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45. Kapitel

Karla wird bevollmächtigt und ich Großeinkäufer – Nicht einmal für Konfekt bekommt man Dank – Zornesfahrt eines Gekränkten

 

So fuhr ich denn wieder allein mit meinem rotlackierten Satanas durch die Welt. Und da ich immer fuhr, wenn ich mich langweilte oder mich geärgert hatte oder guter Laune oder verstimmt war – so war ich alle Tage unterwegs, und manchen Tag sogar dreimal! An meiner Fahrerei wäre abzulesen gewesen, härte es nicht jedermann in Gaugarten und Umgebung auch so gewußt, daß ich der überflüssigste Mensch von der Welt war. Was hatte ich auch zu tun? Die Landwirtschaft nahm mir Kalübbe ab, und die Geschäfte erledigte der Dreimännerbund Mehltau-Schwöger-Kalübbe. Manchmal hatte ich noch einen Brief zu unterschreiben, aber auch das wurde immer seltener.

Machen Sie sich bloß keine Gedanken, Herr Schreyvogel, sagten sie. Die Lasten sind ein bißchen hoch, aber wir schaffen es schon. Und was Ihre privaten Bedürfnisse anlangt, bitte bedienen Sie sich! So knapp sind wir wiederum nicht! – Ja, richtig, worum wir noch bitten wollten: Möchten Sie nicht diese Vollmacht für Ihre Frau unterschreiben? Es ist natürlich eine reine Formsache, aber Sie sind jetzt viel unterwegs, und wenn wirklich einmal eine eilige Unterschrift ist ... Es wird ja kaum vorkommen, aber Sie verstehen: für alle Fälle!

So erteilte ich denn Karla Vollmacht und machte mir keine Gedanken. So brauste ich denn alle Tage mit meinem Wagen los, aber da das bloße Herumfahren mit der Zeit auch langweilig war, fiel mir ein, daß ich mich ebensogut nützlich machen konnte. Ich sammelte alle ›Besorgungen‹, und wenn ich dann nach Radebusch herein kam, stellte ich den Wagen vor Hutaps Palasthotel ab und ging einkaufen.

Ich kaufte Nähseide und Perlmuttknöpfe, fragte nach Post, brachte Schuhe zum Besohlen, suchte nach den neuesten Schallplatten, holte gewürzten Futterkalk für die Schweine und Fluid für die Pferde, ebenso wie Geld zur Löhnung von der Bank. Ich brachte Anzüge zum Reinigen, saß auf der Landkrankenkasse herum und tauschte vollgeklebte Invalidenkarten, ich kaufte Klopapier, Nägel, Seidenbänder, Sägefeilen und Holzkohle für die Bügeleisen.

Aber vor allem plünderte ich die Lebensmittel- und Delikatessengeschäfte. Ich kaufte, als hätte ich mindestens eine Kompanie zu versorgen, ich kaufte alles, was mir vor die Nase kam: Hühner, Gänseleberpastete, große, kantige Blechbüchsen mit Cornedbeef und runde, kugelige mit Ochsenzungen. Ich kaufte Pfefferschoten, Pralinen, eingelegte Oliven, Räucheraal und ein Fäßchen mit Austern. Jedesmal, wenn ich abfuhr, war mein Rennwagen so vollgepackt mit Waren, daß der Friedrich des Hotels lange zu stauen hatte, und oft mußte ich einen Teil meiner Einkäufe für die nächste Fahrt zurücklassen.

Der Rausch des Kaufens hatte mich erfaßt, oft stand ich in den Läden, starrte unruhig umher und überlegte: Was könntest du wohl sonst noch kaufen? Es kam mir dann gar nicht darauf an, daß die Sachen auch wirklich gebraucht und verwendet wurden, das war mir sogar völlig unwichtig. Nur kaufen wollte ich, in den Läden herumlaufen, alles ansehen und alles in mein Eigentum verwandeln. Auch dies war wie ein Rausch ...

Wenn ich dann hinterher, abgejagt und erhitzt, noch im Palasthotel saß, während die Geschäftsboten eintrafen und der Friedrich die Ladung packte, stand Herr Hutap bei mir und sah mir zu, wie ich meinen Wermuth trank.

Tüchtig eingekauft heute, Herr Schreyvogel? fragte er mit einem Blick durch die Scheibe auf mein Auto.

Schrecklich! sagte ich und trocknete mir erschöpft das Gesicht. Was so ein Haushalt alles braucht! Unglaublich! Hätte ich mir früher nie gedacht! Ich glaube, was unseren Delikatessen verbrauch angeht, schlagen wir das Radebuscher Palasthotel, Herr Hutap!

Das ist sehr möglich, Herr Schreyvogel, pflichtete mir Herr Hutap bei und lachte leise, genau wie eben ich gelacht hatte.

Na ja, sprach ich bescheiden, wir leben eben nicht ganz schlecht. Und was vor allem mein Grundsatz ist: die guten Sachen kommen nicht nur auf meinen Tisch, die werden in der Küche genauso gegessen wie von meiner Familie. Ich finde das nur richtig, man soll keinen Neid hochzüchten, was meinen Sie, Herr Hutap?

Ein Mann wie Sie! Natürlich, Sie sind ja aus Gold gemacht!

Na, so schlimm ist es auch wieder nicht, Herr Hutap! Ich habe auch meine Sorgen. Das Steueramt – na, lassen wir das, Sie wissen Bescheid. Jedenfalls sage ich immer, wenn gespart werden muß, fange ich bei mir an und nicht bei meinen Leuten.

Großartig! rief Herr Hutap, und ganz bestimmt fand er meine ungewöhnlich törichte Prahlerei sehr großartig. Ja, nach einem solchen Arbeitgeber wie Sie lecken sich die Leute alle zehn Finger ab. Solch einen Mann wie Sie kann man mit der Laterne suchen. – Wie wäre es noch mit einem Gläschen Sekt, Herr Schreyvogel? Ich habe zufällig eine Flasche auf Eis stehen ...

Unterdes seufzte die Küche unter der Wucht meiner Anlieferungen. Weit entfernt, sich ihre zehn Finger nach meinen Delikatessen abzulecken, wurden meine Leute immer verärgerter, wenn sie sahen, wie das Zehn-, das Zwanzigfache ihres Monatslohns, für den sie sich schinden mußten, in Überflüssigem vergeudet wurde. Im Gegensatz zu mir hatten sie einen recht klaren Begriff von Geld und Geldeswert. Fünfundzwanzig Mark bedeuteten für sie einen Monat Arbeit, für mich erst dann etwas, wenn ich sie in Ware verwandeln konnte.

Kam ich jetzt in die Küche und sagte leutselig: Na, Mamsell, was brauchen wir heute? Ich mache Sie darauf aufmerksam, morgen ist Sonntag, da wollen wir mal was besonders Nettes essen!

– So knallte die Mamsell mit den Schranktüren und klapperte mit den Töpfen: Wir brauchen nichts, Herr Schreyvogel, gar nichts! Ich habe die ganze Speisekammer und den ganzen Keller vollstehen!

Nana, Mamsell, meinte ich beruhigend, so viel wird es schon nicht sein! Außerdem können wir am Sonntag wirklich keine Reste essen! Nun, ich werde mal sehen, was zu kriegen ist. Verlassen Sie sich nur auf mich. – Und richten Sie sich darauf ein: ich habe für heute abend zwei Schock Krebse bestellt, die werden doch reichen? – Oder soll ich lieber drei Schock bringen?

Hör einmal, Maxe, sagte Karla schließlich. Ich verstehe ja, daß du gerne einkaufst. Aber du mußt es jetzt wirklich ein bißchen abbremsen. Die Mamsell ist schon völlig ungenießbar.

Ach, die dumme Pute! Die ärgert sich bloß über die Mehrarbeit! Am liebsten kochte sie alle Tage Erbsensuppe!

– Und Herr Schwöger sagt auch, die Monatsrechnungen aus Radebusch werden ein bißchen beängstigend. Letzten Monat sind bloß für Delikatessen über tausend Mark ausgegeben worden ...

Das kann nicht stimmen! Warte einmal, richtig, es war aber auch Wein dabei. Ich muß doch dafür sorgen, daß wir ein bißchen Wein im Keller haben. Es war eine besondere Gelegenheit, der Weinreisende hat selbst gesagt ...

Nein, Maxe, der Wein war extra, das waren noch einmal siebenhundert Mark. Aber das ist nicht so wichtig. Ich bitte dich nur, schränke deine Besorgungen ein bißchen ein.

Wieso denn eigentlich? Ist das Geld jetzt plötzlich knapp geworden? Die haben doch immer gesagt, ich soll mich nicht genieren!

In einem vernünftigen Ausmaß! Maxe, sieh es doch ein, es ist doch blanker Unsinn, wenn du jedem Mädchen in der Küche ein Pfund Konfekt mitbringst. Sowas muß sie doch ärgern und unlustig zur Arbeit machen!

So! sagte ich wütend. Also unlustig macht sie das? Komisch! Ich hätte gedacht, es würde ihnen Spaß machen. Na ja, ich sehe schon, ich kann es wieder einmal keinem recht machen. Auch gut! Aber das sage ich dir, Karla, mir soll noch einer mit Besorgungen kommen –! Husten tu ich euch was, jawohl, husten!

Aber, Maxe, ich habe dich doch nur gebeten –!

Husten! rief ich und schmetterte die Tür hinter mir zu!

Drei Minuten später saß ich im Satan und fuhr wütend durchs Gelände. Nicht nach Radebusch, Gott bewahre, Radebusch war mir jetzt auch verboten! Mir war bald alles verboten! Trinken war mir verboten. Einkaufen war mir verboten, Barmädchen waren mir verboten, Schnellfahren war mir verboten – nächstens kamen sie noch daher und nahmen mir meinen Rennwagen weg! Imstande waren sie dazu! Gottverdammich! Hatten sie mir jetzt nicht sogar verboten, meinen Küchenmädchen ein paar Pralinen zu schenken! Es war die Höhe!

Himmelherrgott noch einmal! Wer hatte ihnen die fette Erbschaft ins Haus getragen, von der sich alle mästeten und einen guten Tag lebten? War der Onkel Eduard mein Onkel oder ihr Onkel? Hatte ich darauf bestanden, mein Kind Eduarda zu nennen oder sie? Na ja, eigentlich war's Mutter gewesen, aber ich hatte den Namen auf dem Standesamt eintragen lassen. Das war auch egal, denn ich war es immer gewesen, der die Erbschaft festgehalten hatte. Ich war derjenige, durch den sie überhaupt erst Austern und Gänseleber kennengelernt hatten, und nun behandelten sie mich so –!

In tiefem Schmerz lenkte ich meinen Wagen von der Landstraße in eine Waldschneise hinein. Wohin sollte ich denn auch fahren? Ich durfte in keine Stadt, Lokale waren mir verboten, und ich durfte in keinen Dorfgasthof – womöglich wurde mir eine Weiße mit Schuß schon als alkoholischer Exzeß angerechnet! Sie hatte jetzt eine so verdammte Art, mich anzusehen, wenn ich von meinen Ausfahrten zurückkam – bestimmt hatte sie mich immer im Verdacht, betrunken zu sein! Dabei hatte ich mein Wort gehalten! Abstinenz, völlige Enthaltsamkeit hatte ich nie geschworen – und jetzt wurde ich so behandelt!

Gut bekam dieser stuckrige Holzweg mit seinen tiefen Schlaglöchern und dicken Wurzeln meinem Wagen bestimmt auch nicht – aber das kam davon! Warum verdarben sie mir jede wirkliche Freude, zwangen mich, wie ein Ausgestoßener in allen Winkeln herumzukriechen! Wenn ich mich nun mit meinem Wagen in so einem Schlammloch festfuhr oder rutschte in einen Graben und gegen die Kiefern, so war auch der Wagen futsch, und ich durfte von da an wohl zu Fuß laufen, ja?

Das hätte ihnen gerade gepaßt! Wenn sie schon wegen ein paar Flaschen Wein und ein bißchen Konfekt meckerten, würden sie mir nie einen neuen Wagen bewilligen! Sie hatten noch Glück, daß ich so gut fuhr, ein anderer wäre seinen Wagen auf solchen Wegen schon längst los gewesen – und das Geschrei über meine Verschwendungssucht hätte ich dann nicht hören mögen!

Jetzt geht es aber wirklich nicht mehr weiter! Vor mir breitet sich ein großer Kahlschlag aus, die zu Nutzholz gefällten Kiefernstämme liegen kreuz und quer, und überall stehen die Brennholzklafter. Ich fahre meinen Wagen schön an die Seite, damit er auch im Schatten steht, und steige aus. Einen Augenblick sehe ich über den Kahlschlag, die unbewegte Sommerluft scheint vor Hitze zu zittern ... Was soll ich hier eigentlich?

Dann fängt das Summen des Sommers, der Geruch der Kiefern mich ein. Über die Lichtung taumeln die Schmetterlinge wie betrunken von einem Weidenröschen zum anderen, ein Eichelhäher scheckert, Vögel, unsichtbare, flattern ...

Ich trete aus dem Wald hinaus in die volle Sonne. Sie legt sich sofort wie ein Mantel um mich, ich spüre sie nicht nur auf Gesicht und Händen, sie dringt wohlig, wie etwas Zärtliches, durch meinen Anzug, erwärmt, streichelt meine Haut ...

Langsam gehe ich durch das hohe Blaubeerkraut. Ich weiß gar nicht, warum ich gehe und wohin ich gehe. An der Stelle, wo ich jetzt stehe, ist es genau so wie überall auf dieser Lichtung. Trotzdem gehe ich weiter. Und während ich so gehe, fühle ich, wie sich der ungerechte Zorn und die erbitterte Trauer unter dem Einfluß der Sonne lösen. Ich versuche noch einmal an die schreckliche Beleidigung zu denken, daß ich nicht mehr einkaufen darf. Aber es will mir nicht gelingen. Ich fühle mich nur noch schrecklich jung und grenzenlos verlassen ...

In der großen Helle habe ich die Augen halb geschlossen, und so geschieht es, daß ich über einen im Kraut verborgenen Baumstumpf stolpere und hinfalle. Erst will ich wieder hoch, aber dann besinne ich mich: wozu denn? Ich kann hier liegen bleiben und mich von der Sonne braten lassen. Ich strecke mich wohlig aus. Einen Arm lege ich hinter den Kopf, es tut gut, so zu liegen ...

Das Summen scheint schwächer zu werden, zu entschwinden. Aber nun verstärkt es sich wieder, es nimmt zu, es nimmt zu ...

Es feilt immer auf demselben Ton, aber stets stärker, stets höher. – Ich habe eine dunkle Vorstellung, als säße hier ganz nahe der Sommer selbst und feilte auf einem einsaitigen Cello immer den gleichen Ton, immer höher ... höher ... höher ...

Ich ... kann ... ihm ... nicht ... mehr ... folgen ...

*

 


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