Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

36. Kapitel

Der Untadelige weckt – Aussprache unter Eheleuten – Dritte Warnung, aber ich gelobe Besserung und verspreche vieles

 

Zehn Uhr, Herr Schreyvogel. – Zehn Uhr! – Zehn Uhr! – Herr Schreyvogel, ich bitte um Verzeihung, es ist zehn Uhr.

Ja doch! – Schon Zeit zum Aufstehen, Karl? Ist es denn schon sieben –?

Zehn Uhr, Herr Schreyvogel. – Das Bad ist fertig. – Ich habe den Leinenanzug herausgelegt, wenn es Herrn Schreyvogel recht ist. Es wird heute ziemlich heiß.

Ja doch! – Meine Frau –?

Die gnädige Frau haben wie immer um acht Uhr Kaffee getrunken und sitzen jetzt am Rosenboskett. Frau Kalübbe ist bei ihr, außerdem Fräulein Eduarda und Isi. Herr Kalübbe hat angerufen ...

Nachher. Ich stehe jetzt auf. Ich brauche Sie nicht, Karl. – Karl, einen Augenblick noch ...

Bitte sehr, Herr Schreyvogel?

Ich habe da Kleider ... Ich meine den Anzug von gestern ... Ich bin – hingefallen ... Ich möchte, daß Sie ihn selbst, Karl ... Lassen Sie das nicht die Mädchen machen, die machen es immer so unordentlich ...

Jawohl, Herr Schreyvogel – Wenn ich mir eine Frage erlauben dürfte, Herr Schreyvogel – ich habe mich schon überall nach der goldenen Zigarettendose umgesehen. Gestern abend, als Herr Schreyvogel fortfuhren, hatten Herr Schreyvogel sie bestimmt in der Tasche.

Lassen Sie das jetzt, Karl. Ich habe sie irgendwo hingelegt, es wird mir schon noch einfallen, wo. – Also, vergessen Sie den Anzug nicht, Karl.

Wird von mir selbst erledigt, Herr Schreyvogel. Ich wünsche einen guten Morgen!

Das hätte er auch nicht so zu betonen brauchen, daß er den Anzug allein sauber macht, es klingt, als hätten wir ein Komplott miteinander. Der soll sich nur in acht nehmen, der gute Karl Andreas Strabow! Noch einmal falle ich nicht wie am Neujahrstage auf sein Gerede herein! Es gibt noch ganz andere Diener als ihn!

Richtig, dem Fitz werde ich einen Taler schenken, weil er dem August heute nacht geholfen hat! Das wird den Jungen freuen. Aber nein, doch lieber nicht. Es verwöhnt diese Bengel bloß, sie bilden sich dann Wunder ein, was sie alles geleistet haben. Er ist in letzter Zeit überhaupt recht bummelig geworden, ich werde ihn mal schärfer an die Kandare nehmen!

Seit ich geschlafen habe, hat sich meine Stimmung verändert. So listig-selbstzufrieden ich vorher war, so finster und argwöhnisch bin ich jetzt. Alles ärgert mich, beim Rasieren schneide ich mich, das Badewasser ist natürlich schon wieder halb kalt. Karl hätte auch gut an einem so heißen Tag eines von meinen rohseidenen Hemden herauslegen können! Wofür er die wohl aufspart? Er hat doch selbst gesagt, es wird heute heiß!

Unlustig sitze ich dann auf der Terrasse beim Frühstück. Mein Magen brennt und schmerzt – unmöglich, einen Bissen zu essen! Der Kaffee schmeckt auch nicht besser als Spülwasser. Am richtigsten wäre es, jetzt einen Schnaps zu trinken, etwa einen Bitteren, der würde meinem Magen gut tun und mich munter machen. Aber es geht nicht. Ich muß jetzt Karla guten Morgen sagen, und Karla würde mir den Schnaps bestimmt anriechen. Na, vielleicht hinterher ...

Eine ganze Weile vertrödele ich noch am Frühstückstisch, ehe ich mich entschließe, zum Rosenboskett zu gehen. Ich hoffe natürlich, daß mir Mückchen entgegenlaufen und die Begrüßung erleichtern wird. Aber als ich mich der Bank nähere, sehe ich dort nur Karla und Frau Kalübbe. Von Mückchen und Isi ist nichts zu sehen.

Guten Morgen, Karla, sage ich und gebe ihr die Hand. Wenn ich überhaupt noch guten Morgen sagen darf. Es ist ein bißchen spät geworden. – Guten Morgen, Frau Kalübbe!

Guten Morgen, sagt Frau Kalübbe (Pips) leise und steht auf. Ja, es ist spät. Ich muß nach Haus, das Mittagessen –

Aber laufen Sie doch nicht gleich weg, wenn ich komme, Frau Kalübbe! Das ist wirklich nicht nett von Ihnen! Was macht denn Ihr Mann heute?

Mein Mann ist auf dem Feld. Ja, ich muß aber wirklich gehen, das Mittagessen –. Entschuldigen Sie bitte. Guten Tag.

Und auch Frau Kalübbe, auf die ich meine Hoffnung gesetzt hatte, entschwindet. Ich bin völlig allein mit Karla.

Ich setze mich neben sie, suche in meinen Taschen nach einer Zigarette und gebe es wieder auf. Wird mächtig heiß heute, bemerke ich.

Keine Antwort.

Wo sind denn Mückchen und Isi? Ich will doch mal sehen ...

Nein, bleib jetzt hier, Max. Ich muß mit dir reden, Max.

Gerne, Karla, lüge ich und verfluche mich, daß ich ausgerechnet jetzt hierher gegangen bin. Ich hätte doch auch gut bis zum Mittagessen warten können, wenn die anderen dabei sind ...

Ich scharre mit dem Fuß im Sande – ach, wenn doch erst die nächste Viertelstunde vorbei wäre! Karla kann so schrecklich temperamentvoll werden – und ich weiß doch alles, was sie mir sagen kann. Ich habe es mir heute früh alles selber gesagt, und von heute ab werde ich mich auch bestimmt ändern. Ich habe mir doch schon selbst zugeschworen, nicht wieder in die Bar zu gehen! Was hat also alles Geschwätz für einen Sinn –?!

Maxe ... sagt Karla plötzlich und streckt mir die Hand hin. Maxe, geht es denn gar nicht anders, kannst du dich denn gar nicht ein bißchen zusammennehmen?

Sie sieht mich an, mit Tränen in den Augen.

Dieser Ton bezwingt mich völlig. Gereiztheit und dunkle Not vergehen, ich sage nur kläglich: Ach, Karla ...

Jetzt fühle ich mich nur schuldbewußt und doch geborgen.

Maxe, wenn du nicht an die Leute denkst und nicht an mich, so denke doch an die Kinder. Was soll denn Mückchen von dir glauben? Sie ist schon alt genug, sie versteht es schon.

Das ist nicht richtig, schießt es mir durch den Kopf. Jetzt übertreibt Karla gewaltig. Mückchen kann gar nichts gemerkt haben. Und dann das Ungeborene ...

Es muß ihm schädlich sein, sagt Karla, als hätte sie meine Gedanken erraten, wenn ich so die ganze Nacht wach liege und mich um dich sorge. Ach Max, ich habe gesehen, wie sie dich hier ins Haus geschleppt haben, August und Fitz – das warst du doch gar nicht mehr! Das ist nicht der Mann, den ich lieb habe. Und das ist auch nicht der Mann, den ich zum Vater für meine Kinder haben möchte, setzt sie mit festerer Stimme hinzu.

Ach, Karla, es soll bestimmt nicht wieder vorkommen. Wirklich, ich wollte es gar nicht. Ich wollte gar nicht in die Bar gehen. Aber dann war es so früh, schon heimzufahren nach dem Kino, und ich graulte mich so vor dem großen, dunklen Haus. Du liegst dann auch schon immer im Bett, wenn ich komme. Ich weiß, du hast jetzt Ruhe nötig. Aber ich bin dann so unglücklich, wenn ich hier allein sitze. Wirklich, Karla, ich bin nicht wegen des Trinkens hingegangen. Ich wollte nur ein bißchen Gesellschaft haben –

Und was ist denn das für eine Gesellschaft, Maxe! rief Karla empört. Diese Mädchen sind doch alle nur dumm und gemein, die sind doch nichts, was dir gut tun könnte!

Das mußt du nicht sagen, Karla, rechtfertigte ich mich schon eifriger. Zuerst bist du auch ganz gerne mitgegangen und fandest sie interessant und lustig. Erst als ich öfter hinging, gefielen sie dir nicht mehr.

Aber, Max, ich habe doch recht. Sie haben es alle bloß auf dein Geld abgesehen. Dich nehmen sie nur so nebenbei in Kauf ...

Karla! rief ich tödlich verletzt.

Doch, Max, mach dir doch nichts vor! Du bist nie die Art Mann, die solchen Mädchen gefällt.

Du hast eben ein Vorurteil gegen diese Mädchen, sagte ich hartnäckig. Du willst sie nicht verstehen.

Sag das nicht, Maxe! Ich habe mir alle Mühe gegeben. Als du die kleine Tänzerin so nett fandest und ihr helfen wolltest, weil sie dir vorklagte, keiner wäre uneigennützig zu ihr – wer war gleich einverstanden, daß wir sie hierher einluden und sie prüfen ließen? Bin ich das nicht gewesen? Und ist sie nicht gleich am ersten Morgen fortgelaufen, als sie hörte, der Ballettmeister käme zur Prüfung, und dich hat sie um fünfhundert Mark angepumpt, und meine goldene Puderdose hat sie heimlich mitgenommen –?!

Die kann dir auch jemand anders gestohlen haben!

Das ist nicht wahr, und das weißt du auch ganz gut, Max! Aber die Hauptsache bleibt, daß alle diese Mädchen nur auf dein Geld aus sind. War es denn wirklich nett gestern abend, Max?

Ich schwankte einen Augenblick, dann entschloß ich mich zur Wahrheit: Nein, Karla, gar nicht! Ich habe mich so schlecht benommen ... Gott sei Dank! rief sie. Gott sei Dank, hast du das, Maxe!

Und als ich sie in der schamvollen Erinnerung verständnislos anstarrte, sagte sie: Denn wenn du dich dort gut benehmen würdest, dann gehörtest du zu denen und nicht zu mir. Du paßt einfach nicht dorthin – warum gehst du da noch?

Ich habe es dir schon gesagt, Karla, wiederholte ich, weil ich mich vor den einsamen Abenden hier im Schloß graule! Hier sitze ich bloß rum, und immerzu Bücher lesen kann ich auch nicht. Und der Strabow und die Kluge und Fitz und alle, das sind ja alles bloß – Larven! Für die bleibe ich ewig der großmächtige Millionär, ich kann mit ihnen reden, wie ich will. Nie sprechen sie mit mir wie mit einem richtigen Menschen ...

Karla sah mich nachdenklich an, mit vorgeschobener Unterlippe. Du, Maxe, sagte sie dann, ich schlafe gar nicht so viel. Ich liege bloß im Bett. Ich wäre oft froh, wenn du dich ein bißchen zu mir setzen und reden würdest. Als wir die Mücke erwarteten, hast du das immer getan.

Einen Augenblick hatte ich wirklich ein ganz schlechtes Gewissen, daß ich Karla so viel allein ließ. Aber dann fiel mir ein, wie das sein würde, wenn ich den ganzen Abend bei ihr säße, bis in die Nacht hinein. Draußen vor den Fenstern war dann all die bunte Welt, in der immerzu etwas geschah (wie ich mir wenigstens einbildete), und ich hatte das Geld dazu, bei allem Geschehen dabei zu sein ...

Karla, sagte ich, ich würde dich bloß quälen und langweilen. Wir sind nun bald sieben Jahre verheiratet und haben wirklich nicht mehr so viel miteinander zu reden. Immer nur von Strabow und der Kluge sprechen, ich weiß wirklich nicht –

Ihr Blick betrachtete mich jetzt so nachdenklich fremd, daß ich mich zu besinnen versuchte. Aber dann fiel mir das andere wieder ein: Sieh mal, Karla, nun haben wir das viele Geld – jetzt können wir doch nicht mehr so leben wie früher! Wenn ich da so bei dir sitzen soll, und wir schwatzen ein bißchen oder spielen Karten miteinander, das könnte doch genau so in der Mansarde bei der Oma Böök sein! Wozu tragen wir dann all die Lasten mit dem ollen Schloß und den vielen Leuten, wenn wir nicht anders leben sollen als bisher? Wir wollen doch jetzt auch was von unserem Geld haben –!

Meinst du damit die Bar? fragte sie.

Wenn du sticheln willst, Karla! Ich sage dir alles, wie ich es wirklich empfinde! Ich kann einfach nicht ruhig sitzen. Es ist, als juckte mich der Gedanke an das Geld immerzu. Ich möchte etwas tun, verstehst du?

Und was tust du?

Ach nichts! Sagte ich plötzlich verdrossen. Ich versuche erst. Ich finde mich noch nicht zurecht. Ich werde es schon lernen – wir sind ja noch nicht so lange reich.

Du denkst also, wir müßten glücklicher leben mit Geld als ohne Geld?

Aber klar, Karla! Wozu sollte man sich denn mit all dem Zeug abplagen, wenn nicht ein Vorteil dabei rauskäme? Ich komme schon noch dahinter, verlaß dich darauf!

Mehr als einen Anzug auf einmal kannst du auch nicht tragen, sagte Karla. Und wenn du satt bist, ist es egal, ob du es von getrüffelter Pute oder Milchreis geworden bist. Von den richtig schönen Dingen verstehen wir nichts, lieber als all das gerühmte Meißener in unseren Vitrinen war mir der Milchtopf mit dem Streublumenmuster, den mir Meta Schulze geschenkt hat. Ich weiß heute, daß Geld überhaupt nichts mit Glück zu tun hat – wenigstens solche Menschen wie wir können sich mit Geld überhaupt kein Glück kaufen!

Sage das nicht, Karla! rief ich, jetzt wirklich aufgeregt. Wir verstehen es bloß noch nicht, aber wir lernen es! Das wäre ja sonst alles Schwindel, was man früher gelernt hat, vom Hecketaler und Dukatenmännlein angefangen bis zum großen Los ...

Aber warum soll es denn kein Schwindel gewesen sein, Max? Es ist ja so vieles Schwindel gewesen, was wir gelernt haben! Nein, ehe die drei Zylinderhüte von Steppe bei uns in der Stube standen, sind wir glücklich gewesen. Aber seitdem sind wir bloß immer unglücklicher geworden, und ich glaube, es wird noch schlimmer.

Ach, Karla, du hast heute wieder deine trübe Stunde, das kommt aber bloß davon, weil du erwartest. Laß das nur erst vorbei sein – dann machen wir eine große Reise, im Auto oder auf einem Schiff. Du sollst schon sehen, wie dir das gefallen wird!

Ja, als wir im Palasthotel saßen, da sagten wir: Wenn wir bloß erst in Gaugarten sind! Und nun sind wir in Gaugarten, und nun sagst du: Wenn wir nur erst auf Reisen sind! Aber auf Reisen werden wir wieder zu den anderen Reisenden nicht passen, und von den berühmten Bauwerken und Bildern verstehen wir nichts ...

Du hast eben deine schlechte Stunde, dann mißfällt dir alles, Karla. Denke doch, wir haben jetzt gar keine Geldsorgen mehr ...

Wir haben keine Geldsorgen?! Ich finde, wir haben immerzu Geldsorgen! Ständig sagen Kalübbe und Mehltau, wir müssen wegen der Steuertermine sparen. Wir haben gedacht, wir könnten was für die Leute tun, ihnen nette Häuser bauen, ein bißchen mehr Land geben, die Kuhhaltung ermöglichen: nichts können wir tun! Nie ist für so was Geld da!

Aber wir haben doch Geld! Für uns ist doch Geld da! Wir haben keine Geldsorgen mehr! Wenn ich zurückdenke, was haben wir bei der Vira rechnen müssen! Ein Paar Socken für mich zu kaufen, war eine Staatsaktion. Heute können wir alle Tage Socken kaufen, wir merken es nicht einmal.

Komisch, Max, wie verschieden wir doch denken! Ich finde immer, als wir bei der Vira waren, hatten wir überhaupt keine Sorgen! Ob wir Socken kauften oder nicht, war ganz gleich, glücklich und vergnügt waren wir immer. Aber jetzt, wenn ich jetzt abends wach liege und du bist unterwegs, jetzt habe ich Geldsorgen! Sorgen wegen zu viel Geld, verstehst du! Da liege ich und grübele, wieviel Geld du wohl in der Brieftasche hast und was für Unheil du damit anrichten kannst, bei dir und deiner Gesundheit und gegen mich und die Kinder und gegen alle Leute, mit denen du zusammenkommst!

Sie sah mich ganz rührend an. Ich wurde wirklich gepackt – ich liebe sie ja doch –, ich fasse ihre Hand, streichle sie und flüstere dabei: Karla, liebe Karla, rege dich bloß nicht so auf! Das muß dir doch schaden!

Max, rief sie und schüttelte mich fast. Max, du hast ja schon ganz vergessen, daß Geld fast etwas Heiliges ist, das man nicht sinnlos fortschmeißen darf! Wenn du Ultimo mit deinem Gehalt nach Haus kamst und gabst mir deine hundertachtundsiebzig Mark Gehalt – da hat mich jede Mark, jeder Groschen, jeder Pfennig gefreut und stolz gemacht. Ich habe gedacht: dafür hat er sich einen Monat geschunden und hat die Launen von Kracht ertragen und ist früh aufgestanden. Und bei jedem Pfennig habe ich mir überlegt, ob es auch recht ist, wie ich ihn ausgebe – und du wirfst heute mit den Hundertern um dich, als seien sie Dreck!

Sie hielt inne, sah mich an. Dann sagte sie beschwörend: Es ist aber kein Dreck, Max, und wenn du dich nicht darum geschunden hast, so haben es doch deine Arbeiter getan. Die haben sie dir verdient, und Herr Kalübbe hat schon dafür gesorgt, daß ihnen dieses Verdienen nicht leicht geworden ist. Wenn deine Arbeiter erfahren, wie du mit dem Verdienst ihrer Arbeit umgehst – und wie sollen sie es nicht erfahren, da es doch jeder im Schloß weiß! –, sie müssen dich doch verachten, Max!

Karla, sagte ich ein wenig mißmutig, jetzt übertreibst du wirklich ein bißchen! Jeder Mann betrinkt sich mal, so oft habe ich es wirklich noch nicht getan! Meine Arbeiter betrinken sich auch mal und lassen einen Wochenlohn draufgehen. Deswegen verachte ich sie nicht, deswegen verachten sie mich nicht.

Ich weiß eine Zeit, meinte Karla nachdenklich, da hast du gesagt, wenn du einen betrunkenen Arbeiter auf der Straße sahst: den Gastwirt, der dem zu trinken gegeben hat, sollte man einstecken! Da sitzen nun Frau und Kinder zu Haus und warten ...

Aber was soll ich denn tun, Karla? rief ich verzweifelt aus. Was in aller Welt soll ich tun?! Ich bin doch erst sechsundzwanzig geworden ich kann doch nicht ewig hier sitzen und Familienvater sein und gar nichts tun! Sage mir doch, wie ich es ändern soll!

Das ist es eben, Max, daß du rein gar nichts mehr zu arbeiten hast, daß du nicht weißt, was du mit dir und deiner Zeit anfangen sollst. Darum bist du ja so unglücklich.

Und was soll ich arbeiten? Ich habe wahrhaftig versucht, all diese landwirtschaftliche Betriebs- und Düngerlehre zu studieren und zu kapieren, aber wenn ich dann aufs Feld zu Kalübbe kam, lachte er bloß und sagte: Lassen Sie man, Herr Schreyvogel, zum Landwirt muß man geboren sein. Das lernen Sie nie, das muß einem im Blut stecken! – Und recht hat er. Was richtige Ackergare ist und wie man sie erzielt, lerne ich nie ...

Und das Gutsbüro?

Aber du weißt doch, Karla, wie ich dagesessen habe bei Rendant Schwöger – das habe ich alles ganz gut kapiert mit der Buchführung und den Leutelöhnen. Aber ich kann doch Schwöger seine Arbeit nicht wegnehmen, für zwei ist es nicht genug ...

Warum kannst du nicht? Schwöger wird eine andere Stellung kriegen, und vielleicht könntest du die Arbeit mit der Zeit sogar besser machen als er!

Aber wie stellst du dir das vor, Karla? Schwöger ist doch der Untergebene von Kalübbe, und dann kommt Kalübbe zu mir rein und sagt: Herr Schreyvogel, kommen die Dreschkohlen noch immer nicht? Setzen Sie mal ein bißchen Druck dahinter, oder ich setze Druck hinter Sie – du weißt doch, wie Kalübbe ist. Das ist doch alles ganz unmöglich!

Du willst also wirklich in deinem ganzen Leben gar nichts anderes mehr tun, als der reiche Mann sein?! In Karlas Stimme klang eine seltsame Entschlossenheit. Du willst aus bloßer Langeweile und Müßiggang dir immer mehr schlechte Gewohnheiten zulegen?

Also sage mir, was ich tun soll! Bitte! Ja –?

Sie schwieg, und ich sagte überredend: Karla, es wird ja alles noch anders. Wir werden es besser gewöhnt, und dann finde ich auch eine Tätigkeit. Ich werde nicht mehr trinken, das verspreche ich dir. Ich gebe dir auch zu, die Mädchen in der Bar sind blöde. Ich will auch kein Geld mehr veraasen ... Du siehst, Karla, ich bin nicht unvernünftig. Nun, komm, sage ein Wort, daß du nicht mehr böse bist.

Aber sie sagte nichts, sie schwieg. Als sie eine Weile geschwiegen hatte, still vor sich hinsehend, wurde ich langsam ärgerlich. Ja, Karla, sagte ich, wenn du mit gar nichts zufrieden bist –!

Wird es dir denn so schwer, fragte sie endlich leise, von all diesem Abschied zu nehmen? Es hat uns doch nichts Gutes gebracht. Überlege mal, Max, wenn wir hier alles verkaufen würden, und fast alles Geld, was wir kriegen würden, legten wir fest, daß keines von uns beiden heran kann. Vielleicht für unsere Kinder – aber nein, unsere Kinder sollen auch kein Geld erben! Also meinethalben eine Stiftung. Und von dem Rest kauften wir uns was Kleines. Es müßte so klein sein, daß wir tüchtig zu arbeiten hätten, um uns und die Kinder durchzubringen, und vor allen Dingen möchte ich keine fremden Leute im Hause haben, nur wir allein, wäre das schön!

Ihre Augen leuchteten fast. Aber ich schüttelte den Kopf.

Jetzt fängst du schon zum drittenmal davon an, daß wir auf die Erbschaft verzichten sollen, Karla. Aber daraus wird nichts. Ich sage dir, wir werden es lernen. Ich werde mich bessern, und wir werden dann auch glücklicher leben. So ein Erbe schlägt man nicht aus!

Es ist uns nicht im Guten, es ist uns im Bösen vermacht!

Wir werden schon etwas Gutes daraus schaffen, Karla. Verliere bloß den Mut nicht. Schon der Kinder wegen dürfen wir nicht tun, was du vorgeschlagen hast.

Max, rede dich nicht auf die Kinder aus! Du kannst dich nicht von dem Gelde trennen! Aber schön, ich werde dir nicht noch einmal diesen Vorschlag machen. Nur, Max, ich warne dich: ich bin geduldig, aber alles lasse ich mir nicht kaputt machen, meine Ehe nicht und dich nicht! Wenn es wieder so kommt oder schlimmer ...?

Ich habe dir versprochen, ich will nicht wieder trinken, mich nicht betrinken, heißt das. Und ich verspreche dir jetzt, wenn so etwas noch einmal vorkommt, so sollst du allein über alles Geld verfügen dürfen. Du sollst mir mein Geld zuteilen dürfen, du sollst mich kurz halten können – bist du nun zufrieden?

Sie sah mich zögernd an. Dann kam endlich etwas wie ein hoffnungsvolleres Licht in ihre Augen: Also das versprichst du, Max. Nun schön, aber ich nehme dich dann auch beim Wort, Max!

Das kannst du, aber es kommt nicht mehr vor!

Dein Wort hast du ja noch immer gehalten, Max! Und darin wirst du dich doch nicht auch ändern, nein, darin doch nicht, Max?

Wenn du mich jetzt nach allem, was ich dir versprochen habe, beleidigen willst, Karla ...

*

 


 << zurück weiter >>