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25. Kapitel

Das Hasen-Weihnachten im Walde – Friedliche Feier mit Millionärsgeschenken – Weihnachtsfriede

 

Als ich nach einer Stunde ziellosen Herumschlenderns durch das Dorf wieder nach Hause kam, schlief der Kantor Friedemann immer noch und war die Weihnachtsstube immer noch gesperrt. Aber oben war der August dabei, die Mücke anzuziehen, und er hatte ihr etwas ganz Besonderes versprochen, eine Überraschung draußen im Walde vorm Dorf, um ihr das Warten auf die Bescherung zu erleichtern.

Ich durfte mit den beiden gehen, wir traten hinaus in die schon tiefer sinkende Dämmerung und gingen durch den hohen, losen Schnee zwischen Gärten dem dunkel schweigenden Waldrand zu. Es hatte aufgehört zu schneien, langsam erschien ein Stern nach dem anderen am Himmel. Der August Böök kannte sie alle bei Namen und nannte sie der Mücke mit derselben stillen Feierlichkeit, wie der Kantor Friedemann seine fremdländischen Ortsnamen Tananarivo und Buenos Aires genannt hatte: Wega und Deneb, Beteigeuze und Aldebaran. Und die Mücke wurde es nicht müde, empor zu sehen und sich die Namen immer wieder nennen zu lassen.

Dann löschten die Wipfel des Hochwaldes die Sterne aus, und wir gingen im tiefen Dämmern. Nur der Schnee leuchtete geheimnisvoll. Eine Weile hörten wir noch die Abendgeräusche des Dorfes mit Eimerklappern und raschen Rufen, mit dem Schnipp-Schnapp einer Häckselmaschine. Dann plötzlich war alles still um uns, so still, daß sogar der Mücke Mäulchen stehenblieb. Ihre Finger schlossen sich ganz fest um meine, ganz leise knirschte der Schnee unter unseren Schuhen, sonst nichts.

Als wir ein Weilchen so gegangen waren, bat uns der August, stillezustehen und zu warten. Er verschwand, als habe er sich aufgelöst in Schnee, Dunkelheit und Wald. Ich nahm die Mücke auf meinen Arm, ihr Gesichtchen lehnte an dem meinen, und kitzelnd fragte sie mich ins Ohr, ob ich wohl wisse, was das für eine Überraschung sein würde? Aber ich konnte es ihr auch nicht sagen.

Dann plötzlich war der August wieder bei uns. Ich mußte die Mücke weitertragen, aber so, daß ihr Gesicht zurück sah, und so stiegen wir einen ziemlich steilen Hügel hinauf.

Wohin führen Sie uns denn? fragte ich schließlich ziemlich keuchend.

Zum Hasen-Weihnachten, antwortete August, es klang aber ganz weit weg.

Machen Sie doch keine Witze, Böök! rief ich. Die Mücke ängstigt sich ja!

Aber die Mücke ängstigte sich gar nicht, sondern es war die Vorfreude, die ihr Herz pochen machte. Und jetzt rief sie laut: Oh, sieh doch, Papa, sieh doch: ein Weihnachtsbaum!

Und auch ich sah, und auch ich fand es schön!

Denn nun waren wir, auf der Höhe des Hügels, aus dem dunkeln Hochwald getreten. Die andere Seite des Hügels hinab lief eine Tannenschonung, alles junge Bäumchen, und einen von ihnen, der ein wenig größer war als die anderen, und der ein wenig freier stand, hatte der August Böök, wohl am Nachmittag schon, von oben bis unten mit Kerzen besteckt, die er eben angezündet hatte.

Da stand der kleine Baum in der großen, weiten Nacht und funkelte mit vielen freundlichen Lichtern. Die weißen Schneeflocken auf den Zweigen strahlten wie Silber, kein Lüftchen regte sich in dem tiefen Schweigen. Unbewegt brannten die kleinen Flammen empor zum großen dunklen Gewölbe der Nacht, an dem tausend andere kleine Funkellichter brannten.

Das haben Sie aber schön gemacht, Herr Böök! rief ich. Und gleich hinterdrein: Wie schade, daß die Karla nicht dabei ist. Die hätte das sehen müssen!

Hat das denn der Onkel Böök gemacht? fragte die Mücke gleich. Ist das nicht das Hasen-Weihnachten?

Und der alte Weltenbummler Böök sagte: Sie können ja noch einmal heute abend mit Ihrer Frau hinausgehen. Und zur Mücke: Natürlich ist das der Weihnachtsbaum für die Hasen, Mücke. – Jetzt müssen wir aber wieder gehen, sonst kommen die Häschen nicht.

Einen Augenblick noch! baten Tochter und Vater.

So standen wir denn noch ein Weilchen und sahen die Waldlichter brennen. Ich dachte daran, daß sie jetzt wohl auch im großen Speisesaal von Hutaps Palasthotel die Kerzen am Weihnachtsbaum angebrannt hatten, und daß sie dastehen würden in Fräcken und ausgeschnittenen Abendkleidern. Und wenn ich mir uns unter diesen Feiergästen vorstellte, so wußte ich, nicht dahin gehörten wir, nicht da lag unser Glück.

Es war nicht feige Weltfremdheit, keine schwärmerische Suche nach einem Idyll, sondern es war dies, daß man so leben muß, wie man gewachsen ist. Unsere Glieder und unsere Köpfe und vor allem unsere Herzen waren nicht für Abendkleid und Frack gewachsen.

Aber an dieser Stelle weigerte sich mein Kopf, weiter zu denken, und wieder einmal meinte ich, daß es mit uns doch eine andere Sache sei und daß ich es – trotz des vielen Geldes! – schon nett für uns einrichten würde und daß es feige wäre, vor einem solchen Glück davonzulaufen.

Schließlich sagte August Böök: Nun wird's aber Zeit nach Haus, kleine Mücke! Die Mummi wird schon mit der Bescherung warten.

Wir wanderten wieder hinein in den dunklen Hochwald, die Mücke und ich, und nach einer Weile holte uns dann der August ein, der noch die Lichter gelöscht hatte (aber ohne daß es die Mücke wußte), und eifriges Raten ging los, ob wohl der Weihnachtsmann unterdes im Hause gewesen sei und was er jedem gebracht habe.

Jawohl, der Weihnachtsmann war unterdes im Haus gewesen, und er hatte uns alle überreich beschenkt. Der gute August Böök, der es verschmähte, sich um Geld zu sorgen und Geld anzusammeln, hatte doch eine große Liebe für die schönen Dinge dieser Erde, und es erwies sich, daß er das Sparbuch der Mücke ohne alle Zurückhaltung geplündert hatte. Die Weihnachtsgeschenke der jungen Schreyvogels waren wirklich millionärshaft, und eine ganze Zeit lang waren die guten Kantorsleute sehr betreten, welch vornehme Leute bei ihnen abgestiegen waren.

Aber nach einer Weile vergaßen sie über Mückes Jubel, Karlas Herzlichkeit und meiner unverstellten Freude die herrliche goldene Taschenuhr – ganz dünn! – für mich, den schönen Topasring für Karla, der so gut zu ihrer bräunlichen Haut stand, die wunderbaren Stofftiere und schreiend lackierten Autos der Mücke, die ja ein Vermögen gekostet haben mußten!

Sie vergaßen's und freuten sich mit uns. Sie merkten ja, daß wir uns nicht alle Tage und auch nicht alle Weihnachten so beschenkten. Wenn die Frau Kantor nun richtig ein bißchen neugierig wurde und gar zu gerne herausbekommen hätte, was für eine Bewandtnis es mit diesem jungen, zur Weihnachtszeit heimatlos umherirrenden, reichen Ehepaar hätte, und ihrem seltsamen Begleiter mit goldenem Ohrring und recht schmutzigem Sweater (zum Waschen war Karla doch nicht gekommen), diesem Begleiter, der uns Chef und Chefin nannte, von uns aber wild durcheinander ›August‹ – ›Böök‹ – ›Herr Böök‹ – ›Onkel Böök‹ gerufen wurde ...

Wenn da also die gute Frau Friedemann freundlich, aber hartnäckig zu bohren anfing, so ergriff der ›Herr Böök‹ sein Weihnachtsgeschenk von uns, ein ungeheures weiß und silbernes Akkordeon mit ich weiß nicht wieviel Tasten, Zügen und Bässen – und spielte und sang ein Lied. Beileibe nicht nur Weihnachtslieder, sondern Lieder der Matrosen, aus allen Häfen, in vielen Sprachen. Da verlor die Frau Kantor immer wieder die Spur, denn sie mußte protestieren gegen ›solche‹ Lieder am Heiligen Abend. Der Herr Kantor aber fing an zu schreien, jedes Lied sei recht, wenn der Mensch sich nur freue, und ob der Herr Böök nicht ein Lied wisse, wie es die Japaner sängen oder die Leute von Tahiti oder doch wenigstens etwas Spanisches!

Über alledem wurde es nur zu rasch Zeit zum Abendessen, denn der Kantor mußte ja noch in die Kirche zum Orgelspielen, und daß wir da alle mitgingen, war ausgemacht. Wir saßen denn auch alle nebeneinander auf der dunklen, harten Bank, oben sang die Orgel, und die Mücke sah mit immer größeren Augen in all die vielen Lichtlein, denn jeder Kirchenbesucher hatte sich eines mitgebracht und vor sich festgeklebt. Ich hörte wieder die Worte des Weihnachtsevangeliums, das auch ich als Junge unter dem Tannenbaum hatte sprechen müssen.

Ich hielt die Hand der Karla, der neue, ungewohnte Topasring erinnerte mich an den wunderlichen Weg, den der Sohn des ewig Not leidenden Fuhrmanns bis hierher in die Langleider Dorfkirche gegangen war, und so fremd mir in den langen Jahren der Gottesdienst mit seinen Einrichtungen auch geworden war – so gläubig erhoffte ich doch meinen Frieden auf Erden.

*

 


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