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29. Kapitel

Ich bin hart – Ein Hymnus auf das Geld, gesungen von Herrn Justizrat Steppe – Ich werde weich

 

So kurze Zeit unsere Unterredung mit Herrn Fiete auch nur gedauert hatte, Frau Friedemann hatte es fertiggebracht, den Gänsebraten aufzuwärmen und frische Kartoffeln zu kochen. Dazu war sie, uns zur Ehre, zum erstenmal in diesem Jahre an ihren Rumtopf gegangen, eine Erfindung ihrer hannöverschen Heimat, durch die das Obst aller Jahreszeiten in wohl erwogenem Potpourri mit gutem zweiundsiebzigprozentigen englischen Rum und Zucker zu einem herzhaften Kompott emporgeläutert wird. Der Herr Kantor aber hatte mir neben mein Gedeck die allerletzte Zigarre seines dankbaren Lateinschülers gelegt!

Ja, wir sollten nach Herzenslust verwöhnt werden! Die alten Leute waren so glücklich, daß die jungen Herrschaften den Weg in ihr Haus gefunden hatten, und dazu waren sie unendlich neugierig auf das Warum und Wieso. Denn völlig unbegreiflich mußte ihnen unser Inkognito erscheinen, das Wohnen im einfachen Kantorenhaus, da ein Schloß (jetzt erfuhren wir es genau!) mit dreiundvierzig Zimmern nur vier Kilometer entfernt für uns bereit stand! Am allerunbegreiflichsten aber erschien ihnen der zerschmetterte Herr Fiete, der Paletot und Hut in den Händen von Frau Friedemann gelassen und frierend in die Winterwelt hinausgefahren war!

Wir spürten die herzlich gute Meinung der Alten und erklärten alles, so gut wir es zu erklären vermochten und soweit unser Hunger uns Zeit ließ. Aber je mehr wir erklärten, um so verwirrter und ratloser wurden die Gesichter der beiden alten Leute. Sie verstanden es einfach nicht! Sie verstanden nicht, daß die Menschen so schlecht und die Welt so habgierig sein sollte und daß würdige, beamtete Männer sich arglistig um uns junge Leute stritten, als seien wir die von zwei Freiern begehrte Braut!

Sie verstanden kein Wort, und sie wollten auch kein Wort verstehen. Wir mußten uns irren, wir waren jung und unerfahren, so war die Welt nicht! Sie, die Kantorsleute in Langleide, hatten ein ganzes Leben lang von vierzehnhundertvierzig Mark Jahresgehalt, die freie Wohnung, den Garten, das Brennholz und die Orgelzulage nicht gerechnet, gelebt, und sie hatten nie einen Pfennig mehr begehrt!

Der alte Kantor Friedemann sagte schließlich nachdenklich: Wenn man das so hört, möchte man meinen, man muß gar nicht in fremde Länder fahren, um Abenteuer und Gefahren zu erleben. Aber Sie irren sich, Herr Schreyvogel, Sie irren sich bestimmt. Es ist nur die erste Aufregung bei Ihnen. Sitzen Sie erst einmal ruhig auf Ihrem schönen Gut Gaugarten, und Sie werden sehen, wie glatt und fröhlich das Leben für Sie hinfließt!

Wir wünschten das ja auch von Herzen, aber jetzt waren wir versessen darauf, die guten Alten mit unserem Pessimismus anzustecken, und so brachten wir immer neue Beispiele ...

Wir hatten mit unserem brüllenden Hunger und unserer nicht abreißenden Unterhaltung schon eine ganze Weile bei Tisch gesessen, aber sicher nicht viel länger als eine halbe Stunde – da hupte schon wieder ein Auto vor der Tür!

O Gott! rief Karla verzweifelt. Wollen die uns denn nie in Frieden lassen? Wer ist denn das schon wieder –?!

Wir stürzten alle ans Fenster – ich mit einem Gänseflunk, an dem ich gerade geknabbert hatte, in der Hand – und sahen wieder das Radebuscher Lohnauto, dem aber jetzt nicht allein der Fiete entstieg, sondern er half dem alten Justizrat Steppe aus dem Wagen!

Wie ist das denn möglich? rief Karla verblüfft. Nach Radebusch ist es doch auch mit dem Auto mindestens zwei Stunden Weg.

Der alte Fuchs! rief ich. Erst hat er seinen Fiete vorgeschickt und hat hier im Krug oder im nächsten Dorf auf der Lauer gesessen. Und da Fiete nichts erreicht hat, kommt er nun selbst ...

Ich riß das Fenster auf, ich schwenkte den Gänseflunk, ich rief zornig: Es ist zwecklos, Herr Justizrat. Die Vorschläge sind angenommen –!

Oh, nicht doch, Herr Schreyvogel! bat Frau Kantor an meiner Schulter. Der gute alte Herr!

Der gute alte, so gebrechlich aussehende Herr aber straffte sich bei meinem Anruf und rief fast fröhlich: Einen Augenblick, mein junger Freund! Eine Minute Ihrer kostbaren Zeit werden Sie einem alten Mann doch gewähren, der seinen ganzen Feiertag für Sie geopfert hat –!

Damit verschwand er, ohne meine Antwort abzuwarten, im Haus. Und kam so schnell in die Stube zu uns, daß er wahrhaftig vom ersten Anfang an einen Vorteil über mich errang. Denn ich sollte ihm die Hand schütteln und hielt doch noch immer meinen Gänsefittich und wurde verlegen, er aber gar nicht ... Sondern der alte Fuchs reichte mir auf die liebenswürdigste Weise einen Teller, und die ahnungslose, aber gute Frau Kantor gab mir eine Serviette, und so mußte ich mich vor aller Augen von Flunk und Fett befreien, ehe ich ihm die Hand schütteln konnte, und war natürlich schrecklich verlegen!

Der Herr Justizrat sah es, alle sahen es, und das machte mich nur um so ärgerlicher.

Es hat gar keinen Zweck, sagte ich darum wütend. Ich habe angenommen, und wenn es falsch war, so hilft doch alle Rederei nichts mehr. Angenommen ist angenommen!

Nun, nun, lächelte der Justizrat und strich sich behaglich seine Händchen. So was müssen Sie einem alten Juristen nicht sagen. Bei uns Juristen ist angenommen noch lange nicht angenommen. Es gibt vielerlei Wege, man muß das eben einmal besprechen ...

Aber ich will nicht mehr darüber sprechen! schrie ich fast und tat zorniger, als ich war. Denn schon hatte mich die Angst erfaßt, er könnte mich wieder beschwatzen und ich müßte zurück in den Hutapschen Palast und in die Vormundschaft. Ich habe die Sache über! Sie ist erledigt für mich! Ich will nicht ewig auf dem Pott sitzen –

Maxe, sagte Karla tadelnd.

Aber es ist doch so! schrie ich, doch schon schwächer. Ewig heißt es: nur noch drei Wochen – jetzt nur noch eine Woche. Schließlich werden wir goldener Ehrengast bei Hutap ...

Nein, nein, sagte Steppe beruhigend. Dies nun doch nicht. Ich sehe nicht die geringste Notwendigkeit mehr, daß Sie noch weiter in Radebusch wohnen. Durch Herrn Neumanns Beinbruch regelt sich alles leichter.

Aber ich habe doch angenommen, Herr Justizrat! flehte ich fast. (Also sollte doch alles wieder von vorne anfangen.)

Lieber, verehrter Herr Schreyvogel! Nur noch eine Frage, eine einzige! Wann haben Sie Ihren Brief eingesteckt?

Gestern morgen.

Gestern morgen, so so. Und nun noch eines: Wo haben Sie ihn eingesteckt, oder war es ein Einschreibebrief?

In den Briefkasten am Bahnhof. Nein, es war kein Einschreibebrief.

So hat der Brief nichts zu bedeuten. Justizrat Steppe lächelte sehr zufrieden. Gestern, am vierundzwanzigsten, hat das Steueramt um ein Uhr Schluß gemacht. Der Brief ist erst mit der Nachmittagspost gekommen, er liegt dort noch uneröffnet. Ganz ausgezeichnet!

Und er streichelte liebevoll seine Hände.

Aber darum ist er doch dort! rief ich. Darum habe ich doch angenommen, ob er nun heute oder übermorgen aufgemacht wird!

Er wird nicht aufgemacht werden! sagte der Justizrat. Wir fordern ihn uns zurück. Sie geben mir jetzt eine kleine Bescheinigung, daß mein Bürovorsteher Fiete berechtigt ist, Ihren Brief zurückzufordern ...

Ich denke nicht daran, ich gebe Ihnen keine Bescheinigung! sagte ich zornig.

Eine recht peinliche Stille entstand. Sicher war ich zu grob mit dem alten Herrn, er gab sich wirklich jede erdenkliche Mühe. Aber gab er sie sich für mich –? Ich war so mißtrauisch geworden, das böse Wort des Nachbars Kanten von der im juristischen Stall eingesperrten Festgans hallte noch in meinem Ohr.

Vorwurfsvoll sahen mich die guten Kantorsleute an.

Ich wollte gerade etwas Einlenkendes sagen, da meinte der Justizrat freundlich: Nun, ich sehe ein, ich darf Sie jetzt nicht zu sehr plagen. Ich kann es, denke ich, auch von mir aus erledigen. Ich habe ja Ihre Vollmacht ...

Dies sehr zur unrechten Zeit gesprochene Wort brachte mich neu in Wut. Aber Sie können diese Vollmacht doch nicht gegen mich benutzen, Herr Justizrat! rief ich. Ich habe Ihnen gesagt, die Sache ist erledigt! Also ist sie es!! Ich habe gesagt, meine Annahme bleibt auf dem Steueramt! Also bleibt sie dort!

Ich sah ihn empört an, meine starken Worte berauschten mich. So hatte ich noch nie in meinem Leben gesprochen.

Sie wollen dem Staat also mit aller Gewalt fünfzigtausend Mark schenken! rief Steppe vorwurfsvoll. Liebe, verehrte gnädige Frau, helfen Sie mir doch! Ich kann Ihnen fast fest versprechen, daß Sie mit zwei Wochen Geduld fünfzigtausend Mark Steuern einsparen!

Karla, sagte ich drohend und fühlte mich dabei doch immer schwächer werden, wenn du ein Wort für diesen Vorschlag sprichst –!

Aber Karla achtete nicht mehr auf mich. Herr Justizrat, sagte sie, können Sie uns hier vor Zeugen bindend versichern, daß wir wirklich mit zwei Wochen Geduld soviel Geld ersparen?

Bindend versichern? lächelte der Justizrat. Ich tue mein möglichstes. Die Chancen sind sehr günstig für Sie ...

Ich sagte bindend, beharrte Karla. Sie sollen hier erklären ...

Liebe junge Frau, sagte der Justizrat streng, so etwas gibt es nicht, derartige Erklärungen darf niemand von seinem Anwalt verlangen. Ich halte es Ihrer Unkenntnis zugute, es wäre ungehörig, wider die guten Sitten. Ich vertrete Sie nach bestem Wissen und Gewissen, ich sage Ihnen nach bestem Wissen und Gewissen, Sie werden fünfzigtausend Mark ersparen ...

Also nichts von bindender Verpflichtung, Karla, sagte ich bitter.

Wie kann ich das?! rief der Justizrat. Ich entscheide doch nicht! Vielleicht wird man noch an das Landessteueramt gehen müssen mit einem Einspruch ...

In zwei Wochen! rief ich höhnisch.

Nein, nicht in zwei Wochen, mein junger Freund, sondern vielleicht in einem Vierteljahr! Ich rede ganz offen mit Ihnen. Es ist Ihnen ein Glücksgeschenk wie kaum je einem in den Schoß gefallen, ohne daß Sie etwas dazu getan haben, ein glänzendes Vermögen, ein wunderbares Gut. Aber wenn Sie es festhalten wollen, so müssen Sie darum kämpfen. Sie dürfen nicht erwarten, daß Ihnen auch alles Weitere mühelos in den Schoß fällt. Geld, auch ererbtes, will erkämpft sein, und zwar jeden Tag neu! Sie denken jetzt, Sie haben das Warten über, es kommt Ihnen auf fünfzigtausend Mark nicht an! Aber diese fünfzigtausend sind nur ein Anfang. Überall lauern die Menschen: jeder möchte ein Stück von Ihrem Kuchen abbeißen, der fünf Mark und der fünfhundert. Und der fünfzigtausend! Sie müssen sich widersetzen, Sie dürfen den Kampf nicht scheuen – von Anfang an!

Der Justizrat redete eifrig wie noch nie. Seine kleinen faltigen Bäckchen hatten sich gerötet, er klopfte mit seinem Klemmer gegen einen Tellerrand den Takt zu seinen Worten.

Denken Sie an Ihren Onkel Eduard – wie schwer hatte der es! Er hat dieses Vermögen erwerben müssen, er mußte noch geizig, kleinlich, hinterhältig sein, Mark auf Mark hat er zusammengescharrt. Sie haben das alles nicht mehr nötig. Sie können großzügig sein. Wie ein Fürst können Sie leben, Sie brauchen nicht zu knickern. Nur verschwenden dürfen Sie nicht, nie dürfen Sie mehr ausgeben, als Sie einnehmen. Nie dürfen Sie Geld wegwerfen, wie Sie jetzt fünfzigtausend Mark wegwerfen wollen. Denn: wer das Geld verachtet, den verachtet es auch, den verläßt es, Herr Schreyvogel!

Der Justizrat sah mich durchbohrend an und klopfte noch einmal mit dem Klemmer.

Ich sah die kugligen Augen des Kantors Friedemann, sie traten vor Verwunderung über die fremde Welt, in der er so alltäglich gelebt hatte, fast aus den Höhlen. Frau Friedemann sah ergriffen vor sich hin, als höre sie in der Kirche eine schöne Predigt. Ich suchte den Blick Karlas, aber Karla stand am Fenster und sah in die Dunkelheit hinaus, in die dieser erste Weihnachtsfeiertag versank.

Das Geld, fing Herr Justizrat Steppe noch einmal an und sprach dies Wort fast ehrfurchtsvoll, das Geld ist etwas ganz Unfaßliches, fast Heiliges. Sie denken jetzt, Sie haben übergenug davon, aber was die Verhandlungen auch ergeben, Sie werden alle Jahre die Zinsen einer hohen Hypothek zu zahlen haben, Sie müssen einen großen Hausstand führen; wenn man Schloßherr auf Gaugarten ist, kann man sich nicht einschränken ...

Onkel Eduard ...

Sie werden doch nicht leben wollen wie Ihr Onkel Eduard? Sehen Sie, lieber Herr Schreyvogel, Sie kommen aus kleinen Verhältnissen – glauben Sie, Sie könnten dorthin wieder zurück? Sie würden todunglücklich sein! Seien Sie doch lieber glücklich mit dem Geld! Das Geld gibt Ihnen alles – wenn Sie seinen Gesetzen folgen. Und das oberste Gesetz ist, es nicht zu verachten! Haben Sie noch einmal Geduld!

Ich muß gestehen, er bekam mich weich. Er hatte etwas so Überzeugendes – für einen jungen, törichten Menschen wie mich. Und schließlich lebte ich in einer Welt und einer Zeit, wo alles sich um Geld zu drehen, alle das Geld anzubeten schienen.

Milder sagte der Justizrat: Für wen rede ich denn schließlich? Doch nur für Sie! Ich weiß, lieber Herr Schreyvogel, es wird gute Freunde gegeben haben, die haben Ihnen einen Floh ins Ohr gesetzt: der Steppe will nur Gebühren schlucken, der verschleppt die Sache. Natürlich muß ich meine Gebühren haben, es wäre wider meine Ehre, umsonst zu arbeiten, aber verschleppen –? Ich mache Ihnen einen Vorschlag: diese neue Etappe unseres Kampfes soll Sie keinen Pfennig kosten, wenn er erfolglos ist! Da, sehen Sie, mein lieber Herr Schreyvogel, ist das ein Vorschlag oder ist das keiner?!

Er sah mich triumphierend an, dieser alte Fuchs, er hatte mich wieder in seinen Fängen! Ich war immer noch wütend auf ihn, immer noch wollte ich lieber nein als ja sagen. Aber ich wußte keinen vernünftigen Grund mehr für ein Nein! Es hätte ja wie kindischer Trotz ausgesehen –!

Na, Karla? sagte ich schwach.

Karla drehte sich um vom Fenster, aus dem sie bisher gesehen hatte. Auch sie würde keinen vernünftigen Gegengrund wissen als eben nur den einen, daß wir nicht wollten ...

Sie wußte doch einen!

Jetzt kommt Herr Kalübbe, sagte sie.

Ich mußte mich sehr irren, aber mir war ganz so, als hätte Herr Justizrat Steppe mit den Zähnen geknirscht.

*

 


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