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41. Kapitel

Über Autofahren – dunnemals! – Ich werde Motorenschlosser – Glückliche Lehrzeit – ich kaufe Satan Rumpelstilzchen

 

So lernte ich denn chauffieren – und ihr, die ihr heute in euren modernen Wagen zu Tausenden und Zehntausenden die Landstraßen bevölkert, ihr habt ja keine Ahnung davon, was damals chauffieren bedeutete. Auch uns kamen unsere Wagen höchst modern vor, aber was fehlte ihnen alles, was euch heute ganz selbstverständlich scheint!

Wir kannten noch keinen elektrischen Anlasser, wir warfen unsere Wagen mit der Drehkurbel an, und wer das Unglück hatte, einen Motor zu besitzen, der schwer ansprang, wurde ein kräftiger Mann dabei – oder er gab das Chauffieren für immer auf! Wir kannten keine Winker, keine Scheibenwischer, keine Vierradbremse. Die Tankstellen waren fast ebenso dünn gesät wie die Reparaturwerkstätten, und wenn man noch so gut mit Benzin vorsorgte, eines Tages lag man doch einmal fest auf einer Landstraße – und alle Pferdefuhrwerke ratterten spottend und lachend an einem vorüber, keines willens, dem verhaßten Autler zu helfen!

Denn wir wenigen wurden von allen gehaßt! Wir waren – noch dazu in einem so ländlichen Bezirk – auf den Straßen selten, wir machten die Pferde scheu, hüllten die Fußgänger in Staubwolken – und sie vergalten uns das mit allen Erschwernissen, die sie uns nur antun konnten.

Es gab niemanden, an den wir uns um Hilfe und mit Beschwerden wenden konnten, denn die Polizei haßte uns nicht weniger, als es die Zivilisten taten. Es war damals ein Ruhmesblatt im Notizbuch jedes Gendarmen, einen Autofahrer aufzuschreiben. Jedes Städtchen stellte Schilder auf, die Vorschriften über die Geschwindigkeit der Kraftfahrer machten, und da standen sie denn auf der Lauer mit Stoppuhren, auf nicht gerade wohlwollend abgeschrittenen Strecken, und der Tachometer mochte noch so beharrlich auf fünfzehn Kilometer gezeigt haben, sie hatten es amtlich, daß wir fünfundzwanzig Kilometer gefahren seien, und ließen uns dafür zahlen. Gab es aber irgendwann einmal einen Zusammenstoß mit einem Pferdefuhrwerk, so hatten wir stets unrecht. Eine Verkehrsordnung existierte ja noch nicht!

Mein ›Fahrlehrer‹ war ein Hufschmied, ein älterer Mann mit einem walroßartig gesträubten Bart und trüben blauen Augen, der sich mit Autos nur darum abgab, um seiner darniederliegenden Schmiede ein wenig aufzuhelfen.

Wenn Sie fahren wollen, müssen Sie erst einmal Ihren Motor kennenlernen! sagte er und dachte nicht daran, mich in absehbarer Zeit an das Steuer eines Wagens zu lassen. Ich mußte mir einen blauen Monteuranzug kaufen, und wochenlang ließ er mich Morgen für Morgen einen anderen Teil des Motors oder Getriebes auseinandernehmen, reinigen, wieder zusammensetzen. Ehe ich Fahrer wurde, wurde ich ein fast vollkommener Motorenschlosser.

Manchmal lag der halbe Motor verstreut in der Werkstatt herum, wenn die Botschaft einlief, er solle die Hebamme in das oder jenes Dorf fahren. Hals über Kopf bauten wir dann den Motor zusammen, und ich sah den Meister abfahren, schnaufend hinter dem Steuer, das Gesicht von Öldreck verschmiert. Er rief mir zu, ich möchte die Werkstatt noch aufräumen und ausfegen: Aber prima!

Die Wagen waren damals, wenn man ihre schlechte Straßenlage, ihre unzureichenden Bremsen bedenkt, schon erstaunlich schnell – wir konnten fast hundert Stundenkilometer fahren. Aber der Meister fuhr nie schneller als fünfundzwanzig, fuhr sie ununterbrochen hupend und schnaufend, und auch diese Geschwindigkeit erschien ihm schon schwindelerregend.

Mich nahm er bei diesen Fahrten nie mit. Ich habe schon genug mit Aufpassen zu tun, sagte er, daß mir der Wagen nicht wegläuft. Ich kann mich nicht auch noch um Sie kümmern.

Endlich, als ich einen Defekt an der Benzinpumpe gefunden hatte, der ihm trotz allen Suchens entgangen war, mußte er sich doch entschließen, mich an das Steuer zu lassen. Es war natürlich kein Gedanke daran, daß ich im ›Stadtverkehr‹ (was man damals so Stadtverkehr nannte) fahren lernte. Wir wählten nach langem Überlegen für meine ersten Versuche eine Landstraße, die uns für dieses erste Wagnis unbelebt und breit genug schien. Ich erwartete in einer frühen Morgenstunde – die Sonne war kaum aufgegangen – dort den Meister, mit aufgeregt klopfendem Herzen.

Viele Erklärungen wurden nicht gemacht.

Sie wissen ja Bescheid, brummte der Meister. Aber das sage ich Ihnen, Herr Schreyvogel, nicht schneller als zehn Kilometer! – Na, dann also los, in Gottes Namen!

Er hielt krampfhaft die Bremsen gefaßt, und er betätigte sie in der folgenden Zeit recht wacker. Ja, seine einzige Fahrlehrertätigkeit bestand eigentlich darin, alle Augenblicke, und zwar meistens völlig überraschend und ohne ersichtlichen Grund, die Bremsen anzuziehen.

Von meinen ersten Fahrerfahrungen ist nicht viel zu erzählen. Die Ängste, die der angehende Fahrer heute und die er damals ausstand, werden sich gleichen wie ein Ei dem andern, so sehr sich seitdem auch Wagen und Verkehrsverhältnisse geändert haben. Mein Wagen kam mir ungewöhnlich breit und die Landstraße sehr eng vor. Jeder Baum, den ich nur mit dem Blick streifte, schien mich magisch anzuziehen. Wollte ich ein Fuhrwerk überholen, schien mir der Weg an ihm vorbei eine wahre hohle Gasse, durch die ich nie kommen würde. Vor scheuenden Pferden und dem unberechenbaren Verhalten ihrer Kutscher hatte ich bestimmt mehr Angst als die Gäule vor mir.

Als ich an einem schönen Sommermorgen einen überraschend angaloppierenden Gaul auf den Kühler geladen hatte, erklärte mein guter Meister, nun sei es genug, ich habe ausgelernt. Ich sollte machen, daß ich in die Stadt zur Fahrprüfung komme.

Da ich die meisten Dinge am falschen Ende angreife, kaufte ich mir erst einen fabelhaften, kleinen, niedrigen Rennwagen, einen Zweisitzer, schreiend rot lackiert, mit Drahtspeichenrädern, das Modernste, was es gab. Es wurde mir versichert, der Wagen könne seine hundertzwanzig Stundenkilometer laufen. Aber es wurde mir ebenso dringend geraten, niemals hiervon Gebrauch zu machen.

Dann ging es zur Prüfung. Ich bestand sie – wohl vor allem, weil ich dem von der Technik besessenen Prüfer durch meine ungewöhnlichen Motorenkenntnisse imponierte. Dann saß ich, zum ersten Male ganz allein, in meinem Wägelchen und fuhr bei herrlichem Sonnenschein sachte auf Gaugarten zu. Ich war mir klar darüber, daß ich noch lange nicht so gut und sicher wie August Böök fuhr. Aber das war mir im Augenblick ganz egal. Ich hatte fahren gelernt, die Behörde hatte es mir schriftlich gegeben, daß ich sowohl fahren konnte als auch durfte – seit vielen Monaten hatte ich zum erstenmal wieder etwas geleistet. Ich hatte die Gaben, die ich für dieses Leben mitbekommen hatte, vernünftig benutzt – das machte mich glücklich.

In all diesen Wochen und sogar dann, wenn ich wie ein richtiger Schlosser rücklings unter dem Wagen lag und Schmutz und Öl tropften mir ins Gesicht, war ich glücklicher gewesen als in dem tatenlosen faulen Millionärsdasein. Ich hätte die Lehre daraus ziehen sollen, daß selbst die unbequemste Tätigkeit meinem Glück bekömmlicher war als die angenehmste Untätigkeit. Aber, wie schon gesagt, ich bin ein etwas langsamer Kopf im Lernen.

Ich malte mir zufrieden aus, wie ich in meinem rot lackierten Teufel, Karla an der Seite, durch die Lande brausen würde. Ich war fest entschlossen, von den käuflich erworbenen hundertzwanzig Stundenkilometern vollen Gebrauch zu machen. Ich grübelte über einen Namen für meinen Rennwagen, ich entschloß mich, ihn Satan zu nennen. Begeistert hiervon legte ich einen Zahn zu, der Tachometer zeigte auf die Zahl 35, und ich stellte mir das Gesicht meines Meisters vor. Ich hatte – gottlob! – noch keine Ahnung, in welch schlimmes Abenteuer mich mein Satan fahren würde, ein Abenteuer, das ich, noch heute sage ich dies, lieber nicht erlebt hätte ...

Aber als ich an jenem Tage gen Gaugarten fuhr, ahnte ich von dem allem noch nichts. Andauernd hupte ich vor meinem eigenen Tor, bis Herr Kleibacke, erst halb bekleidet, erschien und mir öffnete. Ich war viel zu guter Stimmung, ihn auszuschelten.

Als ich, immer weiterhupend, die Auffahrt zum Schloß hinauffuhr, stürzten sie von allen Seiten zusammen.

Karla sah mich strahlend an. Bestanden? fragte sie.

Natürlich, sagte ich lässig, und: Wie gefällt dir unser neuer Wagen?

Karla betrachtete ihn zweifelnd. Schließlich fragte sie: Ist er nicht ein bißchen sehr rot, Maxe?

Ich habe ihn Satan getauft, sagte ich stolz.

O bitte nicht, Maxe! Nein, bitte nicht! Du weißt, ich bin nicht abergläubisch, aber den Teufel soll man wirklich nicht an die Wand malen. Nenne ihn, nun, ach, nenne ihn: Fliegenpilz! Nein, lieber nicht. Fliegenpilze sind auch giftig. Nenne ihn ...

Nenne ihn doch Rumpelstilzchen, Papa, sagte die Mücke aus ihrer Märchenwelt heraus.

Und der Name Rumpelstilzchen blieb aus Gründen, die noch erörtert werden, wirklich an dem Wagen hängen. Still bei mir nannte ich ihn natürlich immer weiter Satan.

*

 


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