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42. Kapitel

Das verwunschene Bild – Onkel Eduard im Kleiderschrank und sein gelber Zeigefinger – Er läßt uns keine Ruh!

 

Ehe ich aber zu meinen Fahrten mit Satan Rumpelstilzchen komme und damit zu dem Höhepunkte der Verwirrung und Schlechtigkeit, die mir durch ihn widerfuhr, muß ich von etwas anderem berichten. Der sehr aufmerksame Leser unter meiner Nachkommenschaft wird sich vielleicht schon darüber gewundert haben, daß Herr Kleibacke, der Torhüter, noch immer in unseren Diensten steht. Daß wir uns mit Strabows Erklärungen, mit Fräulein Kluges (allerdings stark gemilderter) Süßsäuerlichkeit, mit der Brutalität Herrn Kalübbes und Obergärtners Pippings schwachem Charakter abgefunden haben, kann niemandem mehr auffallen, der mich wirklich kennt. Ich begehre wohl auf, werde wütend, schreie – aber im Grunde nehme ich Menschen und Verhältnisse als gegeben und scheue jede Veränderung. Das ist einer meiner schlimmsten Fehler.

Was aber den Torhüter Kleibacke anlangt, so habe ich schon früher gesagt, daß wir bedauern würden, die Kalübbesche Kündigung rückgängig gemacht zu haben, daß wir ihn noch selbst hinaussetzen würden, und unter weit unangenehmeren Umständen!

Sein Wort soll man halten – und ehrlich gesagt halte ich es gerade jetzt recht gerne, denn den Bericht über meine Satansabenteuer schiebe ich mit Vergnügen auf.

Ich fange an – aber am anderen Ende!

Außer dem großen Speisesaal, in dem uns mein Leser am Tage unseres Einzugs- und Silvesterschmauses gesehen hat, gibt es in Gaugarten auf der anderen Seite der ›Pantry‹ noch ein kleineres Eßzimmer, in dem wir für gewöhnlich unsere Mahlzeiten einnahmen. Über der Anrichte dieses Zimmers hing ein Ölgemälde, von dem Karla eines Tages mit großem Nachdruck sagte: Was für ein abscheuliches Bild!

Darauf sah ich es mir etwas näher an. Es stellte einen fetten Mönch mit blauroten Backen und einem wahren Schweinsrüssel dar, der, hinter einer Magd stehend, ihr in das Leibchen schielte, das auch ohne solche heimlichen Blicke genug, ja, viel zuviel preisgab. Dabei fiel mir auf, daß das Bild noch nicht lange über der Anrichte hängen konnte: es war umgeben von einem stark farbigen Tapetenstreifen, dem gegenüber die andere Tapete verblaßt und farblos schien.

Ich sagte: Wirklich, sehr hübsch ist das Bild gerade nicht. Aber in allen Zimmer hängen ja Bilder, ich sehe sie gar nicht mehr.

Wenn es dich nicht stört, könnten wir eigentlich die Plätze tauschen, schlug Karla vor. Ich muß immer darauf sehen, und je länger ich es ansehe, um so unappetitlicher finde ich es.

Also tauschten wir unsere Plätze, und es wurde nicht mehr von dem Bild gesprochen. Erst abends im Bett fiel mir der stark farbige Tapetenrand wieder ein, und ich beschloß, Strabow danach zu fragen.

Er wurde sichtlich ein bißchen verlegen, als ich's am nächsten Tage tat. Jawohl, es habe bis vor kurzem dort ein anderes Bild gehangen, aber sie hätten es weg getan, weil es noch weniger hübsch gewesen sei.

Wann sie's denn weg getan hätten?

Nun, kurz vor unserer Ankunft.

Was denn darauf gewesen sei, das ihnen so wenig nett erschienen wäre?

Der gute, ehrwürdige Strabow wand sich. Er war so verlegen, wie ich ihn noch nie gesehen hatte, so sehr, daß ich fest entschlossen war, zu entdecken, was die Untadeligkeit meines ersten Dieners in diesem Maße beleidigt hatte.

Also, los, Karl! Kommen Sie und zeigen Sie mir das schmähliche Bild! Wo haben Sie es denn hingesteckt?

Strabow protestierte mit vielen gesalbten Worten dagegen, daß er das Bild schmählich genannt habe. Es habe nur so unfreundlich ausgesehen, ein wenig unfreundlich, wenigstens für eine junge Frau, habe auch Fräulein Kluge gemeint.

Fräulein Kluge war also auch für das Weghängen? Das muß ja ein ganz besonderes Bild sein, daß ganze Beratungen deswegen abgehalten werden! – Also machen Sie keine Geschichten, Karl, und zeigen Sie mir den Schinken!

Wir wanderten treppauf, bis in das oberste Turmzimmer, ehe wir zu dem verruchten Bilde kamen, das die Augen meiner Karla nicht beleidigen sollte. Aber auch hier hing es nicht an der Wand, sondern stand, von einem Leinentuch verhüllt, in einem großen, altertümlichen Eichenschrank.

Strabow hatte Mühe, es herauszuheben, so schwer war es, wohl durch den Rahmen. Er stellte es, mit meiner Hilfe, auf einen Tisch, zog die Leinwand fort und sagte, die Augen aufmerksam auf mein Gesicht geheftet: Herr Eduard Schreyvogel. – Ihr Herr Onkel hochselig.

Das ›hochselig‹ sprach er, als habe er Angst vor dem Onkel und wolle ihn friedlich stimmen.

Aber eigentlich angstmachend sah der Onkel nicht aus, so lebendig er da auch aus dem breiten Goldrahmen schaute. Es war das Bild eines sehr alten Mannes – ich verstehe gar nichts von Malerei, und ich glaube auch nicht, daß der Onkel viel Geld an dieses sein Porträt gewendet hat. Es wird wohl nur ein durchziehender Feld-, Wald- und Wiesenmaler gewesen sein, der ihn für die Kost und ein paar Mark abkonterfeit hat.

Aber wenn man in die kleinen rotädrigen, kalten Augen des Greises schaut, so höre ich den Onkel Eduard diesen verängstigten kleinen Maler ermahnen und ihm drohen, daß er ihn auch genau so malt, wie er aussieht, ohne jedes Fortlassen und Beschönigen, mit der häßlichen Warze auf dem linken Jochbein und den gelblichen Haarbüscheln, die ihm aus den großen, fledermaushaften Ohren wachsen. Hat er uns doch genau so gemahnt und geängstigt, in Testament und Brief, mißtrauisch zu werden und kalt, Sklaven des Geldes!

Und doch liegt in diesem Gesicht nichts so Schlimmes, daß es ein verstohlenes Forthängen vor der Ankunft des jungen unbekannten Besitzerpaares rechtfertigt. Es ist das Bild eines alten, harten, bösen Mannes, aber alle haben ja gewußt, daß der Herr Eduard Schreyvogel ein alter böser Mann war! Wozu dies Versteckenspielen?

Ich sehe immer noch auf das Bild. Der Onkel trägt – wohl recht aus Hohn! – einen prächtigen grüngoldenen Schlafrock. In der linken Hand hält er einige Papiere, mit der rechten aber, mit der langen, dürren, gelben Klaue des rechten Zeigefingers deutet er auf etwas, im Bild oder über den dicken Goldrahmen hinaus, mit seinen aufgelegten, verstaubten, kaum noch kenntlichen Arabesken ...

Worauf zeigt er denn, Karl? frage ich leise.

Ich fühle, wie Strabow zusammenfährt. Aber dann sagt er ganz gleichgültig: Zeigen? Ach, Herr Schreyvogel meinen den Finger? Ja, das weiß ich auch nicht, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Vielleicht zeigt er auch gar nicht, ich bitte um Verzeihung, Herr Schreyvogel.

Ich gehe dicht an das Bild heran und versuche zu erkennen, was der dunkle Hintergrund darstellt, auf den die gelbe Geierklaue zeigt. Aber es ist nichts zu erkennen, es ist da nichts als ein sehr dunkles, schwärzliches Braun ...

Und dies Bild haben Sie also so scheußlich gefunden, daß es durchaus verschwinden mußte, Karl? Komisch! sage ich.

Ich bitte um Verzeihung, Herr Schreyvogel, antwortet Strabow gekränkt. Ich habe das Wort scheußlich nicht benutzt. Wir fanden es nur nicht sehr einladend – für eine junge Dame! Die Begründung scheint ihm selbst zu matt. Er setzt hinzu: Da es doch der Herr Onkel und Erblasser ist.

Sehr rücksichtsvoll, Karl, sage ich. Ungewohnt rücksichtsvoll. Ich finde das Bild harmloser als den schweinsnasigen Mönch.

Ich möchte ganz gern anordnen, daß die Bilder wieder ihre Plätze tauschen. Aber irgend etwas hält mich zurück. Zuerst hat mir das Porträt keinen so überwältigend starken Eindruck gemacht, aber je länger ich in die kleinen, hellen, bösen Augen schaue, um so weniger möchte ich es ständig sehen. Ich kann mir gut vorstellen, daß dieses Auge eines Geizhalses mir die Bissen meines zu üppigen Mittagessens in den Mund zählt! Und dazu die auf die Dauer wirklich irritierende Bewegung, mit der dieser gelbe Finger auf etwas zeigt, das ich nicht erraten kann ...

Ich will Ihnen was sagen, Karl, fällt es mir plötzlich ein. Der Onkel zeigt einfach auf die Erde, sein Grab, weil er weiß, daß er bald sterben muß.

Das haben andere auch schon gedacht, sagt Strabow schwermütig. Aber der Herr Onkel haben nie an das Sterben gedacht, sein Tod war ja auch nur ein Unglücksfall.

So, andere haben das auch schon gedacht? frage ich gedankenvoll. Es wird wohl öfter besichtigt, dies Bild?

Nicht mehr, seit es hier oben steht, antwortet Strabow kühl.

Na schön! Decken Sie es wieder zu, Karl. Nein, lassen Sie es ruhig auf dem Tisch stehen, ich sehe es mir gelegentlich wieder einmal an. –

Ich sah es mir wirklich wieder an, und nicht nur gelegentlich. Das Bild fesselte mich, beschäftigte mich, der böse Onkel Eduard, der bisher nur aus Papier bestanden hatte, war plötzlich Fleisch und Blut geworden. Im Einschlafen konnte mir die gelbe Geierkralle erscheinen, die ins Nichts zeigte. Nein, eben nicht ins Nichts, sondern auf etwas, das ich nicht erraten konnte. Ein Quäler, dieser Onkel Eduard – gehe es nun Testamente oder Porträts an!

Und ich stand auf, selbst wenn es Nacht war, und sah mir das Bild an. Schließlich mußte ich doch dahinterkommen ...

Sehr bald machte ich die Beobachtung, daß ich nicht der einzige Besucher des Bildes war. Es gab noch mehr Leute, die der alte Mann beschäftigte. Ich fand die Leinwand verschoben, ein Stuhl war auf die andere Seite des Zimmers gerückt, um das Bild in Ruhe betrachten zu können. Einmal war es sogar in den dunklen Schrank zurückgestellt.

Ich machte mir nicht viel Gedanken über diese anderen Besucher, ob es ein Strabow oder die Kluge oder andere Schloßbedienstete waren. Bis ich eines Tages hereinkam und jemanden auf dem Stuhl vor dem Bild sitzend fand.

Du, Karla, rief ich erstaunt. Wer in aller Welt hat dir von diesem Bild erzählt?

Die Kluge, sagte sie. Und dir?

Strabow. Weißt du, ich hatte entdeckt, daß die Tapete um den Mönch herum nicht so verblaßt war.

Sie nickte. Das habe ich natürlich auch gesehen und die Kluge gefragt. Von selbst hätte sie nichts erzählt.

Ja, sie tun gewaltig geheimnisvoll mit diesem Bild. Und es sieht ja wirklich ein bißchen seltsam aus – mit dem Finger da.

Ja, sagte Karla. Du kommst öfter hierher, Maxe?

Ab und an, gab ich zu. Es ist ja wirklich, als hätte der Alte einem zu allem anderen Übel auch noch ein Rätsel aufgegeben.

Das denken die Leute auch, darum fürchten sie sich vor dem Bild. Sie behaupten, Onkel Eduard hat keine Ruhe, bis einer tut oder nimmt, was er zeigt.

Hat dir das die Kluge erzählt? fragte ich erstaunt.

Natürlich! Hat dir das dein Strabow etwa nicht erzählt –? Sie behaupten einfach, Onkel Eduard geht um ...

Darum also haben sie das Bild weggehängt, weil es ihnen keine Ruhe ließ, nicht deinetwegen. Ich sah nachdenklich auf die gelbe Geierklaue. Sie sah ekelhaft aus, je öfter man sie ansah, um so mehr erschien sie einem wie eine gelbe, fette, riesengroße Made. Und was hältst du davon, Karla?

Ich –? Ja, was ich dich schon fragen wollte, Maxe: Warum hast du mir eigentlich nichts von dem Bild erzählt?

Und du hast mir auch nichts gesagt, Karla! Ein elender Unruhestifter ist und bleibt er, der Onkel Eduard.

Wie wir ihn jetzt kennengelernt haben, Maxe, sagte Karla, stand auf und zog langsam das Tuch über das Bild, hat er wirklich was gemeint mit dem Finger. Ich würde es gerne erraten, schon damit ich nicht mehr daran denken muß.

Vielleicht ist es gerade das, was er sich ausgedacht hat in seiner Bosheit, daß alle immer an ihn denken sollen. Ich hob noch einmal einen Zipfel, besah den Finger und sagte wütend: Alte Made! Ich meinte aber den ganzen Onkel Eduard damit.

Gemeinsam stiegen wir in die wohnlicheren Bezirke des Schlosses hinab.

Nun sage mal wirklich, Karla, warum hast du mir nichts von dem Bild gesagt?

Und du nicht?

Bei mir ist es doch ganz einfach: ich habe gedacht, es wäre dir jetzt nicht gut. Er sieht doch wahrhaftig nicht freundlich aus!

An Spuken glaubst du also nicht?

Aber Karla –!

Ich nämlich auch nicht. Trotzdem sie schon im Dorf erzählen, in seiner Grabkapelle spukt es.

Du glaubst doch nicht daran, Karla?

Aber Maxe –!

Warum hast du mir dann nichts gesagt?

Sie gab sich einen Ruck. Aber, bitte, sei nicht beleidigt –! Manchmal, besonders wenn du auf jemand wütend bist und die Lippen so einziehst, bist du ihm direkt ähnlich. Ich wollte dich nicht gerne neben dem Bild stehen sehen.

Karla! Ich war nun wirklich entrüstet, beleidigt und doch ungläubig. Ich soll Ähnlichkeit mit diesem Scheusal haben?! Lächerlich! Ich sehe mich doch auch manchmal im Spiegel an, aber so was –!

Siehst du, ich hätte es dir gar nicht sagen sollen! Nun bist du doch belitten!

Ich bin nicht die Spur belitten! rief ich beleidigt. Nur wenn du behauptest, ich wäre ihm ähnlich ...

Das habe ich nicht gesagt! Ich habe gesagt, wenn du wütend bist gerade wie jetzt, wenn du mich so ansiehst! – Oh, Maxe, ich hätte es dir doch lieber nicht sagen sollen! rief sie reuevoll. Du wirst nie, nie wie er werden, dafür passe ich schon auf! Maxe, mach ein anderes Gesicht! Dieser verdammte Onkel Eduard, nichts wie Unheil stiftet er ...

*

 


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