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65. Kapitel

Ein ganz unerwarteter, doch eingeladener Besuch – Über die Berufsaussichten eines guten Autofahrers – Für Millionäre verboten

 

Mein verlegen-enttäuschtes Gesicht machte sogar den sonst so ernsten Freund lächeln.

Wie siehst du mich denn an? rief er. Du hast wohl jemand anders erwartet?

Ja, wo kommst du denn her, Paulus? rief ich, und schon löste sich die Enttäuschung in eine tiefe, aufrichtige Freude. Dich hätte ich nie erwartet! Seit über einem halben Jahr kein einziges Wort – und nicht einmal im Guten auseinander gegangen ...

Doch im Guten auseinander gegangen, Maxe! sagte Paulus Hagenkötter und rieb mit seiner altvertrauten Bewegung die Hände, daß die Gelenkknochen knackten. Von meiner Seite aus jedenfalls! Er sah mich mit seinen blassen Augen musternd an. Aber gut siehst du aus, Max! Dir merkt man an, daß du lange nicht auf einem Büro gesessen hast.

Und du, Paulus, wie geht es dir? Was macht die Vira? Was machen die Erfindungen? – Ach, Verzeihung, ich wollte dich nicht kränken!

Aber keine Spur, Maxe! Seit damals nicht wieder! Ich habe was zugelernt. Mit dem Erfinden ist es bei mir aus! Seit damals ...!

Und bei mir mit dem vielen Geld! Ich habe auch was zugelernt, Paulus! Ich muß dir erzählen. Ich habe Entdeckungen gemacht –

Und ich erst! Ich bin wirklich wieder bei der Vira, aber jetzt bei der Generaldirektion in Berlin, Maxe, seit vier Wochen bin ich Abteilungsleiter!

Großartig, Paulus, das mußt du Karla erzählen. Ich habe immer gewußt, du wirst noch ein großer Mann. Ich beneide dich geradezu. Ach, Mensch, wieder mal eine vernünftige Arbeit! Du hast ja keine Ahnung, ich muß dir erzählen ...

– Und verlobt bin ich auch! sagte Paulus und sah mich halb verlegen, halb strahlend an.

Mensch, mach bloß keinen Unsinn! rief ich ungläubig. Du, der Frauenfeind – weißt du denn nicht mehr: man nehme drei Eier, schlage sie schaumig und tue sie dem nächsten Mädel statt des Hirns –

Das ist vorbei! sprach der Apostel Paulus feierlich. Endgültig. Seit damals – du weißt schon ...

Seit damals der eklige Steppe dein Mikroskop schlecht gemacht hat? O Paulus, es tat mir ja so leid! Das wollte ich nie –

Mir tut es nicht leid, Max, sprach Paulus Hagenkötter mit fester Stimme. Es war wirklich alles Unsinn. Ich habe bloß geträumt, statt richtig zu arbeiten. Seit damals arbeite ich richtig.

Und hast dich richtig verlobt –?

Richtig verlobt! Eigentlich heißt sie Liese-Lotte, aber ich nenne sie Lilo – findest du den Namen nicht auch großartig? Sie ist keine Berlinerin, sie ist aus Luckau, das liegt in der Niederlausitz – fein, was? Warte mal, ich habe ein Bild von ihr da ...

Und er fing an, in seiner Tasche zu kramen.

Großartig, Paulus! Wird das Karla freuen! Weißt du, das hat uns ja gerade gefehlt; wenn du uns besucht hast, ist Karla immer leer ausgegangen! Aber nun ... Ich nahm das Bild und betrachtete es genau. Sieht mächtig sympathisch aus. Die gefällt mir. Und dann das energische Kinn! Ich glaube, Paulus, die wird dir keine Ruhe lassen, die ist mit Abteilungsvorsteher noch nicht zufrieden. Bei der mußt du es mindestens zum Direktor bringen!

Glaube ich auch, lachte Paulus und rieb sich wieder höchst zufrieden die Hände, während seine schmalen Schultern zuckten. Denke dir mal, Maxe, ich habe sogar schon tanzen lernen müssen! Und ich hab's gelernt, und es macht mir sogar Spaß ...

Großartiges Mädchen! sagte ich und gab ihm mit einem letzten anerkennenden Blick das Bild zurück. Das mußt du Karla mal zeigen – wird ihr auch mächtig gefallen!

Hat sie doch längst gesehen! rief Paulus Hagenkötter und verwahrte das Bild mit Sorgfalt in Seidenpapier, ehe er es in die Tasche steckte. Habe ich ihr doch gleich versetzt, als ich ankam. Sie sagt genau wie du: Sympathisch und energisch. Na, ein bißchen Energie kann ich schon bei meiner Frau gebrauchen – wie du!

Natürlich, sagte ich nun wieder recht gedankenvoll. Karla hat das Bild schon gesehen? Du warst schon bei ihr drüben? Wie geht es ihr denn?

Ich hatte recht zögernd gefragt, aber Paulus schien es nicht zu merken. Großartig! sagte er sofort. Wir kommen jetzt auch vorzüglich miteinander aus. Sie hat mich gleich gefragt, ob wir uns jetzt vertragen wollen oder ob ich wirklich denke, Frauen sind doof. Und ich habe gleich gesagt: Nein ...

Paulus –!

Na ja, eigentlich habe ich es nie wirklich geglaubt. Ich habe nur von Frauen nichts verstanden. Lilo sagt ...

Paulus, ich kenne dich nicht wieder!

Ja, ich finde Karla jetzt auch großartig. Was hat sie aber auch alles zu bewältigen! Ich habe höchstens zwanzig Minuten bei ihr gesessen, aber ununterbrochen ging das Telefon, und Leute wollten sie sprechen ...

Aber wegen was denn?! Die Bauerei ist doch fast vorbei! Unangenehme Sachen –?

Karla war mächtig aufgeräumt! Weißt du, Max, ich bin mit dem Sechsuhrzug gekommen! Habe ich mich gefreut, als da der August Böök auf der Bahn stand! So ein alt vertrautes Gesicht! Was macht denn die Großmutter Böök –?

Weiß ich eigentlich nicht. Länger nichts gehört. Sieh mal, ich hause hier so allein – vielleicht hat dir Karla gesagt –?

Natürlich. In großen Zügen. Aber darum mach dir bloß keine Gedanken, Maxe! Ich soll dich schön grüßen von der Karla, und du möchtest bloß nicht ungeduldig werden. Nun wäre es bald ausgestanden, soll ich dir sagen.

Ich möchte ja bloß wissen, Paulus! Diese Unsicherheit, verstehst du –? Da war hier heute der Fiete, erinnerst du dich noch an den Bürovorsteher von Justizrat Steppe –?

Natürlich! Aber Maxe ...

Warte mal einen Augenblick, Paulus! – Also dieser Fiete wollte mir dämlich kommen mit einem Wechsel und so! Du verstehst! Kleine Daumenschraube – wie wir immer den dritten Mahnbrief, den ersten energischen, weißt du noch, an hartnäckige Schuldner nannten! Na, bei mir kann er so was nicht machen, ich habe ihm gleich das nächste Jauchenloch angeboten! Aber wenn ich nun denke, so ein Aas und Karla – und dann in ihrem jetzigen Zustand ...

Mach dir bloß keine Gedanken, Maxe! Der Karla kann so einer gar nichts wollen. Wie gesagt, großartig!

Siehst du, du weißt auch Bescheid! Alle wissen sie hier Bescheid, alle, mehr oder weniger, bloß ich nicht. Findest du das denn richtig, Paulus? Ich habe mich gezwungen, nicht mehr daran zu denken, weil ich ... Na, vielleicht hast du gehört, ich habe mich nicht ganz einwandfrei benommen. Aber wenn ich so daran denke, daß ich als einziger ... das muß einen doch aufregen, Paulus!

Nein, sagte er und schüttelte energisch den Kopf. Ich glaube nicht, daß einer ganz und gar weiß, was Karla wirklich will. Das sagt sie keinem. Das will sie erst dir erzählen. Sie hat mir ausdrücklich gesagt: sage dem Maxe, Paul, er soll sich nur noch ein bißchen gedulden, ich erzähle ihm dann alles selbst. Und sie hat mir noch gesagt, sie findet, du hast dich ganz großartig benommen, daß du sie nie gestört und nicht rumgeschnüffelt hast ...

Na ja, sagte ich ziemlich gerührt von so viel unerwarteter Anerkennung. Und unverdienter – denn daß ich mich gar so großartig benommen hatte, fand nicht einmal ich. Ich will dann auch nicht neugierig sein. Bloß, du kannst es mir glauben, Paulus, es ist ein verdammt komisches Gefühl, wenn man hier so wie der Herr Kannitverstan in der Welt herumläuft ...

Glaubst du, Karla weiß das nicht? rief Hagenkötter eifrig, und ich merkte ihm ja doch an, wie froh er war, von dem gefährlichen Thema loszukommen. Karla weiß das ganz gut! Sie macht sich genug Gedanken deinetwegen! Damit du ein bißchen Gesellschaft und Aufmunterung hast, hat sie sich doch nach meiner Adresse erkundigt und mich eingeladen. Das finde ich alles mögliche, weil sie mich doch eigentlich nie mochte. Jetzt freilich, wo ich mich so verändert habe ... Und es paßte ja gut, daß ich noch eine Woche Urlaub zu kriegen hatte – jawohl, Max, eine Woche kann ich hier bei dir bleiben –!

Das ist wirklich großartig, Paulus!

– Und nun sollst du sagen, wie du es haben willst. Vorläufig bin ich im Schloß untergebracht, aber wenn es dir lieber ist, kann ich auch hier wohnen, meint Karla.

Das wäre natürlich viel hübscher, Paulus, wenn du hier –

Nur meint sie, sie möchte doch auch ein wenig von meinem Besuch haben. Und wenn ich hier erst wohnte, und du hättest doch auch eine Beschäftigung ...

Das weiß sie also auch, das mit den Briefen von Kantor Friedemann?! Du, den mußt du kennenlernen, Paulus –!

Gerne! – Also, ich wohne, wo du denkst, Maxe!

Ja ... Aber wenn Karla meint –! Ich freue mich ja auch, wenn sie dich drüben haben will, wenn ihr gut miteinander auskommt. Früher war es doch manchmal zwischen euch – du weißt schon, Paulus! Sagt sie immer noch bloß Paul zu dir?

Doch! Lilo sagt auch nur Paul. Sie findet Paulus übertrieben; ich bin ganz mit ihr einverstanden, aber du sollst doch Paulus sagen. Und eigentlich hat sie mich immer ganz gern gemocht, bloß mein Erfindergerede hat sie nicht ausstehen können, und damit hat sie eigentlich ganz recht gehabt. Sie hat sich gedacht, ich stecke dich mit meinem Unpraktischsein an ...

Nun schön, ergab ich mich. Ich will ja auch nicht meutern. Ich füge mich schon. Wohne du nur drüben – es soll mir alles recht sein. Aber eins will ich dir ganz unter uns gestehen: ich habe all die Gaugartener Geheimnisse und die ganze Erbschaft vom Onkel Eduard bis dahin über! Am liebsten würde ich in einer Woche mit dir nach Berlin fahren, und du gibst mir einen Posten in deiner Abteilung – aber, weißt du, so einen, wo man am Morgen vor der geschwollenen Eingangsmappe sitzt und sich sagt: Das schaffst du nie –! Wo man gar keine Zeit für überflüssige Gedanken hat, sondern bloß für die Arbeit. Das wäre das Schönste! Natürlich müßten Karla und Mückchen und der neue Purzel dabei sein, und man dürfte kein Millionär sein, sondern müßte von seinem Gehalt leben, daß es einem richtig wieder Spaß macht, wenn man sich ein neues Stück anschaffen kann. Das denke ich mir wunderschön ...

Sehr aufmerksam hatte Paulus Hagenkötter zugehört, als ich ihm von meinem schönsten Traum erzählte, den ich mir in den letzten Wochen immer wieder und immer lebhafter ausgemalt hatte. Ich war ja sogar bereit, einen, nein, zehn bullrige Subdirektoren Kracht in den Kauf zu nehmen!

Jetzt nickte Paulus, lächelte, rieb mit dem Finger die Nase – und sagte ganz überraschend: Du sollst ja so gut Auto fahren, Maxe, sagt Karla!

So! sagte ich, gänzlich aus dem Konzept. Ich habe immer gedacht, sie hielte nicht viel von meiner Fahrerei.

Hast du eine Ahnung! Sie findet, du fährst großartig.

Ich trank dies lang entbehrte Lob wie eine Biene den ersten Frühlingsblütennektar. Ja, Paulus, wenn ich jetzt meinen roten Satan hätte! Wir würden Ausfahrten machen!

Weißt du, fragte Paulus unbeirrt, warum ich eben auf deine Autofahrten gekommen bin?

Nein, keine Ahnung.

Die Vira ist nämlich mächtig fortschrittlich! Wir haben vor, Agenten mit eigenem Auto einzusetzen! Denk dir mal, Maxe, was die für Kundschaft besuchen können!

Das ist eine großartige Idee, Paulus!

Und dann unsere Schadenschätzer – auch im eigenen Auto! Die sind bei jedem Brand schneller da als die Polizei! Da können wir Schadentaxen machen –!

Die Idee ist beinahe noch besser, Paulus! Wird der Vira Hunderttausende sparen!

Millionen, Maxe! Ja, wenn jemand guter Autofahrer und alter Versicherungsmann ist, der hat heute eine großartige Zukunft bei der Vira!

Ja, das wäre herrlich, Paulus! Genau wie für mich ausgedacht! Aber – und meine Freude verfiel wieder – wozu machst du mir den Mund wässerig? Ich täte es für mein Leben gern. Heute, noch diese Stunde möchte ich mich um solche Stellung bewerben! Aber ich kann doch nicht! Ich bin doch Millionär, Paulus, ich hab' doch dies elende Gaugarten vom Onkel Eduard am Bein –!

Ich war ehrlich verzweifelt, ich empfand wirklich, was ich sagte. Paulus sah meine Bekümmernis, er fragte: Würdest du denn wirklich alles gerne aufgeben, bloß um so einen Posten als Agent oder Schadenschätzer?

Aber natürlich, Paulus! Sofort! Bloß – ohne Karla geht es doch nicht. Und Karla hat sich doch nun mal auf die Musterwirtschaft festgelegt – und ich will sie doch nicht sitzen lassen! Sie hat mich doch auch nicht sitzen lassen, als ich durchaus Millionär werden wollte, und sie war gar nicht dafür.

Nein, natürlich, sagte er und rieb sich wieder einmal die Hände. Ohne Karla geht es nicht, das ist klar. Ich bin ein Idiot gewesen, daß ich dir überhaupt erst davon erzählt habe. Na, reden wir von etwas anderem! Denke dir mal, Lilo hat gedacht, wir sollen schon nächste Ostern heiraten –

Worauf, mitten in unserer Debatte über Lilo, Hanne mit dem Abendessen kam ...

*

 


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