bißchen viel. Aber so üppig, wie ich es mit der Bauerei vorhatte, reichte es doch nicht ganz, und so habe ich noch auf Wechsel Geld genommen, und dieses Geld kam von –

Justizrat Steppe! rief ich.

Ja, sagte sie lachend. Unser kleiner Steppe hatte den Mut. Das heißt, eigentlich nicht er. Es steht noch jemand hinter ihm, der mit ihm Kompanie gemacht hat, aber den Namen sage ich dir erst nachher, da wirst du lachen –! Nun, als ich diese Geldgeber erfuhr, wußte ich, die Sache würde laufen, wie ich wollte, das heißt, wir würden alles los werden, und so ist es denn auch gekommen!

Und Karla lächelte über den Verlust der Erbschaft viel fröhlicher als über den Gewinn.

Aber ein kleines Vergnügen wollte ich doch haben, sagte sie. Denn damals wußte ich schon, daß es mit dir gut ging, und ich hatte wieder Laune für Späße. So haben denn Mehltau und ich mit vieler Mühe die Zustimmung der Hypothekengläubiger eingeholt und haben der Hanne das Torhäuschen übertragen, eigentlich aber uns. Denn der Hanne habe ich es heute wieder abgekauft. So haben wir nichts von der ganzen Erbschaft als ein Torhaus zu einem verbotenen Park und einem versperrten Schloß!

Jetzt sah sie mich wirklich strahlend an.

Nichts? rief ich fast erschrocken. Wirklich gar nichts mehr von all dem Geld –?

Hast du schon wieder Angst, Maxe? lachte sie. Doch, das Geld für die Entbindung haben wir noch und genug für vier Wochen Leben und für die Reise nach Berlin. Du mußt nun wieder arbeiten, Max, richtig und reell deine Familie ernähren –

Und über zweihundertfünfzig Mark habe ich auch noch! rief ich fast ebenso lustig. Restbestand plus Taschengeld!

Und die Möbel hier im Haus und so viel Sachen!

Und keine Steuerschulden mehr!

Und der Rotlackierte steht auch noch in der Werkstatt für dich! Den zu verkaufen habe ich nicht übers Herz gebracht!

Den tausche ich um – in einen Dienstwagen!

Gott, Maxe, was sind wir reich!

Ja, eigentlich sind wir jetzt endlich ganz wohlhabende Leute!

Und ein Kind kriegen wir auch!

Jawohl, auch ein Kind! Karla, beinah möchte ich mit dir tanzen! So glücklich habe ich mich seit einem Jahr nicht gefühlt!

Richtig, Maxe, ein Jahr sind wir jetzt Erben! Lange haben die drei Millionen nicht vorgehalten!

Und wer ist der glückliche Käufer der Erbschaft?

Rate, Maxe!

Das rate ich nie!

Justizrat Steppe – in Kompanie mit Frau ... Maxe!

Keine Ahnung, Kerlchen!

... Frau Franziska Holtfreter!

Tante Frätzchen! – schrie ich und setzte mich platt auf die Erde!!

*

 


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