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40. Kapitel

August Böök als Zankapfel in der Ehe – Max, der Schmoller, und Max, der Beifahrer – August findet eine Beschäftigung für mich

 

Saß ich nur lange genug auf der Steinbank bei Karla und Frau Kalübbe, vor mir die beiden spielenden Kinder, so kam bestimmt noch der dritte Getreue, der sehr Getreue, über den Rasen geschlendert und erkundigte sich, ob die Chefin eine Ausfahrt zu machen gedenke.

In meinem Hofstaat mit seinen glatten, höflichen Bedientengesichtern wirkte August Böök noch immer wie ein fremdartiger, nicht dazugehöriger Vogel. Wie kein Spott und kein gutes Zureden ihn hatte bewegen können, von seinen weiten Matrosenhosen, den wolligen Jumpern, dem Goldring im Ohr Abschied zu nehmen, so war sein dunkles, faltiges Gesicht kein bißchen gefälliger geworden. Er schaukelte mit seinem wiegenden Gang langsam-liederlich über den Rasen, womöglich noch eine Zigarette im Mundwinkel, und stand und redete, als sei er nicht Karlas Chauffeur, sondern ein Herr, dem es eben eingefallen war, die Dame zu einer Ausfahrt einzuladen.

Karla fand nichts dabei. Völlig von gleich zu gleich beredete sie mit ihm Ziel und Wetter, Befinden des Motors und Zustand der Straßen, was alles sehr genau geprüft werden mußte, denn viel Schaukelei machte Karla jetzt immer übel. Ihr gefiel der August genau so, wie er war, ja, er gefiel ihr wohl noch tausendmal besser, weil er sich so gar nicht änderte. Immer wieder erinnerte er sie an unsere sogenannten guten Zeiten in der Mansarde, Zeiten, an die ich je länger, je weniger gern zurückdachte.

Meine Sympathien für August waren rasch dahingeschwunden, und das wußte er auch. Nur kümmerte es ihn nicht im geringsten. Wenn ich ihm Vorhaltungen machte, daß ein Chauffeur im weißen Sweater uns vor der ganzen Gegend blamiere, sah er mich mit seinen dunklen Augen ernsthaft an und antwortete: Der Chefin ist's schon recht, Chef!

Wenn ich ihn zwischen den anderen Bedienten sah, zwischen den Stallburschen, Kutschern, Hausmädchen, Dienern, und er hielt sich so fremd zwischen ihnen, redete kaum je ein Wort und gab sich nie die geringste Mühe, in meiner Gegenwart wie die andern Arbeitseifer zu heucheln, ja, brachte es fertig, sich mitten beim Wagenwaschen eine Zigarette anzubrennen und auf das Trittbrett zu setzen, nichts tuend, und ich hielt ihm sein böses Beispiel vor, so antwortete er nur: Hier sind keine guten Sitten, die verdorben werden könnten, Chef!

Wenn ich einmal auf Besorgungen mit ihm in der Stadt war und ging wirklich einmal schnell an eine Theke, so erschien er nach fünf Minuten im Lokal, stellte sich zu mir, betrachtete mein Glas Wermuth und sprach: Ist Fahrenszeit, Chef!

August Böök war ein ganz ausgezeichneter Fahrer geworden, das hatte sogar sein Kollege, der ihm den Platz räumte, widerwillig zugegeben. Der muß schon in der Wiege ein Autosteuer in der Hand gehabt haben, hatte er brummig gesagt, als er ging. Wenn der hier ist, werde ich nicht gebraucht.

Aber dieses schöne Fahrtalent konnte mich nicht mit Augusts Schwächen aussöhnen. Mir war er oft fast unheimlich, wie er, immer schweigsam, alles mit seinen dunklen Augen ansehend, zwischen uns umherging. Ich war überzeugt, er sah und wußte mehr als alle anderen – auch über mich. Seine hemmungslose Redelust, die ihn in der Stube der Oma Böök besessen hatte, hatte er gänzlich abgelegt, aber ich nahm für sicher an, daß er mit Karla allein genau so sprach wie früher.

Nein, von Sympathien für August Böök konnte bei mir nicht mehr die Rede sein. Wenn er so lässig vor Karla stand und sagte: Wie Sie's haben wollen, wird's gemacht, Chefin. Bloß von ans Wasser fahren kann nicht die Rede sein, da erkälten Sie sich bloß wieder. Und die Mücke lassen wir auch zu Haus bei ihrer Isi, die klettert bloß die ganze Fahrt auf Ihnen herum. Also sagen Sie, wie Sie's haben wollen –

Wenn der August also so selbstherrlich daherschwätzte, so gab es bei mir nicht nur keine Sympathie, sondern eine kräftige Abneigung, und am liebsten hätte ich gesagt: Nehmen Sie die Zigarette aus dem Mund und scheren Sie sich, Böök.

Aber ich ließ es bleiben, einmal wegen des geheimen Wissens vieler Dinge, das ich bei August voraussetzte, zum andern, weil ich nur zu gut wußte, daß Karla nie in eine Trennung von ihrem August eingewilligt hätte. So antwortete ich nur meistens, wenn ich gefragt wurde, ob ich nicht von der Partie sein wollte: Nein, danke! Stand von meiner Steinbank auf und ging tiefer in den Park.

Da haderte ich denn, aber ich haderte nicht mit mir und auch nicht mit August Böök, sondern ich haderte mit Karla, weil sie nämlich in diesem verdammten Gaugarten Freunde und Getreue hatte, ich aber nicht. Meinen freundlosen Zustand warf ich ihr vor und verlangte, daß sie ebenso freundlos leben solle wie ich, denn sie gehöre zu mir wie ich zu ihr, und wenn ich keine Freunde habe, müßten sie ihr auch fehlen.

So erfüllte sich hierin das Wort meines Onkels Eduard, daß mir mein Weib weggenommen wurde, das meiste aber tat ich dazu.

Wenn ich aber eine Weile so gehadert hatte und meinte, es sei nun die richtige Zeit, so ging ich in das Schloß und sah vom Turmfenster auf den Fuhrhof. Da sah ich sie dann einsteigen in den großen, starken, schönen Wagen, und sie lachten dabei. Die Mücke fuhr natürlich doch mit, obwohl ihre Kletterei der Karla wirklich schädlich war, und Frau Kalübbe auch, obwohl ihr Mann in einer Stunde sein Essen haben mußte.

Sah ich dann aber noch, daß die Karla lachend etwas zum August Böök sagte und mit einem Schlage verwandelte sich sein dunkles Gesicht und leuchtete auf, wie von innen heraus, so fühlte ich etwas in meinem Herzen wie eine schmerzhafte Schwäche. Ich stand am Fenster, die Fäuste geballt, und sagte zu mir: Sieh doch weg – wer soll denn das ansehen?

Und sah doch nicht weg, sondern starrte weiter, mit einer gewissen selbstzerstörerischen Gier, bis das Auto mit anhaltendem triumphierendem Hupen den Hof verlassen hatte.

Dann ging auch ich. Ich strich in meiner trostlosen, peinigenden Stimmung durch Schloß, Gärtnereien, Ställe, Hof, bis ich jemanden fand, den ich verschlingen konnte in meinem Zorn. Meistens fand ich auch einen und wütete dann und war dabei so unglücklich, daß ich am liebsten geheult hätte.

Manchmal aber kam es auch anders, manchmal fragte mich Karla ernst, was ich denn mit dem August habe, und ich erwiderte: Nichts!

Warum gibst du ihm denn nie ein gutes Wort und siehst ihn immer so bitterböse an?

Ich habe aber wirklich nichts gegen ihn, Karla.

Warum fährst du denn nie mehr mit uns, Max?

Ich bin erst letzte Woche mit euch gefahren.

Fährst du heute mit?

Wenn du meinst, Karla.

Natürlich meine ich! Oder hast du was gegen August?

Nichts habe ich, ich habe es dir doch schon gesagt!

So fuhr ich wieder einmal mit, und manchmal gefiel es mir sehr. Es erwies sich, daß es mir gut tat, nicht allein herumzusitzen, sondern unter Menschen zu sein, Dörfer, Städte und Landschaften zu sehen, auf Türme zu klettern, im Wasser zu waten und ländliche Gasthöfe zu besuchen, wo eine hohe Stange frisches blondes Bier getrunken wurde!

Ich taute auf und wurde lebendig. Die Mücke lief immer wieder zu mir; die Isi sah den verstimmten Schloßherrn staunend an, denn der war verschwunden, und ich brauchte gar nicht in Karlas heller leuchtende Augen zu sehen, um zu wissen: der alte Max ist wieder da.

Da schlug ich dem August auf die Schulter, da fragte ich glücklich das alte, gläubige, ›Weißt du noch?‹, da schaukelte ich in der russischen Schaukel höher und höher und erwarb mir für bloß einen Groschen Einsatz den schönen Kinderglauben, ich könne vielleicht doch noch nach den Sternen greifen ... Da saß ich auf der Heimfahrt nicht neben August, sondern bei Karla, und ich fühlte, wie sie sich fest an mich lehnte – und dies war ein so gutes Gefühl!

Verdämmernder Sommertag, noch einmal rauscht der Wind, das Spiel der Blätter rührend, in den Bäumen auf. Die Sonnenscheibe berührt mit ihrem Rand den Horizont, hält einen Augenblick inne, um dann rascher zu sinken – auf allen Wegen ziehen die bunten Kopftücher der Frauen, schaukeln die matt glänzenden Sensen der Männer heimwärts nun wird es Nacht! –

Aber nur selten kam die glückliche Stunde, daß ich die Schale der Mißlaunigkeit und üblen Herrengewohnheiten durchstieß. Meistens saß ich verärgert, zu solcher Fahrt genötigt worden zu sein, neben August, sah starr auf den Weg, achtete auf jeden seiner Griffe und wußte alles besser. Ich war der unerträglichste Beifahrer, der je in einem Auto gesessen hat; aus lauter Langerweile hatte ich alle Autozeitschriften gelesen, die ins Haus kamen. Im Grunde verstand ich gar nichts, aber ich war nun einmal der Besitzer des Autos und August bloß mein Chauffeur – und das mußte er büßen!

Böök, flüsterte ich irritiert, denn laut wurde ich selten, damit Karla nichts von diesen Dingen merkte. Böök, merken Sie nicht, der große Wagen hinten will uns seit zehn Minuten überholen. Fahren Sie rechts ran, Böök! Mensch, rechts!

Oder: Nach der Karte muß jetzt eine Kurve kommen, und gerade in der Kurve ist ein unbeschrankter Bahnübergang. Fahren Sie ganz langsam, Böök, fahren Sie zwanzig Kilometer!

Er fuhr weiter seine sechzig.

Hören Sie nicht, Böök! Sie sollen zwanzig fahren! Zwanzig! Nicht sechzig! Hier kommt 'ne Kurve und ... Zwanzig, sage ich! Zwanzig!!

Nachdem ich drei Minuten lang den August im Flüsterton bedroht hatte, wurde auch mir klar, daß die Kurve mit ihrem Bahnübergang schon längst hätte kommen müssen. Schweigend suchte ich auf meiner Karte. Schließlich sagte ich halb verlegen, halb wütend: Ach so, Sie sind bei der letzten Wegekreuzung links abgefahren. Das hätten Sie mir auch sagen können, Böök! Ich versuche, Ihnen so gut ich es kann zu helfen. Sehr viel Fahrpraxis haben Sie doch noch nicht ...

Meistens hielt August ja den Mund und antwortete gar nichts, schon um Karla nicht zu irritieren. Aber schließlich war auch der dunkle August Böök nur ein Mensch und mancherlei Stimmungen unterworfen, und wie sehr ihn in einer schlechten mein pausenloses, besserwisserisches Geschwätz gequält haben muß, das kann ich mir heute recht gut denken.

In solcher üblen Stimmung antwortete August auf meine guten Lehren mit kurzen, bissigen Bemerkungen: Ist schon recht, Chef! – Fahr ich wirklich sechzig? Ich glaube, der Tachometer hat die Schwindsucht, aber die galoppierende! – Oder: Sie und der Papst, Herr Schreyvogel, da ist schon die ganze Allwissenheit Gottes zusammen!

So heizten wir uns gegenseitig ein, und manchmal kam es so weit, daß wir tatsächlich laut und hitzig wurden. Dann griff Karla ein, worauf August sofort, ohne ein Wort der Rechtfertigung, stumm wurde. Einmal aber geschah es, daß er mitten in einem solchen Streit die Bremsen zog, daß sie schrien, den Wagen anhielt und zornig rief: Wenn Sie so gut fahren können, dann fahren Sie, Chef! Der Teufel soll Ihr Chauffeur sein! Lernen Sie lieber erst fahren, Chef!

Karla rief: Aber August, wie reden Sie mit meinem Mann! Sofort entschuldigen Sie sich!

Er sollte wirklich fahren lernen, Chefin, sagte August noch immer wütend. Dann würde er nicht so klug daherreden ...

Aber August – fing Karla wieder an.

Plötzlich aber erhellte sich ihr ganzes Gesicht: Sie haben natürlich recht, fahren muß Max lernen! Daß wir nicht von selbst darauf gekommen sind, Maxe! Da zerbrechen wir uns von früh bis spät den Kopf, was du anfangen sollst – mit deiner Freizeit natürlich –, aber hierauf muß uns erst der August bringen. Fahren wirst du lernen!

Und mit einem Seitenblick auf mein mürrisches Gesicht: Ich bin ganz überzeugt, du wirst ein großartiger Fahrer, Max. Du lernst es ganz schnell und leicht.

Als ich aber noch immer mürrisch aussah, sagte sie lockend: Und dann kaufst du dir einen hübschen, kleinen, schneidigen Sportwagen, und später, wenn ich erst so weit bin, machen wir Reisen durch Deutschland – Ach, August, warum denn so plötzlich –?!

Denn August Böök hatte den Wagen so überraschend angefahren, daß wir alle in unsere Sitze zurückgefallen waren.

Während der Weiterfahrt saß ich ganz still neben August. Es kämpfte in mir. Das Fahrenlernen, der rasche Sportwagen lockten wohl, aber ich war nicht so sicher wie Karla, daß ich es leicht lernen würde. Ich wollte mich auch nicht gerne blamieren – schon gar nicht vor August. Mit einem ganz neuen Interesse sah ich seinem Chauffieren zu, und plötzlich verstand ich, daß er alles Recht hatte, meine Belehrungen Klugschnackerei zu nennen. Denn wieviel tausend Kilometer ich auch schon neben ihm gefahren war, ich hatte nie darauf geachtet, wann und wie eigentlich die einzelnen Gänge geschaltet wurden. Ich verstand nichts vom Autofahren, außer Klugschnacken.

August? fragte ich fast reuig aus dieser Stimmung heraus. Was meinen Sie, werde ich wirklich das Chauffieren leicht lernen?

Sie, Chef? fragte August. Sie? Ich verstehe immer lernen? Ja, können Sie es denn noch nicht? Ich hab' immer gedacht, wenn Sie neben mir saßen, sie könnten's. Nee, so was!

Und er schüttelte den Kopf.

Worauf ich beschloß, chauffieren zu lernen, und besser als er, schon aus Trotz.

*

 


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