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44. Kapitel

Karla fährt mit mir aus – Rausch der Schnelligkeit und Taubheit eines Ehemannes – Es hätte auch schiefgehen können! – Langsame Fahrt voraus!

 

Es ist eine Freude, Fahren gelernt zu haben, einen starken Wagen zu führen, eine ungeheure Kraft mit dem leichten Druck von Hand und Fuß und einem raschen, klaren Kopf zu beherrschen. Und es ist eine noch größere Freude, einen neuen Wagen sich selbst einzufahren, niemand anders ans Steuer zu lassen, ihm jeden Dienst vom Wagenwaschen bis zum Kerzenreinigen selber zu erweisen und ihn so ganz zu seinem eigenen Geschöpf zu machen, daß die gesund dröhnende Stimme seines Motors einem lieb und vertraut wird, wie einer Mutter die Laute des Kindes.

Aber die höchste Freude ist es doch, wenn man in diesen so erworbenen und eingefahrenen Wagen zum erstenmal ein vertrautes Wesen, einen geliebten Menschen hineinsetzen kann, ihm zu zeigen, wie rasch und gehorsam der Wagen ist, wie bequem man in ihm sitzt, wie gut die Bremsen ziehen. Eigentlich alles Dinge, die das geliebte Wesen gar nicht interessieren und die ihm doch notwendig mitgeteilt werden müssen, um deine Freude und dein Glück auf das andere zu übertragen. Denn es bleibt ewig wahr, daß eine Freude, an der kein anderer teilnimmt, nur eine halbe, nur eine zehntel Freude ist; ja, daß sie kaum noch Freude ist!

Ein dutzendmal hatte ich Karla wohl schon gebeten, auch einmal mit mir im neuen Wagen zu fahren. Ein dutzendmal schon hatte sie's abgelehnt. Ich sollte mich erst ein bißchen besser einfahren, die Wege waren zu staubig, es war zu windig für einen offenen Wagen, gerade heute ließ sie die Mücke nicht gern allein zu Haus, morgen war sie überhaupt nicht in der Laune zu fahren. Vom guten Zureden war ich längst zu gereizten oder beleidigten Bemerkungen gekommen: Du traust mir wohl nicht zu, daß ich gut fahre? So gut wie dein Böök fahre ich auch noch!

Schließlich hatte ich sehr gekränkt nichts mehr gesagt.

Aber da war nun dieser strahlende, dieser herrliche Sommertag. Schon von vier Uhr morgens an lag ich wach im Bett und horchte durch das offene Fenster auf die leisen Geräusche, mit denen der Morgen sich bereit machte zum Tag. An lauter gute und erfreuliche Dinge dachte ich, so zufrieden-glücklich war ich schon lange nicht mehr.

So lag ich, und als ich später die Mücke jauchzen hörte, nahm ich meinen Bademantel um und ging zu Karla hinüber. Da saß ich lange und schwätzte etwas; dazwischen tollte ich mit Isi und Mückchen, und plötzlich, ohne es eben noch gewollt zu haben, fragte ich aus einem solchen Tollen heraus: Was meinst du, Karla? Willst du heute mit mir in meinem roten Deubel zum Hessenstein? Die Kinder und Frau Kalübbe und wen du sonst möchtest, können ja mit August Böök fahren. Und wenn es dir nicht gefällt bei mir, kannst du ja immer umsteigen. Ich nehme es dir bestimmt nicht übel!

Dies mußte die richtige Art zu fragen gewesen sein, denn sofort sagte Karla: Aber gerne, Maxe! Und sei mir bloß nicht böse, daß ich bisher immer nein gesagt habe. Es war nicht, weil ich deinem Fahren mißtraute. Sondern ich hatte so ein komisches Gefühl ...

Und heute hast du es nicht?

Nein, heute habe ich es nicht!

Welches Hallo der Kinder, als Karla sich zu mir in den niedrigen Wagen quetschte! Sie saß ja fast auf dem Boden und mußte die Beine weit unter die Motorenhaube stecken. Selbst August Böök lachte: Na, denn Hals- und Beinbruch, Chef! Ich fahre sachte hinterher, gerade soweit, daß wir nicht Ihren Staub schlucken müssen. – Soll ich nicht heute mal den Motor für Sie anwerfen?

Aber das ging mir wider die Ehre, ich tat es selbst, und der Motor war brav und sprang sofort an. Nun zitterte der ganze Wagen vor gebändigter Kraft, und Karla stieß helle Schreie aus und rief: Er rumpelt ja so! Gott, wie er wackelt und rumpelt!

Die Kinder aber tanzten um den Wagen und riefen: Rumpelstilzchen! Rumpelstilzchen, ätsch!

Ich trat auf die Kuppelung, und ganz sachte (August Böök hätte es nicht besser machen können) fuhr der Wagen an und glitt über den leise zischenden Kies die Auffahrt hinunter. Nun ging es schon schneller die Lindenallee entlang durch das offene Tor auf die Landstraße hinaus, die in der Morgensonne wie ein strahlendes Band sich zwischen den Feldern schlängelte, sich auf einen Hügel hob und gerade in den Himmel zu führen schien ...

Ist es nicht herrlich, Karla? rief ich und ließ den Wagen ein wenig schneller laufen.

Wunderbar, stimmte sie zu und fragte: Fahren wir nicht ein bißchen schnell?

Aber gar nicht! sagte ich. Du denkst natürlich, der Wagen ist schwach, weil er so klein aussieht. Aber er ist viel stärker als der große Wagen – sind wir auf der Staatsstraße, da sollst du erst sehen!

Und ich ließ den Wagen ein wenig schneller laufen.

In fröhlichem Getümmel mischten sich die Felder durcheinander auf unserer eiligen Fahrt, die steinernen Wandungen einer Brücke warfen den Motorenlärm vielfach zurück, und schon schnurrten und surrten wieder die Alleebäume sachter. Wie Inseln schwebten die kleinen Ellern- und Weidengebüsche in den Wiesenniederungen heran und vorbei – vor uns lag eine lange, sanft ansteigende, leere Fahrstraße – und ich ließ den Wagen ein wenig schneller laufen.

Ist es nicht wunderbar, Karla? rief ich begeistert. Ist es nicht, als stünden wir still, und die Welt flöge sausend an uns vorbei?

Ja, ganz großartig! bestätigte sie. Aber könnten wir nicht einen Augenblick auf die anderen warten? Ich sehe keine Spur von ihnen.

Und wirst vor dem Hessenstein auch nichts von ihnen zu sehen bekommen! Ach, Karla, das ist doch schon wie Fliegen! Wenn man einmal in einem Auto sitzt, so soll man auch fahren. Der Meister, bei dem ich lernte, wollte nicht schneller als fünfundzwanzig fahren, er behauptete, ihm würde dann schwindlig ...

Das verstehe ich! Wie schnell fahren wir?

Kaum mehr als siebzig! Ich darf jetzt nicht schneller, weil wir gleich durch ein Dorf kommen. Aber dann – wenn wir erst auf der großen Straße sind –

Es wäre nett von dir, wenn du in dem Dorf einen Augenblick hieltest, ich muß etwas trinken. Es ist da doch eine Wirtschaft?

Aber natürlich, Karla! Wenn es sein muß. Nur, wir sind jetzt gerade so schön in Fahrt, und ich wollte dir so gerne zeigen, was der Wagen hergibt. In ihm leiern wie der August, das macht doch keinen Spaß!

Ich glaube, der August könnte auch schneller fahren. Wenn er langsam fährt, tut er es meinetwegen.

Aber das Schnellfahren bekommt dir doch gut! Oder –? Ich fahre natürlich auch gerne langsamer, bloß gerade jetzt, wo die große Straße anfängt ...

Sind wir schon so weit? War das eben das Dorf? Wolltest du da nicht halten?

Ach! Ich hatte es so verstanden, daß du doch nicht trinken wolltest! Sieh mal, es sind nur noch fünfunddreißig Kilometer, ich lege noch ein bißchen im Tempo zu ...

Besser nicht, Max! Ich finde, wir fahren schon sehr schnell!

Aber gar nicht, Karla! Er leistet gut und gerne noch seine dreißig Kilometer mehr.

Lieber nicht, Max! Du brauchst dich wegen meines Trinkens wirklich nicht zu beeilen, ich halte es noch eine Weile aus.

Ja, es ist wunderbar, sagte ich wieder und legte doch noch ein bißchen zu. Es ist etwas Herrliches, einen wirklich schnellen Wagen wirklich schnell zu fahren. Natürlich nicht blöd rasen. Rasen, das kann jeder! Aber schnell und dabei sicher fahren – hast du gesehen, wie die Pferde eben durchgingen? Der Kerl bleibt nicht noch mal auf der Straßenmitte, wenn ich hinter ihm hupe! Ich muß die Pferdeköpfe beinahe gestreift haben! Hat der einen Schreck bekommen! – O Gott, Karla! Ich bin in all den letzten Monaten nie so glücklich gewesen wie jetzt, wo ich dir meinen Wagen zeigen kann. Endlich habe ich wieder ein bißchen Selbstvertrauen! Es macht dir doch nichts aus, wenn ich noch ein bißchen schneller fahre? Der Wagen schafft es spielend, und der Motor wird nicht die Spur heiß! Natürlich springt der Wagen jetzt ein bißchen, aber das liegt nicht an ihm, das liegt an der Straße – an sich fährt der Wagen sanft wie Butter.

Also kurz gesagt: ich benahm mich wie ein Idiot. Kaum hatte ich im Wagen gesessen, so waren auch alle meine guten Vorsätze entschwunden. Der Rausch der Schnelligkeit, die immer strahlender sich auftuende Weite rissen mich fort. Ich fuhr viel schneller, als ich je allein gefahren war. Das kam daher, weil Karla neben mir saß. So viele Monate hatte ich nichts geleistet, hatte ich gerade vor ihren Augen immer wieder versagt, nun wollte ich ihr zeigen, daß ich doch etwas konnte! Daß ich ein Mann war, ohne Furcht!

Ich kam gar nicht auf die Idee, daß es ihr und dem erwarteten Kind nicht gut sein könnte, daß sie nicht den geringsten Wert darauf legte, mein Mannestum durch die Entfesselung vor so und so viel Pferdestärken bewiesen zu sehen. Daß die Stöße des Wagens sie schmerzten! Daß ich ihr versprochen hatte, Rücksicht zu üben. Ich hatte alles vergessen nur fahren wollte ich, fahren, was der feuerrote Satan hergab ...

Und sie, sie wollte mir natürlich die Freude nicht verderben. Sie spürte, daß ich zum erstenmal seit langem wieder richtig glücklich war. Daß dieses Glück trotz aller mitunterlaufenden Prahlerei echt war, daß es die Freude darüber war, etwas zu leisten.

Sie sagte sich: Es kann ja nicht mehr lange dauern! Je schneller er fährt, um so schneller ist er auch am Ziel. Dann ist alles ausgestanden, und ich steige natürlich nie wieder in seinen Wagen. Ich werde schon Ausreden finden, und ist er doch beleidigt, so hilft es nichts. Wenn nur diese elende Übelkeit nicht wäre! Ich hätte zehn Taschentücher einstecken müssen, aber wer denkt an so was! Nur gut, daß er vorhin nicht gehalten hat – hätte ich etwas getrunken, wäre ich jetzt erschossen! – Jetzt kommt es wieder! Schlucken – kräftig schlucken, tief Luft einatmen! Ich sage es auch der Mücke immer, wenn ihr schlecht wird. – Ich muß aussehen wie eine Leiche. Aber ein Mann merkt so etwas nie von selbst; nur wenn ich einmal meine Ruhe haben will, wegen Kopfschmerzen oder weil ich mich über ihn geärgert habe, fragte er ununterbrochen, was mir ist. Jetzt sollte er fragen! Ich wollte ihm schon sagen, wie mir ist!

Hoppla! sagte ich zu mir und riß an der Bremse, daß der Wagen aufschrie, einen Satz tat und sich gedreht hatte, ich begriff es erst zwei Sekunden später. Hoppla! wiederholte ich ganz blöd. Das hätte ins Auge gehen können!

Ihr Idioten! brüllte ich, kaum hatte ich aufgeatmet, die beiden Milchkutscher an, die einen gemütlichen Schwatz im Chausseegraben gehalten hatten – und die Pferde des einen waren kurz vor mir, nach der saftigen Grasnarbe der anderen Straßenseite begehrend, quer über die Fahrbahn gewechselt ...

Ihr Idioten! brüllte ich. Glaubt ihr, die Straße ist bloß da für euer Gequatsche! Halt mal, wem gehören die Pferde? Ich zeige Sie an! Ich hätte die Pferde und mich und meine Frau totfahren können ...

Mein Blick streifte Karla. Sie sah aus, als sei sie wirklich schon tot, so wachsgelb, so reglos lag sie im Sitz.

Karla! rief ich. O Gott, Karla, was ist dir? Hast du einen Schreck bekommen? Bestimmt, mein Ehrenwort, es ist nicht das Geringste passiert, du brauchst dich nicht mehr zu ängstigen, es ist alles vorbei! Es ist noch gut gegangen ...

Aus dem fast ganz geschlossenen Auge kam eine Träne. Sie legte sachte den Arm um meinen Hals und bat: Bitte, schimpf nicht mehr mit den Leuten! Sieh, daß ich was zu trinken bekomme! Bitte, Max, mir ist furchtbar schlecht ...

Ich sah mich um, ich suchte nach Quellen, Bächen, Flüssen, Seen und hatte doch nur die graue Chaussee vor mir und den Graben mit seinem von Straßenstaub gepuderten Unkraut.

Gibt's hier irgendwo Wasser? rief ich die Milchkutscher an, die mich noch immer wortlos anstarrten. Ihr seht doch, meiner Frau ist schlecht geworden!

Wasser? fragte der eine den anderen. Nee, Wasser hier herum weiß ich nicht ...

Ach, Maxe, rief Karla, sie müssen doch Milch auf ihrem Wagen haben! Kauf ihnen doch etwas von ihrer Milch ab!

Dies war eine Idee, und nachdem wir drei Männer festgestellt hatten, daß meine Frau unmöglich aus einer Fünfzig-Liter-Kanne trinken könne, ein anderes Trinkgefäß aber nicht da sei – und nachdem wir dann von Karla belehrt waren, daß vielleicht der Deckel einer solchen Kanne als Becher zu verwenden sei –, da also bekam Karla endlich zu trinken.

Und nun fahr weiter, Max. Nein, wir wollen nicht auf die anderen warten, am besten sagen wir ihnen hiervon gar nichts. Sie denken sonst doch vielleicht, du fährst nicht ganz richtig – aber du fährst einfach großartig! Vielleicht eine Spur zu großartig für eine Frau in anderen Umständen. Also, bitte, Max, ganz wie dein Meister denke daran, über fünfundzwanzig Kilometer wird mir auch schwindlig.

*

 


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