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13. Kapitel

Geldsorgen eines Millionärs – Ich halte Konferenzen ab – Jedermann ist mein Feind

 

Ihr, die ihr diesen meinen gewissermaßen Rechenschaftsbericht lest, werdet, sofern ihr scharfsinnig seid, bereits aus dem Berichteten erraten haben, warum wir nicht nach Gaugarten übersiedeln konnten: wir hatten kein Geld! Wir lebten aus dem Vollen, viel mehr Wünsche, als wir uns je zugetraut hatten, wurden uns jeden Tag bereitwilligst erfüllt – aber alles auf Pump.

Wir waren wohl die Erben, aber wir konnten unser Erbe noch nicht antreten! Und wenn Herr Justizrat uns mit seinem sorgenvoll verkniffenen kleinen Gesicht über die ›Lage‹ Bericht erstattete, war es fast zweifelhaft, ob wir je Geld haben, ob wir je aus den Schulden herauskommen würden ...

Ich hoffe ja noch immer auf eine tragbare Einigung, sagte Herr Steppe betrübt. Aber bei der unnachgiebig starren Haltung dieser Herren ... Jedenfalls, wie es auch ausgehe, Sie werden sich enorm einzuschränken haben!

Er sah uns traurig an.

Aber, rief Karla hitzig, ich kann nicht einsehen, warum das Leben in Gaugarten teurer sein soll als hier. Das kostet doch bestimmt enorme Gelder hier im Hotel! Herr Kalübbe sagt ...

Herr Kalübbe! Mit einer Handbewegung wischte Steppe den belanglosen Administrator des adligen Gutes Gaugarten fort. Herr Kalübbe mag ein sehr tüchtiger Landwirt sein – trotzdem es bestimmt noch tüchtigere gibt –, von diesen Dingen versteht er nichts. Nein, meine verehrten jungen Leute, hören Sie auf mich. Ein Haushalt in Gaugarten verlangt Bargeld – Herr Hutap aber wartet.

Ich will aber von Herrn Hutap kein Geld geborgt haben! rief jetzt auch ich erbittert. Als ich noch Angestellter war, habe ich nie Schulden gehabt, jetzt bin ich schon bei ganz Radebusch in der Kreide! Ich bin überzeugt, nicht einmal der Chauffeur vom Lohnwagen ist bezahlt – in letzter Zeit sieht er Karla und mich so komisch an ...

Ich werde dem Chauffeur durch meinen Bürovorsteher Fiete sagen lassen, sprach Herr Justizrat Steppe ungerührt, daß er Sie keinesfalls komisch anzusehen hat. Wir verbitten uns das! Es gibt noch mehr Lohnwagen in Radebusch!

Darum handelt es sich nicht, Herr Justizrat! Ich will wissen, ist der Lohnwagen bezahlt? Ja oder nein?

Haben Sie doch noch ein wenig Geduld! Sobald Ihr Bankkonto ...

Ist er bezahlt? Ja oder nein?

Also nein! Aber das hat gar nichts zu sagen, Sie dürfen sich wegen so etwas nicht aufregen, mein lieber, sehr verehrter Herr Schreyvogel! Sie sind der Erbe von Millionen, eine Rechnung von wenigen hundert Mark berührt Sie überhaupt nicht, sie ist ein Nichts für Sie ...

Aber nicht für den Mann, Herr Justizrat. Der Mann braucht sein Geld, der Mann hat keine Millionen! – Ich konnte mich nicht enthalten, bitter hinzuzusetzen: Und wahrscheinlich auch keine Schulden!

Der Mann muß eben warten! Wir können doch nichts dafür! Wir haben doch nicht die Steuergesetze erlassen! Wir haben nicht das Bankkonto gesperrt!

Aber da müssen wir eben einfacher leben! sagte Karla entschieden. Dieses Lohnauto zum Beispiel ist doch ganz überflüssig! Die fünf Zimmer hier im Hotel sind auch überflüssig! – Gestern komme ich auf mein Zimmer und sehe, das Stubenmädchen packt neue Strümpfe für mich aus. Fünf Dutzend! Seidenstrümpfe, Herr Justizrat! Und drei Dutzend liegen schon im Schrank. Das ist doch Wahnsinn, Herr Justizrat! Haben Sie das etwa veranlaßt –?

Ich –? Nein! protestierte Steppe. Aber vielleicht hat Fräulein Kiesow –?

Nein! schrie Karla fast. Die habe ich auch schon gefragt!

Vielleicht Ihr Sekretär, Herr Matz –?

Er soll sich unterstehen! Meine Wäsche geht ihn gar nichts an!

Dann muß es Frau Hutap veranlaßt haben, entschied der Justizrat.

Frau Hutap –! Kauft die jetzt auch schon für mich?! Ich muß doch sagen, Herr Justizrat –!

Karla sah prachtvoll aus in ihrem flammenden Zorn.

Aber Herr Justizrat Steppe hatte für prachtvollen Zorn keinen Sinn. Er sah Karla an, wie wir die Mücke ansahen, wenn sie sich wegen ein bißchen Bauchweh anstellte.

Aber liebe, gnädige Frau –! sagte er mit sanftem Tadel. Es ist doch alles in bester Meinung geschehen. Ich bin ein alter Mann, ich verstehe von diesen Dingen nichts. Ich habe Frau Hutap gebeten, sich ein bißchen um Ihre Garderobe zu kümmern. Sie müssen doch Ihrer jetzigen Stellung entsprechend gekleidet sein! Sie sind doch nicht etwa belästigt worden? Diese kleinen Bestandsüberprüfungen sollten immer in Ihrer Abwesenheit geschehen. Ich werde meinem Bürovorsteher Fiete sagen ...

Nein! Nein! Nein! schrie Karla. Sagen Sie ihm nichts! O Gott, können wir denn nicht die kleinste Sache mehr für uns allein erledigen?! Maxe, sage du mal ...

Ich finde ja auch, Herr Justizrat, sagte ich dann, der Fall müßte endlich mal endgültig geregelt werden. Es handelt sich ja nicht um Frau Hutap und Strümpfe ...

Doch! Doch! stöhnte Karla zornig.

Ich hatte es auch so verstanden! stimmte ihr der Justizrat freundlich zu.

... Es handelt sich darum, fuhr ich unbeugsam fort, daß wir keine Schulden machen und daß wir in Gaugarten leben wollen.

Nun gut, sprach der Justizrat seufzend. Ich tue ja alles, um Ihre Wünsche zu erfüllen. Ich werde sofort Herrn Obersteuerrat Neumann anrufen und mit ihm eine Besprechung vereinbaren. Für heute würde es zu spät sein, wir bekommen Herrn Kalübbe nicht mehr rechtzeitig her. Würde Ihnen morgen passen, Herr Schreyvogel? Sagen wir morgen um elf?

Das war alles, was wir am Ende mit unseren zornigsten Ausbrüchen erreichten: eine neuerliche Verhandlung mit dem Steueramt, deren Ergebnislosigkeit von vornherein feststand.

Zuerst kam dann Herr Administrator Kalübbe. Gleich nach ihm – ich argwöhne, damit wir nicht so viel miteinander reden konnten – der kahlköpfige Bürovorsteher Fiete mit zwei übermäßig geschwollenen Aktentaschen. Es folgte mein Sekretär Matz mit einer etwas dünneren Aktentasche, und den Beschluß machte der Herr Justizrat Steppe.

So, dann sind wir also alle beisammen? Wir fahren wohl gleich, meine Herren? Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige, und wenigstens Herr Schreyvogel ist eine Art König – hä, hä!

Ich nahm gar nicht königlich von Karla Abschied. Wir stiegen ins Auto, wobei ich junger Mensch natürlich den Ehrenplatz bekam, was mir aber gar nicht gefiel, und fuhren die drei Minuten aufs Steueramt, die ich so gerne in der frischen Luft gegangen wäre!

Da saßen wir denn sehr würdig, sehr geschäftsmäßig und überaus höflich um den großen runden Tisch von Herrn Obersteuerrat Neumann. Einige andere Herren vom Steueramt hatten sich noch dazugefunden, Herr Matz machte Notizen, Herr Bürovorsteher Fiete machte Notizen, und einer der Herren vom Steueramt machte auch Notizen.

Wir redeten, auch ich redete manchmal ein Wort, wir wurden nicht hitzig, wir unterbrachen einander nicht, wir hörten jedes Wort aufmerksam an.

Und alles war doch leeres Strohdreschen, fand jedenfalls ich.

Denn die Sachlage war an sich einfach genug: ich hatte eine Million und vierhundertsiebenundzwanzigtausend Mark Erbschaftssteuer zu zahlen, und nun handelte es sich nur darum, wie und wann ich sie bezahlte. Denn den Hauptwert der Erbschaft machten die Güter aus. An Bankguthaben und Wertpapieren waren ›nur‹ etwa sechshunderttausend Mark vorhanden.

Das Steueramt vertrat den Standpunkt, ich sollte diese vorhandenen sechshunderttausend Mark als Abschlagszahlung an das Steueramt leisten, und für den Rest sollte auf Gaugarten mit Vorwerken eine Hypothek für das Steueramt eingetragen werden, die allmählich aus den Erträgnissen des Gutes zu tilgen wäre. Diese Lösung aber verwarf Herr Justizrat Steppe ganz und der Administrator Kalübbe halb.

Der Justizrat verfocht die These, daß man mich nicht ganz aller Betriebsmittel und Reserven entblößen dürfe. Was sollte ich denn tun, wenn eine Mißernte käme oder ein Brand oder eine Seuche im Viehstall? Man müsse doch seinem Mandanten das Leben lassen!

Und er beantragte zum zwölftenmal mit trocken knarrender Stimme völligen Erlaß eines Viertels der Erbschaftssteuer; Anzahlung von hundertfünfzigtausend Mark und Abtrag des Steuerrestes in fünfzig Jahresraten.

Die Herren vom Steueramt lächelten dünn. Schließlich sei Gaugarten nichts Unteilbares, ein oder zwei seiner Vorwerke seien zweifellos leicht verkäuflich. Auch dann bliebe für den jungen Herrn noch eine ganz hübsche Erbschaft.

Dies rief meinen Administrator Kalübbe auf den Plan. Er bewies haargenau, daß der Verkauf der Vorwerke den völligen Ruin der Begüterung bedeuten würde. Er redete von Verteilung der leichteren und schwereren Böden, er redete von Hackfruchtbau und der Kartoffelbelieferung meiner Stärkefabrik Kleinschönchen. Er legte Düngungs- und Erntetabellen vor, er berechnete den Lohnbedarf in den ertraglosen Wochen vor der Ernte ...

Schließlich kam er zu dem Ergebnis, daß einerseits eine Abschlagszahlung von vierhunderttausend Mark wohl zu verantworten, andererseits ein sicherer Zins- und Tilgungsdienst für eine Hypothek von einer Million nicht zu garantieren sei. – Denn ein Landgut ist keine Fabrik, meine Herren! Mit Bestellung und Saat tun wir unser Bestes, aber unsere Ernte steht allein in Gottes Hand, das vergessen Sie bitte nicht, meine Herren!

Er sah uns ergeben an, der Herr Kalübbe, und sagte dann plötzlich griesgrämig: Und das Wetter wird auch alle Jahre saumäßiger!

Ich saß dabei und hörte mir diese ewigen Redereien an; nie schienen sich die drei Ansichten auch nur ein wenig zu nähern! Wenn ich offen sein soll, so dachte ich bei mir: die Herren vom Steueramt haben ganz recht, es bleibt immer noch genug.

Eigentlich war ich also der Ansicht der Herren vom Steueramt, aber das durfte ich nicht sagen, oder ich wagte es nicht zu sagen. Denn in den Einwänden der Herren Steppe und Kalübbe schien mir auch etwas Wahres zu sein. Was wir ohne alle Reserven bei einer Mißernte anfangen sollten, wußte ich auch nicht. Und ob die Stärkefabrik in Kleinschönchen ohne die Kartoffeln von Trassenheide zum Ruin verurteilt war, konnte ich beim besten Willen nicht beurteilen.

So saß ich also ziemlich stumm dabei und wurde immer unlustiger und verdrossener. Gelangweilt verfolgte ich das Blitzen des Lichtes in der Brille von Herrn Steppe und die Bewegungen eines großen Siegelringes, den Herr Kalübbe an seinem Finger trug.

Herr Steppe war ein Feind von Herrn Kalübbe, das war nicht schwer zu merken. Eigentlich war Herr Kalübbe nach Herrn Steppes Mitteilungen gar kein so besonderer Landwirt: Betrachtet man seine Leistungen, so ist sein Gehalt viel zu hoch, hatte mir der Justizrat schon kurz nach Erbantritt, und noch viele Male danach, versichert. Aber er hat Ihren Onkel immer irgendwie rumgekriegt – eigentlich rätselhaft!

Ich verschwieg Herrn Steppe, daß Herr Kalübbe auch mich schon bei unserem ersten Kennenlernen rumgekriegt hatte, ihm nämlich eine Gehaltserhöhung zu bewilligen. Ich verschwieg Herrn Steppe weiter, daß mich Herr Kalübbe – in einem unbewachten Augenblick – über die tieferen Gründe des steppischen Widerstandes gegen die Vorschläge des Steueramtes aufgeklärt hatte.

Wozu sollen wir denn fast eine halbe Million Betriebskapital gebrauchen, Herr Schreyvogel? So was ist ja lächerlich! Nee, der gute olle Justizrat will das Geld bloß nicht ausspucken, weil er Ihr bares Vermögen für Sie verwaltet und natürlich feste daran verdient. Gaugarten ist ihm ganz egal, ob das größer oder kleiner ist, daran verdient er nichts. Immer helle, Herr Schreyvogel! Passen Sie auf, am Ende willigt er ein, Trassenheide zu verkaufen – da beißt er bei uns aber auf Granit, nicht wahr, Herr Schreyvogel?

Auf der anderen Seite verschwieg ich wieder Herrn Kalübbe, daß mir Herr Justizrat Steppe geraten hatte, den Administrator vorläufig noch beizubehalten, da er in alles eingearbeitet sei ...

Aber wenn Sie erst richtig fest im Sattel sitzen, mein lieber Herr Schreyvogel, dann machen wir mal eine große, gründliche Buch- und Inventarprüfung. Da soll der Herr mal sehen, wo er bleibt! – Ich muß gestehen, setzte er abmildernd hinzu, das ist nicht einmal eine Idee von mir. Ihr Onkel Eduard hat dem Herrn schon immer mißtraut! Welch vernünftiger Mensch trägt auch solch einen Siegelring bei dem Namen Kalübbe, als wäre er vom Uradel! – Aber bitte, vorläufig nichts merken lassen, mein verehrter Herr Schreyvogel! Vorläufig brauchen wir den Mann noch, in seiner Art ist er ja ganz brauchbar ...

Zwischen all diesem Geklatsch und Einander-Schlechtmachen saß ich, und alle behaupteten, in meinem Namen zu reden und für meinen Nutzen und Vorteil zu handeln. Aber das von Onkel Eduard gesäte Mißtrauen wucherte immer stärker in mir, und so recht glaubte ich keinem Menschen mehr. Ich traute ihnen allen nicht und sagte mir doch immer wieder: es ist ja gar nicht möglich! Es sind doch alles ehrenwerte Männer, alle älter als ich, erfahrener als ich. Über keinen ist etwas Schlechtes bekannt – warum sollen sie gerade bei dir ihre Pflicht nicht tun und schlecht werden?! Nein, es ist nicht möglich!

Es wucherte aber doch weiter, und ich schämte mich dieses Wucherns, darum wagte ich Karla auch kein Wort davon zu sagen.

Wenn wir dann nach solcher ergebnislosen Verhandlung wieder nach Hause fuhren und Herr Kalübbe sagte: Kommen Sie doch mal wenigstens morgen für einen Tag mit Ihrer Frau Gemahlin zu uns raus und sehen sich Ihre Klitsche wenigstens einmal an!

Dann dachte ich: Natürlich, er will dich für sich allein haben und dich zu irgend etwas überreden, zu einer Gehaltserhöhung oder sonst etwas Eigennützigem!

Und wenn dann der Justizrat antwortete: Das ist recht. Natürlich. Aber morgen und übermorgen wird es schlecht gehen, es liegt sehr viel Post unerledigt da, nicht wahr, Herr Matz?

– So dachte ich wiederum, daß der Justizrat mich nur nicht fortlassen wollte aus dem Hotel, wo ich so gut unter seiner Bewachung stand.

Und wenn dann Herr Matz antwortete: Gewiß, Herr Justizrat, etwas viel Post liegt da. Aber vielleicht läßt es sich gegen Ende der Woche einrichten, wenn Herr Schreyvogel den Wunsch hat –?

– So grübelte ich: Zu wem hält nun Matz? Zum Justizrat? Oder zu Kalübbe? Oder vielleicht gar zu mir –?

Und kam aus dem Argwohn und Mißtrauen überhaupt nicht mehr heraus.

*

 


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