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59. Kapitel

Ich werde Gärtner und Putzfrau, empfange zwei Besuche und laufe um eine Hebamme in die Welt

 

Du machst dir aber ein ganz falsches Bild von deinem Ahn Schreyvogel, liebe Nachkommenschaft, wenn du glaubst, diese Erkenntnisse seien mir bloß so beim Hin- und Herlaufen zwischen meiner Stube und dem Kleibackeschen Garten gewachsen. Nein, jetzt sind wir gottlob über den Berg, das Allerschlimmste ist überstanden. Dem allmählich solche Erkenntnisse zuwuchsen, der war schon ein, wenn auch in bescheidenem Maße, wieder tätiger Mann. Und zwar nicht mit Patiencelegen, Mühlespielen und Bücherlesen tätig – dieser von Fitz herbeigeschaffte Zeitvertreib blieb ganz ungenützt –, sondern ich tat wirklich etwas, sei es nun, daß ich der Hanne das Holzhacken für ihren kleinen Küchenherd abnahm oder daß ich den Kleibackeschen Garten in Ordnung brachte.

In dem sah es ziemlich wüst aus. Kleibacke hatte wohl noch gesät, gesteckt und gepflanzt, aber seitdem war nichts mehr daran geschehen. Hanne war ja auch nicht mehr in der Verfassung, lange auf den Knien herumzurutschen. Als ich aber erst entdeckt hatte, daß unter diesem Stelldichein sämtlicher Gartenunkräuter reihenweise Mohrrüben wuchsen, daß Zwiebeln nur nach ein bißchen Licht und Radieschen nach Platz verlangten, da machte ich mich an Jäten und Hacken, Verziehen und Raupenablesen.

Es war wirklich, als ginge ein belebender Hauch vom Gepoch der Spitzhacken und Klingklang der Maurerhämmer aus, das nun deutlich vom Dorf zu hören war. Als ich die Beete sauber hatte, machte ich mich an die Wege. Wenn Karla ein Mustergut schaffen konnte, wollte ich es doch wenigstens zu einem Mustergärtchen bringen! Jeder nach seinen Kräften, dachte ich mit grimmiger Resignation. Es war ungewohnte Arbeit, die Hände entzündeten sich, das Kreuz fühlte ich, wie die Redensart geht, nicht mehr, was heißt, daß man es verdammt fühlt, und die Knie waren durchgerutscht.

Aber wie gut läßt es sich schlafen nach solcher Arbeit, wie hält sie liederliche Gedanken fern, wie förderlich ist sie besinnlicher Einkehr! Wenn man in einem Garten arbeitet, kann man seinen Gedanken nicht fortlaufen, man muß es schon aushalten mit ihnen – und wie langsam auf den Beeten Ordnung wurde, zog auch Ordnung ein in Hirn und Herz. Das Unkraut wurde gejätet, draußen wie drinnen.

Ich muß schon ziemlich weit gewesen sein mit dieser Jäterei, als ich den ersten Besuch in meiner Verbannung bekam. Anders kann ich mir nicht erklären, daß er so wenig Eindruck auf mich machte. Ich lag auf den Knien und jätete, meine Hände waren mit Erde beschmutzt, und die Haare hingen mir ins Gesicht; die Hosen, die ich anhatte, waren ohne Bügelfalte, dafür aber dreckig. Doch das Hemd, mein zweites Bekleidungsstück, war frisch angezogen und wirklich noch weiß. Trotzdem sah ich so unmillionärhaft wie nur möglich aus, als Hanne mir ohne weitere Umstände den Besuch zuführte.

Ich stand auch nicht auf, sondern blieb auf meinen Knien, als ich sah, wer es war, nämlich der Reitknecht Franz aus Escheshof. Wirklich, ich muß damals schon ziemlich weit gewesen sein in der Jäterei. Mein Herz klopfte nicht schneller, und ich empfand auch keine Beklemmungen beim Anblick dieses Herrn, dessen Nachfolge in der Torheit ich so erfolgreich angetreten hatte.

Guten Tag, Herr Schreyvogel, sagte er und sah mich zweifelnd an. Ich soll Ihnen dies bringen. Der Franz trug Reitdreß, aus seiner Jockeimütze zog er den bläulichen Brief.

Ich aber konnte ihn nicht ohne weiteres nehmen, meine Hände waren erdig. Suchend sah ich mich um – in einem Schritt Abstand von Franz stand Hanne und beobachtete stumm die kleine Szene.

Bitte, Hanne, sagte ich. Kann ich meine Hände an Ihrer Schürze abwischen?

Die Reinigung war nur unvollkommen, aber sie mußte genügen. Keinesfalls wollte ich Waschens halber ins Haus gehen und meine Arbeit unterbrechen. Ich hatte mir vorgenommen, dies Spinatbeet war bis Mittag sauber, und so wurde es auch sauber.

Der Brief, der kein Brief war, hätte einen größeren Zeitaufwand auch nicht gerechtfertigt. Er lautete nur: Heute um fünf am Heckenhaus. Unbedingt kommen! – Daß ›Unbedingt‹ unterstrichen war, ist selbstverständlich.

Ich fühlte Hannes wie Franzens Augen auf mir, ich steckte den Brief in die Tasche. Es ist gut, sagte ich und kniete mich wieder hinein in meine Jäterei. Sagen Sie bitte, es täte mir leid, aber ich wäre beschäftigt ...

Wieder sahen mich beide an, dann sagte Franz mit einem leichten Neigen des Kopfes, aber sehr höflich: Danke schön, Herr Schreyvogel. Guten Tag, Herr Schreyvogel.

Und er ging, gefolgt von Hanne.

Ich sah ihm nach. Du armes Luder, dachte ich. Dich hat es schlimmer gepackt als mich. Das glaube ich dir schon, daß du mir für meinen Korb an deine Herrin dankst, aber ich fürchte, dieser eine Korb macht dein Herz auch nicht ruhig. Also hat sie dich noch immer nicht entlassen! Warum auch –? Zum Quälen bist du gut genug, und Quälen ist auch ein Zeitvertreib, wenn man gar nichts anderes vorhat ...

Im übrigen empfand ich selbst ein leichtes Gefühl von Überraschung, wie selbstverständlich mir das Nein gewesen war. Nicht die Furcht vor einer etwas stürmischen Auseinandersetzung hatte mich bestimmt, sondern das Fehlen allen Interesses an diesen so lange vergangenen Dingen.

So lange vergangen! Rechnete ich nach Zeit, so war es gewiß nicht viel, aber man kann diese Dinge nicht nach Zeit rechnen. Wie es einem Genesenden ganz unwahrscheinlich dünkt, daß er noch eine Woche vorher in den Nächten geschrien und um einen Schluck Wasser gebettelt, gefleht, gejammert hat, so erschien mir jetzt alles, was ich mit Leonore von Kanten erlebt hatte, ganz unwahrscheinlich, krankhaft.

Immer, wenn ich an jene Tage dachte, mußte ich an Krankheit denken. Von jener ersten, hinter einem Holzstoß hervor belauschten Szene zwischen ihr und dem Franz bis zu jenem unwürdig betrunkenen Abend mit dem Brillantring hatte alles etwas Krankes, besaß das Deutliche und doch Unwahrscheinliche von Fieberträumen.

Im übrigen dachte ich bei meiner Jäterei bald wieder an anderes. Dies war zu Ende, und weil es völlig zu Ende war, hatte ich ganz selbstverständlich nein gesagt. Wahrhaftig, ich zerbrach mir nicht den Kopf über die Folgen meines Nein. Ich bildete mir ein, mit dieser Absage sei auch für Fräulein von Kanten alles erledigt, womit ich nur bewies, daß ich immer noch ein sehr unbedachtsamer junger Mann war und keine Ahnung von den Kantens hatte. –

Der Garten war zu klein, als daß sein Unkraut an einem Ende schon wieder gewachsen wäre, wenn ich am anderen fertig wurde. Ich mußte mich nach einer anderen Arbeit umsehen. Noch immer scheute ich mich, das Haus zu verlassen und den Menschen unter die Augen zu treten. Aber eben dieses Haus war ja in einem höchst beklagenswerten Zustand seit dem Kleibackeschen Auszug ...

Trotz aller Proteste Hannes machte ich mich also an das Säubern des Hauses. Ich wurde von einem wahren Scheuerteufel ergriffen, wie denn überhaupt in dieser meiner Genesungszeit mir das Reinmachen, Säubern, Ordnen eine tiefe innere Befriedigung gewährte. Nicht ohne Kenntnisse ging ich an mein Werk. Wir hatten unseren früheren Haushalt auf so kleinem Fuße geführt, daß mir weder Schruppen, noch Bohnern, noch Putzen von Fensterscheiben verschlossene Geheimnisse waren. Ich ging mit Feuereifer daran, den Kleibackeschen Schmutz zu beseitigen, und als ich eben den Dachboden aus- und aufräumte und dabei durch ein oberstes Fenster zum Dorf sah und die nun schon hoch emporsteigenden neuen Mauern und das weiße Gebälk der Dachstühle erblickte, und als ich den fröhlichen Arbeitslärm mit seinem Gehämmer und Gepoch und Klingklang hörte, da verdoppelte sich mein Eifer. Ich pfiff und sang vor mich hin, kehrte mit wahrer Lust die Spinnweben ab und fühlte mich überhaupt so glücklich wie seit langem nicht.

Bei dieser Arbeit überraschte mich mein zweiter Besuch, und der war ein wenig angenehmer als der erste!

Ich habe die Hanne nie recht nach Karla fragen mögen, aber das habe ich mir wohl gedacht, daß Karla sich von Hanne Bericht über mich machen ließ. Als ich nun Trappeln von Kinderfüßen auf der Bodentreppe hörte und Mücke und Isi über den Dachboden gelaufen kamen, mich zu besuchen, da erfüllte nicht nur Freude mein Herz, daß ich endlich mein Kind wiedersah. Sondern ich war auch glücklich, weil ich aus diesem Besuch erkannte, Karla war mit den Berichten über mich zufrieden gewesen. Ein ganz klein bißchen war ich wieder in Gnaden aufgenommen!

Da es Kinder waren, so hatte der Besuch beim verbannten Vater nichts Peinliches. Sie stellten keine Fragen, sondern sie fanden es großartig, daß ich da in einer alten Schürze Hannes auf dem Boden wirtschaftete, und es war ganz unmöglich, sie von dort in mein Zimmer oder in den Garten zu locken. Dieser Dachboden war wunderbar und geheimnisvoll für sie. Es traf sich gut, daß ich mit meinem Ordnen noch nicht in die dunkelsten Ecken vorgedrungen war. Wir zogen hervor, was sich noch aus den Zeiten vor Kleibacke angesammelt hatte: Astrallampen und abgeschlagene Waschschüsseln, Gewichte, Bilder, zerbrochene Tischchen, leere Kisten und einen großen, uralten Holzkoffer ...

Mit dem Koffer taten wir sehr geheimnisvoll. Wir konnten uns nicht entschließen, ihn gleich zu öffnen – wer konnte denn wissen, was alles in solch einem alten, vergessenen Koffer lag! Das Mückchen riet auf eine Puppe, eine Puppe so groß wie sie selbst. Ich war, unverbesserlich, für einen Schatz mit Gold und Edelsteinen wie in Aladins Wunderhöhle. Isi, als die Praktischste von uns dreien, meinte, es seien wohl alte Kleider darin, und vielleicht sogar noch gute.

Wir hatten aber alle drei falsch geraten, sondern es war in dem Koffer, als wir ihn öffneten, nichts als Papier, und zwar Papier, das die Mäuse in manchem Jahrzehnt zu kleinsten Schnitzelchen zerfressen hatten. Enttäuscht waren wir aber darum doch nicht, sondern wir veranstalteten mit diesen Papierschnitzeln mitten im Sommer und auf einem Dachboden die schönste Schneeballschlacht!

Wie wir hinterher aussahen, und was die gnädige Frau von solchem Aussehen denken würde, das sagte uns Hanne recht deutlich. Aber ihr Schelten machte uns wenig Kummer, und daß Karla nicht böse geworden war, bewies das regelmäßige Kommen der Kinder von nun an.

Ja, sie kamen nun zwei- und dreimal wöchentlich, und wenn sie einmal nicht kamen, so lag es nur daran, daß sie eben Kinder waren. Sie wußten oft Besseres zu tun, als beim Vater im engen Pförtnerhaus zu sitzen, da ihnen doch die ganze Welt offenstand! Ich war aber schon so weit vernünftig geworden, daß mich dieses Ausbleiben und Etwas-Besseres-Vorhaben nicht kränkten.

Zudem bekam ich in dieser Zeit noch eine neue Tätigkeit.

An einem Abend nämlich, es war schon nach zehn Uhr und ich war gerade beim Ausziehen, meinte ich, von unten ein schwaches Rufen zu hören. Ich lief hinunter, und hier fand ich Hanne, deren Stunde gekommen war, ohne jede Hilfe und Beistand. Wir berieten, geheimnisvoll flüsternd, miteinander, was am besten zu tun sei. Denn die Hanne wollte durchaus nicht, daß ›die im Schloß‹ etwas erführen, und Administrator Kalübbe sollte auch erst benachrichtigt werden, wenn alles erledigt und in Ordnung sei. Die Hebamme aber, die in Langleide wohnte, mußte geholt und die älteste Schwester der Hanne gerufen werden.

Ich dachte bei dieser Beratung sehr an Karla, deren Stunde auch nicht mehr fern sein konnte, und überlegte, wer all diese Gänge wohl für sie tun würde. Ich verstand die Hanne gut, daß sie für solche Botschaften nicht den Fitz oder eins von den neunmalklugen Schloßmädchen haben wollte, die sich immer hoch erhaben über die Dorfmädchen, und nun noch dazu über ein in Unglück geratenes, dünkten.

So sagte ich denn: Wissen Sie was, Hanne, ich laufe schnell zu Ihren Eltern und schicke Ihnen Ihre Schwester. Und dann borge ich mir ein Rad und fahre wie der Blitz nach Langleide – in einer Dreiviertelstunde haben Sie die Hebamme hier!

Aber, Herr Schreyvogel! sagte die Hanne vorwurfsvoll, das geht doch nicht! Sie sind seit Wochen nicht mehr aus dem Haus gekommen, und jetzt wollen Sie für mich ins Dorf laufen und sogar nach Langleide radeln – was sollen denn die Leute sagen?!

Das ist mir ganz egal, Hanne! rief ich eifrig. Und übrigens ist jetzt Nacht, und einmal muß ich doch wieder anfangen, aus dem Hause zu gehen ... In zehn Minuten ist Ihre Schwester hier!

Damit war ich auch schon aus Tür und Pförtnerhaus – und schon lief ich durch die dunkle, große, freie Welt – aus meiner selbst auferlegten Gefangenschaft hinaus!

*

 


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