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32. Kapitel

Rückblick und Ausblick am Silvestertag, ein Kapitelchen, das der eilige Leser ohne Schaden überschlagen kann

 

Ehe ich diesen ersten Teil meines Berichtes an dich, liebe Nachkommenschaft, abschließe, muß ich noch von unserem Einzug in Gaugarten berichten. Es erscheint mir wichtiger, von diesem Einzug nicht erst im zweiten Teil meiner Erinnerungen zu erzählen, der zwar in der Hauptsache von unserem Gaugartener Leben handelt, doch von einem wesentlich veränderten Max Schreyvogel.

Aber am Abend dieses Einzugstages, am 31. Dezember, war ich noch der Max dieses ersten Teils: leicht in Verlegenheit zu bringen, höchst unsicher, immer auf die Worte aller anderen achtend, nach ihrer Billigung schielend.

Der sehr selbstbewußte Max, der sich dann am 1. Januar erhob, der Schloßherr von Gaugarten, gehört schon in den zweiten Teil. Zu ihm hatte es Ansätze auf den letzten Blättern gegeben: daß wir aus dem Palasthotel geflohen waren, daß ich Herrn von Kanten angebrüllt hatte, daß ich dem Justizrat Steppe trotz allen Drängens mein Ja verweigern konnte, das alles waren Zeichen dafür, daß der kleine Kontorist der Vira endgültig gestorben war.

Der Herr Justizrat hatte recht, es gab kein Zurück. Nie wieder konnte ich der ahnungslose, mit allem zufriedene, recht unbedachte junge Mann von ehemals werden. Zu dämmern begann mir, daß ich sein, handeln und mich benehmen konnte, wie ich wollte, und hatte doch immer recht. Weil ich sehr viel Geld hatte. Mehr Geld als jeder Mensch in unserer Nähe und Umgebung.

Bisher sind alle Verwirrungen, die das Geld einem Unerfahrenen bringen kann, von außen über mich hereingebrochen. Ich bin unter Vormundschaft gehalten, meine Unerfahrenheit ist häufig mißbraucht worden. Aber alle Schlauheit derer, die mich so benutzten, hatte nicht hindern können, daß ich mich veränderte. Gerade durch ihre Vormundschaft, durch ihre Ausnutzung stählten sie mich gegen Vormundschaft und Ausnutzung.

Schließlich war der Herr Justizrat Steppe doch nicht so klug gewesen, wie ich gedacht hatte. Dadurch, daß er die Erbschaftsregulierung hinauszögerte, das Bankkonto gesperrt hielt, uns stets auf Pump leben ließ, mit wenigem Taschengeld abfertigte, dadurch also, daß er mich lange Zeit nur die Last des Geldes fühlen ließ, nie aber seine Lust, flößte er mir einen unersättlichen Hunger auf ›mein‹ Geld ein. Ich weiß nicht, wie sehr bei meiner Annahme der steueramtlichen Vorschläge dieser Geldhunger eine Rolle spielte, die Gier, endlich, endlich Geld in die Hände zu bekommen. Ich bin heute fest davon überzeugt, mir unbewußt hat diese Gier den Ausschlag gegeben. Hätte er mich ein wenig gelinder gehalten, ich wäre nicht so ungeschickt in meine neue Stellung hineingewachsen.

Aber ich bin der letzte, der anderen Vorwürfe machen dürfte. Ich weiß heute viele Menschen meines Alters, die sich besser, die sich würdiger mit solchem Reichtum abgefunden hätten. Die Schuld liegt allein bei mir. Ich bin geboren und erzogen worden, ein stilles Leben zu führen, in einer gewissen Beschränkung. Es ist mir einfach nicht bekommen, daß ich aus dieser Stille heraus mußte. Beispielhaft gesagt: mein Magen war zu schwach für all die fetten Speisen, die er plötzlich in sich aufnehmen mußte, und mein Wille war zu schwach, mir in der Aufnahme dieser fetten Speisen Zurückhaltung aufzuerlegen.

(Aber schließlich hoffe ich doch, am Schluß dieser Aufzeichnungen noch kurz zeigen zu können, daß auch die Zeit des hemmungslosen Fressers nur eine Übergangszeit war. Ich überwand sie, freilich nicht allein aus eigener Kraft. Aber wir, Karla und ich, überwanden sie schließlich doch, und es wurde dann wirklich etwas Besseres daraus – Karla sei's gedankt!)

Du Nachkommenschaft, die du dieses kleine Zwischenkapitel mit größter Aufmerksamkeit gelesen hast, wirst natürlich längst gemerkt haben, daß ich plötzlich – von den letzten Zeilen abgesehen – nur noch per ›Ich‹ rede und gar nicht mehr per ›Wir‹; in diesem kommenden zweiten Teil werde ich fast nur noch von mir zu berichten haben, Karla bleibt aus dem Spiel. Karla gehörte zu denen, die sich vom Gelde nicht blenden ließen.

Wenn bisher von den Verwirrungen erzählt wurde, die von außen auf uns eindrangen, muß ich jetzt von den Zerstörungen berichten, die das Geld in mir anrichtete. Sie waren so schlimm, daß sie sehr bald mein ganzes Verhältnis zu Karla veränderten, ja, schließlich den Bestand unserer Ehe bedrohten. Bisher haben wir alles so ziemlich gemeinsam ertragen, jetzt trennen sich unsere Wege, und ich darf nur noch von mir erzählen. Denn auch dies ist ein Fluch des Geldes: daß es seinen Besitzer einsam macht und alle menschlichen Bande gefährdet.

Doch ganz so weit sind wir noch nicht. Wir befinden uns noch im ersten Teil, Karla und ich, und Mücke und August Böök stehen am Nachmittag des 31. Dezember an den Fenstern des Kantorhauses und warten auf das Auto aus Gaugarten, das uns endgültig in unsere neue Heimat bringen soll.

Unsere Sachen sind schon aus dem Palasthotel aufs Schloß gesandt worden, alle Rechnungen sind bezahlt. Herr Matz, Fräulein Kiesow und die beiden Stenotypistinnen sind nicht mehr meine Angestellten, obwohl sie noch ein Vierteljahr Gehalt als Pflaster von uns beziehen. Herr Justizrat Steppe hat schon seine Liquidation übersandt, zu der Justizrat Mehltau halb anerkennend meinte, sie sei ziviler, als man hätte erwarten müssen, aber der gute Steppe werde eben alt – und auch diese Liquidation ist bezahlt. Die Erbschaftssteuersache hat Herr Mehltau nach meinen Wünschen in zwei Tagen geordnet, und ich bin nun immer noch Besitzer von fast zweihunderttausend Mark in barem Geld und in guten Papieren.

Also beginne, neues Leben! Wagen aus Gaugarten, komme!

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